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04.2
Der Todtentanz - Ein Gedicht
Ludwig
Bechstein
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Der
Pilger trat in eine
Klosterzelle
Als alte
Schwester ein, und blickt‘ umher;
Sie war von frommen Schmuck nicht leer,
Und durch die Scheiben fiel gar milde Helle;
Das reine, stille Kämmerlein
Mit seinem Betaltar und manchem Heil`genschrein
Und dem verhüllten Bett glich einer Betkapelle.
Und
sinnend sprach der
Wandrer vor sich hin:
„Du heil`ges Haus, wo ich schon oft gewesen bin,
Wie manches Herz hast Du nicht eingeschlossen,
Das andern Freuden hingegeben schlug,
Und all sein Glück in Deine Mauern trug!
Wie viele Zähren sind in Dir geflossen!
Hier,
wo die Ruhe wohnen soll,
Und Frömmigkeit, gottselige Betrachtung,
Hier ringen Hass und Liebe, Gluth und Groll,
Zorn, Neid und Stolz, Anbetung und Verachtung.
Der Leidenschaften Furiengeisel schlägt
Dem Herzen tiefe, blut`ge Wunden;
Es kommt hierher, will hier so gern gesunden.
Und wird erst heil, wenn mans zu Grabe trägt.
Doch still – es nahet die Bewohnerin,
Sie kommt – es nahet die Bewohnerin,
Sie kommt vom Chor – bald wird sie nicht mehr singen,
Das arme Herz, fast will es ihr zerspringen –„
A g a t h e kommt und wirft sich vor den Alta hin.
„Aus
tiefer Noth ruf ich zu Dir, zu Dir!
Gebenedeite Mutter aller Gnaden!
Erbarme Dich! Die Last, auf mich geladen,
Trag`ich nicht mehr, Maria, nimm sie mir!
Verwirf mich nicht, Du Himmelskönigin!
Hochheilige, zu der ich brünstig flehe,
Vor deren Blick ich ohne Hülle stehe,
Sieh gnädig nieder auf die Sünderin!
Ich war ein Kind der Welt, das Leben schmückte
Sich mir mit zaubervollen Reizen aus,
Dann stiess es in die Wüste mich hinaus,
Indem es um den Himmel mich berückte.
Hast
Du geliebt, Maria? Gottvermählte!
Du hast geliebt, bevor Du Mutter warst,
Weil Du die ew`ge Liebe selbst gebarst,
Und liebtest noch, als Jesu Tod Dich quälte!
Hab`ich geliebt, Maria? Trank ich glühend
Nicht von dem süssen Nass des Wunderborns?
O nicht auf mich die Blicke Deines Zorns,
Versengend, richtend, Höllenflammen sprühend!
Nein, nein, Du lächelst, ja Du blickst verzeihend!
O Gott, mein Gott, ich bin ein schwaches Weib,
Ein Wurm vor Dir, und winde meinen Leib
Im Staub, mich blutig geiselnd und kasteiend.
O
Heilige! Nimm mir die Erinnerungen!
Sie weichen nicht – sie trennen mich von Dir!
Bald nahen sie wie Frühlingsträume mir,
Bald halten sie wie Schlangen mich umschlungen!
Ihn – ihn – ihn – der mein Herz
dem Heil entwandte,
In dessen Armen ich die Welt vergass,
Den ich, wenn ich auf seinem Schoose sass,
Oft meinen Gott, oft meinen Heiland nannte,
Ach ihn, dem all mein Leben angehörte,
Durch dessen Kuss ich himmelselig war,
Ihn seh`ich ewig!! - - O mein A d o l a r!
Wer
war es doch, der unser Glück zerstörte?
War`s meine Mutter? – Nein – die schläft schon lange!
O Gott – mein A d o l a r – mein Mütterlein
War mild und gut – wer brach in unser Eden ein?
Weh, weh, Dein Vater! – Gott! mir wird so bange!
Schwebt vor dem Blick mein todter A d o l a r,
Und lenkt mein Auge von der heil`gen Stätte! –
Tönt
noch die Laute, Lieber, Liedesklänge?
O süsser Nachhallt – leise – schaurigsüss!
Nahmst Du die Laute mit ins Paradies?
Es rauscht so fern! – Mir ist die Brust zu enge!
Maria, hilf! Mein Heiland, blicke nieder!
Komm heiliger Geist! O Gott, ihn seh ich stets!
Nur ihn – er raubt die Andacht des Gebets!
Mein A d o l a r! Dort – finden wir – uns wieder!“
Der
stille Freund der Müden, Schmerzgequälten
Tritt näher, löschend ihres Lebens Licht.
Agathe
sinkt, ihr mattes Auge bricht,
Und droben fand sie wieder den Erwählten.
oben
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Textgrundlage und
Bilder: Der
Todtentanz - Ein Gedicht von Ludwig
Bechstein,
mit 48 Kupfern in treuen Conturen nach Hans Holbein. Leipzig,
herausgegeben bei
Friedrich Augus Leo, 1831, gedruckt bei J. B. Hirschfeld
Düsseldorf,
Universitäts- und
Landesbibliothek
Online-Ausgabe
Bilder: Holbein d.J. und W.
Hollar(1498-1543, gemeinfrei, aus der Todtentanz
wikimedia.org
Logo 465: „Dans Macabre“, Bernt
Notke,
gemeinfrei
wikimedia
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