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Literatur


04.3


Geschichten - Wilhelm Busch

Der Schmetterling

 

Der Schmetterling 11


Nachdem ich eine sitzende Stellung angenommen, mir die Augen gerieben und mich behaglich gedehnt und gereckt hatte, als hätt' ich nach einer längeren Fußtour einen gesunden erquicklichen Schlaf getan, bemerkte ich erst, dass ich mich in einem geräumigen Garten befand, den eine hohe Mauer umgab.
Dicht vor mir lag ein Feld mit Kohl bebaut, lauter Kappisköpfe von beträchtlicher Dicke. Auf den Blättern saßen zahllose Raupen und fraßen und verpuppten sich mit großer Geschwindigkeit, und schon im nächsten Augenblick brachen die Hüllen auf, und ein buntes Gewimmel von Schmetterlingen erfüllte die Luft.

Aber auch ein Baum stand da von erstaunlicher Höhe, ganz dicht besetzt mit Nestern, aus denen unaufhörlich ein Schwarm von Vögeln herausflatterte, so schwarz wie Raben und so flink wie Fliegenschnäpper.

Und, was mich am meisten wunderte, der Kohl wuchs zusehends vor meinen Augen, und im Umsehen wurden allerlei Menschen daraus, und jeder Kappismensch hatte ein Netz in der Hand, und die Schmetterlinge flogen über die Mauer und die Vögel und die Menschen hinterher.

Das Feld links neben mir war noch nicht bestellt. Zwei Männer waren beschäftigt, es umzugraben. Sie machten eine Pause, lehnten sich auf ihre Spaten und sahen sich um; und jetzt bemerkte ich erst, dass es gar keine richtigen Mannsbilder waren, sondern zwei riesige Käfer, der eine in einem schwarz-gelb-bunten Röcklein, ein Totengräber, der andere blauschwarz, von der Sorte, die wir, wenn wir unter uns sind, schlichtweg mit dem Namen Mistkäfer bezeichnen.

Die Sonne senkte sich schon. Trotzdem sagte der Totengräber zu mir:
"Guten Morgen! Grad hatten wir vor, dich unterzugraben!"
"Oho!" rief ich.
"Na!" sagte er. "Sieben Jahre gelegen, ist doch wohl lange genug!"
Ich lächelte wie einer, der Spaß versteht.
"Wir wollen Dumme säen!" fuhr er fort. "Gleich einen ganzen Acker, damit sie nicht alle werden."
"Man braucht halt Dünger!" meinte der Mistkäfer.
Um auf etwas anderes zu kommen, sagte ich: "Ihr habt hier mehr schwarze Vögel als bunte Schmetterlinge, wie ich sehe."
"Ganz richtig!" erwiderte der Mistkäfer. "Erst drüben, jenseits der Mauer merkt man es recht. Für jede angenehme Erwartung gibt's mindestens drei unangenehme Möglichkeiten.
"Also leg dich und halt uns nicht auf!" mahnte ungeduldig der Totengräber.
"Nur schad um den schönen Bart!" meinte der andere. Ich griff ans Kinn. Es war so. Ich hatte einen ellenlangen Bart gekriegt. Sollte denn wirklich, dacht ich ... Aber eh ich noch weiter dachte, flatterte aus dem Kohlfelde mein Schmetterling auf, in verjüngter Herrlichkeit, so munter und farbenschön, wie ich ihn noch niemals gesehen hatte.
"Ein Netz!" schrie ich. "Ich will hinaus!".
"Wer will, der darf!" brummten die Käfer.

Der eine gab mir ein Netz, der andere einen Schlag mit der flachen Schaufel hinten vor zur Nachhilfe und dort hupft ich hin, über die Mauer, mit übernatürlicher Leichtigkeit, in hohen Bogensätzen, gleich wieder emporschnellend, sobald ich nur eben mit der Spitze des Fußes den Boden berührte, wie's zuweilen in unbehinderten Träumen geschieht, wenn die Sohlen so elastisch sind, als säßen Sprungfedern drunter. Auch würd ich den Schmetterling sicher erwischt haben, denn ich war fast noch scheller als er, hätte ihn mir nicht einer von den schwarzen Vögeln grad weggeschnappt, als ich eben den entscheidenden Hieb tun wollte. Ärgerlich warf ich das Netz fort, hupfte gleichgültig weiter und machte erst, als es lange schon Nacht geworden und ich in der Ferne was Helles sah, wieder höhere Sprünge. Alsbald befand ich mich in einem Park, dicht vor den Fenstern eines hell erleuchteten Schlosses, wo es lustig drin zuging bei den Klängen der herrlichsten Blechmusik.

Es war vornehme Gesellschaft. In allen Sälen wurde gespielt. Mein erster Blick fiel auf Lucinde, die lachend am Spieltische saß. Eine fünf Ellen lange, silbergestickte Schleppe ringelte sich neben ihr auf dem Teppich, wie eine glitzernde Schlange. Sie hatte einen Haufen Gold vor sich liegen. Ihr Gegenpart war ein jovialer Herr, schon ziemlich bei Jahren, dessen Hände und Gesicht ganz schwarz aussahen. Seine Nägel waren sehr lang, seine Ohren sehr spitz, seine Nase sehr krumm, und auf der Stirn hat' er zwei niedliche vergoldete Bockshörnchen sitzen. Der alte Schumann war auch da. Er blitzte von Diamanten, spielt aber nicht mit, sondern ging nur schmunzelnd von Tisch zu Tisch. Er schien der Gastgeber zu sein.

Gern hät' ich noch länger zugesehn, wär nicht ein schwarzer Hund mit feurigen Augen um die Ecke gekommen, der fürchterlich bellte, sodass ich mit einem einzigen Satz hinaus vor das Schlosstor hupfte.

Hier hielten bereits die Equipagen, um die Herrschaften abzuholen. Die Lakaien, die herumstanden, machten einen soliden, vertrauenserweckenden Eindruck. Sie waren weiß gepudert, glatt rasiert, dick und fett, und jeder trug in großen goldenen Buchstaben einen trefflichen Wahlspruch auf der Livree, der eine "Gut", der andere "Schön", der dritte "Wahr", der vierte "ora", der fünfte "labora", und so ging's weiter.
"Es freut mich" - sagte ich -, "solche biederen Leute zu sehn!"
"Mit Recht!" sprach der Dickste von allen, dem "Treu und Redlich" am Buckel stand. "Wir sind die guten Grundsätze."
Gerührt wollte ich ihm die Hand drücken, aber sie war weicher als Butter, und als ich ihm auf die Schulter klopfte, sackte der Kerl zusammen wie ein aufgeblasener Schlauch, wobei ihm die ausströmende Luft geräuschvoll durch sämtliche Knopflöcher pfiff.
"Ha, Windbeutel!" rief ich. "Seid ihr denn alle so?"
Eh ich dies noch genauer untersuchen konnte, kamen Diener mit Fackeln vom Schlosse her. "Platz für Se. Durchlaucht, den Fürsten dieser Welt!" hieß es. "Mach dich fort, du Lump!"

Eilig hupfte ich die Chaussee entlang. Eine Karosse, hell glühend wie feuriges Gold, kam hinter mir hergerasselt. Drinnen, in die schwellenden Polster gelehnt, saß traulich schäkernd der schwarze Herr bei der Hexe Lucinde. Hintenauf stand "Treu und Redlich", der fette Lakai, und wurde gerüttelt, dass ihm alle vier Backen wabbelten; und was das Drolligste war, zwischen den Schößen seines Bedientenfracks baumelte neckisch ein Kuhschwanz.

Der Anblick reizte mich. In plötzlichem Übermut, mit raschem Griff, erfasste ich den Wedel und schwang mich, den rechten Fuß voran, aufs Kutschenbrett. Ebenso gut hätt' ich auch auf die Platte des höllischen Bratofens springen können, wenn grad zugekocht wird für Großmutters Geburtstag. Ein Gelächter von Seiten Lucindens, als ob sie gekitzelt würde; ein Schrei meinerseits, als ob ich am Spieße steckte; ein Purzelbaum nach hinten; und unten war ich auf der platten Chaussee, in der unglücklichen Lage eines auf den Rücken gefallenen Maikäfers.
Ächzend kroch ich seit ab in den Graben. Der Brandschaden war beträchtlich, doch braucht ich, um ihn näher zu besichtigen, den Stiefel nicht auszuziehen, denn mein rechter Fuß stand frei zutage, in Gestalt einer einzigen Blase. Infolge dessen hegt ich den lebhaften Wunsch, es möchte wer kommen, der mich mitnähme.

Endlich, im Morgennebel, näherte sich langsam rumpelnd ein ländliches 'Fuhrwerk. Vorn, auf einem Bund Stroh saß das Bäuerlein und sang bereits in aller Früh gar fröhlich und wohlgelaunt:
 
Gretelein hupft in die Höh,
Dass ich deine Strümpfe seh,
Weiß wie der Schnee alle zwee
Hopsa, huldjeh!

und hinter ihm, als einziges Gepäckstück, stand ein langer, schlichter Kasten von Tannenholz.



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Textgrundlage: "Der Schmetterling" Wilhelm Busch.
Werke: Historisch-kritische Gesamtausgabe, Bde. I - IV,
Band 4, Hamburg 1959 - gemeinfrei

Quelle: zeno.org

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