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Literatur


04.2

Der Todtentanz - Ein Gedicht

Ludwig Bechstein

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Der Kaiser



Und wieder war es Nacht. Um Riesentrümmer
Wallte der Vorzeit grauer Geist,
dumpf rauscht‘ ein ferner Strom.
Im Kolossäum stand der Wanderer, der Alte,
Und blickte nach dem alten Rom.
Die hohen Tempelzinnen starrten
Empor, gleich einer stillen Wächterschaar,
Versteinert viele tausend Jahr‘,
Die Auferstehung zu erwarten.
Das Wehn der Nacht durchflog
Die ungeheuern Räume,
Die Zeugen einer großen Zeit;
Die Pappeln rauschten und die Lorbeerbäume,
Es ward vom Sturm ihr
Laub auf manches Grab gestreut.
 
Der bleiche Wandrer schwieg; er liebt es, dort zu weilen,
Wo von Ruinen ihm sein Bild entgegenquoll.
Wie Grabgesänge zog des Windes Heulen
Durch das Gemäuer, dumpf und trauervoll.
Der bleiche Schnitter stand auf einem Erntefelde,
Wo seine Sichel Tausende gemäht,
Wo Roms Tyrannen Blut auf Blut gesä’t, 
Auf dass der Nachwelt Mund von ihrer Grösse melde.
 
Still, wie das todte Meer, lag die Campagna da,
Das sanfte Hügelland, besäet mit Ruinen,
Die durch den Flor der Nacht den Blicken kaum erschienen;
Da trat dem Wanderer ein menschlich Wesen nah.
Gestört in seinem tiefen Sinnen,
Das mehr als Menschensprache malt, umfasst,
Sah er den unwillkommnen nächt’gen Gast,
Und der sah ihn, doch floh er nicht von hinnen.
Und wie der Wandrer mit der Grabesstimme fragt:
 „Wer bist Du?“ Jener kummerüberwältigt sagt:
 „Du kennst mich nicht? O wär‘ ich Dir bekannt!
Und hättest Deinen Raub Du mich schon längst genannt!
Ich habe Dich auf Golgatha gesehn,
Ich fühlt‘ in Zions Flammen Deiner Flügel Wehn!
Ich rief Dich oft, Dein Ohr vernahm mich nicht!
Mich züchtigt der, der Deine Bande bricht.
Den Unglückseligsten der Menschen siehst Du hier,
Den Ahasver, und Du – Du hast kein Theil an mir!“
Der Sprecher rief’s mit dumpfen grausem Ton,
Weit weit von dannen war der Wandrer schon entflohn. –
 
In Albrechts Kaiserpfalz trat er als Pilgrim ein,
Und mischte still sich unter’s Hofgesinde,
Schritt in den Audienzsaal dann hinein,
Dort sprach voll Ernst der Herr mit seinem Bruderkinde
Johann, so streng wie nur ein geiziger Verwandter,
Der vom vertrauten Gut nicht mehr sich trennen kann.
Vor ihm, demüthig knieend lag ein Mann,
Vom Schweizerland ein Abgesandter,
Der nach dem alten Recht in seines Volkes Namen
Um einen treuen Schirmvogt bat;
Es übten jede Frevelthat
Die Vögte, die, des Landes Geiseln, kamen.
 
Der Kaiser legte still das Scepter aus der Hand,
Und nahm das Schwert, und sprach: „Ich muss dem Land,
Ich muss dem eignen Blut die Spitze bieten.
Von allen Seiten drängt unbilliges Begehr,
Da kommen aus der Schweiz die Klageweiber her,
Und auch der Neffe lässt mich nicht in Frieden.
Er will nach Knabenart ein Stücklein Apfel haben,
Wär‘ es nicht wohlgethan, Ihr Herr’n, Wir theilten gleich
Mit unserm Schwert das heil’ge röm’sche Reich,
Und gäben’s halb dem ungestümen Knaben?“
 
Die Räthe schwiegen, die den Herrn umstanden;
Er gab dem Schweizerboten kein Gehör,
Und höhnend sprach er zu dem Anverwandten:
„Die Krone, lieber Hans, ist Dir zu schwer!
Weit mehr wird Dich ein Jägerkränzlein zieren;
Dir ziemet Jugendlust, Uns ziemt regieren.“
 
Da war’s Johann, als er das Wort vernommen,
Als säh‘ er hinterm Ohm sich ein Gebild erhöhn.
Er stand, von ungeheurem Schreck beklommen,
Und musste starr nach jenem Bilde sehn.
Auch dieses blickte nach des Kaisers Brudersohne,
Und griff nach Albrechts goldner Krone,
Und stieg dann in des Jünglings Busen tief,
Und wurde drin zum gährenden Gedanken,
Der aus dem Schlaf die Rachegeister rief,
Die brachen alle heil’gen Schranken,
Und rissen ihn zum wilden Taumel fort,
Und des Gedankens Frucht war – seines Ohmes Mord! –


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Textgrundlage und Bilder:  Der Todtentanz - Ein Gedicht von Ludwig Bechstein,
mit 48 Kupfern in treuen Conturen nach  Hans Holbein. Leipzig, herausgegeben bei
Friedrich Augus Leo, 1831, gedruckt bei J. B. Hirschfeld

Düsseldorf, Universitäts- und Landesbibliothek
Online-Ausgabe

Bilder: Holbein d.J.  und W. Hollar(1498-1543, gemeinfrei, aus der Todtentanz
wikimedia.org

Logo 465: „Dans Macabre“, Bernt Notke, gemeinfrei
wikimedia

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