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04.2
Der Todtentanz - Ein Gedicht
Ludwig
Bechstein
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Und
weiter ging der Wandrer durch die Welt,
Des
Amtes wartend, dem er war bestellt,
Brach
manche Rose, pflückte manche Frucht,
Und
mancher fand ihn, der ihn nicht gesucht;
Und
mancher sucht’ ihn, der ihn lang nicht fand,
Und
griff ihm wol ins Amt mit eigner Hand;
Da
naht er einem hochbetagtem Greis,
Und
reicht’ ihm freundlich ein Cypressenreis.
Ein
Sänger war der Alte, froher schlug
Manch Herz, wenn er
durchs Land die Harfe trug.
Und was er sang, und was
er lehrend sprach,
Das tönten ihm viel
tausend Zungen nach.
Sein Name wurde feiernd
hochgestellt,
Und Herrschern war der
Sänger zugesellt.
Sein Lorbeer blüht’ im
Reich der Poesie,
Wie andern Sängern er
geblüht noch nie.
Ihm war das Glück mit
seinen Gaben hold,
Ihm boten Lieb’ und
Freude reichen Sold.
Die Kunst auf ihren
stolzen Thron ihn hob,
Von Land zu Lande flog
sein Ruhm, sein Lob.
Da kam der Wandrer aus
dem Schattenland,
Und nahm das Saitenspiel
ihm aus der Hand,
Das oft der Hörer Herzen
hoch entzückt,
Das oft der Kränze Fülle
reich geschmückt.
Der fremde Wandrer
führt’ ihn leise fort;
Die Saiten tönten
klagend im Accord,
Wie sich der Aeolsharfe
Klang entringt,
Wenn Zephyr um sie seine
Flügel schwingt.
Und ruhig, lächelnd, wie
der Weise geht,
Wenn ihn die Ahnung
höhern Seins umweht,
Folgt er dem Führer, der
ihm still gewinkt,
Ein Schwan im Abendroth,
der singend sinkt.
Es stützen ihn der
Wandrer und der Stab,
Und leiten ihn selbander
bis zum Grab,
Das
schon geöffnet seiner lang geharrt;
Da sagt er Lebewohl der
Gegenwart,
Blickt zu den Wolken,
und in sel’ger Ruh
Geht er durchs dunkle
Thor der Zukunft zu. -
Und
als geschieden war sein hoher Geist,
Fühlt sich die heil’ge
Liederkunst verwaist,
Und weint auf seinem
Hügel. Sieh da naht
Der ihr den theuren Sohn
entrissen hat,
Und flüstert leise, wie
der Abendwind,
Als um den Liebling ihre
Zähre rinnt:
„Was weinest Du? Ich
liess ihn lange Dir,
Da fiel sein Loos, und
nun gehört er mir.
Doch sieh diess
Stundenglas mit seinem Sand!
Ich übergebe Dir’ in
Deine Hand;
Bewahr
es als ein theures Heiligthum,
So lang’ es rinnt, blüht
Deines Lieblings Ruhm. –„
Und auf des hohen Sängers Hügel
steht
Die wunderbare Sanduhr,
nie gedreht.
Es rinnt der Sand
darinnen fort und fort,
Und jener lebt noch
blühend hier, wie dort.
Der Sand verrinnet immer
mehr und mehr,
Doch wird das Glas, aus
dem er rinnt, nicht leer,
So wie die zweite Hälfte
nie sich füllt,
Wieviel von oben auch
hinunter quillt. –
Des Kirchhofs Linden
rauschten wunderbar,
Es
schwamm der Mond im Sternenäther klar;
Es
war als wallten Klänge durch die Luft,
Als
blüh‘ ein Kranz voll Lieder auf der Gruft,
In
der der Sänger sanft gebettet lag,
Dess
Geist begrüsst des Jenseits schönern Tag;
Da
schwebt heran des bleichen Wandrers Bild
Doch
grausig nicht, nein, würdig, ernst und mild.
„Schlaf ruhig“ – sprach er: -
„In des Hügels Schoos!
Nicht Allen fällt,
gleich Dir, ein heit’res Loos,
Die dem Gebiet der
Wirklichkeit entrückt,
Der Dichtung
Zauberblüthen sich gepflückt.
Sie müssen bitter zahlen
ihren Raub;
Das Leben bleibt für
ihre Schmerzen taub,
Und Manchen, der noch
hoffnungsselig war,
Musst’ ich gesellen
jener stillen Schaar,
Die kaum bewundert, dann
vergessen wird,
Und nun an Lethes
Schattenufern irrt.
Den Lorbeerkranz, den
ihre Kunst errang,
Entreisst kaum eine Hand
dem Untergang,
Neid, Hass und Dummheit
nagen Blatt für Blatt,
Und Keinen – Keinen
macht der Lorbeer satt. –„
oben
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Textgrundlage und
Bilder: Der
Todtentanz - Ein Gedicht von Ludwig
Bechstein,
mit 48 Kupfern in treuen Conturen nach Hans Holbein. Leipzig,
herausgegeben bei
Friedrich Augus Leo, 1831, gedruckt bei J. B. Hirschfeld
Düsseldorf,
Universitäts- und
Landesbibliothek
Online-Ausgabe
Bilder: Holbein d.J. und W.
Hollar(1498-1543, gemeinfrei, aus der Todtentanz
wikimedia.org
Logo 465: „Dans Macabre“, Bernt
Notke,
gemeinfrei
wikimedia
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