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Literatur


04.2

Der Todtentanz - Ein Gedicht

Ludwig Bechstein

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Der Arzt



Der bleiche Wandrer war allein,
Er sass auf einem Leichenstein;
Und als er einsam sass, und sann,
Da fiel aus Nachtgewölk ein Strahl,
Des Mondes matter Schein, und spann
Sein Silbernetz um Berg und Thal.
Der Wandrer aber blickte stumm
Auf all die Gräber rings herum.
Die dunkeln Kreuze dort von Holz;
Die Marmormonumente stolz,
Die Grüfte, dunkelgähnend dorten,
Mit ihren Eisengitterpforten,
Die Hügel, blumenüberblüht,
Und drunter Herzen, die verglüht.
Der Wandrer sitzt, und sinnt und lauscht;
Der Nachtluft Geisterwehen rauscht
In abgebleichten Todtenkronen,
Sonst hallt kein Laut, kein Leben spricht;
Die schlafen, die da drunten wohnen,
Bis sie der Herr weckt zum Gericht.

„Schlaft ruhig!“ spricht der blasse Mann:
„Ihr, die kein Schmerz mehr quälen kann;
Ihr, die gelebt, geliebt, gelitten,
Bis euch die letzte Stunde rief;
Ihr, hier gebettet kühl und tief,
Schlaft ruhig! O wie Viele neiden
Euch um den süssen, langen Schlaf,
Und wollen doch nicht gerne scheiden,
Wenn sie das Loos des Scheidens traf!“

Der Wandrer hebt das Haupt empor,
Als wach`er auf aus halbem Schlummer.
„Wie“ – spricht er: „komm‘ ich mir doch vor?
Was kümmert mich der Menschen Kummer?
Was schleicht sich die Melancholei
So mondscheinblass zu mir herbei?
Den Gärtner lob`ich, der mit Fleiss
Den Garten mir zu bauen weiss.
Möcht‘ ihn wol kennen, diesen Mann,
Er hat gewiss recht tief studiert,
Dass er so viel vollbringen kann,
Und es zum Ende gründlich führt.“ –

In seiner stillen Zelle sass
Der Doktor Pankraz Hippokras,
Ein hagrer Mann mit weisen Mienen,
Die stets nur zu verkünden schienen.
Vom Tag fiel nur ein matter Schein
Durch runde Scheiben ins Kämmerlein,
Ein treuer Hund bewahrte das Haus,
Ging Hippokras zu den Kunden aus.

Der Wandrer kam, sprach: „Gott zum Gruss!“
Gern nahm ihn der Arzt zum Famulus,
Und freute schon sich aufs Skelett,
Wenn der bleiche Diener sterben thät‘. –

Fortan nun führte jener in Ruh
Dem Hippokras die Kunden zu;
Bald Kind, bald Greis, bald Weib, bald Mann,
Jüngling und Jungfrau, keins entrann.
Der Todtengräber rührte sich wacker,
Er kam fast nicht vom Gottesacker;
Der Doktor schafft‘ ihm viel Genuss,
Und treulich half ihm sein Famulus,
Bis einst die Beiden sich entzweit,
Und mit einander kamen in Streit.
Der Famulus schalt auf den Mithridat,
Den Doktor solches erzürnet hat;
Der Famulus sprach, dass diese Arznei
Nicht gut für jegliches Uebel sei;
Da schrie der Doktor: „Für jedes Weh
Ist der Mithridat eine Panacee!“
Der Famulus: „Ich lobe mir
Das caput mortuum dafür!“
Der Doktor: „Schweig‘ Er, armer Tropf!
Hat Skrupel wol, aber kein Hirn im Kopf!“
Der Famulus sprach: „Fahr‘ wohl, Hippokras!“
Und warf ihm vom Tisch das Stundenglas.
Die Scherben klirrten, der Sand verrann,
Der Doktor – war ein todter Mann.

oben

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Textgrundlage und Bilder:  Der Todtentanz - Ein Gedicht von Ludwig Bechstein,
mit 48 Kupfern in treuen Conturen nach  Hans Holbein. Leipzig, herausgegeben bei
Friedrich Augus Leo, 1831, gedruckt bei J. B. Hirschfeld

Düsseldorf, Universitäts- und Landesbibliothek
Online-Ausgabe

Bilder: Holbein d.J.  und W. Hollar(1498-1543, gemeinfrei, aus der Todtentanz
wikimedia.org

Logo 465: „Dans Macabre“, Bernt Notke, gemeinfrei
wikimedia

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