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Literatur


04.2


Der Todtentanz - Ein Gedicht

Ludwig Bechstein

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Die Schöpfung



Der Weltenkönig rief: aus Nacht das Licht,
Gehorsam trat es vor sein Angesicht.
Er rief die Sonnen fern und nah,
Und Sonnen standen strahlend da.
Er rief den Cherubim und Seraphim,
Die schwebten her, und sanken hin vor ihm,
Anbetend demuthvoll und tief
Ihn, den Allmächtigen, der sie berief.

Gott aber war im ew’gen Lichtes Schein,
War bei den Cherubim und Seraphim a l l e i n;
Er sah die Sonnen tönend Kreise drehn,
Doch das war schon Jahrtausende geschehn,
Und e i n s a m war der Herr.
Vor ihren goldnen Stühlen
Lag knieend noch der Engel Schaar,
Und ihre Harfen rauschten wunderbar,
Gott aber wollte neue Vaterfreuden fühlen.
Und durch die Himmel donnerte sein W e r d e!
Das jubelten die Sphären alle nach,
Das jauchzte durch der Engel Harfenschlag,
Und unter’m Äther wölbte sich die Erde.
Das jüngste Kind der ew’gen Schöpfermacht
Lag schlummernd noch im stillen Schoos der Nacht,
Wie Rosen ruhn in grüner Knospen Hülle;
Da weckte sie des Lichtes Fülle.
Von Gottes Vaterkuss war eine Welt erwacht. –
 
Der Weltenkönig flog von seinem Wolkensitze
Herab auf einem siebenfarbnen Blitze;
Der Allberbarmer stand in Edens Wonnethal,
Und – wurde Mensch zum erstenmal.
 
Der ganze Himmel mit der Engelschaar
Zur Erde sanft herabgesunken war,
Und grüsste sie, und hielt, gleich einem lieben Gast,
Die blühende Gestalt umfasst.
 
Und Leben, Leben quoll aus allen Räumen,
Es jubelte von Edens grünen Bäumen,
Belebte Lüfte rauschten durch die Wipfel,
Lebend’ges Grün umarmte starre Gipfel.
 
Lebendig sprang aus hartem Fels die Quelle,
Es kos’t und murmelte der Bäche Silberwelle;
Und Leben scherzte fröhlich in der Fluth,
Und Leben wiegte sich in Sonnenstrahlengluth.
 
Der Herr war Mensch geworden, königlich
Stand er, ein Bild, das keinem Bilde glich.
Zum Himmel schlug er auf den Vaterblick;
Sein Strahlenantlitz lächelt Engeln Glück.
Es spiegelt zauberhaft, wie im Krystall
In Gottes Vaterauge sich das All.

 
Da schuf der Herr, der ewig Gnadenreiche,
Ein Wesen, dass es seinem Bilde gleiche,
Sein Hauch belebte weichen Thon.
So ward der Mensch, und athmete das Leben;
Zur Wohnung ward der Erdball ihm gegeben,
Des Gottesgeistes und des Staubes erstem Sohn. –
 
Der erste Mensch, zum heitern Sein erwacht,
Sah um und neben sich der jungen Schöpfung Pracht;
Den Schattenhain, die bunte Blumenflur,
Das Leben rings der frohen Kreatur,
Und hob die Arme hoch mit kindischem Verlangen,
Die Sonne, wie die Wolken zu umfangen.
 
Der Vater sprach: „Du sollst der Erde Herrscher sein,
Doch einsam nicht, gleich mir, und nicht allein;
Ich will Dir die Gefährtin bringen!“ –
Wie Schlummerbanden nun den ersten Mann umfingen,
Erweckte Gott das Weib, der Schöpfung Meisterstück,
Und segnend trat der Herr von seinem Werk zurück.
 
Das Weib erwachte unbewusst,
Und wollte sinken an des Schöpfers Brust,
Zum Unnahbaren kindlich hingezogen;
Doch wie die Blicke himmelaufwärts folgen,
Da schien sein Bild in lichten Ätherhöh’n,
- Es war die Sonne – strahlenhell zu sehn.
 
Und wie geblendet sie die Blicke senkt,
Und ahnungsvoll des Daseins Wonnen denkt,
Sieht sie den Mann, der schlummereingewiegt
So hehr und schön an ihrer Seite liegt,
Auf grünen Kräutern an des Waldes Saum,
Und träumt des jungen Lebens ersten Traum;
Da weilt auf ihm ein sehnsuchtsvoller Blick;
Ihn liebte Gott, und gab im Schlummer ihm das Glück.


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Textgrundlage und Bilder:  Der Todtentanz - Ein Gedicht von Ludwig Bechstein,
mit 48 Kupfern in treuen Conturen nach  Hans Holbein. Leipzig, herausgegeben bei
Friedrich Augus Leo, 1831, gedruckt bei J. B. Hirschfeld

Düsseldorf, Universitäts- und Landesbibliothek
Online-Ausgabe

Bild: "Wappen des Todes", Holbein d.J. (1498-1543, gemeinfrei, aus der Todtentanz
wikimedia.org

Logo 465: „Dans Macabre“, Bernt Notke, gemeinfrei
wikimedia

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