Vorwort - Hintergrundwissen
 
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Literatur


04.2


Vorwort und Hintergrundwissen

zu

Hans Holbein's "BILDER DES TODES"

von Alfred Lichtwark
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 Vorwort - Hintergrundwissen

Die populäre Bezeichnung Todtentanz, unter der Holbeins Hauptwerk citirt zu werden pflegt, kommt ihm nicht zu und verschleiert den Zug, durch den es sich von den älteren Darstellungen des Stoffes unterscheidet. Ob der Titel: Simulachres de la mort (Bilder des Todes), den die ersten französischen Textausgaben tragen, auf den Künstler zurückgeht, ist nicht nachzuweisen.
 
Schilderungen des Todes, der keines Standes schont, der mitten ins blühende Leben hineingreift, gehören der Dichtung und der bildenden Kunst des ganzen Mittelalters an. Am Eingange steht der furchtbare Gesang: Media vita in morte samus: Mitten wir im Leben sind von dem Tod umgeben. Ursprünglich war das Stoffgebiet den nordischen Völkern gemeinsam und auch der italienischen Kunst nicht fremd. Doch hat diese es auf der Höhe der Entwicklung mehr und mehr aufgegeben.
 
Im Norden entwickelte sich aus dem dramatischen Reigen, in dem die Vertreter aller Stände abwechselnd mit den Todten auftraten, die sie aus dem Leben reißen, der volksthümliche Bildercyklus des Todtentanzes, wie er – mehrfach übermalt -  u. a. in der Marienkirche zu Lübeck aus dem fünfzehnten Jahrhundert erhalten ist. Diesen Darstellungen – wie auch Holbeins Bildern des Todes – liegt die Anschauung zu Grunde, dass die Todten ausgesandt werden, die Lebendigen zu holen. Holbein  zieht auch hier die letzte Consequenz, indem er dem Todten jedesmal eine passende Tracht gibt. Beim Papst ist er ein Cardinal, bei dem Bauer trägt er die Zipfelmütze.
 
Gegen die Reformationszeit tritt in Deutschland eine Weiterbildung des Motivs auf. Die Idee des Reigens wird verlassen. Einzelbilder in Kupferstich und Holzschnitt schildern den Tod, der das Leben vernichtet, wo es sich am sichersten glaubt. Wir haben von Dürer großartige Darstellungen dieser Art, die packendste aber von Burgmair. Es ist ein Holzschnitt in Clairobscur, unter dem Titel: „Der Tod als Würger“







Lovers by Death



Ein Liebespaar steht in einem prächtigen Stadtprospekt. Da saust auf dunklem Fittich der Tod herab, wirft den Jüngling zu Boden und hält, während er ihn erwürgt, mit den Zähnen das Gewand der Jungfrau fest, die sich mit entsetzt erhobenen Händen schreiend zur Flucht wendet.

Es ist nicht unmöglich, dass dies Blatt der Ausgangspunkt für Holbeins Bilder des Todes gewesen ist, denn er lebte als Knabe in Augsburg, als Burgkmairs Werk entstand. Aber während Burgkmair die Scene durch Tracht und Umgebung in eine zeitlose Sphäre rückt, schließt sich Holbein aufs engste an die volksthümliche Vorstellung vom Tode, der alle Stände gleicht macht, und gibt eine Schilderung des gesamten Lebens seiner Zeit, wie wir sie weder aus Deutschland noch aus Italien besitzen. Er trifft um so sicherer, als er aus der Stimmung einer ganz kurzen Spanne Zeit schafft, der Jahre um 1524, als die Reformationsbewegung die Welt erschütterte und die deutschen Bauernkriege alle Sicherheit des Daseins gefährdeten. Reformation und Proletarieraufstand: alle Gedanken und Gefühle, die in jenen Tagen unser Volk bewegten, haben in Holbeins Bildern des Todes ihre Spur gelassen. Sie bilden den tiefsten künstlerischen Ausdruck, den die Reformationsbewegung in Deutschland gefunden hat.
 
Die Tragödie, die auf den Brettern aus dem embryonischen Drama des Reigens vom Todtentanz nicht geworden ist, hat Holbein in seinem Cyklus von Bildern geschaffen. Denn er formte nicht nur die einzelnen Theile nach neuen Ideen, sondern er gab dem Ganzen Gestalt.




Den Eingang
bildet die Erzählung, wie der Tod in die Welt kam mit der Erschaffung der Eva, dem Sündenfall, der  Vertreibung aus dem Paradiese und der Erfüllung des

Fluches: im Schweiß deines Angesichts sollst du dein Brot
essen (Adam baut die Erde).


Die Verurteilung









Auf dies Vorspiel folgt die Ouvertüre: Das Gebein aller Menschen. Nachts steigen die Todten aus ihren Grüften und führen vor dem Beinhaus die Musik zum Tanze auf.
 





Das Beinhaus


Dies Motiv ist den Wandbildern der alten Todtentänze entlehnt, wo ein Orchester von Todten die Musik zu dem grausigen Reigen aufspielt. 


Dann rollt sich das Drama ab mit der Schilderung des Lebens aller Stände, in das der Tod eingreift.
 
Den Abschluss bildet das jüngst Gericht. Vom Tode, der durch Eva in die Welt gekommen ist, erlöst Christus.
 




Das Gericht


Und so überwältigend Holbein das Elend der dem Tode unterworfenen Menschheit geschildert hat, so stark betont er hier die Befreiung; unter den Menschen, die auf dem weiten Felde sich dem auf dem Regenbogen thronenden Heiland entgegen aus ihren Gräbern erheben, sind keine Verdammten zu sehen, und wie der Tod und der Teufel fehlen auch die Fürsprecher Maria und Johannes.


Das letzte Blatt, das Wappen des Todes, gemahnt  dann noch einmal an den Herrscher dieser Welt, der selber im Drama nicht auftritt, sondern seine Boten sendet.


 
So reihen sich Holbeins Bilder des Todes als große cyklische Darstellung dem Typus an, den Dürer in der Apocalypse, im Marienleben und in den Passionen geschaffen hatte. Mit recht hat man Holbeins Todtentanz den Tragödien Shakespeares gleichgestellt.
 
Das Werk war nicht nur Abschluss und Vollendung eines alten Formenkreises, es war das lebendigste Kunstwerk der Epoche, das einzige größten Stiles, das seinen Stoff in dem Leben der Zeit gefunden hatte, während die großen Cyklen bei Dürer, der Heilsgeschichte und der Legende entnommen, nur mittelbar das Leben seiner Zeit zur Darstellung bringen konnten.
 
Holbeins Bilder des Todes sind gerade dieses modernen Stoffes wegen nicht nur ein Abschluss, sondern auch eine Grundlage. Seine Zecher- und Spielergruppe enthalten die Keime für die verwandten Schilderungen Caravaggios und seiner Nachahmer. In Rembrands Radierungen findet sich seine Spur und in unserm Jahrhundert fußten Rethels gewaltige Holzschnitte, in der jüngsten Epoche Klingers Bilder vom Tode auf Holbein, von den unzähligen für den Markt berechneten Nachahmungen aller Jahrhunderte gar nicht zu reden.
 
Diese außerordentliche historische Bedeutung der Bilder des Todes, ihr das gesamte Leben der Zeit erschöpfender Inhalt würden genügen, um ihre genaue Kenntnis der allgemeinen Bildung des Deutschen unumgänglich zu machen. Der künstlerische Gehalt und der deutsche Charakter dieser Kunst machen es uns geradezu zur Pflicht, sie dem heranwachsenden Geschlecht nahe zu bringen.
 
Holbein hat mit sicherm Text ein ganz kleines Format gewählt. Bei größeren Dimensionen würden die grausigen Gestalten der Todten, die die Lebenden abrufen, kaum erträglich gewesen sein.
 
Durch die Vorarbeit Schongauers und Dürers war die deutsche Kunst fähig geworden, auf engstem Raum monumental zu erscheinen. Die kleinen Blätter haben den Inhalt  großer Wandgemälde und lassen nirgend einen Zwang fühlen. Figuren, Innenräume, Landschaften mit weiter Fernsicht gehen ohne Rest in den engen Raum auf. Dass das kleine Blatt, auf dem sich Kupferstich und Holzschnitt bewegen, für deutsche Kunst der Reformationsepoche dieselbe erzieherische Bedeutung hatte, wie die Wand für die italienische, lässt sich an Holbeins Bildern des Todes am schnellsten erfassen.
 
Er hat die Compositionen selber auf den Holzblock gezeichnet, und hatte das Glück, in Hans Lützelburger einen Holzschneider zu finden, der den Charakter jeder Linie mit der höchsten Zartheit im Schnitt zu bewahren wusste.
 
Es war ein großer Verlust, dass Lützelburger 1526 starb, ehe er den Cyklus vollendet hatte.
 
Die Blöcke wanderten durch verschiedene Hände. Erst in den vierziger Jahren des sechzehnten Jahrhunderts scheinen die letzten Zeichnungen in Holzschnitt ausgeführt worden zu sein. So tüchtig der neue Techniker sich zeigt, kommt er doch gegen Lützelburger nicht auf.
 
Wir wissen über Holbeins Wesen nicht entfernt so viel, wie über Dürer, dessen Briefe und Abhandlungen uns tief in sein Inneres blicken lassen. Wie Holbein zu den bewegenden Ideen seiner Zeit sich stellte, lehrt vor Allem der Inhalt seines  „Todtentanzes“. Die Darstellung des Papstes, auf dessen Seele die Teufel lauern, konnte nur ein Protestant wagen. Seine Satire auf die Großen, die der Tod in ihrer Sünde überrascht, verrathen den scharfen Kritiker der höheren Stände, die Schilderung der Armen und Elenden ein so tiefes Mitgefühl wie es seine Epoche sonst nicht zum Ausdruck gebracht hat. Er ist auch darin unserer Zeit verwandt.
 
In der Empfindung für die Geberde, die nicht nur Bewegung ist, sondern eine  Regung der Seele ausdrückt, steht er mit Schongauer, Dürer und Rembrandt über den Größten der Italiener. Das ist das Deutsche in ihm. Der Bauer, der bei untergehender Sonne seinen Acker pflügt, die Bauersfrau, der der Tod ihr Kind raubt, und der arme Lazarus auf seiner Streu an der Mauer, der in mühseliger Geberde die Hände erhebt und vergebens um Erlösung fleht, haben in der Kunst der romanischen Völker nicht ihresgleichen.
 
Von Holbeins Bildern des Todes, die dem Kind verständlich sind, und deren Tiefe der Erwachsene nie ermisst, sollte die Einführung unserer Jugend in die ältere deutsche Kunst ausgehen.
 
Für die Veranschaulichung der Reformationsepoche könnten sie im Geschichtsunterricht den Ausgangspunkt bilden. Sie dürfen nicht flüchtig besehen werden, sie verlangen Vertiefung. Man muss sie, wenn man auch den Inhalt längst zu kennen glaubt, immer wieder zur Hand nehmen, um die Größe der Anschauung auf sich wirken zu lassen.
 
ALFRED LICHTWARK


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Textgrundlage:„Bilder des Todes“ Hans Holbein, Hamburgische Liebhaber-Bibliothek,
Herausgegeben von der Gesellschaft Hamburgischer Kunstfreunde, begründet 1893 ,
Commetersche Kunsthandlung, 1897. Hand Holsbeins Bilder des Todes reproduziert nach
den Probedrucken und der Lyonner Ausgabe von 1547 in der Kunsthalle zu Hamburg,
 Hamburg MDCCCLXXXXVII.Strichschätzungen und Druch der Verlagsanstalt & Druckerei A. G.
 vormals J. F. Richter

Online-Ausgabe- Düsseldorf, Universitäts- und Landesbibliothek

Bild: "Die Verurteilung", "Das Beinhaus",  "Das Gericht", "Das Wappen",
 Holbein d.J. (1498-1543, gemeinfrei, aus der Todtentanz
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Das Bild: "Lovers by Death", Hans Burgmaier der Ältere, Google Art Projekt,
 Lizenz  CC-BY-SA-3.0

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