lifedays-seite

moment in time



 
Literatur


04.2

Der Todtentanz - Ein Gedicht

Ludwig Bechstein

__________________________________


Ritter



Wie so der stille Schiffer einsam fährt,
Durchs Meer, durchs ungeheure, weite Meer,
Von den Gedanken trüben Ernsts genährt,
Und auf die Flächen blickt so leer, so leer,
Da wars, als zög’ ein schauerlicher Klang,
Halb Wellenrauschen, halb ein murmelnder Gesang,
Weit übers Meer, erschütternd, fürchterlich;
Der Schiffer sass im Kahn und sang ein Lied für sich:

„Ozean! Ozean!
Ebne dich mir zur Siegesbahn!
Ruhig ihr Wogen, ruhig du Luft,
Gönnt mir hinunter den Blick in die Gruft,
Wo die Tausendmaltausende schlafen,
Die ich nach Stürmen geführt in den Hafen!“


„Ozean! Ozean!
Trage den König mit seinem Kahn!
Bette des Lebens, räumig und gross,
Schläft sich’s nicht ruhig in deinem Schoos?
Lebender Grab und der Todten Wiege,
Feierst du, Mächtiger, Sieg auf Siege!“
 
„Ozean! Ozean!
Wirf deine Wellen himmelan!
Wühle dich, Sturm, in des Riesen Haar!
Peitsche der Wogen rollende Schaar!
Brüllende Leuen der Meereswüste,
Jubelt ihr, das euch der König grüsste? – „


Und schwellender die hohen Wasserberge
Vorüberrollten Särge über Särge,
Und brausend brach aus Wolken der Orkan,
Und schäumend schwoll die Fluth, und aufgebracht;
Und Leichen trieben an das Boot heran,
Und Meergespenster tauchten aus der Nacht.
Dann warf das Meer den Nachen an den Strand,
Und wieder schritt der Pilger durch das Land. –

Da war – er sah es froh – die Welt im Streit,
Da war ein grausenvoller Kampf entbrannt,
Es rang die Helle mit der Dunkelheit,
Ein Dämon herrschte: Glaubenskrieg genannt;
Ein treuer Diener jenes Schrecklichen,
Der schonungslos dem Leben Kampf erklärt,
Bis das Erbarmen des Unendlichen
Ihn ruhen heisst, und er zur Heimath kehrt. –


Durch mitternächt’gen Dunkels trüben Flor
Brach mehr und mehr ein heller Glanz hervor,
Die Wolkenschleier thürmten sich vereint
Zu überschatten diesen neuen Feind,
Doch siegreich stieg die Sonne, herrlich brach
Durch Nacht und Dämmerung ein schöner Tag;
Nur dass aus Blut sein Morgenroth bestand,
Dass manches edle Haupt in Sand gerollt,
Wir wissen nicht, ob das der Herr gewollt! -


Geharnischt stand, ein kühner Rittersheld
Ein Glaube hier, ein Glaube dort im Feld.
Und solcher Kampf, er sprach der Menschheit Hohn;
Da stritt der Vater grimmig widern Sohn,
Der Bruder schonte nicht des Bruders Blut,
Der Fanatismus schwang wie rothe Gluth
Die Flammenflügel – Scheiterhaufenbrand
Ward ein dem Herrn gefälliges Werk genannt.
Verfolgung wüthet rings im Süd und Nord
Und Ablass gab’s für jeden Ketzermord.
Da hat der Mord die Tyrannei gefreit,
Und hielt in Frankreich seine Bluthochzeit. -
Der Pilger aber schritt umher im Land,
Und warf die Streiter nieder, wen er fand,
Er fragte nicht: Wess Glaubens bist Du? – Nein,
Wen seine Schreckenslanze traf, war sein.

Doch jene Helle, die so schön getagt,

Sie hat durch Nacht siegreichen Flug gewagt,
Und strahlt, nicht mehr vom Blutgewölk getrübt. -
Wer Gott vertrauet und die Brüder liebt,
Und ihnen wohlthut, und es nie vergisst,
Dass er ein Mensch und nimmer fehllos ist -
Wer ruhig auf der Bahn der Tugend geht,
Nicht lieblos auf andrer Mängel schmäht,
Wer nicht gefühllos Arme beugt und drückt,
Und glücklich ist, wenn andre er beglückt,
Und reines Herzens, seiner Pflicht getreu,
Wer fragt wol solchen, was sein Glaube sei? –


oben

_________________________________





______________________

Textgrundlage und Bilder:  Der Todtentanz - Ein Gedicht von Ludwig Bechstein,
mit 48 Kupfern in treuen Conturen nach  Hans Holbein. Leipzig, herausgegeben bei
Friedrich Augus Leo, 1831, gedruckt bei J. B. Hirschfeld

Düsseldorf, Universitäts- und Landesbibliothek
Online-Ausgabe

Bilder: Holbein d.J.  und W. Hollar(1498-1543, gemeinfrei, aus der Todtentanz
wikimedia.org

Logo 465: „Dans Macabre“, Bernt Notke, gemeinfrei
wikimedia

   lifedays-seite - moment in time