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Literatur


04.2

Der Todtentanz - Ein Gedicht

Ludwig Bechstein

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Der Kardinal



Gott kann nicht zürnen! Gleich dem treuen Hirten
Folgt sein Erbarmen liebend dem Verirrten.
Wie seine Sonne scheint mit gleichem Segensstrahl
Auf Lybiens glüh’nden Sand, auf Kaschmirs Wonnethal,
So breitet segnend über Meer und Land,
Selbst über Wüsten sich die treue Vaterhand.
 
Verzage nicht, Du junges Menschenpaar,
Die Wetterwolke weicht, der Himmel lächelt klar.
Und ob die Flamme Dich aus Eden zürnend stiess,
Wo treue Liebe weilt, da bleibt das Paradies. –
Wo drückt so sehr ein Schmerz, der nicht allmälig heilt,
Wenn eine Seele nur ihn mit uns trägt, ihn theilt?
O Mitgefühl, Du Menschheitsgenius!
Du bist für Seelenwunden Balsamkuss,
Du bist im Dornenkranz des Leids die Liebesrose,
Herabgesunken von des Allerbarmers Schoose,
Du bist die Thräne, die des Seraphs Auge füllt,
Wenn sich der Menschen Glück in
Donnerwolken hüllt! –
 
Der Mangel weckt die Kraft, Ruh wird zum Überdruss,
Und für ein holdes Weib wird Arbeit selbst Genuss.
Das Glück begleitet sanft der ersten Menschen Schritte,
Von Palmenzweigen wölbt sich bald die Schattenhütte;
Die Elementenwuth die sichre Zuflucht beut.
Und immer inniger und fester schliesst dem Mann
Das Weib, das zärtlichliebende sich an.
Sie nimmt aus seiner Hand die Jägerbeute,
Und froher wird er, wenn er sie erfreute.
Er ruht in ihrem Arm, und doppelt süss erquickt
Die Frucht, die sie für ihn gepflückt.
 
Bald fühlt das Weib sich wunderbar bewegt,
Als sich in ihrem Schoos das neue Leben regt.
Sie weiss es nicht, was sie geheimnisvoll erschüttert,
Das Beben ist ihr fremd, das sie durchzittert,
In ahnungsvollen Träumen, licht und zart,
Wird ihr vielleicht die Zukunft offenbart. –
 
Die heil’ge Stunde kam, hoch schlug des Weibes Herz –
Ein Schauer – und ein heisser Schmerz –
Und als sie hülflos lag, in bangen Wehen,
Da stiegen Engel nieder, ungesehen,
Und dienten ihr, und legten leis und lind
An seiner Mutter Brust das erste Menschenkind. –
 
Wer malt das Staunen, wer ermisst die Wonnen,
Die hohe Lust der Gatten, Brust an Brust?
Nun hat ihr Leben erst begonnen,
Nun sind sie sich des Glücks, des Daseins erst bewusst.
 
Und ob sie kaum den Weltenlenker ahnen,
Sie jubeln doch, sie segnen ihr Geschick,
Und seligfroh fliegt zu den Wolkenbahnen
Voll warmen Dankgefühls ihr feuchtverklärter Blick.
Nun wird die Mühe doppelt süss;
Des Kindleins Lächeln weckt ein neues Paradies,
Weckt eine neue Welt voll fröhlicher Gedanken;
Wie um den Ulmenbaum sich junge Reben ranken,
So schlingt das Zauberband der Sympathie
Sich um die drei vereinten Herzen,
Sie wissen schon den Harm hinweg zu scherzen,
Und Liebe fesselt sie mit göttlicher Magie.
 
Ach, dass kein Glück hienieden dauernd blüht!
Dass jede Rose welkt, und jede Lust entflieht!
Die Jahre kommen und entschwinden,
Und jegliches verheisst uns Glück;
Ihr dürft Euch nicht an die Verheissung binden,
Sie nehmen treulos stets ihr Wort zurück.

 
„Im Schweisse Deines Angesichts“ –
So klang der Spruch des zürnenden Gerichts:
„Sollst Du die Nahrung Dir gewinnen!“
Der Mensch gehorcht dem Spruch,
und manche Tropfen rinnen.
 
Da gilt es Wälder auszuroden,
Urbar zu machen einen rauhen Boden;
Der Jahre werden mehr, die Kräfte sinken,
Und lauernd steht, mit schauerlichem Winken
Der bleiche Schatten – nah und näher schleicht
Er sich heran, bis er sein Ziel erreicht.
In seiner Wurzel wird das Leben untergraben;
Der starke Baum soll sich nicht mehr am Lichte laben,
Soll weichen einer jüngern Welt,
Die kräftig grünend sich um ihn gestellt.
Die Zeit ist um, sie will ihr Opfer haben,
Es stirbt der erste Mensch, die Rieseneiche fällt. –


oben

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Textgrundlage und Bilder:  Der Todtentanz - Ein Gedicht von Ludwig Bechstein,
mit 48 Kupfern in treuen Conturen nach  Hans Holbein. Leipzig, herausgegeben bei
Friedrich Augus Leo, 1831, gedruckt bei J. B. Hirschfeld

Düsseldorf, Universitäts- und Landesbibliothek
Online-Ausgabe

Bilder: Holbein d.J.  und W. Hollar(1498-1543, gemeinfrei, aus der Todtentanz
wikimedia.org

Logo 465: „Dans Macabre“, Bernt Notke, gemeinfrei
wikimedia

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