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04.3
Geschichten-
Max Dauthendey
Die acht Gesichter am Biwasee
Von Ishiyama den Herbstmond aufgehen sehen
Seite 3
Ein junger Adliger, der ein
Landhaus in der Nähe von Ishiyama hatte, hörte durch seine Leute von der
fremden Frau, die Abend für Abend den aufgehenden Herbstmond von Ishiyama
erwartete. Und er richtete es so ein, daß er am Spätnachmittag in einen der
Sykomorenbäume am Ufer stieg, wo er, hinter den Ästen verborgen, Mondköpfchen
beobachten konnte, die wie ein Götterbild regungslos im Mondschein saß und sich
Liebe und Haare wünschte.
Bald danach erhielt die
junge Frau von dem jungen Adligen ein Gedicht gesandt, das war mit Goldtusche
auf Purpurpapier geschrieben. Das Gedicht erzählte von einem Sykomorenbaum, der
ein Mensch werden wollte, um zu ihr zu kommen und neben ihr auf dem Altan zu
sitzen.
Mondköpfchen freute sich
aufrichtig über das schwärmerische Gedicht. Und als sie wieder im Mondschein
saß und mit der Hand über ihren Kopf strich, fühlte sie zu ihrem Entzücken die
ersten Haarspuren, denn sie sehnte sich in dieser Nacht sehr nach ihrem Mann
zurück.
Am nächsten Tag erhielt sie
einen Brief, der sagte ihr:
»Ich bin ein Mann, der Dich
liebt, und möchte Dich bald vom Altan holen. Laß Dich entführen, schöne Frau.«
In dieser Nacht sehnte sich
Mondköpfchen noch mehr nach ihrem Mann, und ihre Haare wuchsen einen Arm lang,
und am Morgen reichten sie ihr bis zum Gürtel. In der nächsten Nacht wuchsen
sie ihr beim aufgehenden Mond bis zu den Knieen.
Mondköpfchen empfing in
dieser Nacht einen dritten Brief, der sprach:
»Ich weiß, daß Du einen
Mann in Tokio hast. Liebe mich, so werde ich ihn töten.«
Da erschrak Mondköpfchen,
ließ sich noch in derselben Nacht in einem Kahn über den Biwasee fahren und
reiste nach Kioto und zeigte sich und die Briefe ihrem Mann.
Als der Mann seine Frau im
prächtigen Haar vor sich sah, wurde er still, und seine Augen wurden dunkel vor
Bewunderung. Und als er die drei Briefe gelesen hatte, wurden seine Augen
finster, seine Arme breiteten sich aus, und sein Mund, der nicht mehr lachte,
sagte:
»Komm in meine Arme, wenn
du mir jetzt noch treu sein willst, seit du so schön bist, und wenn du mir
verzeihen kannst, daß ich gelacht habe, als du noch nicht so schön warst.
Willst du mir aber eines Tages die Treue brechen, dann tue es lieber jetzt und
gehe zu dem Mann, der die Briefe geschrieben hat, damit er mich tötet. Denn
wenn du mich jetzt verläßt, hat mich schon mein Leben verlassen, und der Tod
ist dann nur eine Zeremonie, die ich nicht spüren werde.«
Mondköpfchen setzte sich
auf die Diele vor ihren Mann nieder und begann den Tee zu bereiten. Das
bedeutete, daß sie ihn für immer lieben und ihm treu bleiben würde und ihm
verziehen
hätte. –
***
Und Fräulein Hasenauge
lächelte ungläubig und erzählte eine neue Geschichte.
Ein Spielzeugverkäufer, ein
Schilfmattenflechter und ein Holzkohlenhändler saßen eines Abends, ehe der
Vollmond über Ishiyama aufging, am Rande der Landstraße nach Ishiyama. Der
Spielzeugverkäufer hatte an einer langen Stange ein Bündel Spielsachen hängen,
meist aus Watte gearbeitete große Insekten, ungeheure graue und silberne
Riesenspinnen, grüne und braune Grashüpfer und Heuschrecken, riesige Libellen
mit farbigen Flügeln aus Gelatinepapier.
Der Schilfmattenflechter
trug ein großes Bündel zusammengerollter, feingeflochtener Schilfmatten auf dem
Rücken. Das sah in der Abenddämmerung aus, als trüge er lange Kanonenrohre.
Der Kohlenhändler trug
einen Korb auf dem Kopf, den er im Gehen balancierte. Drinnen im Korb unter
einem Tuch war die feinste Holzkohle, die er selbst zubereitet hatte.
Im Straßengraben sitzend,
an welchen das Schilf vom See her heranreichte, erzählten sich die drei
Kriegsgeschichten. Der eine, der Spielwarenhändler, behauptete, er wäre bei der
Einnahme von Peking dabeigewesen. Der Rohrmattenflechter behauptete, er hätte
mit vor Port Arthur gelegen. Der Kohlenhändler behauptete, er wäre auf einem
Schlachtschiff im Chinesischen Meer Heizer gewesen. Aber alle drei verstanden
vom Kriegshandwerk so wenig wie eine Katze vom Neujahrsfest. Und ihre
Erzählungen waren so drollig, daß ganz Japan sie lachend immer noch
weitererzählt.
Der Spielwarenhändler
sagte: »Als wir die Stadtmauern von Peking sahen, liefen unsere Augen wie
Spinnen über die Ebene von Peking, unsere Füße hüpften wie Heuschreckenbeine
über die Mauerwälle, unsere Bajonette, Säbel und Kugeln flogen wie surrende
Libellen über die Chinesen her. Aber das war alles umsonst. Ihr wißt: wenn man
den Chinesen sticht, haut oder vierteilt, ist dies geradeso unnütz, als wenn
man gegen den aufgehenden Vollmond streitet. Die Chinesen stehen immer wieder
gesund und unverwundbar vor dir, denn jeder hat Tausende von Körpern ineinander
geschachtelt, so wie es Spielzeugschachteln gibt, von denen Hunderte ineinander
passen.«
»Womit habt ihr denn die
Chinesen umgebracht, wenn sie nicht zu erschießen und nicht zu erschlagen
sind?« fragte der Schilfmattenflechter.
Der Spielzeughändler blähte
sich auf wie eine Schweinsblase, die ein Kinderluftballon werden will.
»Oh, wir haben ihnen allen
den Rücken gewendet, so daß die Chinesen keines unserer Gesichter sahen und
nicht sahen, wie wir lachten, und haben unsere Gewehre in die Luft
abgeschossen, in die Wolken und in den blauen Himmel und haben mit den
Bajonetten und den Säbeln in die Luft gestochen und haben nicht gegen die
Chinesen, sondern gegen den Himmel gekämpft.
Da hat die Chinesen, die
Söhne des Himmels, ein großer Schreck erfaßt, als sie sahen, daß wir ihren
Himmel angriffen. Tausende starben vor Erstaunen, Tausende vor Entsetzen, und
Tausende kamen auf den Knieen zu uns gekrochen und hatten die Tore zur
himmlischen Stadt Peking geöffnet, damit wir ihre Väter und Götter im Himmel
nicht bekriegten.«
»Das ist drollig«, sagte
der Schilfmattenhändler. »Aber gegen die Russen hättet ihr nicht so kämpfen
dürfen. Die Russen haben von den Knieen abwärts Kanonenrohre statt der Füße,
und immer, wenn sie ein Bein heben, können sie mit dem Bein auf dich schießen.
Sie heben ihre Beine in die Luft, geradeso wie meine zusammengerollten Matten lang
in die Luft gucken. Und sie brauchen nicht zu zielen, denn ihre Füße haben
Augen, die sie Hühneraugen nennen, und diese zielen für sie. Und während ihre
Beine gehen und schießen, haben die meisten Essen und Trinkflasche in den
Händen und füttern und tränken jeder sein Maul. So bleiben sie immer stark und
kommen nie von Kräften und sind unbesiegbar.«
»Ja, wie habt ihr sie dann
besiegt, die Russen?« fragte der Kohlenhändler.
»Oh, das war ganz einfach.
Das sagt einem jeden doch der helle Verstand, wie man einen Russen besiegt. Nur
ein Kohlenhändler wie du kann so dumm fragen, als ob du Kohlenstaub in deinen
Augen hättest und nicht wüßtest, daß wir die Russen besiegt haben.
Der Russe läßt doch immer
nur seine Beine gradaus marschieren und schießen, aber seine Augen im Gesicht
sehen nichts als das Essen und Trinken vor dem Maul. Darum, wenn die Russen aus
Port Artur auf uns losmarschierten mit ihren schießenden Beinen, stellten wir
uns ruhig zu beiden Seiten des Weges auf und ließen sie ruhig an uns vorbei.
Dann gingen wir hinter ihnen her, jeder faßte einen Russen am Gürtel und drehte
ihn einfach wieder gegen Port Artur um, in der Richtung auf das Meer zu. Da sie
einmal im Gehen waren und sich im Fressen und Saufen nicht stören lassen
wollten, marschierten sie auf Port Artur zurück und liefen dort über die
Kaimauern ins Meer, wo sie ertranken. Die Armeen aus der Mandschurei aber, die
aus dem Norden kamen, drehten wir nach Norden um, so daß sie ruhig zur sibirischen
Eisenbahn zurückmarschierten. Und die Eisenbahnbeamten, im Glauben, der Krieg
sei beendet und die Russen seien Sieger, fuhren die fressenden und saufenden
Armeen nach Petersburg zurück, wo sie dann einzogen, immer noch in dem Glauben,
daß sie die Sieger wären. In der Zeit besetzten wir die ganze Mandschurei, und
das soldatenleere Port Artur war unser.«
»So einfach war es aber
doch nicht«, sagte der Kohlenhändler, »denn erst mußten wir die russische
Flotte zerstören, wobei ich einer der Haupthelden war.«
»Erzähle!« sagten die
beiden anderen Helden.
»Da ist nichts zu erzählen.
Das war die allereinfachste Sache von der Welt, die russische Flotte zu
vernichten«, wisperte der Kohlenhändler bescheiden wie eine Feldmaus.
»Eines Morgens dachte ich
mir: heute zerstöre ich die russische Flotte, denn ich hatte Sehnsucht nach
meiner Frau, und nichts als die russische Flotte hinderte mich, zu meiner Frau
zu reisen.
Ich steckte mir eine
Schachtel Streichhölzer ein, ein paar japanische Zeitungen und ein paar
Stückchen Holzkohle. Ich schwamm von meinem Schiff an die Hafenmauer von Port
Artur heran, zündete mir ein Pfeifchen an, setzte mich auf einen Klippenstein
und fabrizierte aus meinen japanischen Zeitungen kleine Papierschiffe, wie sie
die Schulkinder am Biwasee machen. In jedes Schiffchen steckte ich ein
Stückchen Kohle, das war der Schornstein des Schiffes; manche hatten auch zwei
und vier Schornsteine. Die Kohlenstücke zündete ich an, und dann ließ ich meine
Schiffe mit dem Südostwind auf Port Artur los, und sie zogen an der Hafenmauer
entlang. Meine kleine Papierflotte wurde augenblicklich von allen Leuchttürmen
und Fernrohren auf den Leuchttürmen dem Admiral der russischen Flotte
signalisiert. Die russische Flotte verließ sofort in Schlachtreihen den Hafen
und umzingelte meine Zeitungspapierflotte. Tausend Schüsse hallten aus den
russischen Schiffsbäuchen, und als sich der Rauch verzog, war natürlich meine
Papierflotte untergegangen. Auf allen Rahen und auf allen Masten stellten sich
nun die russischen Marinesoldaten in Parade auf, um dem sieghaften russischen Admiral
ein dreifaches Hurra für seinen Sieg auszubringen.
Auf diesen Augenblick hatte
ich nur gewartet. Denn ich wußte, die Russen hatten ihren Mut mit Schnaps
angefeuert, und es mußte beim Siegesgeschrei der Tausenden und Tausenden von
Soldaten eine Wolke von Alkoholgasen in der Luft entstehen, und diese Wolke
konnte ich mit einem einzigen Streichholz in Brand setzen.
So war es auch. Das erste
Hurra ließ ich sie zum Vergnügen schreien. Aber bei dem zweiten Hurra wäre ich
beinahe erstickt – so sehr stank die Luft nach Alkohol.
Kaum flackerte das
Streichholz auf, so entzündete sich über dem Meer die Alkoholwolke, und eine
Flamme pflanzte sich fort von Schiff zu Schiff; Mannschaften und Schiffe, vom
Alkoholdunst erfüllt, explodierten unter Gekrach. Später sagten die Russen uns
nach, wir hätten mit Stinkbomben geschossen und mit griechischem Feuer. Und es
war doch nur ihr Alkoholatem, der die ganze Flotte verbrannt hat, als ich mein
Streichholz anzündete.«
»Ja, sag mir aber«, fragte
mißtrauisch und kleinlich der Spielzeughändler, »sag mir, Kriegskamerad, wie
konntest du die Streichholzschachtel trocken erhalten, als du von deinem Schiff
nach Port Artur geschwommen bist?«
Auch der
Schilfmattenhändler nickte heftig und ungläubig und bezweifelte gleichfalls,
daß eine Streichholzschachtel beim Schwimmen trocken bleiben könnte.
»Habe ich euch denn nicht
gesagt«, fuhr der Kohlenhändler sie grob an, »daß ich an diesem Morgen
Sehnsucht nach meinem Weib hatte? Wißt ihr nicht, was Sehnsucht bedeutet?
Sehnsucht haben heißt so heißes Blut kriegen, daß alles ringsum verdorrt.«
»Ja, dann verstehen wir,
daß deine Streichholzschachtel im Gürtel nicht naß wurde, wenn du Sehnsucht
nach deinem Weib hattest, Kriegskamerad«, nickten der Spielzeughändler und der
Schilfmattenverkäufer dem Holzkohlenhändler zu.
Der Vollmond war inzwischen
langsam aus dem Schilf gerollt, betrachtete sich breit lachend die drei
Überhelden und erzählte die Geschichte in ganz Japan weiter.
oben
__________________________
Textgrundlage: "Von Ishiyama den Herbstmond aufgehen sehen",
aus: Die acht Gesichter am
Biwasee, Japanische Liebesgeschichten,
Max Dauthendey Albert Langen, München
1932, 37. bis 40. Tausend,
Copyright 1911 by Albert Langen, Munich, Printed in
Germany
Digitale
Sammlung der Universität
zu Köln
Logo 531: „Birds
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one of two six-panel screens by Kano Koi,
17 JH,
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