|
|
|
|
|
lifedays-seite
moment
in time
|
|
|
|
|
04.3
Geschichten - Wilhelm Busch
Der
Schmetterling
Kinder,
in ihrer Einfalt, fragen immer und immer: Warum? Der Verständige tut
das nicht
mehr, denn jedes Warum, das weiß er längst, ist nur der Zipfel eines
Fadens,
der in den dicken Knäuel der Unendlichkeit ausläuft, mit dem keiner
recht fertig
wird, er mag wickeln und haspeln, so viel er nur will.
Vor
Jahren freilich, als ich eben den kleinen Ausflug machte, von dem
weiter
unten berichtet wird, da dachte ich auch noch oft darüber nach, warum
grad mir,
einem so netten und vorzüglichen Menschen, das alles passieren musste.
Jetzt
sitz ich da in sanfter Gelassenheit und flöte still vor mich hin, indem
ich
kurzweg annehme: Was im Kongress aller Dinge beschlossen ist, das wird
ja wohl
auch zweckgemäß und heilsam sein.
Mein
Name
ist Peter. Ich bin geboren anno dazumal, als man die Fräuleins
Mamsellen nannte
und die Gänse noch Adelheid hießen, auf einem einsamen Bauerngehöft,
gleich
links von der Welt und dann rechts um die Ecke, nicht weit von der
guten Stadt
Geckelbeck, wo sie alles am besten wissen.
Daselbst
in der Nähe liegt auch der unergründliche Grummelsee, in dem
bekanntlich der Muddelbutz, der Langgeschwänzte, sein tückisches Wesen
treibt.
Frau Paddeke, die alte, zuverlässige Botenfrau, hat ihn selbst mal
gesehn, wie
er den Kopf aus dem Wasser steckte, und scharf und listig hat er sie
angeschaut, mit der überlegenen Ruhe und Kaltblütigkeit eines
vieltausendjährigen Satans.
Meine
Mutter starb früh. Der Vater und der brave Knecht Gottlieb bestellten
fleißig die Felder. Mein hübsches Bäschen Katharine führte die
häusliche
Wirtschaft.
Da
ich meinerseits, obwohl ich ein stämmiger Schlingel geworden, weder zum
Pflügen noch zum Häckerlingschneiden die mindeste Neigung zeigte,
schickte mich
mein Vater in die Stadt zu Herrn Damisch, dem gelehrten Magister, der
mich
jedoch bereits nach ein paar Jahren, als nicht ganz zweckentsprechend,
bestens
dankend, zurückgab.
Hierauf,
nachdem ich so ein Jährchen verbummelt hatte, kam ich zu dem
hochberühmten Schneidermeister Knippipp in die Lehre nebst Kost und
Logis.
"Auch
ein vornehmes Metier!" meinte der Vater. "So ein Schneider
kann sein Brot im Trockenen verdienen wie der feinste Schulmeister,
ob's regnet
oder schneit."
Schon
nach neun Monaten spülten mich die dünnen Wassersuppen der dicken Frau
Meisterin wieder der Heimat zu.
Ich
hatte mich fein gemacht. Strohut, himmelblauer Schniepel, stramme gelbe
Nankinghose, rotbraumwollenes Sacktuch. Aber diesmal war der Vater
wirklich
sehr ärgerlich. Er griff zum Ochsenziemer, und er hätte sein
böswilliges
Vorhaben auch sicherlich ausgeführt, wenn ihn der brave Gottlieb und
das gute
Kathrinchen, er vorne, sie hinten, nicht entschieden gehemmt hätten.
Den
Winter blieb ich zu Haus. Ohne grad viel aufs Essen zu geben, stand ich
gern hinter dem hübschen Bäschen in der Küche herum. Mitunter nahm ich
ihr eine
Stecknadel weg und stach sie mir kaltblütig durchs Ohr. Auch tanzte ich
zuweilen waghalsig auf dem gefährlichen Brunnenrande, und wenn das
Kathrinchen
zusah und es grauste ihr tüchtig, das war mir grad recht. Dann wieder
konnt ich
dastehn in tiefster Versimpelung, wie ein alter Reiher im
Karpfenteich.
Ein besonders hoher Genuss war mir's aber, so des Abends auf der Bank
hinter
dem Ofen zu liegen und zuzusehen, wie das Kathrinchen Bohnen aushülste
und der
Gottlieb Körbe flocht. Bei dem Anblick dieser kleinen, krausen,
krispeligen
Tätigkeit überkam mich immer so ein leises, feines, behagliches
Gruseln. Oben
in den Haarspitzen fing's an , kribbelte den Rücken hinunter und
verbreitete
sich über die ganze Haut, während meine Seele gar sanft aus den Augen
herauszog, um ganz bei der Sache zu sein, und mein Körper dalag wie ein
seliger
Klitz. Eines Abends stieg ich auch mal heimlich in den Lindenbaum, weil
ich
gern mal sehen wollte, wie das Kathrinchen zu Bette ging. Sie betete
grad ihren
Rosenkranz. Als sie aber anfing sich auzuziehen und die
Geschichte
bedenklich wurde, machte ich Ahem! und Phütt! war die Lampe aus. Am
anderen
Nachmittag wurde an einer grünen Gardine genäht.
Mein
Stübchen lag oben im Giebel. In einem dicken Legendenbuche las ich bis
spät in die Nacht hinein. Wenn dann der Wind sauste und der Schnee ans
Fenster
klisperte, fühlte ich micht so recht für mich als ein behaglicher Herr.
Die
Hexen hatten ihren Strich da vorbei; sie zügelten zuweilen ihre Besen
und
lugten durch die Scheiben, meist alte Hutzelgesichter, als wären sie
gedörrt
worden am höllischen Feuer. Mal aber war's eine junge, hübsche. Sie
hatte eine
Schnur von Goldmünzen ins Haar geflochten. Sie blinzelte und lachte.
Ihre
weißen Zähne blitzten, wie ihr das Licht ins Gesicht schien, gegen den
dunklen
Hintergrund.
Als
der Sommer kam, als die Welt eng wurde von Laub und Blüten, macht ich
mir
ein Netz und jagte nach Schmetterlingen. So herumzustreifen in
leichtsinniger
Freiheit, oder mich niederzulegen zu beliebiger Ruhe, das war mein
Fach; und
hupfen, wie der rührigste Heuschreck, das konnt ich auch.
Eines
Sonntagmorgens, während die anderen zur Messe waren, macht ich mich
hübsch und ging aus der Hintertür, das Netz in der Hand, den Frack
voller
Pflaumen. Hell schien die Sonne. Vom Garten ins Feld, vom Feld in die
Wiesen
dämelt ich glücklich dahin. Schmetterlinge folgen in Menge. Von Zeit zu
Zeit
erhascht ich einen, besah ihn und ließ ihn fliegen, denn von der
gewöhnlichen
Sorte hat ich längst alle Kasten voll.
Aber
jetzt, in der Ferne, flog einer auf, den kannt
ich noch nicht.
Ich
los, hinter ihm her, über
Hecken und Zäune, wohl zwei, drei Stunden lang in einer Tour, bis mir's
schließlich zu dumm wurde. Unwillig warf ich mich ins Gras. Oben in der
Luft
schwebte ein Habicht. Vertieft in seine sanften Bogenzüge, war ich bald
eingedämmert.
Als
ich erwachte, wollte die Sonne schon untergehn, und da es die
höchste Zeit war, nach Hause zu eilen, kletterte ich auf einen Baum am
Rande
des Waldes, um zu sehen, wo ich denn eigentlich wäre. Nichts als
unbekannte
Gegend in der Weite und Breite. Erst verdutzt, dann heiter und
gleichgültig,
ergab ich mich in mein Schicksal. Ich stieg herab, suchte einen
gemütlichen
Platz, setzte mich und fing an, Pflaumen zu essen. Plötzlich, mir
stockte der
Atem vor freudigem Schreck, kam er angeflattert, der reizende
Schmetterling,
geschmückt mit den schönsten Farben der Welt und ließ sich frech auf
der Spitze
meines Fußes nieder. Leise hob ich das Netz. Ich zielte bedachtsam.
Witsch!
dort flog er hin. Aber gut gezielt war's doch, denn mit dem eisernen
Netzbügel
hatte ich richtig die kleine Zehe gestreift, genau da, wo sie am aller
empfindlichsten war. Ich sprang auf, tanzte auf einem Bein und pfiff
dazu.
"Ähä!"
lachte wer hinter mir. "Aufs
Auge getroffen!"
Ein
hübscher, blasser Bursch, gekleidet wie ein Jägersmann, saß unter einer
Buche.
"Ich
bin der Peter"" sagt ich und setzte mich zu ihm.
"Und
ich der Nazi!" sagt er.
Um
seinen linken Arm ringelte sich eine silberglänzende Schlange, die auf
dem
Kopf ein goldenes Krönchen hatte, und auf seinen Knien hielt er ein
Vogelnest
mit kleinen, blaugrünen Eiern darin.
"Ein
verdächtiges Vieh!" sagt ich misstrauisch. "Es beißt wohl
auch?"
"Mich
nie. Gelt, Cindeli!" sprach er, indem er ihr ein Ei hinhielt.
Ich
trug auf der bloßen Brust ein Medaillon, eine Goldmünze, das Geschenk
eines
Paten. Die Schlange machte sich lang danach.
"Sie
wittert das Gold", sagte der Jäger.
"Teufel,
duck dich!" rief ich und gab ihr mit dem Stiel meines Netzes
einen kurzen Hieb über die Nase.
Zornig
zischend fuhr sie zurück, wickelte sich los und schlüpfte raschelnd ins
Gebüsch. Der Jäger, nachdem er mir vorher noch schnell einen Stoß auf
den Magen
versetzt hatte, dass ich die Beine aufkehrte, lief hinter ihr her.
Allmählich
wurde es im Walde pech-teer-tonnen-dunkel. Die Luft war mild. Ich
lehnte mich an den Baumstamm und entschlief augenblicklich, ja, ich
kann wohl
sagen, noch eher.
Überhaupt,
schlafen, das konnt ich ohne jede
Mühwaltung; und fest schlief ich auch, fast so fest, wie die Frau mit
dem guten
Gewissen, der die Ratten über Nacht die große Zehe abfraßen, ohne dass
sie was
merken tät.
oben
__________________________
Textgrundlage:
"Der
Schmetterling"
Wilhelm Busch.
Werke:
Historisch-kritische Gesamtausgabe, Bde. I - IV,
Band 4, Hamburg 1959 -
gemeinfrei
Quelle: zeno.org
Logo 119: "Inachis
io"
Urheber: Che,
Lizenz: CC,2.5
US-amerikanisch
wikimedia
|
lifedays-seite - moment
in time |
|
|
|
|
|
|
|