Vorwort - Hintergrundwissen
Die
populäre Bezeichnung Todtentanz, unter der Holbeins Hauptwerk citirt zu
werden
pflegt, kommt ihm nicht zu und verschleiert den Zug, durch den es sich
von den
älteren Darstellungen des Stoffes unterscheidet. Ob der Titel:
Simulachres de
la mort (Bilder des Todes), den die ersten französischen Textausgaben
tragen,
auf den Künstler zurückgeht, ist nicht nachzuweisen.
Schilderungen
des Todes, der keines Standes schont, der mitten ins blühende Leben
hineingreift, gehören der Dichtung und der bildenden Kunst des ganzen
Mittelalters an. Am Eingange steht der furchtbare Gesang: Media vita in
morte
samus: Mitten wir im Leben sind von dem Tod umgeben. Ursprünglich war
das
Stoffgebiet den nordischen Völkern gemeinsam und auch der italienischen
Kunst
nicht fremd. Doch hat diese es auf der Höhe der Entwicklung mehr und
mehr
aufgegeben.
Im
Norden entwickelte sich aus dem dramatischen Reigen, in dem die
Vertreter aller
Stände abwechselnd mit den Todten auftraten, die sie aus dem Leben
reißen, der
volksthümliche Bildercyklus des Todtentanzes, wie er – mehrfach
übermalt - u. a. in der Marienkirche zu Lübeck aus dem
fünfzehnten Jahrhundert erhalten ist. Diesen Darstellungen – wie auch
Holbeins
Bildern des Todes – liegt die Anschauung zu Grunde, dass die Todten
ausgesandt
werden, die Lebendigen zu holen. Holbein
zieht auch hier die letzte Consequenz, indem er dem Todten jedesmal
eine
passende Tracht gibt. Beim Papst ist er ein Cardinal, bei dem Bauer
trägt er
die Zipfelmütze.
Gegen
die Reformationszeit tritt in Deutschland eine Weiterbildung des Motivs
auf.
Die Idee des Reigens wird verlassen. Einzelbilder in Kupferstich und
Holzschnitt schildern den Tod, der das Leben vernichtet, wo es sich am
sichersten glaubt. Wir haben von Dürer großartige Darstellungen dieser
Art, die
packendste aber von Burgmair. Es ist ein Holzschnitt in Clairobscur,
unter dem
Titel: „Der Tod als Würger“

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Lovers
by Death
Ein
Liebespaar steht in einem prächtigen Stadtprospekt. Da saust auf
dunklem
Fittich der Tod herab, wirft den Jüngling zu Boden und hält, während er
ihn
erwürgt, mit den Zähnen das Gewand der Jungfrau fest, die sich mit
entsetzt
erhobenen Händen schreiend zur Flucht wendet.
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Es
ist nicht unmöglich, dass dies Blatt der Ausgangspunkt für Holbeins
Bilder des
Todes gewesen ist, denn er lebte als Knabe in Augsburg, als Burgkmairs
Werk
entstand. Aber während Burgkmair die Scene durch Tracht und Umgebung in
eine
zeitlose Sphäre rückt, schließt sich Holbein aufs engste an die
volksthümliche
Vorstellung vom Tode, der alle Stände gleicht macht, und gibt eine
Schilderung
des gesamten Lebens seiner Zeit, wie wir sie weder aus Deutschland noch
aus
Italien besitzen. Er trifft um so sicherer, als er aus der Stimmung
einer ganz
kurzen Spanne Zeit schafft, der Jahre um 1524, als die
Reformationsbewegung die
Welt erschütterte und die deutschen Bauernkriege alle Sicherheit des
Daseins
gefährdeten. Reformation und Proletarieraufstand: alle Gedanken und
Gefühle,
die in jenen Tagen unser Volk bewegten, haben in Holbeins Bildern des
Todes
ihre Spur gelassen. Sie bilden den tiefsten künstlerischen Ausdruck,
den die
Reformationsbewegung in Deutschland gefunden hat.
Die
Tragödie, die auf den Brettern aus dem embryonischen Drama des Reigens
vom
Todtentanz nicht geworden ist, hat Holbein in seinem Cyklus von Bildern
geschaffen. Denn er formte nicht nur die einzelnen Theile nach neuen
Ideen, sondern
er gab dem Ganzen Gestalt.
Den
Eingang bildet die Erzählung, wie der Tod in die Welt kam mit
der Erschaffung
der Eva, dem Sündenfall, der Vertreibung aus dem Paradiese und
der Erfüllung des
Fluches: im
Schweiß deines Angesichts sollst du dein Brot
essen
(Adam baut
die Erde).
Die Verurteilung
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Auf
dies Vorspiel folgt die Ouvertüre: Das Gebein aller Menschen.
Nachts steigen
die Todten aus ihren Grüften und führen vor dem Beinhaus die Musik zum
Tanze
auf.

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Das
Beinhaus
Dies
Motiv ist den Wandbildern der alten Todtentänze entlehnt, wo ein
Orchester von Todten die Musik zu dem grausigen Reigen aufspielt.
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Dann
rollt sich das Drama ab mit der Schilderung des Lebens aller
Stände, in
das der
Tod eingreift.
Den
Abschluss bildet das jüngst Gericht. Vom Tode, der durch Eva in
die Welt
gekommen ist, erlöst Christus.

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Das
Gericht
Und
so überwältigend Holbein das Elend der dem
Tode unterworfenen Menschheit geschildert hat, so stark betont er hier
die
Befreiung; unter den Menschen, die auf dem weiten Felde sich dem auf
dem
Regenbogen thronenden Heiland entgegen aus ihren Gräbern erheben, sind
keine
Verdammten zu sehen, und wie der Tod und der Teufel fehlen auch die
Fürsprecher
Maria und Johannes.
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Das
letzte Blatt, das Wappen des Todes, gemahnt
dann noch einmal an den Herrscher dieser Welt,
der selber im Drama nicht auftritt, sondern seine Boten sendet.
So
reihen sich Holbeins Bilder des Todes als große cyklische Darstellung
dem Typus
an, den Dürer in der Apocalypse, im Marienleben und in den Passionen
geschaffen
hatte. Mit recht hat man Holbeins Todtentanz den Tragödien Shakespeares
gleichgestellt.
Das
Werk war nicht nur Abschluss und Vollendung eines alten Formenkreises,
es war
das lebendigste Kunstwerk der Epoche, das einzige größten Stiles, das
seinen
Stoff in dem Leben der Zeit gefunden hatte, während die großen Cyklen
bei
Dürer, der Heilsgeschichte und der Legende entnommen, nur mittelbar das
Leben
seiner Zeit zur Darstellung bringen konnten.
Holbeins
Bilder des Todes sind gerade dieses modernen Stoffes wegen nicht nur
ein
Abschluss, sondern auch eine Grundlage. Seine Zecher- und Spielergruppe
enthalten die Keime für die verwandten Schilderungen Caravaggios und
seiner
Nachahmer. In Rembrands Radierungen findet sich seine Spur und in
unserm
Jahrhundert fußten Rethels gewaltige Holzschnitte, in der jüngsten
Epoche
Klingers Bilder vom Tode auf Holbein, von den unzähligen für den Markt
berechneten Nachahmungen aller Jahrhunderte gar nicht zu reden.
Diese
außerordentliche historische Bedeutung der Bilder des Todes, ihr das
gesamte
Leben der Zeit erschöpfender Inhalt würden genügen, um ihre genaue
Kenntnis der
allgemeinen Bildung des Deutschen unumgänglich zu machen. Der
künstlerische
Gehalt und der deutsche Charakter dieser Kunst machen es uns geradezu
zur Pflicht,
sie dem heranwachsenden Geschlecht nahe zu bringen.
Holbein
hat mit sicherm Text ein ganz kleines Format gewählt. Bei größeren
Dimensionen
würden die grausigen Gestalten der Todten, die die Lebenden abrufen,
kaum erträglich
gewesen sein.
Durch
die Vorarbeit Schongauers und Dürers war die deutsche Kunst fähig
geworden, auf
engstem Raum monumental zu erscheinen. Die kleinen Blätter haben den
Inhalt großer Wandgemälde und lassen
nirgend einen Zwang fühlen. Figuren, Innenräume, Landschaften mit
weiter
Fernsicht gehen ohne Rest in den engen Raum auf. Dass das kleine Blatt,
auf dem
sich Kupferstich und Holzschnitt bewegen, für deutsche Kunst der
Reformationsepoche dieselbe erzieherische Bedeutung hatte, wie die Wand
für die
italienische, lässt sich an Holbeins Bildern des Todes am schnellsten
erfassen.
Er
hat die Compositionen selber auf den Holzblock gezeichnet, und hatte
das Glück,
in Hans Lützelburger einen Holzschneider zu finden, der den Charakter
jeder
Linie mit der höchsten Zartheit im Schnitt zu bewahren wusste.
Es
war ein großer Verlust, dass Lützelburger 1526 starb, ehe er den Cyklus
vollendet hatte.
Die
Blöcke wanderten durch verschiedene Hände. Erst in den vierziger Jahren
des
sechzehnten Jahrhunderts scheinen die letzten Zeichnungen in
Holzschnitt
ausgeführt worden zu sein. So tüchtig der neue Techniker sich zeigt,
kommt er
doch gegen Lützelburger nicht auf.
Wir
wissen über Holbeins Wesen nicht entfernt so viel, wie über Dürer,
dessen
Briefe und Abhandlungen uns tief in sein Inneres blicken lassen. Wie
Holbein zu
den bewegenden Ideen seiner Zeit sich stellte, lehrt vor Allem der
Inhalt
seines „Todtentanzes“. Die Darstellung
des Papstes, auf dessen Seele die Teufel lauern, konnte nur ein
Protestant
wagen. Seine Satire auf die Großen, die der Tod in ihrer Sünde
überrascht,
verrathen den scharfen Kritiker der höheren Stände, die Schilderung der
Armen
und Elenden ein so tiefes Mitgefühl wie es seine Epoche sonst nicht zum
Ausdruck gebracht hat. Er ist auch darin unserer Zeit verwandt.
In
der Empfindung für die Geberde, die nicht nur Bewegung ist, sondern
eine Regung der Seele ausdrückt, steht er mit Schongauer,
Dürer und Rembrandt über den Größten der Italiener. Das ist das
Deutsche in
ihm. Der Bauer, der bei untergehender Sonne seinen Acker pflügt, die
Bauersfrau, der der Tod ihr Kind raubt, und der arme Lazarus auf seiner
Streu
an der Mauer, der in mühseliger Geberde die Hände erhebt und vergebens
um
Erlösung fleht, haben in der Kunst der romanischen Völker nicht
ihresgleichen.
Von
Holbeins Bildern des Todes, die dem Kind verständlich sind, und deren
Tiefe der
Erwachsene nie ermisst, sollte die Einführung unserer Jugend in die
ältere
deutsche Kunst ausgehen.
Für
die Veranschaulichung der Reformationsepoche könnten sie im
Geschichtsunterricht den Ausgangspunkt bilden. Sie dürfen nicht
flüchtig
besehen werden, sie verlangen Vertiefung. Man muss sie, wenn man auch
den
Inhalt längst zu kennen glaubt, immer wieder zur Hand nehmen, um die
Größe der
Anschauung auf sich wirken zu lassen.
ALFRED
LICHTWARK
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