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Literatur


04.3


Geschichten- Max Dauthendey

Die acht Gesichter am Biwasee


Die Segelboote von Yabase im Abend heimkehren
sehen Seite 2

Hanakes Diener sehen vom Fenster, daß das Boot, in dem die Herrin fortfuhr, draußen nicht weit vom Ufer steuerlos im Kreise treibt und das ein anderes Boot aus dem Schilf heraus die Seewölbung ersteigt und hinter dem Wasser verschwindet. Ein paar der Diener schwimmen hinaus und bringen das Boot mit der ohnmächtigen Hanake an den Landungssteg.
 
Zur gleichen Stunde wie am vorhergehenden Abend liegt Hanake ohnmächtig in dem Zimmer, das auf den See geht, bei derselben Kerze, die gestern brannte, sitzt ihre Lieblingsmagd, die Singende Seemuschel, und wartet auf das Erwachen ihrer Herrin.
 
Als diese gar nicht zu sich kommen will, kommt die Magd auf den Einfall, den grauen Papagei zu holen, der von den drei Sätzen immer nur den einen gelernt hat: Ich liebe dich. Als die den Vogel neben die Kerze in das Gemach bringt, schreit er sofort: „Ich liebe dich!“ Da zuckt das Gesicht der ohnmächtigen Hanake zusammen, als habe ihr einer einen unendlichen Schmerz angetan. Ihre Lippen seufzen tief auf, ihr Gesicht verändert die Farbe und wird wie Asche im Aschentopf, der neben der Kerze steht.
 
Die Magd beugt sich erschrocken über ihre Herrin, und wie sie noch zweifelt: Ist das der Tod, der Hanake so entfärbt?, da schüttelt der Papagei sein Gefieder, schlägt mit den Flügeln um sich und schreit plötzlich und unvermittelt: „Ich töte dich!“
 
Die Singende Seemuschel starrt entsetzt den Vogel an, dessen großer Schatten vor der Kerze wie der Schatten eines mächtigen , schwarzen Segels über die Wände des Gemaches fliegt.
 
Die Magd greift mit beiden Händen nach dem um sich schlagenden Papagei. Der Vogel schreit zum zweitenmal: „Ich töte dich!“ Die Hände der Magd packen das Tier und drücken dem Papagei den Hals zu, damit er nicht zum drittenmal das schauerliche „Ich töte dich!“ schreien kann. Der Vogel verdreht seine Augen, läßt mit einem Ruck die Flügel schlaff hängen, spreizt die Krallen und hängt als lebloser Vogelbalg in den Händen der Magd.
 
Hanake schlägt die Augen auf. Die Magd wirft die Vogelleiche auf die Diele und ruft:
 
 „O Herrin, Ihr kommt wieder! Ihr wart weit fort!“
 
Hanake richtet sich auf, sitzt auf der Diele und sagt in Gedanken:
 
„Ich glaube, ich komme von den Toten.“
 
Dann sprach sie lange nicht mehr. Sie sah nicht den toten Papagei. Sie weinte nicht über den Tod ihres Geliebten. Sie ließ sich von der Magd umkleiden, und als ihr diese ein Hauskleid bringen wollte, sagte sie, und ihre Augen sahen durchdringend durch die geschlossenen Wände des Hauses:
 
„Ich sehe im Abend Boote von Yabase kommen. Ich sehe, man bringt mir ein rotes Scharlachkleid, wie es die Hofdamen tragen. Aber die hundert Segel, die jetzt von Yabase kommen, zeigen in den Segelfalten keine Schriftzeichen mehr. Jedes Segel ist glatt wie eine leere Hand. Hundert leere Hände kommen in mein Haus.
 
Bringe mir ein weißseidenes Unterkleid, Singende Seemuschel, damit ich das rote Scharlachkleid, das man mitbringt, darüber ziehen kann“.
 
Die Magd widersprach ihrer Herrin nicht. Sie öffnete nur ein wenig die Schiebewand nach dem See. Aber sie sah keine Lichter von Booten in der Nacht draußen, kein Bootskiel rauschte im Wasser, nur das Schilf zischte unten um das Haus und in der Ferne um den Landungssteg.
 
Hanake ist hellsehend geworden, dachte die Magd. Dann ging sie durch die Kammern des Hauses nach den Wandschränken, wo die Kleider gefaltet in großen Lacktruhen lagen. Und die eine Magd erzählte halblaut:
 
„Wißt ihr schon, unsere Männer, die zur Nachtzeit aus Yabase herüberkamen, sagten, man erzählte sich in allen Teehäusern, daß der Freund eines kaiserlichen Prinzen von einem Europäer auf dem See erschossen worden sei. Der blutige Körper des Toten wurde in Yabase auf den Kies gespült, und heimkehrende Boote haben gesehen, wie der fliehende Europäer, der Wildenten im Schilf gejagt hat, durch einen Fehlschuß den Freund des Prinzen tötete. Der Prinz selbst kam dann an das Ufer, wo die Leiche seines Freundes lag. Der Prinz hat seinen Freund lange angesehen, aber nicht geweint, sagen die Leute. Er hat gefragt, ob in der Nacht noch jemand über den See fährt; und als er hörte, daß unsere Männer noch über den See fuhren, sandte er eine kleine Kleidertruhe und ließ sie in das Boot unserer Männer stellen. Die Truhe ist für Hanake.

Morgen, ehe die Sonne am Mittag steht, wird der Prinz zu Hanake kommen, sagte ein kaiserlicher Diener heimlich zu unsern Männern.“
 
„In der Truhe ist ein rotes Scharlachkleid für Hanake,“ sagte die Singende Seemuschel zu den Mägden.
 
„Woher weißt du das?“ fragten beide Mägde erstaunt. „Niemand durfte bis jetzt in die Truhe sehen.“

„Wir wissen das bestimmt,“ nickte die Gefragte.
Sie nahm das weißseidene Unterkleid über den Arm und schickte die Mägde in die Küche. –
 
Am nächsten Tag um die Mittagsstunde kam ein Segel auf Hanakes Haus zu,
Die Singende Seemuschel sagte zu Hanake, die im Purpurkleid auf der Altane saß und weiß und rosa geschminkt war, so dick gepudert und geschminkt, als verberge sie das Gesicht hinter einer rot und weißen Maske:
 
„Das ist nicht der Prinz, der da kommt. Denn ich sehe nur ein Segel, Herrin, und Ihr sagtet gestern nacht voraus, es würden hundert  Segel kommen. Alles, was Ihr sagtet, als Ihr von den Toten erwachtet, ist eingetroffen. Wenn aber der Prinz nur in einem Boot kommt, dann habt Ihr Euch geirrt, weil Ihr von hundert Booten redetet.“
 
„Schweig und empfange den Prinzen,“ sagte Haneke mit einer fast männlichen Stimme, die die Magd nie an ihr gehört hatte. „Geh mit allen Mägden und allen Dienern dem Prinzen zur Landungsbrücke entgegen, denn ich kann noch nicht gehen, meine Füße zittern noch. Ich kann den Prinzen nur hier im Hause empfangen.

Als ich im Tode lag unter den Toten, aber mit meinem Geliebten nicht vereinigt war, fragte meine Seele alle Toten:
 
‚Was habe ich getan, daß ich meinen Geliebten nicht unter den Toten finde?‘
‚Du hast noch dem Leben verweigerten Gehorsam zu geben‘ sagten die Toten, und ich erwachte wieder.
 
Ich weiß es, ich habe gefrevelt. Ich habe meinen Leib einem Prinzen, einem Sohn des Himmels, entziehen wollen und habe einen andern Mann umarmt. Aber der Geliebte konnte meinen Leib nicht mit in den Tod nehmen, weil ich erst lernen mußte, dem Leben zu gehorchen.“
 
Die Magd weinte über Hanakes Worte. Aber Hanake verbot es ihr und sagte:

„Wir wollen nicht neuen Ungehorsam auf dies Haus laden. Ich darf nicht weinen, wenn ich auch bis an die Augen voll Trauer bin. Meine Füße aber zittern, und ich kann dem Prinzen nicht entgegen gehen. Ich kann meine Füße noch nicht zum Gehorsam zwingen.
 
Wenn der Prinz dich fragt: ‚Wo ist Hanake?‘, sage, und laß dir nichts merken, sage: ‘Verzeihung, Sohn des Himmels, meine Herrin trauert um ihren toten Lieblingspapagei. Aber wenn meine Herrin des Prinzen Angesicht sieht, wird ihre Trauer zur Freude werden und doppelt glänzen, wie dein weißes Segelboot, o Herr, im Biwasee.‘“ –
 
Und wie der Schiller auf starrem, polierten Porzellan glänzte Hanake bis zum Abend, so lange der Prinz in ihrem Hause war und mit ihre spielte. Und auch als sie ihr Scharlachkleid öffnete und ihren kleinen weißgepuderten Leib nackt in die Arme des Prinzen legte, sang sie Lieder und zwitscherte mit den Lippen. . .
 
Der Prinz sagte am Abend:
 
„Dein Leib ist mir lieb, weil er kühl ist wie die Schneeflocken und mich aufweckt wie die Kälte am Wintermorgen.

Und nun singe mir noch zum Abschied das Lied vom Biwasee, das nur auf weiße Seide geschrieben werden darf.“
 
Die Singende Seemuschel saß hinter der Papierwand im Nebenzimmer, wo sie die Gitarre spielten mußte, so lange der Prinz die nackte Hanake umarmte. Aber als die treue Magd hörte, daß der Prinz das Lied von ihrer Herrin verlangte, das nur eine sehnsüchtige Liebende singen darf, da konnte sie sich nicht mehr des Schluchzens erwehren. Und während die Hände der Singenden Seemuschel auf der Gitarre spielten, wimmerte ihre schluchzende Brust.
 
Hanake, die in ihr Scharlachkleid schlüpfte, raschelte mit der Seide, damit der Prinz das Wimmern der Magd nicht höre. Dann sollt sie singen. Aber der Prinz fragte, ehe sie begann:

„Weint jemand hinter den Wand?“

„O nein,“ lächelte Hanake, „das sind nur Brieftauben, die ich in einem Käfig halte, und ihre Kröpfe glucksen, weil sie zu viel gefüttert wurden.“

„Singe jetzt!“ sagte der Prinz.

Das Wimmern hinter der Papierwand verstummte, und Hanake sang das Lied.

Auf dem See steht ein weißes segelndes Boot.
Mein Herz, mein leises,
Mein Auge, mein heißes, -
 
Die Menschen, die einsam sind,
Sind wie die Boote von Yabase,
Die blaß hintreiben im Abendwind.
 
Hanake hatte während des Singens ihren Kopf in den Schoß des Prinzen gelegt und mit offenen Augen zur Decke gestarrt. Ihr Körper war in derselben Stellung wie an jenem Abend auf dem Biwasee im Boot, als sie mit dem Kopf im Schoß ihres Geliebten gelegen.
 
Plötzlich fährt Hanake, wie von einem Schuß getroffen, auf. Sie wirft die Arme in die Luft und fällt ohne Aufschrei auf die Diele, wo sie in tiefer Ohnmacht liegen bleibt.

Der Prinz wird blaß. Auf seinen Ruf kommt die Magd hinter der Papierwand vor. Der Prinz sieht die verweinten Augen derselben und denkt, daß Magd und Herrin wirklich in Trauer seien über den toten Papagei. Er ist erstaunt darüber und sagt: „Deine Herrin ist noch schwach von Trauer über ihren toten Papagei. Pflege deine Herrin; und wenn sie aufwacht, sage ihr, ich käme morgen abend und hundertmal wieder.“
 
Die Magd verneigte sich vor dem Prinzen, sie verbirgt ihre verweinten Augen und lügt:
„Sohn des Himmels, verzeiht meiner Herrin! Aber der Tod ihres Papageis ging ihr nicht so sehr zu Herzen wie jetzt der Abschied von Euch. Die Trauer darüber hat sie gleich einer Ohnmacht überfallen.“ –
 
Als Hanake wieder zu sich kommt, sieht sie fern im Abend über dem Biwasee das verschwindende Segel des kaiserlichen Bootes, und das Kielwasser treibt eine lange schwarzlinige Welle von der Mitte des Sees bis an Hanakes Haus.
 
Hanake murmelt: „Die Magd sagt: hundertmal wird er wiederkommen! Ich will lieber
h u n d e r t verschiedene Männer umarmen, ihr Götter! Erlaßt es mir, e i n e m Mann Liebe heucheln zu müssen h u n d e r t m a l hintereinander. Ich schwöre euch: ich will mich lieber auf dem Liebesmarkt zu Tokio hingeben, wo fünftausend Mädchen sich jede Nacht einem andern Mann anbieten. Aber erlaßt mir, o Götter, die Qual und bindet mich nicht hundert Nächte an den einen Mann, der sich einredet, daß ich ihn liebe.“
 
Die untergehende Sonne schminkte den Himmel wie das Gesicht eines Freudenmädchens. Karminrosig und violett silbrig färbten sich alle Wolken über dem Biwasee, wie die fünftausend Mädchengesichter auf dem Liebesmarkt zu Tokio.
 
Dann hörte Hanake lautes Gelächter, laute Männer- und Frauenstimmen, das Räderrasseln von kleinen Rikschawagen und das Geschrei von Kulis. Eine Schar ihrer Freunde und Freundinnen war in Wagen und Tragsesseln von der Landstraße hergekommen und rief jetzt von draußen ins Haus nach Hanake. Dann drängten die Gesichter ihrer Freunde und Freundinnen in das Nebenzimmer, und Hanakes Gesicht wurde wieder höflich und freundlich und unbeschrieben wie eine weiße Eierschale.
 
Sie warf noch rasch einen Blick aus dem Fenster. Das Segel des kaiserlichen Bootes war hinter der Seehöhe verschwunden. Der See lag gradlinig, und nur wie eine kleine schwarze Schnur zog sich am Horizont das Kielwasser des verschwundenen Bootes hin. Die Kielwelle erreichte nicht mehr Hanakes Haus und verlor sich wie ein abgerissenes Band draußen auf der Seefläche.
 
Hanakes Herz war leichter. Sie trat aus dem Seegemach in das nebenanliegende Gemach, in das die Freunde hereindrängten. Das Haus war jetzt voll von zwitschernden Frauenstimmen und gurgelnden Männerkehlen, die Atem auf japanische Sitte laut und achtungsbezeugend einzogen.
 
Nachdem alle eine Weile voreinander auf den Knien gelegen hatten und sich verbeugt hatten, rutschten alle zusammen, bildeten einen Halbkreis um Hanake und hockten auf den Seidenkissen am Boden, und das Zimmer war laut wie ein Baum, in dem eine Sperlingschar plaudert.
 
Gerüchte, daß ein kaiserlicher Prinz sich nach Hanake umsähe, hatten sich bei den Freunden verbreitet; aber niemand wußte Genaues, und niemand wußte vom Besuch des Prinzen. Alle waren des Mordes wegen gekommen, der sich auf dem See in der Nähe von Hanakes Haus ereignet haben sollte. Sie wollten wissen, ob Hanake den Schuß gehört habe? Ob der Europäer fehlgeschossen oder auf den Japaner gezielt habe? Ob Hanake damals am Fenster gestanden habe? Und ob nach dem Schuß das Seewasser rot von Blut gewesen sei? –
 
Hanakes Gesicht verlor keinen Augenblick die starre Politur. Die Magd hatte ihr als sie aus der Ohnmacht aufgewacht war, das Scharlachgewand ausgezogen und ihr ein blaues Gewand gereicht, auf dem nur Seewellen und Wolken eingewebt waren, und hatte die Schminke und den Puder erneuert und den klingenden Haarschmuck in ihrem Haar fester gesteckt, als man das Herannahen der Freunde hörte.
 
Jetzt reichten die Singende Seemuschel und die anderen Mägde den Gästen Tee und Pfefferminzzucker herum und kleine, winzige Kuchenwürfel.
 
Als die Schar der Fragen sich wie eine Dornenhecke um Hanake aufbaute, suchte die Singende Seemuschel nach einem rettenden Gedanken, um ihrer Herrin zu helfen. Sie lief fort, holte den toten Papagei, kam wehklagend herein und sagte:
 
„Ach, Herrin, seht, der Papagei liegt im Sterben!“
 
Aber wie war sie verblüfft, als Hanake sie abwies und lächelnd zu den Gästen sagte:
„Ich glaube, meine Magd ist irrsinnig geworden von der Ehre, die uns heute widerfuhr. Sie zeigt mir den Papagei, der seit gestern tot ist, und der uns heute schon helfen mußte, einen kaiserlichen Prinzen zu belügen.“
 
Im Zimmer wurde es still, wie wenn alle Spatzen aus einem Baum fortgeflogen sind.
Alle Gäste verstanden, daß der Prinz dagewesen war, alle verstanden, daß Hanake ihn nicht liebte; und daß man einen Prinzen belügen könnte, war ihnen auch noch verständlich. Aber welch ein Frevel, laut über den Sohn des Himmels zu spotten und einzugestehen, daß man ihn belogen hatte!
 
Als wären allen Gästen die Teetassen aus den Händen gefallen, und als wäre der Tee vergossen, so erschrocken saßen alle und starr. Keiner rührte mehr einen Teeschluck an. Und als Hanake mit kalten, glitzernden Augen sagte:

„Der Prinz wird nicht von dieser Lüge sterben. Ich bin auch nicht an seiner Liebe gestorben,“ – da schlossen die Freundinnen vor Schreck ihre Augen. Die Männer richteten sich auf, und wie eine Schar Krebse, die nach rückwärts krabbelt, verließ die Freundesschar das Gemach, teils aus Furcht, weil in diesen Haus gegen den Sohn des Himmels gefrevelt wurde, teils erschrocken vor Hochachtung, weil die Luft hier noch voll sein mußte von der Leidenschaft und der Nähe des kaiserlichen Prinzen.
 
Unter kaum hörbar gewisperten Entschuldigungen verließen die letzten das Haus, bestürzt und eilfertig, als wären die Zimmer des Hauses voll Feuer, das sie alle verbrennen könnte.
 
Hanake aber ließ das Zimmer aufräumen, ließ sich von der Singenden Seemuschel eine Schlummerrolle unter das Genick schieben, streckte sich auf der Diele aus und schlief fest ein.
 
Am nächsten Abend erschien ein Segel auf der Seehöhe. Es kam wie ein selbstbewußter Schwan lautlos auf Hanakes Haus zugeschwommen. Aber die Landungsbrücke bei dem Hause blieb leer. Nur die Köpfe der Schilfblüten bewegten sich und verneigten sich vor dem kaiserlichen Boot und vor dem Prinzen, der ans Land stieg.
 
Die Papierfenster und die Bambustüren von Hanakes Haus waren geschlossen und öffneten sich nicht, als der Prinz klopfen ließ. Wie eine Laterne ohne Licht lag am See das gegitterte Holzhaus mit den weißen Papierscheiben. Ein vorüberfahrender Schiffer in seinem Boot sagte den Leuten des Prinzen, daß Hanake am Morgen alle ihre Dienstboten entlassen habe. Sie habe ihr Haus zugeschlossen und sei nur mit einer Magd auf ihrem Segelboot in den See hinausgefahren; aber niemand wußte, wohin die Fahrt gegangen.
 
Das kaiserliche Boot kreuzte die ganze Nacht auf der Seefläche in der Nähe von Hanakes Haus. Aber die Papierfenster des Hauses blieben dunkel, und das lautlose kaiserliche Boot verschwand gegen Morgen hinter der Seehöhe.
 
Am nächsten Abend kamen hundert kaiserliche Segelboote von Yabase. Sie kamen an wie hundert weiße Fächer, die sich über den See spannten. Sie kreuzten über den ganzen Biwasee, während der ganzen Nacht, von Ozu bis Yabase, von Karasaki bis Katata, von Seta bis Awazu. Und als leuchteten sie in die Unterwelt des Sees, so zogen sie die hellen Scheinbilder der hundert weißen Segel durch die Seetiefe nach sich.
 
Die nächsten Abende wiederholte sich das Schauspiel der hundert Segelboote, die Hanake suchen sollten, und die sich durch den Seenebel verteilten wie hundert weiße Seidenspinnerschmetterlinge, die in einem grauen, riesigen Spinnenwebnetz hängen geblieben wären. –





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Textgrundlage: "Die Segelboote von Yabse im Abend heimkehren sehen",
aus: Die acht Gesichter am Biwasee, Japanische Liebesgeschichten,
Max Dauthendey Albert Langen, München 1932, 37. bis 40. Tausend,
Copyright 1911 by Albert Langen, Munich, Printed in Germany

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