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Literatur


04.2

Der Todtentanz - Ein Gedicht

Ludwig Bechstein

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Der Schiffer



Was fliegt dort unter Sturmgesaus,
Durch der Meereswogen Donnergebraus,
Durch Regenfluth, die vom Himmel fällt,
Durch die wilde, wüthende Wasserwelt?
Ein Schiff, ein Schiff, das der Sturm gefasst,
Drin sitzt ein Gespenst und zerbricht den Mast,
Dass spühlten die Wellen ins Schiff herein;
Die Schiffer fluchen, beten und schrei’n.
Mit Wuthgebrüll wirft der Orkan
Die Wasserberge himmelan.
Das Schifflein tanzt, wie ein leichter Ball,
Durch den unermesslichen Wogenschwall.
Da hilft kein Steuer, kein Ruder mehr,
Die Segel flattern im Sturm umher,
Die Blitze flammen in rother Gluth,
Und spiegeln sich grell in der tobenden Fluth.
Und mit Donnergekrach erschüttert das Schiff
Ein Stoss vom tückisch verborgenem Riff,
Und lauter das Heulen, das Winseln am Bord,
Fast übertäubt es den brüllenden Nord.
„Ein Leck!“ so wimmert und schreit es: „ein Leck!“
Da bleicht die Gesichert ein starrer Schreck.
„Fahrt wol!“ ruft Mancher, „fahrt wol und gut!“
Und springt über Bord in die tosende Fluth.
Und der graue Pilger noch immer sitzt
Im Zetern der Menge, von Flammen umblitzt;
Bis das Schiff mit Wasser sich füllt, und sinkt,
Und der Rachen des Meeres es hinunter schlingt. –
 
Und wie der Sturm sich mälig legt,
Nicht mehr so wild das Meer bewegt,
Da sieh, steigt aus dem Fluthenschoos
Das Wrack empor, doch mannschaftslos.
Nur Einer sitzt noch starr am Mast,
Hält mit dem Arm den Baum umfasst,
Und ohne Segel und Steuer fährt
Er übers Meer hin, unversehrt.
Weit, immer nordwärts, Tag und Nacht,
Und immer im Schiff die gespenstische Wacht,
Im Nebel und im Sturmeswehn
Hat’s mancher Schiffer grausend gesehen.
Oft rauscht das Wrack allein dahin,
Und es badet im Meere der Mann darin,
Und spielt mit dem Hai und dem Behemoth,
Die folgen gehorsam seinem Gebot.
Und Wassersäulen wirbeln heran
Die tanzenden Töchter des Ozean,
Und grüssen, vorüberdonnernd dem Lauf
Des Wracks, den Schiffer, der hält sie nicht auf.
Und weiter nordwärts, und Nacht und Tag,
Bis sich Nacht zum Tag nicht mehr wandeln mag,
Bis die Berge von Eis mit bläulichem Glanz
Mondhell erleuchten die Meerfluth ganz.
Bis mit Purpurflammen in dämmernder Nacht
Die leuchtende Krone des Pols erwacht,
Und farbenprangend den Himmel durchstrahlt,
Und mit zitterndem Glanze die Wolken malt.
Da rastet das Wrack, und der Wandrer sinnt,
Was im Hause der Oede er fürder beginnt. -
Und es kreiseln die Wasser, es sprudelt und schäumt,
Und ein träger Riese, der lange geträumt,
Tief unten im Grunde, der wagt sich hervor,
Wie ein hügliches Eiland steigt er empor,
Mit Korallenwäldern und wogendem Tang,
Und streckt die gegliederten Arme so lang.
Und der Schiffer, wie sich’s den Tiefen entringt,
Auf das Thier, das inselgestaltige, springt,
Und schwimmt auf dem Kraken in eisiger Ruh -
Er findet die Bahnen – dem Nordpol zu.
Dort hat er den Erdachsenstern im Zenith,
Dort hat er ein Haus und ein Heimathgebiet,
Das hat noch kein kundiger Schiffer entdeckt,
Es liegt hinter ewigen Gletschern versteckt;
Und an jeglichem Thor, Süd, West oder Ost
Steht ein grimmigschnaubender Wächter – der Frost.

Der Kraken versinkt in die strudelnde Fluth
In der Tiefe zu ruhn, wie zuvor er geruht,
Und einsam, einsam der Wandrer zieht
Aus der freudlosen Oede starrem Gebiet,
Ueber Flächen von Eis, und auf morschem Kahn
Fährt er wieder dahin durch den Ozean.
oben

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Textgrundlage und Bilder:  Der Todtentanz - Ein Gedicht von Ludwig Bechstein,
mit 48 Kupfern in treuen Conturen nach  Hans Holbein. Leipzig, herausgegeben bei
Friedrich Augus Leo, 1831, gedruckt bei J. B. Hirschfeld

Düsseldorf, Universitäts- und Landesbibliothek
Online-Ausgabe

Bilder: Holbein d.J.  und W. Hollar(1498-1543, gemeinfrei, aus der Todtentanz
wikimedia.org

Logo 465: „Dans Macabre“, Bernt Notke, gemeinfrei
wikimedia

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