lifedays-seite

moment in time

 
 
Literatur


04.3


Geschichten - Wilhelm Busch

Der Schmetterling



Der Schmetterling 5


Nach dem Gewitter hatte sich die Luft empfindlich abgekühlt, so dass mir abends die Zähne im Munde klapperten. Daher schien es mir ratsam, mich nach einem Quartier umzusehen, wo ich unter Dach und Fach übernachten konnte. Ich versteckte mein Netz, näherte mich einem einsamen Bauernhofe und besah die Gelegenheit. Aus einer offenen Luke im Giebel hing Stroh herab; eine Leiter stand davor. Zu Nacht, als alles still geworden, stieg ich hinauf. Es war ein einfacher Bretterboden. Ich machte mich so leicht wie möglich. Knacks! Da brach ich schon durch.

Ich fiel weich auf ein Bett, wie ich merkte. Aha! dacht ich. Das trifft sich gut! Dies ist sicher die Fremdenkammer! und wollte mir's bequem machen. Aber neben mir rührte sich was.

"Kunrad!" rief eine Weiberstimme. "Kunrad, der Sack ist durch die Decke gefallen."
"Dummheit! Du träumst! Dreh dich um!" gab eine schläfrige Männerstimme zur Antwort.
"Kunrad!" kreischte die Frau. "Der Sack hat Haar auf dem Kopf!"
"Ich komm schon!" klangs munter aus dem andern Bett herüber.
Es schien mir nicht ratsam, noch länger zu verweilen. Ich trat klirrend in ein Gefäß voll Flüssigkeit; ich tappte mit den Händen in fünf, sechs offene Mäuler. Die Kinder heulten, die Frau schrie: "Ein Dieb! EinDieb!" und der Bauer fluchte und schwur, dass er ihn schon kriegen und durch und durch stechen wollte, wenn er nur gleich einen Säbel hätte. Zum Glück fand ich eine Tür, die in den Nebenraum führte. Hier kriegt ich den Kopf einer Kuh zwischen die Arme, und als ich das haarige Gesicht und die zwei harten Hörner fühlte, erschrak ich und dachte schon, es sei der kräftige Knecht mit der Heugabel. Das bekannte Hamuh! gab mir die Besonnenheit zurück. Ich sprang aus der Klappe und schlich mich hinter dem Schweinestall herum durch den Gemüsegarten ins Feld. Alles, was Stimme hatte, war wach geworden: Hund, Hühner, Schweine, Kühe, Ziegen und Gänse; aber am längsten hört ich noch die leidenschaftlichen Äußerungen der Familie, die aus weitgeöffneten Mäulern und Fenstern hinter mir herschimpfte.

Ohne erst mein Netz zu holen, lief ich die halbe Nacht hindurch, bis ich einen Teich erreichte, in dessen Nähe ein Mühlrad rauschte.

Schön gelb und rund, gleich dem Eierkuchen in der Pfanne, ehe er völlig gereift ist, schwebte der Mond im Himmelsraum. Ich war ungemein wach und warm geworden. So setzt ich mich denn auf das Wehr und hörte zu, was sich die Frösche erzählten, die ihre gesellige Unterhaltung, worin sie durch meine Ankunft gestört waren, alsbald wieder anknüpften.

"Frau Mecke! Frau Mecke" fing die eine Fröschin zur andern an. "Was ba-backt Ihr denn morgen?"
"Krapfen!Krapfen! Frau Knack!" entgegnete die Frau Mecke.
"Akkurat mein Geschmack!" quakte die Frau Knack.

Und kaum, dass sie diese Ansicht geäußert hatte, so stimmten sämtliche Frösche ihr bei und erklärten laut und einstimmig, die Frau Knack-ack-ack-ack hätte den wahren Geschmack-ack-ack-ack, und da blieben sie bei und hörten nicht auf, bis ich gegen Morgen einen dicken Stein holte und mitten ins Wasser plumpste.

Inzwischen hatt' ich allerlei in Erwägung gezogen. Durch die vorwiegend pflanzliche Nahrung war meine Natur doch sehr merklich ermattet. Auch bedurfte meine Wäsche, die nur aus 1/12 Dutzend Hemden und 1/12 Duzend Paar Strümpfen bestand, recht dringend der Ergänzung. Daher beschloss ich, mir in der Mühle einen Dienst zu suchen.

Auf meine Anfrage, ob's nichts zu flicken und zu stopfen gäbe, gab der Müller die freudige Antwort.
"Nur herein, mein Sohn, es ist ein gesegnetes Mäusejahr; kein Sack ohne Löcher!"

Drei Wochen lang hantierte ich emsig mit Nadel und Zwirn; aber die sitzende Lebensweise gab mir auch die beste Gelegenheit, in aller Stille an die reizende Hexe zu denken und allerlei Pläne zu schmieden, wie ich sie wieder erwischen könnte. Unwiderstehlich erwachte die Wanderlust; die Beine fingen an zu zappeln wie fleißige Weberbeine, und eines schönen Morgens stand ich reisefertig da, mit einem neuen Netz in der Hand, und sprach:

"Meister, ewig können wir nicht beieinander sein. Gehabt Euch wohl!"

Nachdem ich meinen Lohn erhalten, spazierte ich mit munteren Schritten den Bach entlang. Ich war ordentlich plus und prall geworden. Und pfeifen tat ich, und zwar schöner als je, denn grad durch das ärgerliche Loch, was mir der Strolch in die Zähne geworfen, bracht ich nun die kunstvollsten Töne hervor.

Die Landschaft, in die ich zuerst gelangte, sah sehr einförmig aus. Die Kartoffeln standen gut, indess ungewöhnlich viele Schnecken gab es daselbst, die, wie mir schien, noch viel langsamer krochen als anderswo.

Bald erreicht ich ein idyllisches Dörflein. Alle Häuser hingen gemütlich schief auf der Seite;  desgleichen die Wetterhähne auf den Dächern. Auf den Türschwellen im warmen Sonnenschein hockten die Mütter und besahen so beiläufig den Kindern die Köpfe, während die Mannsbilder draußen auf der Bank saßen und versuchten, in dieselbe Stelle zu spucken, was, wenn es gelingt, ja den Ehrgeiz befriedigt. Nur einer machte sich etwas Bewegung auf der Gasse. Er ließ seinen Stock fallen. Mühsam und seufzend hob er ihn auf, aber dann ging er auch gleich ins Wirtshaus zu seiner Erholung.

Ein Dickwamps sah schläfrig zum Fenster heraus.
"Ihr da, mit dem Dings da!" sprach er mich an. "Ihr könntet mir zu etwas behilflich sein." Ich trat ins Haus. In langgedehnter, zähflüssiger Rede tat er mir kund, um was es sich handelte: Er hätte eine Kanarienvogelhecke oben unter dem Dach, die möchte er gern, von wegen des lästigen Treppensteigens, nach unter verlegen, aber das Viehzeug, um es einzufangen, sei gar  zu flüchtig für ihn, und da wär ich mit meinem Netz grad recht gekommen.

Ich stieg voran die Treppe hinauf. Er ließ sich nachschleppen, indem er meine Frackschöße erfasste, und es wundert mich nur, dass dieselben bei der Gelegenheit nicht ausgerupft und entwurzelt sind. Trotzdem, als wir die Dachkammer erreichten, musste ich ihm erst lange den Rücken klopfen, bis er wieder zu Atem kam; so dick war der Kerl.

Mit Leichtigkeit, vermittelst meines Netzes, erhascht ich sämtliche Vögel, es mochten ihrer zwanzig bis dreißig sein und steckte sie in einen Beutel, den ich auf einem Stuhl niederlegte. Nur ein altes, schlaues Weibchen konnt ich noch immer nicht kriegen.

Der Dicke, der starr und träge zugesehn wie ich so herumfuchtelte, mochte davon wohl etwas schwindlig und müde geworden sein. Mit dem Seufzer "achja!" ließ er sich in voller Sitzbreite auf den Stuhl niedersinken, wo der Beutel drauf lag. Keinen Ton gaben sie von sich, die armen Vöglein. Er merkte auch nichts, sondern saß friedlich da mit geschlossenen Augen, und als ich ihm ängstlich mitteilte, dass fast sein ganzer Singverein unter ihm läge, sprach er langsam und seelenruhig:
"Dann pfeifen's nimmer, das weiß ich gewiss!"
"Na!" rief ich. "So bleibt meinetwegen sitzen bis Ostern übers Jahr. Wünsch angenehme Ruh!"

Das alte Kanarienweibchen hatte sich ihm frech auf den Kopf gesetzt und pickte an dem Quart seiner Zipfelmütze. So verließ ich die Zwei.



oben

__________________________
Textgrundlage: "Der Schmetterling" Wilhelm Busch.
Werke: Historisch-kritische Gesamtausgabe, Bde. I - IV,
Band 4, Hamburg 1959 - gemeinfrei

Quelle: zeno.org

Logo 119: "Inachis io" Urheber: Che,
Lizenz: CC,2.5 US-amerikanisch

wikimedia

  lifedays-seite - moment in time