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Literatur


04.2

Der Todtentanz - Ein Gedicht

Ludwig Bechstein

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Die Priorin



Der Pilger in ein Kloster ging,
Und klopft‘, und zog am Pfortenring,
Das Thor erbebt, die Glocke schellte,
Dass es gar laut und schneidend gellte.
Er sprach zur Schwester Pförtnerin:
„Führt mich zu der Hochwürd’gen hin!
Ich bring‘ ihr einen Brief getragen,
Und hab‘ ihr mancherlei zu sagen. –„
 
Die Priorin war eine fromme Frau,
Sie hielt die Regel des Stifts genau;
Mit Beten, Fasten und Kastei’n,
Wollt‘ sie gehen in den Himmel ein.
So viel als Stunden zählt der Tag,
So vielmal sie das Ave sprach.
So viel Minuten hat die Stund‘,
Sprach täglich Paternoster Mund.
Sie betete spät, sie betete früh,
Zum Chor, zur Messe fehlte sie nie.

Und doch, sie war noch gar nicht alt,
Ihr Leib war jung und wohlgestalt.
Ihr Herz, es hatte warm geschlagen,
Zu warm vielleicht in früheren Tagen,
Und in der Zelle, und im Chor,
Trat eines Mannes Bild ihr vor,
Den sie geliebt und hassen musste,
Den sie gehasst und lieben musste.
 
Der Pilger kam und neigte sich
Vor der Hochwürdigen zuchtiglich.

„Sag‘ an, sag‘ an, wo kommst Du her?
Was bringtst Du mir für neue Mähr?“

„Die neue Mähr wird Dich nicht freun,
Gott woll‘ Deiner Seele gnädig sein!“

„So wirf auf mich Deiner Kunden last!
Ich habe mein Herz in Gott gefasst.“

„Dein Bruder, der Abt, starb gestern Nacht,
Der böse Geist hat ihn umgebracht.“

„O Bruder, lieber Bruder mein! –
Ach, Pilgrim, Du machst mir schwere Pein!“

„Dein Sohn, in Süden von Dir erzeugt,
Flucht heut‘ der Brust, die ihn gesäugt!“

O wehe, wehe! Nacht und Graus!
Mein Ziel ist da – mein Licht löscht aus!“

„Und all‘ Deine Frevel sind offenbar,
Was Du gesponnen, ist sonnenklar!“

„Weh, weh“ Wer bist Du, grauer Wicht,
Aus dem der Geist der Hölle spricht?!“

„Ich bin der Wahnsinn mit grünem Kranz!
Komm süsses Bräutlein, mit mir zum Tanz!“ –

 
Sie stöhnt, sie sinkt – er reisst sie empor,
Durch den Zellengang, durch das Klosterthor
Schleppt er sie fort mit hast’gem Schritt,
Ob sie sich sträube – sie muss mit.
 
Die Wetterfahnen trillt der Nord,
Die Pförtnerin schreit Zeter! Mord!
Zu rauschen scheint mit einemmal
Das steinerne Laub an dem Portal,
Es wankt der Thurm, es bebt der Bau;
Verschwunden ist die hochwürd’ge Frau. –
 
Dort, wo des Stromes Woge grollt,
Wo trüb sich Well‘ über Welle rollt,
Dort flog sie hin, dort sprang sie vom Strand;
Weit auf dem Wasser schwamm ihr Gewand.

Und er, der sie dorthin geführt,
Sah sie versinken ungerührt.
Am Stromesufer stand er lange,
Starr‘ in die Fluth, die brausend schwoll,
Als woll‘ er lauschen dem Gesange
Der von den Wellen rauschend scholl.
 
„Das ist die Zeit –„ so sprach er kalt:
„Die nie gehemmt vorüberwallt;
Die sich aus ew’gen Urnen giesst,
Sie kommt, sie weilt nicht, sie verfliesst.“
 
„Das ist das Leben – steter Drang,
Bald sanfter Schritt, bald Donnergang.
Die Welle kommt, die Welle flieht,
Und Keiner weiss, wohin sie zieht.“
 
„Es nimmt der Strom bald hier, bald dort,
Ein Theil vom Lande mit sich fort.
Bald unterwühlt er’s sanft und sacht,
Bald reisst er’s los mit wilder Macht.
Ein Räuber, streng und fürchterlich,
Seh‘ ich hinein – erblick‘ ich – mich.“ –

oben

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Textgrundlage und Bilder:  Der Todtentanz - Ein Gedicht von Ludwig Bechstein,
mit 48 Kupfern in treuen Conturen nach  Hans Holbein. Leipzig, herausgegeben bei
Friedrich Augus Leo, 1831, gedruckt bei J. B. Hirschfeld

Düsseldorf, Universitäts- und Landesbibliothek
Online-Ausgabe

Bilder: Holbein d.J.  und W. Hollar(1498-1543, gemeinfrei, aus der Todtentanz
wikimedia.org

Logo 465: „Dans Macabre“, Bernt Notke, gemeinfrei
wikimedia

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