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Literatur


04.2

Der Todtentanz - Ein Gedicht

Ludwig Bechstein

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Die Greisin



Der Pilger ging im Nebelkleide
Im Abenddämmer über die Haide;
Der Herbstwind rauscht`im welken Gras,

Da sah er nach dem Stundenglas,
Und setzte sich, vom Pfad seitab,
Auf ein bemoostes Hünengrab,
Auf welchem Bäume mancherlei
Auch Blumen und Kräuter wuchsen frei.

„O Zeit!“ so sprach er vor sich hin:
„Wie alt ich doch schon geworden bin!
Hab nimmer Rast, hab nimmer Ruh,
Und sehe dem ewigen Wechsel zu.
Hier war vordem ein Eichenhain,
Da senkten sie grosse Helden ein;
Mit Schild und Rüstung, Sklaven und Ross
Ein Grab des Hünen Leib umschloss. –

Oft schien der Schimmer weit ins Land
Von starker Kämpfer Leichenbrand.
Und ihrer Leiber Ueberrest,
Hielt noch im Grab die Urne fest.
O Zeit, wohin ist der Eichenhain?
Vergangen, wie der Helden Gebein.
Nur jene Berge, die dort ragen,
Sind noch, wie in der Vorzeit Tagen;
Sie heben kahl ihr Haupt empor -
Auch ich bin blieben, wie zuvor.
O Zeit, Du Vater alles Seins,
Lass allen Leben – nimm mir meins!
Gar müde bin ich von manchem Gang,
Nähm`doch ein Grab mich in Empfang!“

Der Pilger sass, und sprach es laut,
Flocht sich einen Kranz von Wermuthkraut;
Da siehe, kam von ohngefähr
Ein altes Weib des Wegs daher;
Am Stab gebückt, gebeugt von Jahren,
Ein Regentuch über den grauen Haaren,
Einen Rosenkranz in welker Hand,
Und frostig gehüllt in ihr Gewand.
Sie sprach sich leise manchen Spruch
Aus der Postill und dem Bibelbuch.
Und sah, weil es schon dämmrig sehr,
Des Pilgers Stundenglas nicht mehr,
Und trat`s entzwei, da hob sich`s grau
Vom Hügel, näher kam`s der Frau.

„Wohin geht, Mutter, Euer Schritt?
Lauft nicht so hurtig, nehmt mich mit!“
„Was redet Ihr für unnütze Wort‘?
Bin alt und schwach, und kann kaum fort.“
„Seht Mutter, ich hab ‘nen schönen Kranz,
Bin ein feiner Gesell, kommt mit zum Tanz!“
„Was höhnt Ihr doch mich armes Weib?
Fort schlepp`ich kaum den müden Leib.
Vor Zeiten hab‘ ich wol gesprungen
Im Tanz, eine Junge mit den Jungen;
Ich war eine hübsche, feine Maid,
Gar schön stand mir das Sonntagskleid;
Sie nannten mich All`ein schmuckes Ding,
Wenn ich Sonntags unter die Linde ging.
Da haben, in meiner guten Zeit,
Um mich die schönsten Burschen gefreit,
Von allen aber ich keinen nahm,
Bis ich einen alten Spielmann bekam -
Der ist nun schon lange, lange todt,
Mich drückt des Alters Plag‘ und Noth.“

Sie sprach’s, und dacht`an den seligen Mann,
Und eine salzige Zähre rann
Ihr über das Runzelangesicht;
Da sieht sie schreiten im Dämmerlicht
Ihren alten Mann, der lange schlief,
Und sie nun auch nach Hause rief.
Sie bebt; die bleiche Lippe spricht
Ein Vater Unser vor sich hin.
„Herr, geh mit mir nicht ins Gericht,
Nimm gnädig auf die Sünderin.“
Der Pilger legt`ihr aufs Haupt die Hand,
Da sank sie nieder, und er verschwand.
Am Hünengrab, beim Morgenroth
Fand man die Alte ruhend – todt. –


oben

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Textgrundlage und Bilder:  Der Todtentanz - Ein Gedicht von Ludwig Bechstein,
mit 48 Kupfern in treuen Conturen nach  Hans Holbein. Leipzig, herausgegeben bei
Friedrich Augus Leo, 1831, gedruckt bei J. B. Hirschfeld

Düsseldorf, Universitäts- und Landesbibliothek
Online-Ausgabe

Bilder: Holbein d.J.  und W. Hollar(1498-1543, gemeinfrei, aus der Todtentanz
wikimedia.org

Logo 465: „Dans Macabre“, Bernt Notke, gemeinfrei
wikimedia

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