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04.3
Geschichten - Wilhelm Busch
Der
Schmetterling
Endlich,
nach Verlauf einer Ewigkeit von mindestens
zwanzig Minuten, kehrte der verflixte Besengaul den Kopf nach unten und
den
Schweif nach oben und fuhr senkrecht in den geräumigen Schlot eines
Hauses,
welches in der Wildnis lag. Unter großem Gerassel fiel ich auf den Herd
zwischen allerlei Küchengeschirr. Der Besen strich mir mit seinem
dürren
Reiserschweife noch ein paarmal durchs Gesicht, und dann stand er da,
in der Ecke am Kamin, stocksteif, wie ein gewöhnlicher Schrupper, der
nie was von
selber tut.
Durch
ein Fenster mit runden Scheiben schien der Vollmond herein.
Müd und kaputt, besonders inmitten, ließ ich mich in einen hölzernen
Lehnstuhl
fallen. Ach, wie weh tat das! Aber hinlegen, auf den kalten Fußboden,
mocht ich mich auch nicht, weil ich zu erhitzt war; schließlich setzt
ich mich
auf die
offene Seite eines leeren Eimers. Das ging so leidlich, und bald war
ich
eingenickt.
Schon
graute der Morgen, als ich durch das Knarren der Außentür geweckt
wurde.
Ein krummes, steinaltes Mütterchen, in grau vermummt bis unter die
Augen, kam
hüstelnd in die Küche gewackelt. Sie stieß einen kurzen, erschrockenen
Quiekser
aus, als die mich sitzen sah, doch ganz gefährlich musst ich wohl nicht
aussehn, denn sie sammelte sich bald und sprach mich an mit gewinnender
Freundlichkeit:
"Ei, sieh da, mein Söhnchen! Wo kommst denn du schon her?"
"Ach Mütterchen!" klagt ich. "Ich bin geritten die halbe Nacht
auf einem mageren, bockichten Pferdchen, dass ich so steif bin, wie ein
hölzener Sägebock. Habt ihr nicht zum Einreiben irgendeine geschmeidige
Salbe,
die wohltut?"
"Na freilich, mein Kind!" entgegnete sie dienstbefliessen. "Und
was für eine!"
Sie öffnete den Wandschrank, kramte zwischen Gläsern und Töpfen und
wählte
schließlich eine zinnerne Büchse aus, die sie mir mit den Worten
überreichte:
"Nimm hier, mein
Sohn! Und schmier, mein Sohn! Pass auf, es wird schon
anders
werden!"
"Hu!" machte die Alte und hielt sich schamhaft die Augen zu.
"Bitte, nicht hier! Wenn ich's nur denk, werd ich rot!" Sie drängte
mich nebenan in ihr Schlafzimmer, wo ich mich denn auch gleich, sobald
ich
allein war, gewissenhaft und emsig bemühte, eine bald möglichste
Linderung
meiner Leiden herbeizuführen.
Und jetzt passierte mir was, worüber ich nur mit dem höchsten
Widerstreben und
der tiefsten Beschämung zu berichten vermag.
Kaum hatt' ich mit der Salbung begonnen, so ging durch mein ganzes
Wesen ein
auffälliges, nie empfundenes Drücken, Drängeln und Krabbeln. Die Nase
dehnte
sich nach vorn, steif richtete sich der Frack nach hinten auf. Schon
ging ich
auf allen vieren, und als ich zufällig in den Spiegel blickte, der
neben dem
Bette stand, fing ich ärgerlich zu bellen an, denn ich sah mein nun
mehriges
Ebenbild vor mir in Gestalt eines Pudels, blau, wie der Schniepel, und
mit
gelben Hinterbeinen, wie die Nankinghose.
Ich - muss ich mich noch so nennen, nach dem, was vorgegangen? Oder
darf ich Er
sagen zu mir? Leider nein!, so gern ich auch möchte, denn das fühlt ich
genau:
Die sämtlichen alten Betandteile meiner Natur hatten sich nur
verschoben und
etwas anders gelagert, als zuvor, und während der untergeordnete Teil
meines
Verstandes zur Herrschaft gelangte, war mein höheres Denkvermögen
gewissermaßen
auf die Leibzucht gezogen, ins Hinterstübel, von wo aus es immer noch
zusah,
wie die neue Wirtschaft sich machte, wenn es auch selbst nichts mehr zu
sagen
hatte.
Ich machte einige ängstliche Seitensprünge. Dicht hinter mir klirrte
es. Es
waren die Goldmünzen, die vorher im Frack, aber nunmehr im Schweife
steckten.
Dies Geräusch regte mich dermaßen auf, dass ich, um es loszuwerden, so
lange im
Kreise herumlief, bis mir die Zunge aus dem Hals hing. Dann setzte ich
mich
mitten in die Kammer, hielt die Nase hoch, rundete das Maul ab und
stieß die
kläglichsten Laute aus.
Die Tür öffnete sich und wer steckte den Kopf herein? Meine reizende
Hexe.
"Bist da, Peterle?" rief sie lachend. "Hab ich dich erwischt, du
Dieb, du Beutelschneider, du pudelnärrisches Hundsvieh, du?" Es wurde
mir
wunderlich zu Mut. Mein Gefühl für dies Teufelsmädchen war nicht mehr
Liebe,
sondern einfach hundsmäßige Unterwürfigkeit. Ich kroch ihr zu Füßen;
und wie
ich so demütig mit dem Schwanze wedelte, klirrte es wieder drin, als
wäre es
eine Sparbüchse für Kinder.
"Aha! Da sitzt die Musik!" lachte die Hexe. "Nur Geduld! Wenn der
nächste Vollmond ist, dann wollen wir schnipp schnapp! machen."
Um ihr eine Aufmerksamkeit zu erweisen, stellt ich mich auf die
Hinterbeine und
versuchte mit den Vorderfüßen eine bescheidene Umarmung, aber eine
wohlgezielte
Maulschelle, die mir ein schmerzerfülltes Tjaujau! auspresste, trieb
mich scheu
in den Hintergrund.
Zur Nacht wollt ich natürlich gern mit in die Kammer. Man schnappte mir
die Tür
vor der Nase zu. Mein Scharren und Winseln half mir nichts. Ich musste
einsam
heraußen bleiben, rollte mich seufzend zusammen und verfiel endlich in
einen
unruhigen, oft unterbrochenen Schlummer, denn sämtliche Flöhe des
Hauses, so
schien es, hatten sich verabredet zu einem Stell-Dich-Ein und munteren
Jagdvergnügen in den dichten Wäldern meines lockichten Pelzes.
Morgens durft ich
eintreten und meine Aufwartung machen und der
Gnädigen die
hübschen Pantöffelchen bringen, und jetzt dacht ich, dürft ich mir wohl
einiges
herausnehmen und sprang, während sie sich die Zähne putzte, geräuschlos
ins
Bett, um mich nach der kühlen Nacht ein wenig zu erwärmen. Behaglich
schloss
ich die Augen. Doch sogleich wurde ich aufgescheucht mit harten Worten
und ausgetrieben
mit harten Schlägen vermittels der Pantoffeln, die sehr spitze Absätze
hatten,
und dann goss sie mir ein Glas eiskaltes Wasser über den Rücken, dass
ich
bellte vor Schreck und jammernd hinausrannte in den Hof, wo ich mich
zitternd
auf ein sonniges Plätzchen legte und ärgerlich nach jeder Fliege
schnappte, die
mich neckisch umschwärmte.
Mein Hunger war groß. Zu fressen kriegte ich nichts. Ich scharrte eine
Maus aus
dem Loch und verzehrte sie mit viel Behagen; ich fing Käfer, ja, sogar
einen
Gartenfrosch und verzehrte sie mit dem äußersten Widerwillen.
Meine Gebieterin lebte sehr mäßig. Am Hause hingen ein paar
Nistkästchen, aus
denen sie täglich drei Sperlingseier nahm, die sie gar zierlich
ausschlürfte,
das war alles, und dabei blieb sie gesund und lustig und boshaft dazu.
Eines Abends, als sie strickend am offenen Fenster saß, wurde etwas
hereingeworfen, was klingelnd zu Boden fiel. Es waren Dukaten.
"Je, der Nazi!" rief sie freudig und lief und riegelte ihm die
Haustür auf.
Mein ehemaliger Reisegefährte, bekleidet mit einem neuen Jagdanzug,
trat stolz
herein und wurde begrüßt mit stürmischer Zärtlichkeit ihrerseits, aber
meinerseits mit gehässigem Knurren.
An seiner Jagdtasche hing eine Reihe toter Rotkehlchen. Sie wurden
gerupft und
gebraten für ihn; und anmutig sah es aus, wie auch das Hexlein ein ganz
klein
wenig dran knusperte mit den weißen, blitzenden Zähnen. Ich kriegte die
Gerippe. Der Nazi legte mir jedes zuerst auf die Nase und ließ mich
aufwarten,
eh ich es nehmen durfte. Am liebsten wäre ich ihm an die Kehle
gesprungen; da
aber meine Gestrenge bedohlich den Finger erhob, ließ ich mir's
gefallen, indem
ich nur durch ein dumpfes Grollen und grimmiges Augenrollen meinem
Unwillen
Luft machte.
oben
__________________________
Textgrundlage:
"Der
Schmetterling"
Wilhelm Busch.
Werke:
Historisch-kritische Gesamtausgabe, Bde. I - IV,
Band 4, Hamburg 1959 -
gemeinfrei
Quelle: zeno.org
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Urheber: Che,
Lizenz: CC,2.5
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