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04.2
Geschichten - Wilhelm Busch
Der
Schmetterling
Der
Schmetterling 8
Abends
kehrten wir in Nazis Höhle zurück, wo wir uns
die Nacht und den folgenden Tag der Ruhe, der stillen Betrachtung und
dem Genuß
unserer Vorräte widmeten. Als Brot und Wurst zu Ende waren, suchten wir
wiederum eine Stätte auf, die von Wesen bewohnt wurde, welche kochen.
Wir
traten durch die Hintertür in eine Küche. Die Köchin war nicht zugegen.
Zwei Töpfe dampften auf dem Herde. Der Nazi hob die Deckel auf. In dem
einen
brodelten Pellkartoffeln, in dem andern, zärtlich zu Pärchen verknüpft,
ein
Dutzend Paar Bratwürste. Der Nazi, gewandt und kurz entschlossen,
gabelte sie
auf seinen Stecken. »Besorg du die Kartoffeln! Schnell!« rief er mir zu
und war
schon zur Tür hinaus.
Nebenan
im Keller hustete wer. Ohne mich lange zu besinnen, ergriff ich mit
jeder Hand ein paar der dicksten Kartoffeln und lief gleichfalls
hinaus. Sie
waren glühend heiß; im Stich lassen wollt ich sie nicht; in meiner
Verwirrung
und ängstlichen Eile steckt ich sie in die Hosentaschen. Hier war der
Teufel
los. Ich fing an zu klopfen. Aber jetzt, als die Knollenfrüchte
zerplatzten,
kam ihre Höllenhitze erst recht zur vollen Entwicklung. Ich lief immer
schneller und stieß dabei durchdringende Schmerzenslaute aus. Der Nazi,
mit
seinem Stecken voller Würste, sah sich nicht um. Schließlich gelangten
wir an
einen Bach. Ich nahm ein Sitzbad bis unter die Arme; meine Schmerzen
und Klagen
besänftigten sich. Unterdes ließ sich mein Freund am Ufer nieder und aß
recht
gemütlich. Er meinte, es machte sich hübsch, wie ich so dasäße, und sei
sehr
gesund, und ich sollte nur sitzenbleiben, bis er fertig wäre. Dies gab
mir
Veranlassung, meine Badekur schleunigst zu unterbrechen, und das war
gut, denn
als ich ans Land stieg, waren nur noch drei Paar Würste vorhanden, an
denen ich
mich beteiligen konnte.
Auf
unserem Wege zum Walde hin trafen wir eine schlafende Bauernfrau, die
vermutlich zu Markte wollte. Leise und geschickt zog ihr der Nazi ein
Päckchen
Butter aus der Kiepe und legte dafür einen tüchtigen Feldstein von
mindestens
zwanzig Pfund Gewicht an die Stelle. Als wir uns umsahn gleich nachher,
erwachte sie grad und hockte die Kiepe auf mit Seufzen und großer
Beschwerde,
und unten rann eine gelbe Sauce heraus, und fünf Schritt weiter brach
der Boden
durch. »Schad um das Rührei!« meinte der Nazi. »Ich sag's immer: Wer
Steine und
Eier verpackt, soll die Steine nach unten legen.«
Mir
war nicht ganz wohl bei der Sach; allein der Schlingel machte das alles
so
lustig und wohlgemut, dass ich schließlich doch lachen musste.
So
lebten wir denn wochenlang tagsüber von unserer Betriebsamkeit in den
Dörfern und bei Nacht in unserm traulichen Heim in tiefer
Waldeinsamkeit.
An
einem regenreichen Spätnachmittage, als wir eben dahin zurückgekehrt
waren
und der Nazi grad angefangen hatte, eine seiner besten Geschichten zu
erzählen,
fielen in der Nähe zwei Schüsse. Ein Rehbock lief vorüber; im nächsten
Augenblick liefen auch wir, der Nazi voran, in der nämlichen Richtung.
Es sei
dem Grafen sein Förster, ein guter, alter Bekannter, der da geschossen
hätte,
sagte später der Nazi, als wir uns etwas verschnauften.
Wir
waren in die Nähe eines einsam liegenden Wirtshauses gekommen. Es wurde
sehr dunkel und regnete so heftig, dass mein Freund behauptete, wir
müssten
unbedingt ein Quartier nehmen für die Nacht. Ich erwähnte unsere
Mittellosigkeit.
»Man
muss nur parterre wohnen!« meinte er sorglos. »Dann macht's nichts!«
Wir
traten ein und setzten uns, und er, mit vornehmer Sicherheit, bestellte
einen
reichlichen Abendimbiss nebst Bier vom besten. Nachdem er drei Maß mehr
getrunken als ich, rief er den Wirt herbei.
»Gebt
uns ein gutes Schlafzimmer, aber zu ebener Erde, wenn ich bitten darf,
denn aus Dachfenstern zu springen, im Fall dass Feuer ausbricht, und
den Hals
zu brechen, das tun wir nicht gern.«
Der
Wirt steckte einen Talgstummel an und führte uns höflich in die Kammer.
Wir
entkleideten uns. Der Wirt sah zu.
»Gute
Nacht, Herr Wirt!« sagte der Nazi. »Bemüht Euch nicht länger!«
Bitte
um die Beinbekleidung!« entgegnete der gefällige Gastgeber.
»Bürsten
wir selber aus!« sagte der Nazi.
»Um
die Welt nicht!« rief der Wirt. »Solch anständige Herrn? Wäre gegen
meine
Reputation.Werde in der Frühe die Ehre haben, mich persönlich nach dero
Befinden zu erkundigen.«
Sorgfältig
legte er die beiden Kleidungsstücke über den Arm und entfernte sich,
indem er uns wohl zu ruhn und angenehme Träume wünschte.
Der
Nazi schnitt mir ein langes Gesicht zu. Ohne viel Worte zu machen, voll
misslicher Ahnungen, kroch ein jeder in sein bescheidenes Lager.
Mein
Bett stand an einer Bretterwand. Kurz vor Tage weckte mich ein
Lichtschimmer, der durch eine Spalte mir grad übers Gesicht streifte.
Verstohlen blickt ich hindurch. Es war ein Stall, neben dem ich schlief.
Ein
Esel stand mit der schwänzlichen Seite dicht vor der Spalte. Der alte
Schlumann, den ich sofort wiederkannte, näherte sich ihm mit der
Laterne,
streichelte ihm dreimal den Rücken und sprach dreimal hintereinander
die Worte:
»Tata,
tata! Mach Pumperlala!«
Damit
stellte er ihm seinen Hut unter und ging ruhig beiseit und blätterte
bis
auf weiteres in seinem geschäftlichen Notizbuche.
Alsbald
hob der Esel den Schwanz auf; und nun kam ich dahinter, wo der alte
Kerl das viele Geld herkriegte, von dem die Spitzbuben geredt hatten.
In
ununterbrochener Folge, plink! plink! fielen die
blanken Dukaten in den bereitstehenden Hut hinein. Die Versuchung war
zu groß
für mich. Ich steckte die hohle Hand durch die Spalte und schöpfte
dicht an der
Quelle. »Tata, Bileam!« rief Schlumann, ohne aufzublicken.
»Tata,
mach Pumperlala!«
Ich zog meine Hand, die
aufgehäuft voll war, zurück und entleerte sie
auf die
Bettdecke. Dann hielt ich sie zum zweitenmal hin. Wieder rief der Alte,
dem
sogleich die Unterbrechung des Stromes zu Ohren kam: Tata, Bileam!
indem er
dadurch den Esel zu ermahnen und zu ermuntern suchte, in seiner
ersprießlichen
und scheinbar unterbrochenen Tätigkeit fortzufahren.
Eben
hatte ich die zweite Handvoll in Sicherheit gebracht, als der alte
Schlumann nähertrat, um das, was inzwischen ausdrücklich erfolgt war,
zu
besichtigen und einzuheimsen.
»Weiß
her, Bileam!« sprach er. »Was haste gemacht? Wenig haste gemacht!
Pfui, schäme dich!«
Nicht
ohne ein gelindes Kopfschütteln füllte er den glänzenden Inhalt seines
Hutes in die geräumige Geldkatze, sattelte sein wundersam ergiebiges
Tierlein,
das den Namen des geldgierigen Propheten trug, und führte es zum Stall
hinaus
in den Hof.
Der
Morgen dämmerte durchs Fenster. Ich zählte meine Dukaten, die ich
sorgfältig zu verbergen und aufzubewahren gedachte, denn sie schienen
mir das
einzige Mittel zu sein, jene reizende Hexe zu gewinnen, deren Bildnis
mir so
lebhaft im Herzen spukte. Misstrauisch blickt ich nach meinem Kameraden
hinüber, ob er auch nicht bemerkte, welch ein wertvolles Geschenk,
gewissermaßen warm aus dem Prägstock der Natur, mir ein gütiges
Geschick grad
eben in die Hand gelegt hatte. Zu meinem Ärger musst ich sehen, er
blinzelte
schon.
»Gold!«
rief er plötzlich und sprang vor mein Bett. »Natürlich gestohlen!
Halbpart,
oder ich sag's wieder!«
Was
sollt ich machen? Ich gab ihm die Hälfte ab und steckte das Übrige in
mein
Beutelchen; und dann erzählt ich ihm wortwörtlich die ganze Geschichte.
Ich
zeigte ihm auch den alten Schlumann, der auf seinem Esel eben vom Hofe
ritt.
Freund
Nazi, im Gefühl seiner Barmittel, wurde jetzt aber laut. Er bollerte
mit
der Faust und dem Stiefelknecht gegen die Tür und verlangte Bedienung.
Der Wirt
erschien. »He, die Hosen! Frühstück! Eier! Schinken! Franzwein! Flink,
marsch!«
schrie ihn gebieterisch der Nazi an und kniff dabei einen Dukaten ins
linke
Auge; ein Anblick, der den zuerst trägen und bedenklichen Herbergsvater
gleich
dienstbeflissen und munter machte.
Wir
aßen gut und ließen uns Zeit dabei, und nachdem sich der Nazi ein
Fläschlein
extra in die Brusttasche gesteckt hatte, setzten wir einträchtig unsere
Wanderschaft fort. Es wunderte mich nur, dass mein Freund, der sonst so
gesprächig war, sich heute allmählich in ein völliges Schweigen hüllte.
Endlich
sprach er wieder:
»Verdammt
zähes Zeug in dem Schinken. Klemmt sich immer grad zwischen die
hohlen Backenzähne, natürlich! Uh, Teufel, der Schmerz! Bitte, sieh
eben mal
nach, bester Freund!«
Wir
befanden uns weit draußen auf der einsamen Landstraße. Er riss jammernd
das
Maul auf. Da ich vorn nichts sehen konnte, als zwei Reihen
arbeitsfähiger
Zähne, nahm ich den Zeigefinger zu Hilfe, um weiter hinten mal
nachzufühlen.
Sofort, mit furchtbarer Gewalt, wie eine Marderfalle, schnappten die
Kiefer
zusammen. Meine Besinnung verließ mich. Als ich wieder zu mir kam, war
mein
Freund Nazi verschwunden; mein Geldbeutel desgleichen. Und so war denn
das
goldene Gewebe, womit ich die Geliebte zu umstricken gedachte, für
immer
entzweigeschnitten. Gebeugt und erschüttert durch dieses grausame
Ereignis,
ohne Freund, ohne Geld, zog ich mich in die tiefsten Schatten des
Waldes
zurück, wo mich sogleich ein erquickender Schlaf in seine tröstlichen
Arme
schloss.
Es
war eine herrliche Mondnacht, als ich erwachte. Hinter den Felsen, im
zitternden Silberlicht, schimmerte ein See. Ich hörte was plätschern.
Eine
Nixe, so schien es, badete sich. Neugierig schlich ich näher. Auf einem
Stein
lag ihr graues Gewand, auf dem Gewand ein Haarband von Goldmünzen.
»Aha!«
dacht ich. »Bist du's? Jetzt sollst du mich schön bitten, bis du's
wiederkriegst.«
Geschwind
steckt ich's hinten in die Fracktasche; dass aber hinter mir, an den
Baum gelehnt, ein Reiserbesen stand, hatt' ich nicht beachtet.
Dieser,
als säße der Teufel drin, setzte sich
plötzlich in Bewegung und machte Sprünge wie ein Böcklein, und stieß
nach mir,
bald links, bald rechts, bald hinten, bald vorn, und dann nahm er einen
Anlauf
und fuhr mir zwischen die Beine, und fort ging's hoch in die Luft und
weg über
die Wipfel; und ich musste zuerst ordentlich lachen, als wir so
dahintrabten,
hopp, hopp, unter dem zurückfliehenden Gewimmel der Sterne, und wie im
geschüttelten Frackzipfel gar lustig die Münzen klirrten; aber schon
nach fünf
Minuten hatt ich es satt gekriegt, denn mein Rösslein war ein harter
Traber und
warf mich auf und nieder auf seinem hölzernen Rücken, dass mir's war,
als würd
ich durchgestoßen und aufgespalten bis an den Nabel.
oben
__________________________
Textgrundlage:
"Der
Schmetterling"
Wilhelm Busch.
Werke:
Historisch-kritische Gesamtausgabe, Bde. I - IV,
Band 4, Hamburg 1959 -
gemeinfrei
Quelle: zeno.org
Logo 119: "Inachis
io"
Urheber: Che,
Lizenz: CC,2.5
US-amerikanisch
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