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Die
Sau
Eine
Dorfgeschichte von Ludwig Thoma
Eines
Tages begab es sich, dass die Sau des Gütlers Peter Salvermoser auf die
Wanderschaft ging und durch den Zaun in das benachbarte Anwesen des
hochwürdigen Herrn Pfarrers gelangte.
Sie
nahm ihren Weg über die Blumenbeete, wobei sie achtlos Hyazinthen und
Krokus in
die Erde trat und auch mehrere Centifolien knickte.
Nicht
weniger roh benahm sie sich auf den Gemüsebeeten. Sie zog so lange
Salatstauden
aus dem Boden, bis sie den Geschmack derselben als unzulänglich
erkannte;
hierauf fraß sie verschiedene Sorten Monatrettige und wollte eben
untersuchen,
ob in der tiefer gelegenen Erdschichte noch etwas Genießbares gedeihe,
als sie
von Fräulein Kordelia Furtwengler bemerkt wurde.
Diese
war Köchin und Vorsteherin der pfarrlichen Haushaltung. Eine robuste
Person mit
gut entwickelten Formen und von resolutem Gebaren.
Sie
griff ohne langes Besinnen nach einem handlichen Stecken und eilte
zornig
hinaus, um den frechen Eindringling zu treffen.
Da
sie aber, wie alle Frauenzimmer, in den eigentlichen Kriegslisten wenig
bewandert war, hub sie zu früh das Feldgeschrei an, sodass der Feind
ihr Nahen
von weitem bemerkte und rechtzeitig die Flucht ergreifen konnte.
Auf
derselben richtete die Sau erhebliche Verwüstungen an, da sie das Loch
im Zaune
nicht allsogleich fand, sondern erst in mehrerem Hin- und Herlaufen
suchen
musste.
Während
sie ärgerlich grunzend heimkehrte, besah Fräulein Kordelia den Schaden
und
jammerte in so lauten Tönen, dass der hochwürdige Herr seine
Morgenandacht
unterbrach, und sich nach der Ursache der frühen Störung erkundigte.
Beim
Anblick des Geschädigten wurde die Köchin von Rührung übermannt und sie
konnte
nur mühsam unter verhaltenem Schluchzen das Geschehnis berichten.
Der
Pfarrer vernahm es mit ersichtlichem Missvergnügen. Zunächst, weil er
selbst
ein Freund der essbaren Gartenfrüchte war, dann aber, weil die
Missetäterin
gerade dem Peter Salvermoser gehörte. Mit diesem hatte es seine eigene
Bewandtnis.
Er
war im Pfarrhofe übel angeschrieben als Freigeist und lauer Christ, der
im
Wirtshause nicht selten über kirchliche Einrichtungen böse Reden
führte; ja, es
war ruchbar geworden, dass er über die Korpulenz des hochwürdigen Herrn
einige
unflätige Witze gemacht hatte.
Auch
als Nachbar benahm er sich gröblich und drohte in geringfügigen Dingen
mit
Gericht und Advokaten.
Darum
beschloss der Pfarrer, in diesem Falle von der christlichen Langmut
abzusehen und
auf vollen Ersatz des Schadens zu dringen.
In
dieser Absicht ließ er vom Bürgermeister einen Sühneversuch anstellen
und
erschien selbst, um seine Beschwerde vorzutragen. Er tat es mit vielem
Nachdruck und hätte wohl auch die meisten Pfarrkinder überzeugt, allein
auf
Salvermoser machten seine Worte keinen Eindruck. Peter war ein Mann von
rauhen
Sitten, dem der Kampf des Lebens wenig Respekt vor der Obrigkeit
belassen
hatte; überdies las er täglich die Zeitung und wusste deshalb mehr als
mancher
andere.
„I
zahl durchaus gar nix,“ sagte er, „indem dass i meiner Sau des net
ang’schafft
hab’.“
„Auf
diesen Einwurf war ich gefasst,“ erwiderte der Pfarrer, „allein man
haftet auch
für den Schaden, den eines Haustier betätiget. Also will es das Gesetz.“
„Wos?“
schrie Peter mit gehobener Stimme, „wo schteht dös? Des giebt’s gor it,
dass so
was g’schrieben is. Aba i kenn mi scho aus. Der Adel und die
Geischtlichkeit
ham ’s Gsetz allemol no so draht, wia s’ as braucht ham.“
„Du
muasst net so reden,“ mischte sich der Bürgermeister ein, „mir san net
do zum
Streiten, sondern zum Vergleicha.“
„I
brauch koan Vergleich. I zahl durchaus gar nix. Wann der Herr Pfarrer
was will,
nacha soll er mei Sau verklag’n.“
„Salvermoser,“
fiel hier der Diener Gottes ein, „deine Worte sind roh und verraten ein
böses
Gemüt.“
„Soo?
Do war mi schlecht, bal mi net zahlt, wos da Herr Pfarra gern möcht!
Des glaab
i gar net, dass Sie dös sagen derfa. I zahl meine Steuern so guat wia
der Adel
und die Geischtlichkeit! Des muass i wissen, ob Sie des sagen derfa,
Herrschaft
Sternsakrament!“
Jetzt
bedeckte der Geistliche sein Haupt und sprach im Gehen zu dem
Bürgermeister:
„Es sei ferne von mir, hier noch länger zu weilen! Ihr sehet selbst,
dass
gütige Worte an dem Frevler verschwendet wären.“
Dann
begab er sich stehenden Fußes an die Bahn und fuhr nach München,
woselbst er
den Rechtsanwalt Samuel Rosenstock aufsuchte.
Derselbe
war ein vortrefflicher Jurist und mit allen Geheimnissen der
Streitkunst gar
wohl vertraut. Er nahm sich des Prozesses mit Freuden an und begann ihn
sofort
durch eine spitzfindige Klage, worin er ausführlich darlegte, dass der
beklagtische Gütler für das Benehmen seiner Sau voll und ganz
einzustehen habe.
Allein
auch Peter Salvermoser fand den Advokaten, welchen er suchte, und
dieser sagte
in allem das Gegenteil von dem, was Samuel Rosenstock behauptete.
So
kam es, dass sich der Prozess in die Länge zog, und die Gemüter der
Streitenden
sich immer mehr erhitzten.
Sie
führten auch außerhalb der Gerichtsschranken einen erbitterten Krieg
gegeneinander, und der Pfarrherr sah sich gezwungen, des öfteren von
der Kanzel
herunter seine Pfarrkinder eindringlich zur Tugend und Frömmigkeit
anzuhalten,
auf dass sie nicht würden, wie Peter Salvermoser.
Dieser
hingegen tat seinem Feinde Abbruch, wo er nur konnte. Er verminderte
heimlich
die Anzahl der pfarrlichen Hühner und Enten, er streute vergifteten
Weizen in
den Taubenkobel des hochwürdigen Herrn und sorgte dafür, dass die
Forellen in
dem Fischkalter des Wassers entbehrten.
Auch
die tugendsame Kordelia Furtwengler wurde in Mitleidenschaft gezogen.
Ihre
Lieblingskatze verschwand auf rätselhafte Weise und niemand im Dorfe
glaubte an
den natürlichen Tod des treuen Tieres. Sie selbst wurde gröblich
beschimpft von
Anna Maria Salvermoser, Ehefrau des mehrgenannten Gütlers, als sie mit
derselben im Bäckerladen zusammentraf. Sie erfuhr hiebei, dass sie eine
wampete
Loas sei und noch mehreres andere aus dem Sprachschatze unseres Volkes.
So
dauerte der Krieg in heftiger Weise fort, bis endlich das Gericht nach
zwei
Jahren genügendes Material gesammelt hatte, um zu einem Erkenntnisse zu
gelangen. Es verkündete nunmehr, dass die Sau nicht in den Garten
gekommen
wäre, es hätte denn der Zaun nicht ein Loch gehabt. Hiefür träfe
niemanden das
Verschulden als den Eigentümer des Zaunes.
Und
damit hatte der Pfarrherr den Prozess verloren. Viele wunderten sich
darüber,
am meisten Samuel Rosenstock.
Als
die Kunde von dem Geschehnisse in das Dorf gelangte, überkam ein tiefer
Ingrimm
den hochwürdigen Herrn. Er begab sich in die Küche zu Kordelia
Furtwengler und
erklärte der Erstaunten die ganze bodenlose Schlechtigkeit unseres
Staatswesens.
Nicht
so Peter Salvermoser. Dieser gewann Vertrauen in die Einsicht der von
Gott
gesetzten Obrigkeit und freute sich in seinem schlichten Gemüte.
oben

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Textgrundlage: "Die
Sau", Ludwig Thoma,
aus: Zeitschrift
Simplicissimus. ED 3.4.1900,
Verlag Albert Lange,
München
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zum Stocletfries3", Gustav Klimt,
EJ: 1905/09, gemeinfrei,
Österreichisches Museum für angewandte Kunst, Wien
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