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04
Gedichte - Sagenpoesie
Vorgeschichte
(Second sight)
Kennst
du die Blassen im Heideland,
Mit
blonden flächsenen Haaren?
Mit
Augen so klar, wie an Weihers Rand
Die
Blitze der Welle fahren?
O,
sprich ein Gebet, inbrünstig, echt,
Für
die Seher der Nacht, das gequälte Geschlecht.
So
klar die Lüfte, am Äther rein
Träumt
nicht die zarteste Flocke,
Der
Vollmond lagert den blauen Schein
Auf
des schlafenden Freiherrn Locke,
Hernieder
bohrend in kalter Kraft
Die
Vampyrzunge, des Strahles Schaft.
Der
Schläfer stöhnt, ein Traum voll Not
Scheint
seine Sinne zu quälen,
Es
zuckt die Wimper, ein leises Rot
Will
über die Wange sich stehlen;
Schau,
wie er woget und rudert und fährt,
Wie
Einer so gegen den Strom sich wehrt.
Nun
zuckt er auf - ob ihn geträumt,
Nicht
kann er sich dessen entsinnen -
Ihn
fröstelt, fröstelt, ob's drinnen schäumt
Wie
Fluten zum Strudel rinnen;
Was
ihn geängstet, er weiß es auch:
Es
war des Mondes giftiger Hauch.
O
Fluch der Heide, gleich Ahasver
Unterm
Nachtgestirne zu kreisen!
Wenn
seiner Strahlen züngelndes Meer
Aufbohret
der Seele Schleusen,
Und
der Prophet, ein verzweifelnd Wild,
Kämpft
gegen das mählich steigende Bild.
Im
Mantel schaudernd misst das Parkett
Der
Freiherr die Läng' und Breite,
Und
wo am Boden ein Schimmer steht,
Weitaus
er beuget zur Seite,
Er
hat einen Willen und hat eine Kraft,
Die
sollen nicht liegen in Blutes Haft.
Es
will ihn krallen, es saugt ihn an,
Wo
Glanz die Scheiben umgleitet,
Doch
langsam weichend, Spann' um Spann',
Wie
ein wunder Edelhirsch schreitet,
In
immer engerem Kreis gehetzt,
Des
Lagers Pfosten ergreift er zuletzt.
Da
steht er keuchend, sinnt und sinnt,
Die
müde Seele zu laben,
Denkt
an sein liebes, einziges Kind,
Seinen
zarten, schwächlichen Knaben,
Ob
dessen Leben des Vaters Gebet
Wie
eine zitternde Flamme steht.
Hat
er des Kleinen Stammbaum doch
Gestellt
an des Lagers Ende,
Nach
dem Abendkusse und Segen noch
Drüber
brünstig zu falten die Hände;
Im
Monde flimmernd das Pergament
Zeigt
Schild an Schilder, schier ohne End'.
Rechtsab
des eigenen Blutes Gezweig,
Die
alten freiherrlichen Wappen,
Drei
Rosen im Silberfelde bleich,
Zwei
Wölfe schildhaltende Knappen,
Wo
Ros' an Rose sich breitet und blüht,
Wie
überm Fürsten der Baldachin glüht.
Und
links der milden Mutter Geschlecht,
Der
frommen in Grabeszellen,
Wo
Pfeil' an Pfeile, wie im Gefecht,
Durch
blaue Lüfte sich schnellen.
Der
Freiherr seufzt, die Stirn gesenkt,
Und
-
steht am Fenster, bevor er's denkt.
Gefangen!
gefangen im kalten Strahl!
In
dem Nebelnetze gefangen!
Und
fest gedrückt an der Scheib' Oval,
Wie
Tropfen am Glase hangen,
Verfallen
sein klares Nixenaug',
Der
Heidequal in des Mondes Hauch.
Welch
ein Gewimmel! - er muss es sehn,
Ein
Gemurmel! - er muss es hören,
Wie
eine Säule, so muss er stehn,
Kann
sich nicht regen noch kehren.
Es
summt im Hofe ein dunkler Hauf,
Und
einzelne Laute dringen hinauf.
Hei!
eine Fackel! sie tanzt umher,
Sich
neigend, steigend in Bogen,
Und
nickend, zündend, ein Flammenheer
Hat
den weiten Estrich umzogen.
All'
schwarze Gestalten im Trauerflor
Die
Fackeln schwingen und halten empor.
Und
alle gereihet am Mauerrand,
Der
Freiherr kennet sie alle;
Der
hat ihm so oft die Büchse gespannt,
Der
pflegte die Ross' im Stalle,
Und
der so lustig die Flasche leert,
Den
hat er siebzehn Jahre genährt.
Nun
auch der würdige Kastellan,
Die
breite Pleureuse am Hute,
Den
sieht er langsam, schlurfend nahn,
Wie
eine gebrochene Rute;
Noch
deckt das Pflaster die dürre Hand,
Versengt
erst gestern an Herdes Brand.
Ha,
nun das Ross! aus des Stalles Tür,
In
schwarzem Behang und Flore;
O,
ist's Achill, das getreue Tier?
Oder
ist's seines Knaben Medore?
Er
starret, starrt und sieht nun auch,
Wie
es hinkt, vernagelt nach altem Brauch.
Entlang
der Mauer das Musikchor,
In
Krepp gehüllt die Posaunen,
Haucht
prüfend leise Kadenzen hervor,
Wie
träumende Winde raunen;
Dann
alles still. O Angst! o Qual!
Es
tritt der Sarg aus des Schlosses Portal.
Wie
prahlen die Wappen, farbig grell
Am
schwarzen Sammet der Decke.
Ha!
Ros' an Rose, der Todesquell
Hat
gespritzet blutige Flecke!
Der
Freiherr klammert das Gitter an:
»Die
andre Seite!« stöhnet er dann.
Da
langsam wenden die Träger, blank
Mit
dem Monde die Schilder kosen.
»O«,
- seufzt der Freiherr - »Gott sei Dank!
Kein
Pfeil, kein Pfeil, nur Rosen!«
Dann
hat er die Lampe still entfacht,
Und
schreibt sein Testament in der Nacht.
Annette
von Droste-Hülshoff
oben
_______________________________
Gedicht: Textgrundlage -
"Vorgeschichte
(Second sight)" Annette von Droste-Hülshoff:
Sämtliche
Gedichte. Frankfurt am Main:
Insel Verlag 1988.
wortblume.de
Logo 42: "Der Tod und die Frau",
Schiele Egon.
EJ: 1915, Österreichische Galerie, Wien,
gemeinfrei
zeno.org
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