|
|
|
|
|
lifedays-seite
moment
in time
|
|
|
|
|
04.3
Geschichten-
Max Dauthendey
Die acht Gesichter am Biwasee
Von Ishiyama den Herbstmond aufgehen sehen
Seite 2
Als der König die Königin
am Morgen nicht fand, versuchten ihn die Weisen mit ihrer Weisheit zu trösten
und sagten:
»Die Prophezeiung lautete,
o König, du solltest ein Meerweib drei Tage und drei Nächte lieben, aber nicht
eine vierte Nacht dazu.«
Doch der König war
erschüttert von Trauer und wild und aufgebracht von Verzweiflung über die
Torheit der Weisen, die ihn nicht einen König hatten sein lassen, sondern ihn
zu einem Gott hatten machen wollen. Denn ihm war klar: es hatte der Königin vor
dem Tageslicht gegraut, das sie einsam machen sollte, weil die Weisen gesagt
hatten, das Tagesherz des Königs gehöre nur der Weisheit und nicht der Liebe.
Eine furchtbare Wut
überfiel den verlassenen Mann. Er riß mit seiner Faust die Segel von den Tauen
und wollte mit der andern Faust den Mastbaum ausreißen, um alle Weisen damit zu
erschlagen.
Diese aber, erschrocken,
heuchelten Demut und riefen:
»O Herr, die Königin wird
wiederkommen, wenn Ihr es befehlt, sobald der Mond heute abend aufsteigt. Ehe
Ihr uns jetzt ungerecht umbringt, wartet wenigstens mit Eurem Urteil über uns
bis zum Abend. Kommt die Königin nicht mit dem aufgehenden Mond, so könnt Ihr
uns immer noch töten.«
Mit solchen Worten
schläferten sie des Königs Wut ein, denn sein Schmerz war größer als sein Zorn.
Und als er hörte, daß die Königin vielleicht am Abend wiederkommen könnte,
glaubte er daran, wie jeder Liebende gern an Wunder glaubt. Und er hoffte, die
Königin würde vielleicht als Fischweib am Abend wiederkommen und sich von ihm
wieder in ein Menschenweib verwandeln lassen, wenn der Mond aufginge.
In der Mittagshitze, als
die Sonne aus dem Meer und aus dem Himmel zugleich brannte und der König auf
einem Haufen Segeltuch am Bootrand einschlief, schlichen sich die schlauen Weisen
seines Landes an den Schlafenden heran und stießen den Haufen Segeltuch samt
dem schlafenden König ins Meer. Denn alle hatten beratschlage, daß sie den
wütenden König noch vor Abend töten müßten, um nicht selbst getötet zu werden.
Als die Sonne den König
nicht mehr auf dem Deck sah, stieg sie früher als sonst von der Mastspitze
herunter, und verwundert sahen die Weisen, daß der Tag schneller zu Ende war
als je. In dieser Nacht warteten sie vergeblich auf den Mond. Es war kein
Mondaufgang, und es schien eine endlose Nacht angebrochen zu sein; denn die
Sonne ging auch nicht mehr auf zu der Zeit, da sie erwartet wurde.
Danach verwirrte sich die
Weisheit in allen ihren Hirnen; die Weisen des Landes hatten die Liebe im Reich
umgebracht, und mit der Liebe blieben Sonne und Mond aus dem Reich
verschwunden. Denn die Liebe ist allmächtiger als die Weisheit. Alle, die im
Boot waren, wurden wahnsinnig und stürzten sich ins Meer, dem toten König nach.
–
So erzählte Hasenauge. Und
bei den letzten Worten deutete sie mit den Eßstäbchen, mit denen sie dich bei
der Unterhaltung gefüttert hatte, hinaus auf den Biwasee. Umgeben von einem
gelben Dunstkreis, als hätte er einen gelben Ährenkranz auf dem Kopf, stand der
Vollmondgott draußen am Fenster und trat seinen Rundgang an.
Wenn du dann aus dem
Teehaus heimgehst, kann es einem Neuling, der Hasenauge zum erstenmal erzählen
hörte, vorkommen, daß er mit dem Mond in Streit gerät. Der Mond stellt sich
quer über den Weg und fragt ihn:
»Nun, hat dir wirklich Hasenauge
während meines Aufgangs zwölf Geschichten erzählt?«
Zuerst sagst du Ja. Du
besinnst dich nicht, rechnest nicht nach und sagst: „Ja, zwölf“.
Der Mond lacht stolz über
Ishiyama und freut sich.
Nach einer Weile rufst du
den Mond, hinter einer Hausecke, an den Weg hervor und sagst:
»Es war nur e i n e Geschichte, aber es klang wie zwölf.«
Da lächelt der Mond noch
stolzer und freut sich noch mehr über Ishiyama.
Und wieder nach einer
Weile, ehe du in dein Haus trittst, fragst du den Mond an der Türschwelle:
»Sag mal, wie kommt das,
daß Fräulein Hasenauge dreitausend Geschichten allein vom Mondaufgang über
Ishiyama erzählen kann? Kommt es daher, daß du nirgends so schön wie am Biwasee
aufgehst? Ich glaube, du bist Fräulein Hasenauges Geliebter.«
Da rascheln alle
Eschenbäume im Mond, und sie fragen dich:
»Hat dir Fräulein Hasenauge
heute ihre dreitausend Geschichten erzählt?«
»Ja, ungefähr dreitausend«,
antwortest du, ohne dich zu besinnen.
Und am nächsten Abend geht
der Mond über dem Biwasee bei Ishiyama noch geschichtenreicher auf als sonst. –
***
»Liebe und der aufgehende
Mond machen das Haar wachsen. Darüber will ich dir gleich eine Geschichte
erzählen«, sagte »Hasenauge« zu mir und reichte mir ein Schälchen frischen Tee
und einen großen Brocken Pfefferminzzucker dazu und drückte mir eine kleine Prise
frischen Tabak in die kleine silberne Tabakpfeife. –
Als einer der schönsten
Tempel in Kioto gebaut werden sollte, erwiesen sich alle Stricke, die den
bronzenen Dachfirst auf die Gerüste hinaufwinden sollten, als zu schwach. Darum
entschlossen sich alle die Tausende von Frauen in Kioto, dem Tempel ein Opfer
zu bringen und ihr Haar dicht am Kopf abschneiden zu lassen, damit daraus
Stricke für den Tempelbau gedreht würden. Es wurde auch wirklich ein dreihundert
Meter langer Haarstrick aus den geopferten Haaren gedreht, und dieser schwarze
Strick, der die Dicke eines Männerarms hat, wird noch heute in einer Lacktonne
im Tempel von Kioto aufbewahrt.
Die Frau eines japanischen
Adligen, die auch ihr Haar zum Tempelopfer abgeschnitten hatte, und die in
jener Zeit schwanger war und nahe vor der Stunde des Gebärens stand, erschrak
so sehr, als sie sich im Handspiegel sah und ihr Kopf ihr kahlrasiert
entgegenglänzte, daß sie sich der Tränen nicht erwehren konnte.
Die Tempelgötter nahmen die
Schwachheit dieser Frau übel und straften sie an dem Kind, das sie gebar. Sie
schenkten ihr ein kleines Mädchen, aber diesem wuchs nicht ein einziges Haar
auf dem Kopf; und wie eine Elfenbeinkugel so glatt, weiß und haarlos blieb die
Schädeldecke des Kindes.
Die Frauen von Kioto, denen
allen daran gelegen war, daß ihr Haar bald wieder wüchse, und die wußten, daß
der zunehmende Vollmond den Haarwuchs beschleunigt, taten sich zu
Vollmondprozessionen zusammen und wallfahrteten in langen Zügen im Mondschein
zu den verschiedenen Kiototempeln.
Jene adlige Dame nahm zu
jenen Nachtprozessionen ihr kleines Mädchen mit, in der Hoffnung, der Mond
würde dem Kind Haare wachsen lassen. Aber die Prozessionen nützten nichts, und
die Mutter war gezwungen, dem Kind Perücken machen zu lassen. Das Mädchen wurde
damals von allen Leuten in Kioto »Mondköpfchen« genannt, weil es so kahl war
wie der Vollmond.
Als Mondköpfchen
verheiratet wurde, wußte der junge Mann, der sie zur Frau nahm, daß er eine
kahlköpfige Frau heiratete. Aber es lag ihm nichts daran, denn er hatte Mondköpfchen
immer in schöner, gutsitzender Perücke gesehen. Und er hatte sich keine
Gedanken darüber gemacht, wie eine kahlköpfige Frau ohne Perücke aussehen kann.
Die Hochzeitsnacht verlief,
wie die meisten Hochzeitsnächte, für die beiden Neuvermählten mit geschlossenen
Augen, und das Liebesglück ward nicht gestört.
Aber schon in der zweiten
Nacht verschob der junge Ehemann erst zufällig, dann scherzend Mondköpfchens
schwarze Perücke. Er spaßte und schob sie ihr bald auf das linke Ohr, bald auf
das rechte, bald auf die Nase, bald auf den Nacken zurück, und er kollerte sich
neben seiner jungen Frau vor Lachen. Immer, wenn die Frau ernst und liebend
ihre Arme ausbreitete, juckte den Mann ein Kobold an den Fingern, so daß er der
Perücke erst jedesmal einen kleinen Puff gab, ehe er seine Frau in die Arme
schloß.
Dieses geschah in der
zweiten Nacht. Aber in der dritten war es überhaupt nicht mehr zum Aushalten.
Der junge Mann setzte sich selbst die Perücke auf, so daß die Frau böse wurde,
nicht mehr im Zimmer bleiben wollte und sich auf den Altan setzte. Es war
dunkel draußen, und er lief ihr mit einem Licht nach. Als er sie perückenlos
mit hellleuchtendem Schädel am Altanrand sitzen sah, prustete er vor Lachen,
kollerte ins Zimmer zurück und rief:
»Ich habe den Vollmond
geheiratet.«
Bisher hatte Mondköpfchen
ihren Namen immer harmlos hingenommen und sich nie darüber erschreckt. Aber nun
brach sie in Weinen aus.
Am dritten Tage nach der
Hochzeit ist es in Japan Sitte, daß die Frau ihre Eltern besucht. Mondköpfchen
ließ sich am nächsten Morgen in einer Sänfte in ihr Vaterhaus tragen, weinte
sich bei ihrem Vater und ihrer Mutter aus und wollte nicht mehr zu dem Mann
zurückkehren, der mit ihrer Perücke spielte und statt der Liebe Gelächter über
sie schüttete.
Aber Vater und Mutter
überredeten Mondköpfchen, wieder zu ihrem Mann zurückzukehren, und versprachen,
alles daran zu setzen, ein Mittel ausfindig zu machen, damit ihre Haare
wüchsen. Sie sollte sich nur noch eine kurze Wartezeit auferlegen.
Mondköpfchens Eltern hatten
diesen Rat nur aus Verzweiflung gegeben und mußten jetzt selbst weinen, als ihr
Kind zu seinem Mann zurückgekehrt war; sie waren ratlos.
Plötzlich sagte die alte
Frau zu ihrem Mann:
»Ich weiß, womit ich die
Götter jetzt versöhnen kann. Ich will mein Haar zum zweitenmal abschneiden und
es den Tempelgöttern opfern. Die Götter sind gut und geben mir dann einen Rat
für unser Kind.«
Die Frau tat so und trug
ihr ergrautes abgeschnittenes Haar, zu einer kleinen Schnur geflochten, in den
Tempel der tausendhändigen Kwannon und band dort die Haarschnur um das goldene
Handgelenk der tausendfach segenspendenden Göttin.
Die Götter versöhnten sich
danach mit ihr und gaben ihr in der Nacht einen Rat. Die Frau hörte im Traum
eine Stimme, die sagte:
»Liebe und Vollmond lassen
die Haare wachsen. Schicke dein Kind nach Ishiyama. Wenn es dort den Herbstmond
aufgehen sieht, werden Liebe und Mond deinem Kind ein schönes Haar schenken.«
Die Mutter erzählte den
Traum ihrer Tochter, und Mondköpfchen glaubte begeistert an die Weissagung. Und
Mondköpfchens Mann, der immer noch lachte, sagte wenig rücksichtsvoll zu seiner
jungen Frau:
»Reise nur nach dem Biwasee
und laß dir dort Haare wachsen. Ich muß mich hier inzwischen von dem
Nachtgelächter erholen.«
»Mondköpfchen« reiste an
den Biwasee.
Im aufgehenden Mondschein
sahen die Bewohner von Ishiyama die kahlköpfige junge Frau auf dem Balkon des
Rasthauses sitzen, wo Mondköpfchen Wohnung genommen hatte. Die frommen Bewohner
des Seeortes nannten sie nur die elfenbeinerne Heilige, weil ihr haarloser Kopf
wie vergilbtes, altes Elfenbein in der Abenddämmerung leuchtete. Viele lenkten
abends vom See her ihre Kähne am Rasthaus vorbei, um die bleiche, stille Frau
auf dem Altan unter den Sykomorenbäumen sitzen zu sehen, und jeder, der sie
sah, dachte sich eine Geschichte über sie aus.
oben
__________________________
Textgrundlage: "Von Ishiyama den Herbstmond aufgehen sehen",
aus: Die acht Gesichter am
Biwasee, Japanische Liebesgeschichten,
Max Dauthendey Albert Langen, München
1932, 37. bis 40. Tausend,
Copyright 1911 by Albert Langen, Munich, Printed in
Germany
Digitale
Sammlung der Universität
zu Köln
Logo 531: „Birds
and Flowers",
one of two six-panel screens by Kano Koi,
17 JH,
gemeinfrei
wikipedia
|
lifedays-seite - moment
in time |
|
|
|
|
|
|
|