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Literatur


04.3


Geschichten - Wilhelm Busch

Der Schmetterling


Der Schmetterling 6

Am Ende des Orts war ein stattlicher Neubau im Werden. Drei Zementtonnen lagen da; aus zwei derselben schauten ein Paar Stiefel hervor. Ein einziger Maurer stand auf der Leiter mit dem Lot in der Hand und visierte lange mit großer Genauigkeit. Hierbei entglitt ihm die Schnur. Langsam stieg er herab; langsam wickelte er sie auf, langsam stieg er wieder nach oben. Als er bis zur Mitte der Leiter empor geklommen, entfiel ihm das Lot zum zweiten Male. Er nahm eine Prise, sah in die Sonne, wartete fünf Minuten vergeblich auf die Wohltat des Niesens, stieg langsam herab, machte Schicht und alsbald schaute auch aus der dritten Tonne ein Paar Stiefel hervor.

Um all dies mit Muße in Betrachtung zu ziehn, hatt' ich auf einem Steinhaufen Platz genommen. Ein Hausierer, der einen Packen mit Wollwaren trug, setzte sich zu mir.

"Merkwürdiger Ort, dieses Dösingen!" fing er an. "Den Flachbau haben sie längst aufgegeben; war ihnen zu langwierig, flicken die Schweineställe mit den Hecheln, die Zacken nach innen gekehrt, Rüsseltiere wühlten sonst immer die Wände durch; Gänsezucht vorherrschend jetzt, der Bettfedern wegen. Bequeme Leute; wenn sie gähnen, lassen sie meist gleich das Maul offen fürs nächste Mal. Hier verkauf ich die meisten Nachtmützen."

"Was wird denn das für ein Haus da?" fragte ich.

"Trottelheim. Der reiche Schröpf lässt's bau'n, der Klügste im ganzen Dorf seit er das große Los gewann. Diese wohltätige Anstalt, pflegt er zu sagen, ist nicht bloß für andere, sondern eventuell auch für mich, nach meinem Tode natürlich, denn, sagt er, wenn man auch als gescheiter Kerl stirbt, man weiß nie, ob man nicht als Trottel wieder auflebt."

Der Hausierer erhob sich. Ich erhob mich gleichfalls und fragte ihn, wie das nächste Dorf hieße.
"Huxum!" gab er zur Antwort: "Lustiges Nest."

Schon von weitem konnte man sehn, dass es ein fröhliches Dörfchen war. Die Saaten standen üppig; auf jeder Blume saß ein Schmetterling, in jedem Baum saß ein zwitscherndes Vögleich; rot schimmerten die Dächer und hellgrün die Fensterläden.

Ein munterer Greis gesellte sich zu mir. Auf meine Frage, wie er es angefangen, so alt zu werden, erwiderte er schmunzelnd: "Regelmäßig weiterleben ist die Hauptsache. Ich esse, trinke, schlafe regelmäßig und wenn meine Frau stirbt, so heirate ich regelmäßig wieder. Jetzt hab ich die fünfte. Ich bin der Bäcker Pretzel. Dort liegt das Wirtshaus. Gleich komm ich nach."

Aufgrund meiner Ersparnisse in der Mühle, konnt ich mir schon was erlauben. Ich kehrte ein. Da der lange Stammtisch bis auf den Ehrenplatz schon besetzt war, drückt ich mich auf die Bank hinter der Tür.

"Frau Wirtin!" sprach ich bescheiden. "Ich hätte gern ein Butterbrot mit Schlackwurst."
"Schlackwurst? Das glaub ich schon. Schlackwurst ist gut" rief laut lachend die dicke Wirtin. "Aber unsere Schlackwurst mein Schatz, die essen wir selbst!"

Dieser Scherz erregt bei der anwesenden Gesellschaft das herzlichste Gelächter. Alle bestätigten es, dass die Schlackwurst sehr schmackhaft, ja, die Königin unter den Würsten sei. Da die Wirtin ferner erklärte, sie habe es sich zur Regel gemacht, auch die Butter lediglich selbst zu genießen, so musst ich mit einem Stück Hausbrot und einem kleinen Schnapse vorlieb nehmen.
Die Schwarzwälder Uhr hakte aus, um fünf zu schlagen.
"Gleich wird Bäcker Pretzel kommen!" bemerkte die Wirtin. "Seit nun bereits fünfzig Jahren, präzis um Schlag fünf, setzt er sich hier auf seinen Platz und trinkt regelmäßig seine fünf Schnäpse."
"Das ist wie mit den ewigen Naturgesetzen!" erklärte der schnauzbärtige Förster. "Nicht wahr, Herr Apotheker?"
"Jawohl!" bestätigte dieser. "Man weiß, wie's war, also weiß man  wie's kommt. Was sagt Ihr dazu, Küster?"
"Tja, tja, tja!" sprach der bedenkliche Küster. "Ich hoffe, es gibt Ausnahmen von der Regel. Seit fünfzig Jahren hab ich sechzig Taler Gehalt; vielleicht ... "
"Ah; drum!" lachten alle.
Die Uhr schlug füng. Es fasste wer draußen auf die Türklinke.
"Hurra!" hieß es. "Da kommt Pretzel! Jetzt wird's lustig!"

Die Tür ging auf. Ein Bäckerjunge trat ein und teilte mit, dass der alte Pretzel soeben gestorben sei. Auf einen Augenblick des Schweigens folgte ein allgemeines Gelächter. Man lachte über sich selber, dass man so dumm gewesen war zu glauben, es gäbe was Gewisses in dieser Welt, und am End, meinte man, hätte der Küster doch vielleicht recht gehabt.

Am heftigsten lachte ein grau gekleideter Gast, so heftig, dass er ins Husten kam.
"Na freilich!" rief man. "Bäcker Prillke kann wohl lachen; jetzt hat er die Kundschaft allein:"

Die Fröhlichkeit steigerte sich noch, als jetzt im Nebensaal ein Klarinettenbläser und eine Harfenistin sich hören ließen. Die Burschen und Dirnen aus der Nachbarschaft drängten herein; bald wogte der Tanz; ich kriegte auch Lust dazu. Besonders eins von den Mädeln konnt ich nicht aus den Augen lassen, denn obgleich sie ein Kopftuch bis fast zur Nase trug, kam es mir doch so vor, als müsste es die reizende Zauberin sein, die mich letzthin so empfindlich geneckt hatte. Beim nächsten Walzer schwang ich mich mit ihr im Kreise herum.

"Meinst, ich kenn dich nicht?" sprach ich flüsternd. "Du bist 'ne Hex. Aus Hutzelbirnen kannst Mäuse machen."

"Haha!" lachte sie. "Das ist wohl mein Bas aus dem Gebirg. Die kann Künste. Aber gib acht. Lucindili heißt sie, wer kein Geld hat, den beißt sie."

Mein anmutig schwungvolles Tanzen, mein flatternder Schniepel, das rote Sacktüchel weit hinten hinaus, hatten indes ein freudiges Aufsehen erregt. Der Walzer ging zu Ende. Aufgeregt und übermütig warf ich den Musikanten ein Guldenstück zu, damit sie mir extra eins aufspielten. Aber als ich mich umsah nach dem Blitzmädel, hopste sie bereits dahin, umschlungen von den dürren Armen eines kleinen, putzigen Kerlchens mit Buckel hinten und Buckel vorn, die Weste gepflastert mit Silbermünzen, die Finger voll goldener Ringe und puppenlustig die Beine schlenkernd. Das wurmte mich. Ich trank zwei Schnäpse hintereinander und fing Krakeel an. Zwei Minuten später flog ich draußen, zu allgemeinem Vergnügen, sehr rasch die Treppe hinunter.

Anstatt mich nun alsbald so weit wie möglich von diesem lustigen Orte zu entfernen, stellt ich mich hinter den Zaun und passte auf, bis das Mädel nach Hause ging. Es war schon Abend geworden, als sie kichernd über die Straße eilte, das Buckelmännchen dicht hinter ihr. Gleich darauf machte sie Licht im Haus gegenüber, oben am offenen Fenster. Schmachtend blickt ich hinauf. Sie sah mich stehn, so schien's, und winkte mir zu. Schnell nahm ich einen Schubkarren, der dienstwillig dastand, richtete ihn an die Mauer, kletterte hinauf und streckte meine Arme über die Fensterbrüstung, um einzusteigen. Es war eins von jenen niederträchtigen Schubfenstern, die man von oben herunterließ. Mit Gerassel fiel es zu; die Scheibe, dicht vor meinem Gesicht, sprang klirrend entzwei, ein Pflock wurde vorgeschoben, ich saß mit beiden Armen fest bis über die Ellenbogen.

" Er sitzt in der Klemme! Lauf, Cindili, und sag Bescheid, dass sie kommen!"

Dies rief eine heisere Männerstimme; und wenn meine Lage an sich schon ängstlich genug war, so wurde sie jetzt geradezu peinlich, als ich zu meinem Schrecken bemerkte, dass aus dem Hintergrunde des Zimmers mein bucklichter Nebenbuhler höhnisch grinsend, mit dem Talglicht in der Hand, auf mich zukam.

"Du Leichtfittig" rief er und leuchtete mir in die Augen. "Du Mädchenverführer! Was denkst du dir nur, du abscheulicher Racker?"

Unterdes hatte er einen Korkstöpsel in die Flamme gehalten und machte mir damit erst mal einen schwarzen glühendheißen Schnauzbart von einem Ohr bis zum andern, und dann hielt er mir das Licht unter die Nase, dass sie darin lag wie ein Lötkolben, was sehr weh tat.

Aber das Schlimmste kam erst noch, denn jetzt kriegte er seine große Horndose aus der Tasche und rieb mir zwei tüchtige Portionen Schnupftabak in die Naslöcher, so dass ich fürchterlich niesen musste, und dabei stieß ich mit meiner armen Nasse fortwährend auf den harten Fensterrahmen, bis ich schließlich nicht mehr wusste, ob's Sonntag oder Montag war.

Inzwischen ging hinter mir auf der Gasse ein Kichern und Gemurmel los, und nicht bloss dies. Ein Klatschhieb nach dem andern fiel tönend auf meine gespannte Rückseite, darunter mancher von bedeutender Kraft, und Kniffe waren auch dabei, vermutlich von Weibern. Und dann hieß es: He Philipp! He, Christoph! Her mit dem Pisterohr!

Ach, wie emfpindlich stach das, wenn diese spitzen Geschosse, phütt, phütt! so plötzlich sich einbohrten in meine strammen Gesäßmuskeln, die durch die leichte Bekleidung so gut wie gar nicht geschützt waren. Und jetzt erhob sich ein allgemeines Freudengeschrei: "Apotheker Pillo kommt mit Feuerwerk!"

So zogen mir den Schubkarren unter den Füßsen weg. Bei prachtvoller bengalischer Beleuchtung, bald rot, bald grün, hing ich strampelnd an der Wand herunter.

Erst als das Feuerwerk sich seinem Ende nahte, schob man das Fenster hoch. Ich tat einen harten Fall; ich war geneigt zu harten Worten; aber die Genugtuung, mich ärgerlich zu sehn, wollte ich dem Publikum doch nicht bereiten; daher rappelte ich mich flink auf und verließ sorglos tänzelnd, im lustigsten Hopserschritt, den Schauplatz meiner Qual und Beschämung. Die heiteren Bewohner von Juxum sandten mir ein tausendstimmiges Bravo! nach.

Zur dauernden Erinnerung an dies Erlebnis hab ich die rote, geschwollene Kartoffelnase behalten, die verdächtig genug aussieht, obgleich ich seit jenem Tanzvergnügen den Schnapsgenuss immer sorgfältig vermieden habe. Was die andersseitigen Verletzungen anbelangt, so haben sie, so sehr dies zu befürchten stand, doch auf meine spätere Sitzfähigkeit keinen nachteiligen Einfluss ausgeübt.




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Textgrundlage: "Der Schmetterling" Wilhelm Busch.
Werke: Historisch-kritische Gesamtausgabe, Bde. I - IV,
Band 4, Hamburg 1959 - gemeinfrei

Quelle: zeno.org

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