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04.2
Gedichte - Karl Henckell
Vorworte / Zum Eingang
Vorwort Karl Henckell
Diese
neue Ausgabe meiner Gedichte, die alle früheren Bücher in wesentlich
kürzerer Form umfasst und außerdem am Schlusse einen weiteren Abschnitt
hinzufügt, bildet das Ergebnis eines seit geraumer Zeit gehegten
Wunsches, meine lyrische Habe von allerlei überflüssigem Kram zu
reinigen. Es hatte sich, dank einer hastigen und wahllosen
Zusammenraffung poetischen Hausrates, im Laufe der Jahre zwischen den
mir wahrhaft zugehörigen Gütern ein mehr zufälliges Gerümpel von Versen
aufgestapelt, das sich mir unangenehm vor die Füße schob. Auch begann
sich der breitflächige Ballast mit einer dicken und schweren
Staubschicht zu überziehen und drohte die feineren Objekte unter seinem
Wuste zu ersticken. So legte ich, von ruhigeren Augenblicken
begünstigt, endlich Hand an und säuberte mein weitläufiges lyrisches
Mobiliar. Dieser Vorgang des Ausscheidens und Vervollkommnens erfolgte
lediglich nach ästhetischen Gesichtspunkten auf Grund individueller
künstlerischer Wertschätzungen.
Küsnacht
am Zürichsee, Oktober 1898, Karl Henckell
******
Zum
Eingang
Nun
liegt vor mir in diesem Band
Meine
Jugend, wie ich sie empfand.
Blättr‘
ich darin, in meinen Zügen
Les‘
ich, verschont von Missvergnügen,
Und
kann aus Liedesspuren sehn
Den
Weg, der mir bestimmt, zu geh‘n.
Das
sind so rund die fünfzehn Jahre …
Meine
Verse haben braune Haare,
Graue
und weiße fehlen drin,
Weil
ich noch nicht in dem Alter bin.
Da
darf ich mir getrost erlauben,
An
keine Unfehlbarkeit zu glauben
Und
in meinem „Ja“ und meinem „Nein“
Kein
starrer Petrefakt zu sein.
Auch
nehm‘ ich mir vor allen Leuten
Die
Freiheit, meinen Stil zu häuten
Nach
ganz persönlichem Geschmack –
Sich
selbst nachäffen, Kunst für’s Pack!
Ja,
alter Freund und Doppelgänger,
Liebes-,
Natur- und Menschheitssänger,
Wohlausgedienter
„reiner Thor“,
Schau‘
mich nur an – wie kommst du mir vor?
Im
Hintergrunde meiner Lieder
Erkennst
du deine Seele wieder?
Da
schau! Das muss ich nochmal lesen:
Bin
ich denn solch ein – Narr gewesen,
Verzückter
als in seinem Wahn
Der
heilige Sankt Florian?
Und
dieser Vers, der launelose,
Warst
du es, oder war es Pose?
Warst
du die Pose selbst? Und nahm
Das
Pathos dir die stille Scham?
Und
hier? Ist diese Strophe wahr?
Ward
aus Natur sie offenbar?
Hast
du dein Selbst hier nicht verbogen,
Dein
Herz mit Flitter überzogen?
Ließest
von tapfern Trompetenklängen
Dich
dort nicht zum Bravourstück drängen?
Genug!
Dem sei nun wie ihm sei:
Bin
summa summarum schuldenfrei,
Und
was ich beim Sprachschatz aufgenommen,
Hab‘
ich doch meist gegen Blut bekommen.
So
bleib‘, mein Buch, nun wie du bist!
Ich
kenne deine Treu‘und List!
Kenn‘
deine heimlichsten Verbrechen;
Mit
deinem Zorn und deiner Zier
Bist
du ja doch ein Stück von mir.
Zwar
manchmal wollt‘ ich mich erbosen,
All
den Gefühlsschwang von mir stoßen.
Da
sahst du mich merkwürdig an;
„So
unduldsam als – reifer Mann?
Man
muss für seine Musengaben
Des
Überwinders Großmut haben.“
Der
Ballast fiel. Die Luft geht rein.
Nun
frisch in Wind und Flut hinein!
Gemach,
gemach!
Orkane
sind im Schoß der Welten wach …
Ja,
ich weiß, was auf mich niederzuckte,
Was
vom Flug der Wolken mich entfernt,
Doch
die Seele, die viel Staub verschluckte,
Hat
das Ätheratmen nicht verlernt.
Schützt
mich, meines Lebens Hieroglyphen,
Ich
erfuhr’s , was ich euch schuldig bin,
Wollet
mich nicht wieder schrecklich prüfen,
Opfern
mag ich nur noch eurem Sinn.
Zart
und zitternd kenn‘ ich eure Zeichen,
Treu
behütet muss ihr Wesen sein,
Aus
dem Kreis der stillen Kraft zu weichen,
Heißt,
die Genien dem Tode weihn.
Meine
Genien sind Lebensklänge
Innerlich
ergriffener Natur,
Und
sie rufen mich aus dem Gedränge
Flehend
bang auf meiner Seele Spur …
Luzifer!
Du spendest Höh’n und Tiefen
Der
verschwenderischen Liebe Licht,
Aber
ach, in deinem Geiste schliefen
Schatten
Gottes, die besiegst du nicht.
Mählich
klimmen sie aus schmalen Spalten
Der
zerpfückten Natur empor,
Legen
deine reine Stirn in Falten
Und
umschleiern sie mit feinem Flor.
Auch
von meiner Seele Firnen rannen
Bäche
Lichts – und Alles ward erhellt:
Bild
des Lebens, lehrst du mich auch bannen
Blickdurchbohrend
Schein und Wahn der Welt?
oben
_____________________________
Gedichte "Vorwort und Zum Eingang" aus Gedichte,
Karl
Henckell, Seite IV-VIII, Verleger Karl Henckell und Co.,
ED: 1898,
E-Ort: Zürich und Leipzig, gemeinfrei
Wikimedia
Logo 219:
"Don Juans Begegnung mit dem Steinernen Gast",
1906, Max Slevogt
(1868-1932), Standort: Museum zu Berlin,
ale Nationalgalerie, gemeinfrei
Wikimedia
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