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04.3
Geschichten - Wilhelm Busch
Der
Schmetterling
Der
Schmetterling 7
Nachdem
ich in dem nunmehr eifrigen Bestreben, das
lustige Juxum baldmöglichst weit hinter mir zu lassen, die ganze Nacht
durch
auf den Beinen geblieben, gelangt ich bei Sonnenaufgang in ein
schattiges
Waldgebirge. Vor einer kleinen Höhle stand ein knorriger Baum. In
ziemlicher
Höhe, an einem langen Aste desselben, hatte sich einer aufgehängt. Da
er das
linke Bein noch rührte, kletterte ich mit einiger Mühe und Gefahr nach
oben,
kriegte mein Messer heraus und schnitt eilig den Strick ab. Der
Unglückliche,
der sich durch Verlängerung des Halses sein Leben zu verkürzen
gedachte, war
noch elastisch und hüpfte daher, als er den Boden berührte, ein paar
mal auf
und nieder, ehe er umfiel.
Bei
näherer Besichtigung fand ich, es war der Jägernazi, der
Schlangenfreund,
der mir ehemals einen so empfindlichen Stoß unter die Rippen versetzte.
Ohne
Groll und Zögern jedoch machte ich mich dran, ihn in den verlorenen
Zustand eines bewussten Vorhandenseins wieder zurückzubringen. Ich
knöpfte ihm
die Joppe auf; ich knetete ihm mit Händen und Füßen die Magengegend;
ich
kitzelte und feilte mit einer stacheligen Brombeerranke seine lange,
weiße
Nase, ich holte groben Kies und eine Handvoll Ginster und schabte ihm
Brust,
Hals und Angesicht, um die erlahmten Gefühle zu reizen und aufzumuntern.
Endlich
hatte ich Erfolg. Mit den schmerzlich hingehauchten Worten: "Oh,
Schlange!" riss er die Augen auf, setzte sich, befühlte seine Kehle,
nieste, spukte aus und sah mich lange schief, aber scharf von der Seite
an.
Jeden Augenblick erwartete ich einen Ausbruch seiner Dankbarkeit gegen
mich,
der ihm so mühsam das Leben gerettet. Aber ich irrte sehr.
"Malefiztropf!"
plärrte er mir entgegen. "Nie meiner Lebtag hab
ich mich so gut unterhalten, wie diese letzten zehntausend Jahre, als
ich
nirgends zugegen war, und da geht der Narr her und verleid' und
zerschneid' mir
mein Freud, und da sitz ich nun wieder in der schlechtesten
Gesellschaft, die
sich nur denken lässt, in meiner und deiner, du langweiliger Peter, du!"
Allmählich
indes fing er an, die Gegenwart dieser Welt wieder erträglich zu
finden. Er wurde sogar heiter und mitteilsam.
"Eigentlich
sollte ich ein Klosterbruder werden", hub er an zu
erzählen. "Allein die edle Entsagung, die hierzu erforderlich ist,
fehlte
mir gänzlich. Ich lief weg und ließ mich anwerben bei den Soldaten;
aber
parieren mochte ich auch nicht gern.
Da,
wie's der Zufall so fügte, starb ein alter Vetter, der mir zehntausend
Gulden vermacht hatte. Wunderlicher Kautz, das! Hatte fünfhundert
Gulden
bestimmt für sein Grabmonument. Bildhauer ausdrücklich mit Namen
genannt.
Verständiger Künstler, ließ mit sich reden, nahm hundert Gulden für
nichts; und
der tote Herr Vetter wartet noch heut auf sein Denkmal."
"Das
war nicht gut!" meint ich.
"Wieso?"
fuhr der Nazi fort. "Sind vierhundert Gulden was
schlechtes? Kurzum, ich wurde flott. Ich lernte ein Mädel kennen; fein,
schlank, wundersam; ein verteufeltes Frauenzimmer. Zog mir spielend die
Seel
aus dem Leib und das Geld aus der Tasche. Mit dem letzten Dukaten, weg
war sie.
Ha, du Hex! Ha, du Schlange!"
Schon
glaubt ich, er wollte sich zum zweiten Mal aufhängen vor Wut und Gram;
aber er besann sich, lachte grimmig und lud mich ein, mit in seine
Höhle zu
gehn, wo er sich häuslich eingerichtet hatte; allerdings nur sehr
mangelhaft,
denn eine vielversprechende Flasche, die er, ein Auge zugekniffen,
gegen das
Licht hielt, erwies sich als inhaltslos. In der Ferne fiel ein Schuss.
"Weißt
du was, Freund Peter?" sprach der Nazi etwas hastig. "Am
besten ist's, wir gehn fechten bei den Bauern, damit wir was Warmes
kriegen."
Vorsichtig
voranschleichend, führte er mich nach der anderen Seite aus dem
Walde hinaus, quer durch die Felder, bis wir zum nächsten Dörflein
gelangten.
Gleich im ersten Haus fand unser Anliegen eine günstige Aufnahme.
"Grad
kommt ihr recht, ihr Herrn!", sagte die gemütliche Bauernfrau.
"Heut Mittag hat's Erbsenbrei mit Speck gegeben; der Speck ist alle;
aber
Brei gibt's noch in Hülle und Fülle."
Sie
brachte jedem einen aufgehäuften Napf voll, und der hölzerne Löffel
stak
drin. Freudig setzte ich den letzteren in genussreiche Bewegung. Freund
Nazi
dagegen, dem die Kost nicht behagte, pustete nur immer, als ob's ihm zu
heiss
wäre; und kaum, dass die gute Bäuerin den Rücken drehte, um wieder in
die Küche
zu gehn, so erhob er sich und entleerte seine Schale in das Innere
eines grünen,
baumwollenen Regenschirms, der hinter der Tür stand.
"Danke
für gute Verpflegung!" rief er in die Küche hinein und
entfernte sich eilig.
Ein
warnendes Vorgefühl überschlich mich. Ich machte, dass ich fertig
wurde,
und stand grad auf, als der ehrwürdige Hausvater aus der Stube trat. Er
langte
sich den Schirm, weil es draußen zu regnen begann, und spannte ihn auf.
Groß
war seine Überraschung, als ihm der zähe Brei über das Haupt und die
Schultern
ran. Dennoch besaß er soviel Geistesgegenwart, dass er mir, eh ich
vorbeischlüpfte, den Schirm ein paarmal um die Ohren schlug, so dass
ich auch
von diesem Brei noch ziemlich viel abkriegte.
Der
Nazi sah es von Ferne und wollte sich schief
lachen. Ich wär ihm fast bös geworden darum; da er aber fleißig putzen
half und
trostreiche Worte sprach, ging ich wieder zu Wohlwollen und Heiterkeit
über.
Um
die Vesperei drang mein Freund darauf, dass wir, jedoch am andern Ende
des
Dorfes, einen zweiten Besuch machten.
Ein
kleiner Unglücksfall kam uns zustatten. Ein Knabe von etwa fünf Jahren
fiel
aus einem Apfelbaum ins weiche Gras. Er war mit einem Anzug bekleidet,
den man
"Leib und Seel" benennt; hinten zugeknöpft. Dadurch, dass sich beim
Fallen ein Ast in den Schlitz gehakt hatte, war der Verschluss von
unten bis
oben vollständig gelockert. Die besorgte Mutter trat aus der Haustür. Wir
suchten die abgesprungenen Knöpfe auf. Ich
zog Nadel und Zwirn aus der Tasche.
Der
weinende Knabe wurde über den Schoß der Mutter gelegt; der Nazi hielt
ihm
die Beine, dass er nicht strampeln konnte. Bald waren nach allen Regeln
der
Kunst die Knöpfe wieder befestigt und "Leib und Seele" verschließbar,
so weit das, nach unten hin, bei diesem Kleidungsstücke der unmündigen
Jugend,
überhaupt ratsam erscheint.
Erstaunt und glücklich
über diese rasche und erfolgreiche Kur lud uns
die
Mutter zum Vesperbrot ein. Ein mächtiges Hausbrot, ein Teller mit
dunklem
Zwetenmus, eine beträchtliche, eben nur angebrochene Butterwälze, eine
Schlackwurst von anderthalb Ellen, standen alsbald zu unserer
Verfügung. Am
schnellsten nahm der Nazi Platz, denn er hatte tagsüber nur rohe
Pflaumen
gegessen. Er tat einen tüchtigen Hieb in die Butter.
"Die
Butter ist schon hier am andern Ende angeschnitten!" sagte die
Frau, die sehr ordnungsliebend zu sein schien.
"Macht
nichts!" erwiderte der Nazi. "Da kommen wir auch noch
hin!"
"Hier
ist auch schwarze Butter!" erinnerte die Bäuerin. "Danke!
Die weiße ist gut genug für uns!" sagte der Nazi und tat einen zweiten
und
dritten Hieb. So fuhren wir rührig fort. Die Schlackwurst verkürzte
sich
zusehends. Die Frau wurde besorgt.
"Man
kann auch zuviel essen!" meinte sie.
"So
leicht wohl nicht!" erwiderte der Nazi
"Man
kann sich auch krank essen!" sagte sie bald darauf.
Kommt
auch vor!" gab er zur Antwort.
"Man
kann sich auch tot essen!" sprach sie endlich, als die Wurst
immer kürzer wurde.
Jetzt
legt der Nazi das Messer nieder und sprach im ernsten Ton allertiefster
Bedenklichkeit:
"Wenn
Ihr das meint, gute Frau, dann will ich sie lieber mitnehmen!"
Flugs
erhob er sich, schob die Wurst in die Rocktasche, aus der sie noch ein
gutes Stück weit hervorstand, nahm das Brot unter den Arm, drückte der
Frau
herzlich die Hände, versprach bald wieder zu kommen und empfahl sich
mit einem
zierlichen Bückling.
Tief
beschämt über dieses unverschämte Benehmen meines Freundes, drückte ich
mich stumm aus der Tür.
oben
__________________________
Textgrundlage:
"Der
Schmetterling"
Wilhelm Busch.
Werke:
Historisch-kritische Gesamtausgabe, Bde. I - IV,
Band 4, Hamburg 1959 -
gemeinfrei
Quelle: zeno.org
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Urheber: Che,
Lizenz: CC,2.5
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