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Literatur


04.2

Der Todtentanz - Ein Gedicht

Ludwig Bechstein

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Der Prädikant


In einen Tempel tritt der Pilger wieder ein,
Es wallt der Christen fromme Schaar hinein;
Der Orgel Stimme tönt, und dem Gesang
Leiht Himmelsschwingen ihr erhabner Klang.
Da naht der Prädikant mit feierlichem Schritt,
Und betet am Altar, die Kanzel er betritt,
Und spricht zum Volke manch belehrend Wort,
Und predigt von der Seelen theurem Hort.
Die Hörer sitzen still und ernst um ihn,
In Andacht scheint manch frommes Herz zu glühn,
Und Mancher gutem Vorsatz fest sich weiht,
Doch trägt in Schlummer sinkt Gleichgültigkeit.

Anselmus nahm das heilge Bibelbuch,
Dem Volk auslegend manchen frommen Spruch,
Und sprach, des Geistes voll, der ihn umweht,
Zur gläubigen Schaar, wa hier geschrieben steht:
„Soll ich den Weg zur Seligkeit Euch lehren,
Ihr, die der Herr der Welten mir vertraut,
So wollet ernst auf meine Worte hören,
Nur was der Herr gelehrt, verkünd‘ ich laut:

„Selig die geistlich Armen, denn sie tragen
Hienieden schon das Himmelreich in sich;
Selig die Dulder, ihren bangen Klagen
Naht Trost von oben, hier und ewiglich;
Selig, wen Sanftmuth durch das Leben leitet,
Der Erdkreis ist sein schönes Eigenthum;
Selig, wer Wohlthat um sich her verbreitet,
Ihm wird auch dort Barmherzigkeit und Ruhm.
Selig, die unbefleckten Herzens wallen,
Sie schauen Gott in seiner Herrlichkeit;
Selig, die dulden für das Licht der Wahrheit,
Geschmähet und verfolgt vom blinden Wahn;

Der Himmel thut sich auf in Strahlenklarheit,
Und nimmt sich seiner Auserwählten an! –„

„Lasst Euer Licht in guten Werken flammen,
Wie durch die Nacht dem Pilger glänzt ein Stern;
Doch Eure Brüder sollt Ihr nicht verdammen,
Sie liebreich führen auf den Weg des Herrn;
Betheuret Eure Worte nicht mit Schwüren,
So gültig, wie der Schwur , sei Ja und Nein;
Lasst Euch vom Flehen der Bedrängten rühren,
Lasst ihnen nicht das Ohr verschlossen sein;
Liebt Eure Feinde, segnet die Euch fluchen,
Thut denen wohl, die Böses Euch gethan;

Dann wird der Vater seine Kinder suchen,
Und nimmt sich liebend ihrer wieder an.“

„Strebt nach Gottähnlichkeit, nach seinem Willen,
Verbergt der Linken, was die Rechte that,
Und wollt Ihr beten, betet fromm im Stillen,
Der Vater hört den Beter, eh‘ er bat.
Ihr sollt nicht an den todten Formeln hangen,
Im Geist und in der Wahrheit dient ihm gleich;
Und tragt zu frommen Bitten Ihr Verlangen,
So lehret sie der Sohn des Vaters Euch:“

„Gott, unser Vater, in des Himmels Höhen,
Geheiligt, soll Dein hoher Name werden.
Zukomm‘ Dein Reich, Deine Wille soll geschehen,

Wie in dem Himmel, also auch auf Erden!
Gieb unser täglich Brod uns heut zum Leben;
Vergieb, wie wir den Schuldigern vergeben,
Uns unsere Schuld – führ uns nicht in Versuchung ein:
Erlös‘ uns von dem Übel, Gott! Das Reich ist Dein,
Und Kraft und Herrlichkeit, die von Dir kamen,
Sind ewig nur in Dir, Gott, unser Vater! Amen.“

So sprach er voll des Geistes, zu den Herzen,
Da schauert er, doch fühlt‘ er keine Schmerzen.
Der Pilger, der ihm ernsthaft zugehört,
Der stand ihm jetzt, ein bleicher Küster nah,
Obgleich kein Menschenaug‘ ihn stehen sah.
Da dunkelt ihm der Augen helles Licht,
Da haucht ihn eiskalt jener an, und spricht:
„Geh ein, geh ein, Du vielgetreuer Knecht,
Zur Freude Deines Herrn; Du lehrtest recht,
Dir ist das Himmelreich beschieden,
Anselmus, Amen! Fahre hin in Frieden!“

Die Sanduhr dreht der Küster schweigend um;
Des frommen Lehrers Mund ward bleich und ewig stumm.

oben

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Textgrundlage und Bilder:  Der Todtentanz - Ein Gedicht von Ludwig Bechstein,
mit 48 Kupfern in treuen Conturen nach  Hans Holbein. Leipzig, herausgegeben bei
Friedrich Augus Leo, 1831, gedruckt bei J. B. Hirschfeld

Düsseldorf, Universitäts- und Landesbibliothek
Online-Ausgabe

Bilder: Holbein d.J.  und W. Hollar(1498-1543, gemeinfrei, aus der Todtentanz
wikimedia.org

Logo 465: „Dans Macabre“, Bernt Notke, gemeinfrei
wikimedia

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