lifedays-seite

moment in time



 
Literatur


04.2

Der Todtentanz - Ein Gedicht

Ludwig Bechstein

__________________________________


Der Greis



Und weiter ging der Wandrer durch die Welt,
Des Amtes wartend, dem er war bestellt,
Brach manche Rose, pflückte manche Frucht,
Und mancher fand ihn, der ihn nicht gesucht;
Und mancher sucht’ ihn, der ihn lang nicht fand,
Und griff ihm wol ins Amt mit eigner Hand;
Da naht er einem hochbetagtem Greis,
Und reicht’ ihm freundlich ein Cypressenreis.

Ein Sänger war der Alte, froher schlug
Manch Herz, wenn er durchs Land die Harfe trug.
Und was er sang, und was er lehrend sprach,
Das tönten ihm viel tausend Zungen nach.
Sein Name wurde feiernd hochgestellt,
Und Herrschern war der Sänger zugesellt.
Sein Lorbeer blüht’ im Reich der Poesie,
Wie andern Sängern er geblüht noch nie.
Ihm war das Glück mit seinen Gaben hold,
Ihm boten Lieb’ und Freude reichen Sold.
Die Kunst auf ihren stolzen Thron ihn hob,
Von Land zu Lande flog sein Ruhm, sein Lob.

Da kam der Wandrer aus dem Schattenland,
Und nahm das Saitenspiel ihm aus der Hand,
Das oft der Hörer Herzen hoch entzückt,
Das oft der Kränze Fülle reich geschmückt.
Der fremde Wandrer führt’ ihn leise fort;
Die Saiten tönten klagend im Accord,
Wie sich der Aeolsharfe Klang entringt,
Wenn Zephyr um sie seine Flügel schwingt.
Und ruhig, lächelnd, wie der Weise geht,
Wenn ihn die Ahnung höhern Seins umweht,
Folgt er dem Führer, der ihm still gewinkt,
Ein Schwan im Abendroth, der singend sinkt.
Es stützen ihn der Wandrer und der Stab,
Und leiten ihn selbander bis zum Grab,
Das schon geöffnet seiner lang geharrt;
Da sagt er Lebewohl der Gegenwart,
Blickt zu den Wolken, und in sel’ger Ruh
Geht er durchs dunkle Thor der Zukunft zu. -

Und als geschieden war sein hoher Geist,
Fühlt sich die heil’ge Liederkunst verwaist,
Und weint auf seinem Hügel. Sieh da naht
Der ihr den theuren Sohn entrissen hat,
Und flüstert leise, wie der Abendwind,
Als um den Liebling ihre Zähre rinnt:
„Was weinest Du? Ich liess ihn lange Dir,
Da fiel sein Loos, und nun gehört er mir.
Doch sieh diess Stundenglas mit seinem Sand!
Ich übergebe Dir’ in Deine Hand;
Bewahr es als ein theures Heiligthum,
So lang’ es rinnt, blüht Deines Lieblings Ruhm. –„

Und auf des hohen Sängers Hügel steht
Die wunderbare Sanduhr, nie gedreht.
Es rinnt der Sand darinnen fort und fort,
Und jener lebt noch blühend hier, wie dort.
Der Sand verrinnet immer mehr und mehr,
Doch wird das Glas, aus dem er rinnt, nicht leer,
So wie die zweite Hälfte nie sich füllt,
Wieviel von oben auch hinunter quillt. –
Des Kirchhofs Linden rauschten wunderbar,
Es schwamm der Mond im Sternenäther klar;
Es war als wallten Klänge durch die Luft,
Als blüh‘ ein Kranz voll Lieder auf der Gruft,
In der der Sänger sanft gebettet lag,
Dess Geist begrüsst des Jenseits schönern Tag;
Da schwebt heran des bleichen Wandrers Bild
Doch grausig nicht, nein, würdig, ernst und mild.

„Schlaf ruhig“ – sprach er: - „In des Hügels Schoos!
Nicht Allen fällt, gleich Dir, ein heit’res Loos,
Die dem Gebiet der Wirklichkeit entrückt,
Der Dichtung Zauberblüthen sich gepflückt.
Sie müssen bitter zahlen ihren Raub;
Das Leben bleibt für ihre Schmerzen taub,
Und Manchen, der noch hoffnungsselig war,
Musst’ ich gesellen jener stillen Schaar,
Die kaum bewundert, dann vergessen wird,
Und nun an Lethes Schattenufern irrt.
Den Lorbeerkranz, den ihre Kunst errang,
Entreisst kaum eine Hand dem Untergang,
Neid, Hass und Dummheit nagen Blatt für Blatt,
Und Keinen – Keinen macht der Lorbeer satt. –„

oben

_________________________________



______________________

Textgrundlage und Bilder:  Der Todtentanz - Ein Gedicht von Ludwig Bechstein,
mit 48 Kupfern in treuen Conturen nach  Hans Holbein. Leipzig, herausgegeben bei
Friedrich Augus Leo, 1831, gedruckt bei J. B. Hirschfeld

Düsseldorf, Universitäts- und Landesbibliothek
Online-Ausgabe

Bilder: Holbein d.J.  und W. Hollar(1498-1543, gemeinfrei, aus der Todtentanz
wikimedia.org

Logo 465: „Dans Macabre“, Bernt Notke, gemeinfrei
wikimedia

   lifedays-seite - moment in time