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04.2
Der Todtentanz - Ein Gedicht
Ludwig
Bechstein
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Fern,
wo die hohen Pyramiden ragen,
Der Wanderer, der flügelschnelle, stand,
Und wandelt einsam an des Nilus Strand,
Und sass auf Sykomorasarkophagen.
Es war so still am trüben, trägen Nil,
So freudenlos die Gegend, menschenleer;
Im Uferschilf lag manches Krokodill,
Und sonnte sich, und späht‘ nach Raub umher.
Der Pilger dachte längstvergangner Zeit,
An Memphis Pracht, an Möris Einsamkeit;
Als noch in Thiergestaltung, wunderbar,
Osiris Sonnengottheit heilig war.
Als
noch das Isisbild ins Sais stand,
Und sich der Memnonssäule Klang entwand.
Wohin das alles? Ach, verwischt, verweht,
Wie Farbenzauber von dem Blumenbeet,
Wenn sich die Gottheit hinter Wolken birgt,
Und
rauher Herbst die Sonnenkinder würgt,
Dahin, dahin! – Der Wandrer
schlich sich sacht
Zu Mumien in der Pyramiden Nacht
„Euch
kenn‘ ich alle!“ sprach er still für sich:
„Ich hab‘ ein treu Gedächtniss –„ und entwich,
Und blieb in ewigen Ruinen stehn,
Von Tempeln, wie die Welt nur einmal sie gesehn.
Und trat zu Sphinxgebilden: „Leg‘ ich euch
Ein Räthsel vor, könnt ihr es lösen gleich?
Wie heisst das Thier, es hat nur einen Zahn,
Dem Todtes, wie Lebend’ges unterthan!
Es
wird dereinst sein, und es ist, es war.
Und lebt doch nicht, auch ist es unsichtbar.
Es
ist nicht Gott, und Gott erschuf es nicht,
Ich bin es auch nicht – gebt ihr mir Bericht?“ –
Die
todten Steine schwiegen, und er schritt
Den Strom entlang, und trat hinein, und ritt
Auf einem Leviathan rauschend fort;
Der trug ihn wieder zu belebtem Ort.
Da
nimmt der Pilger eine Sklavenschaar
Die man auf die Galeeren schmiedet, wahr,
Und tritt mit ihnen in das Schiff, das schüttert,
Als wenn vom Erdstoss rings der Boden zittert.
Und auf den hohen Sklavenschiffen sah
Der Wanderer ein Volk aus Afrika,
Entmenschter Menschheit jammervolles Bild;
Ein Tiger schwang die Knotengeisel wild,
Und die Galeree rauscht stolz aus dem Hafen. -
Der Pilger aber blieb nicht auf dem Schiff,
Der Ruhelose war bald hier, bald dort,
Mit unsichtbaren Geisterhänden griff
Er nach den Lebenden und riss sie fort.
Er findet überall für sein Geschoss das Ziel,
Und
ihm entsegelt nicht der schnellste Kiel;
Kein Anker hält das Schiff des Lebens fest,
Wenn er die dunklen Flaggen wehen lässt,
Kein Hafen schirmt vor drohender Gefahr;
Er segelt frei, der schrecklichste Korsar. –
Und
eine Flotte legt im Hafen an, zu rasten,
Die Wimpel wehn, es ragt empor ein Wald von Masten,
Die Güter, hergeführt aus fremdem Land,
Sie werden ausgeladen an dem Strand.
Der reiche Kaufmann zählt, berechnend freudenvoll
Den Nutzen, den das Gut ihm fürder bringen soll.
Die Mäkler nahen und die Zollbeamten;
Da schallt es von dem Schiff wie Heulen der Verdammten,
Dort ringt Verzweiflung mit der Tyrannei,
Dort machen mordend sich die Sklaven frei;
Sie würgen mit den Ketten, lang‘ getragen,
Die Peiniger, die grausam sie geschlagen.
Siehst
Kaufmann, Du das wüthende Gespenst,
Dicht hinter Dir, das Du mit Grausen nennst?
Dein Kompass zeigt nach unbekannten Räumen!
Auf, auf, zu neuer Fahrt, hier gilt kein Säumen!
„Gold von Peru, fahr‘ wohl! Ihr Waarenballen
So gross und kostbar! – Weh, ein Räuber hat mich überfallen!
Helft! Tausend Pfund, wer mir ein Leben leiht!
Geh
weiter Freund, ich habe heut‘ nicht Zeit!
Ich muss noch rechnen! Hörst Du, Lieber?
Komm doch ein andermal, geh heut vorüber!
Weh, weh! Die Zeit ist flau, es steigt die Bahre!
Verdammt! das Leben ist nur kurze Waare! –„
oben
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Textgrundlage und
Bilder: Der
Todtentanz - Ein Gedicht von Ludwig
Bechstein,
mit 48 Kupfern in treuen Conturen nach Hans Holbein. Leipzig,
herausgegeben bei
Friedrich Augus Leo, 1831, gedruckt bei J. B. Hirschfeld
Düsseldorf,
Universitäts- und
Landesbibliothek
Online-Ausgabe
Bilder: Holbein d.J. und W.
Hollar(1498-1543, gemeinfrei, aus der Todtentanz
wikimedia.org
Logo 465: „Dans Macabre“, Bernt
Notke,
gemeinfrei
wikimedia
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