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Literatur


04.2

Der Todtentanz - Ein Gedicht

Ludwig Bechstein

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Der Moench



Der Wandrer auf einem Berge stand,
Sah weit und breit ins schöne Land.
Gar mild und freundlich schien der Tag
Auf die grosse Stadt, die drunten lag;
Voll reges Leben, froh und laut,
Mit Kirchen und Klöstern hochgebaut;
Voll stolzer Häuser und Paläste,
Voll Reichthum und voll fremder Gäste.
Da schritt ein Bettelmönch vorbei;
Der Wandrer liess ihn wandeln frei,
Und sah ihm nach, und sprach für sich:
„Geh nur, geh nur, wir finden Dich!“ –
Der Abend kam, die Sonne schied,
Zur Hora rief der Glocken Klang,
Bald war verhallt das letzte Lied,
Der Mönch‘ und Nonnen frommer Sang.
Und sanfte, süsse Ruhe hüllt
Mit dunkelm Flor die Menschen ein. -
Horch, auf den Strassen – welch ein Schrei’n?
Was ist’s? Es schreit nicht mehr, es brüllt!
„Io! Feuer! Feuer!“ Mit dem Dampf
Scheint die verhaltne Gluth im Kampf.
Jetzt bricht sie lodernd himmelan,
Frisst um sich mit des Drachen Zahn,
Und alles läuft, und alles rennt,
Die Gassen füllt der Ruf: „Es brennt!“
Die Glocken wimmern laut und bang,
Es treibt im ungeheuren Drang
Das Volk sich heulend durch die Strassen.
Die Flamme schwingt mit wildem Rasen
Die rothen Flügel um Dach und Thurm,
Und auf die Flamme wirft sich der Sturm,
Und rollt sie über der Stadt voll Graus
Gleich einem Purpurmantel aus.
Die Kirchen brennen, die Glocken schmelzen,
Und weiter, immer weiter wälzen
Die Feuerwellen sich, ein Meer;
Drin geht der Wanderer einher,
Eiskalt, und wirft, der Schreckenfrohe,
Manch Leben in die lichte Lohe.
O wirrer, ungeheurer Knäul
Von Flammen, Wasser, Dampf und Gräul!
Rast nicht die Hölle, hemmt ihr Brodem
Erstickend nicht den Lebensodem?
Rollt nicht in jenem Flammenreif
Der Höllendrache seinen Schweif,
Und freut sich höhnend des Verderbens,
Des Stöhnens, Wimmerns und des Sterbens! -
Dem Armen, der, auf Stroh gebettet,
Kaum noch ein Hausgeräth gerettet,
Entreisst voll Gier ein frecher Dieb
Das Letzte, was ihm übrig blieb. –

Die Glut herlöscht, und leckt nur fort
In kleinen Flammen hier und dort;
Und ach, des Morgends bleiche Schimmer
Begrüssen Schutt und rauchende Trümmer;
Da schleicht durchs Thor, das halb verfiel,
Der Bettelmönch, er hat sein Ziel
Erreicht – er, dess verruchte Hand
Die blühende Stadt gesteckt in Brand.
Doch plötzlich fühlt er sich gehalten
An der Kapuzze weiten Falten;
Er sieht sich um, zurückgerissen,
Entsetzen packt ihn, ist’s das Gewissen?
Er zittert, wie der Espe Laub,
Hält mit den Händen seinen Raub;
Er schreit, er fleht, er ringt, doch ach,
Der, der ihn festhält, lässt nicht nach.
Er ruft: „Lass ab, Du Halbverbrannter!
Lass ab, Du Höllenabgesandter!
Was hältst Du mich? Was that ich Dir?“
„Nicht mir!“ heult das Gespenst: „Nicht mir!
Sieh an, sieh an, was Du vollbracht!
Dich treffe der Vergeltung Macht!“
Er liess ihn los – der Mönch entfloh,
Doch nicht des Frevels ward er froh,
Er irrt‘ umher halb toll im Land,
Bis ihn ergriff der Rache Hand.
Und an dem Ort des Frevels sein
Verzehrten Flammen sein Gebein.
oben

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Textgrundlage und Bilder:  Der Todtentanz - Ein Gedicht von Ludwig Bechstein,
mit 48 Kupfern in treuen Conturen nach  Hans Holbein. Leipzig, herausgegeben bei
Friedrich Augus Leo, 1831, gedruckt bei J. B. Hirschfeld

Düsseldorf, Universitäts- und Landesbibliothek
Online-Ausgabe

Bilder: Holbein d.J.  und W. Hollar(1498-1543, gemeinfrei, aus der Todtentanz
wikimedia.org

Logo 465: „Dans Macabre“, Bernt Notke, gemeinfrei
wikimedia

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