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04.3
Geschichten - Wilhelm Busch
Der
Schmetterling
Kaum
hatten dies die Hühner erspäht, so rannten sie
herbei und versuchten gleichfalls ihr Glück, eins nach dem andern, wohl
ihrer
zwanzig; indes alle Hiebe und Stöße scheiterten an der zähen
Hartnäckigkeit
dieser Schwarte. Zuletzt kam ein munteres Schweinchen dahergetrabt und
verzehrte sie mit spielender Geläufigkeit; und so blieg sie doch in der
Verwandtschaft.
Während
dieser Zeit hatten sich die beiderseitigen Gockel unverwandt angeschaut
mit teuflischen Blicken; ohne Zweifel, weil sie sich schon lange nicht
gut
waren von wegen der Damen. Plötzlich krähte der Dicke im
Chochinchina-Bass:
Kockerokoh!
Dieser verhasste Laut gab dem Dünnen einen furchtbaren Riss. Mit
unwiderstehlichem Vorstoß griff er den Dicken so heftig an, dass sich
dieser
aufs Laufen verlegte um die Pfütze herum. Der Dünne kam nach. Gewiss
zehn
Minuten lang liefen sie Karussel; bis der Dicke, dem vor Mattigkeit
schon
längst der Schnabel weit offen stand, unversehens unter Aufwand seiner
letzten
Kräfte seitab auf das Dach flog, wo er ein mächtiges Kockerokoh!
erschallen
ließ, damit nur ja keiner glauben sollte, er hätte den kürzeren gezogen.
Sofort
schwang sich der Dünne auf den Gipfel des feindlichen Düngerhaufens;
jedenfalls mit der Absicht, von dieser Höhe herab durch ein
durchdringendes
Kikerikih! im Tenor der Welt seinen Sieg zu verkünden.
Ehe
er noch damit anfangen konnte, sah er sich veranlasst, laut krächzend
in
die Höhe zu fliegen.
Der
rothaarige Knabe, heimlich heranschleichend mit der Peitsche, versetzte
ihm
einen empfindlichen Klaps um die mageren Beine. Aber schon, aus dem
Nachbarhaus, war der Schwarzkopf mit einer Haselgerte als Rächer des
seinerseitigen Gockels herbeigekommen und erteilte dem Rothaarigen grad
da, wo
die Hose am strammsten saß, einen einschneidenden Hieb.
Hell
pfiffen und klatschten die Waffen. Man wurde intimer; man griff zu Haar
und Ohren; man wälzte sich in die Pfütze; aus dem Kampf zu Lande wurde
ein
Seegefecht. Für mich ein spannendes Schauspielt. Ich war so begeistert,
dass
ich ermunternd ausrief: "Fest, fest! Nur nicht auslassen!"
Im
selben Augenblick ruhte der Streit. Mein Kopf wurde bemerkt; eilig zog
ich mich
zurück. Aber sogleich waren die Schlingel hinter mir her. Sie warfen
mich mit
Erdklößen; ich drehte mich um und ermahnte sie, artig zu sein; sie
schimpften
mich Stadtfrack! Ich verwies sie ernstlich zur Ruhe, und nun schrien
sie
Haarbeutel! Haarbeutel! als ob ich betrunken wäre. Schleunigste Flucht
schien
mir ratsam zu sein. Bald war ich weit voraus. Im Gehölz fand ich einen
Baum,
der von oben her hohl war. Umgehend sass ich drin, wie der Tobak im
Pfeifenkopf, nicht zu fest und nicht zu locker.
Zwar
die bösen Knaben folgten mir und kicherten und flüsterten noch eine
Zeitlang um den Baum herum; aber ich war ihnen zu schlau gewesen, denn
ohne
mich weiter zu belästigen, zogen sie ab. Mein Platz schien mir so recht
geeignet zum Übernachten, und eben war ich im Begriff, recht behaglich
zu
entschlummern, als ich unten was krabbeln fühlte.
"Zapperment!"
dacht ich gleich. "Dies sind Ameisen!"
Schleunigst
sucht ich mich empor zu arbeiten, um mir eine anderweitige
Schlafstelle zu suchen, aber der Frack unterhalb musste sich
festgehackt haben
und ließ mich nicht hochkommen, und ausziehn konnt ich ihn auch nicht,
denn der
Spielraum für die Ellenbogen war zu gering.
Indem,
so hört ich Stimmen. Wie ich durch einen Spalt bemerken konnte, waren
es
zwei Kerls, die einen Esel am Strick hatten. Sie banden ihn an einen
Ast, dicht
vor meiner Nase.
"Haha!"
lachte der eine. "Den hätten wir ihm mal listig
wegstibitzt."
"Wird
keine Sünd sein!" meinte der andere. "Der alte Schlumann
hat Geld wie Heu!"
Dann
öffneten sie ihren Quersack, setzten sich und fingen an, fröhlich zur
Nacht zu essen.
Unterdes
hatten die Ameisen ihre Heerscharen vollzählig entwickelt. Sie
krabbelten nicht bloß, sie zwickten nicht bloß, nein, sie ätzten mich
auch mit
ihrer höllischen Säure, und zwar an den empfindlichsten Stellen. Alle
sonstigen
Besorgnisse beiseite setzend, brüllt ich um Hilfe.
Die
Spitzbuben, aufs äußerste erschreckt durch die gräßlichen Laute, um so
mehr, als sie kein gutes Gewissen hatten, flohen eilig, ohne den Esel
erst
loszubinden, in das tiefste Dickicht des Waldes hinein. Ich schrie
unaufhörlich, und der Esel fing auch an.
In
diesem Augenblick kam ein Mann mit einer Laterne.
Er streichelte den Esel und beleuchtete ihn von allen Seiten, und dann
beleuchtete er auch mich in meiner Bedrängnis.
"Komm
hervor aus dem Rohr!" sprach er ernst.
"Der
Frack, der Frack!" schrie ich. "Der leidts halt
nicht."
"Da
werden wir mal nachsehn!" sprach er gelassen. "Ja, dies ist
erklärlich; denn hier aus dem Astloch steht er heraus, zu einem Knoten
verknüpft,
und ein Stäbchen steckt als Riegel dahinter."
"Das
haben die verdammten Bengels getan!" rief ich entrüstet.
Es
war die höchste Zeit, dass ich los kam. Wie ein Pfropfen aus der
Flasche
flog ich zum Loch heraus, und der alte Schlumann, denn der musste es
sein,
brach einen Zweig ab und klopfte mich aus wie ein Sofakissen, wo die
Motten
drin sitzen.
Er
trug Rohrstiefel, einen Staubmantel von Glanztaffet und einen
breitkrempigen
Hut. Es war ein ansehnlicher Herr von fünfzig bis sechzig Jahren mit
graumeliertem
Bart und Augen voll ruhiger Schlauheit. Wohlwollend grüßend, bestieg er
seinen
Esel, ermunterte ihn mit den Worten: "Hü, Bileam!" und ritt langsam
in die Richtung des Dorfes fort.
Die
Diebe hatten unter anderem ein kaltes Hühnchen zurückgelassen. Ich ging
damit abseits, verzehrte es, wühlte mich in trockenes Laub, legte mich
aufs
Gesicht, damit mir nicht wieder was in den Mund fiel, und schlief
unverzüglich
ein.
Es
mochte halbwegs Mittag sein, als ich durch ein empfindliches
Schmerzgefühl
an beiden Seiten des Kopfes geweckt wurde. Zwei Schweine waren eben
dabei, mir
die Ohren, die sie vermutlich für Pfifferlinge hielten, vom Kopfe zu
fressen,
hatten aber erst ganz wenig heruntergeknabbert. Im Kreise um mich her
wühlte
die übrige Herde.
Der
Hirt, ein kleiner, alter Mann mit einem dreieckigen Hut, strickte an
einem
blauen Strumpfe; und bei diesem treuherzigen Naturmenschen beschloss
ich, mich
noch mal ernstlich zu erkundigen, ob er nicht wüsste, wo die Stadt
Geckelbeck
läge.
Das,
sagte er, könnte er mir ganz genau sagen, denn vor dreißig Jahren hätte
er
dort mal siebzehn Ferkel gekauft, und sie wären auch alle gut
eingeschlagen,
bis auf eins, das hätten die andern immer vom Troge gebissen, und da
hätt' es
vor lauter Hunger am Montag vor Martini einen zinnernen Löffel
gefressen und am
Dienstag eine Kneipzange und am Mittwoch dem Sepp sein Taschenpistol,
den Lauf
zuerst, und wie es an dem Zündhütchen geknuspert hätte, wär der Schuss
losgegangen, mitten durch die inneren Teile und noch weit hinten hinaus.
"Seht!"
fuhr er fort. "Dort zwischen den Bäumen hindurch, grad
wo ich mit diesem Strickstock hinzeige, da liegt Dösingen, und zwei
Stunden
hinter Dösingen kommt Juxum, und dann kommt sechs Wochen lang nichts,
und dann
kommt der hohe Dumms, wo's oben immer so neblig ist, und von da sieht
man erst
recht nichts; und ... "
"Danke,
lieber Mann!" unterbrach ich ihn. "Und, bitte, haltet
Euch bedeckt!"
Hierbei
trieb ich ihm mit der flachen Hand seinen dreieckigen Hut über Nase und
Ohren, und als er schimpfen wollte, konnte er es nicht, weil ihm die
Nase über
das Maul gerutscht war.
Als
ich den Wald verließ, lag die angenehmste Landschaft vor mir
ausgebreitet,
Wiesen, von Hecken umgeben; ein See, ein Dorf im Dunst der Ferne. Die
Nacht war
schwül gewesen; der Tag wurde es noch mehr. Die Schwalben flogen tief;
und eine
graue Wolke, wie ein Sack voll Bohnen, stand lauernd am Horizont. Die
Sonne
verfinsterte sich; ein Schatten machte sich über der Gegend breit; die
Wolke,
nunmehr mit einer langen, gelblichen Schleppe geziert, war drohend
heraufgestiegen. In ihrem Innern grollte es bereits; ein Wind erhob
sich, und
dann kam brausend und prasselnd die ganze Bescherung.
In
der Wiese, wo ich mich befand, war Heu gemacht; an der Hecke bemerkt
ich
eine kleine Hütte von Zweigen; ich schlüpfte spornstreichs hinein.
So
gehts, wenn man nicht erst zusieht! Ich fiel direkt in zwei offene
Weiberarme und wurde auch umgehend so heftig gedrückt und abgeküsst,
dass ich,
der so was nicht gewohnt war, in die peinlichste Angst geriet.
"Höh!
Höh!" schrie ich aus Leibeskräften.
"Satan, lass los! "Gleichzeitig
schlug ein blendender Blitz in den nächst liegenden Heuhaufen, und
ein Donnergepolter folgte nach, als wäre das Weltall von der Treppe
gefallen.
Meine
zärtliche Unbekannte ließ mich los und sprang vor die Hütte.
"Ätsch! Fehlgeschossen!
Hier saß ich!" rief sie spottend in die
Wolken hinauf und dann tanzte sie lachend um den brennenden Heuschober.
Die
blitzenden Zähne; das schwarze Haar, durchflochten mit goldenen Münzen;
unter
dem grauen flatternden Röcklein die ziehrlichen Füße; dies alles, kann
ich wohl
sagen, schien mir äußerst bemerkenswert.
Mit
dem letzten Krach war das Wetter vorübergezogen. Vergnüglich und
unbefangen, als sei zwischen uns beiden nichts vorgefallen, setzte sich
das
Mädel wieder zu mir in die Hütte. Sie machte die Schürze auf. Es waren
gedörrte
Birnen drin, meine Lieblingsfrüchte, und als ich sie essen sah, wollt
ich auch
zulangen. Aber jedes Mal kniff sie die Knie zusammen, zischte mich an
und gab
mir neckisch einen Knips vor die Nase. Schließlich erwischt ich doch
eine beim
Stiel. Sofort krümmte sich diese Birne und biss mich in den Finger,
dass das
Blut herausspritzte. Ich hatte eine Maus beim Schwanze. "Au!" rief
ich und schlenkerte sie weg. "Wart, Hex, jetzt krieg ich dich!"
Aber
schon war die hübsche Zauberin aufgesprungen und hatte mir sämtliche
Birnen vor die Füße geschüttet. Dies Mäusegekrabbel! Die meisten liefen
weg;
nur eine war mir unter der Hose hinaufgeklettert, das Rückrat entlang,
bis an
die Krawatte, wo sie nicht weiter konnte, und nagte hier wie verrückt,
um
heraus zu kommen, und bevor ich mich noch ausziehen konnte, hatte sie
auch
schon, wie sich später zeigte, ein zirkelrundes Loch durch Hemd, Weste
und
Frack gefressen.
Als
ich mich von dieser Aufregung wieder einigermaßen gesammelt hatte, sah
ich
mich um nach dem Blitzmädel, der Hexe; denn ich hatte Mut gefasst und
wollte
ihr mal recht ins Gewissen reden von wegen der Zauberei, und danach, so
nahm
ich mir vor, wollte ich ihr zur Strafe für ihre Schändlichkeit einige
herzhafte
Küsse geben. Ich suchte und suchte, in der Hütte, in der Hecke. Nichts
lebendiges war zu bemerken, außer einem Laubfrosch, einem Zaunigel,
vielen
Maikäfern und dem Schwanz einer silbergrauen Schlange, die grad in
einem
Mausloch verschwand.
Weiterhin
schlich der Jägernazi herum, als ob er was verloren hätte. Er sah
recht verstört aus und ging an mir vorbei, ohne mich zu beachten.
Auch
ich war etwas trübselig geworden; denn nicht nur spukte mir das Mädel
im
Schädel, sondern als ich Frack, Hemd und Weste ablegte, um den
Mäuseschaden zu
besichtigen, fehlte mir auch mein goldenes Medaillon, das ich bisher
immer so
sorgsam bewahrt hatte.
oben
__________________________
Textgrundlage:
"Der
Schmetterling"
Wilhelm Busch.
Werke:
Historisch-kritische Gesamtausgabe, Bde. I - IV,
Band 4, Hamburg 1959 -
gemeinfrei
Quelle: zeno.org
Logo 119: "Inachis
io"
Urheber: Che,
Lizenz: CC,2.5
US-amerikanisch
wikimedia
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