Aus
einer Autobiographie
Das
gelbe Fieber, das bei
Pointe-à-Pitre seine Verheerungen fortsetzte, fand nichts, was es mir
noch
nehmen könnte. Ich war allein und wollte mich auf einem Fahrzeug
einschiffen,
das, ehe es nach Frankreich segelte, zur Vervollständigung seiner
Ladung in
Basse-Terre vor Anker gehen sollte.
Es
war Nacht, solch eine helle
Nacht, die eine Gegend völlig verwandelte und aus einer Stadt eine ganz
neue
andere Stadt zu schaffen weißt. Der Anblick dieser hier war mir so
unerträglich, daß ich, in dem Hause, welches mich nach dem Aufruhr und
dem Tode
meiner Mutter aufgenommen hatte, mich in einem dunklen kleinen
Hinterzimmer
verkroch. Ich wartete darauf, die alte Uhr an der Wand, die
geräuschvoll die
Sekunden tickte, die Stunde der Abreise schlagen zu hören. Da kam der
Gouverneur und machte mir, zugleich im Namen seiner Frau, das Angebot,
mich in
seiner Familie aufzunehmen, damit ich zur Rückkehr nach Frankreich eine
günstigere und ungefährlichere Gelegenheit abwarten könne.
Er
benachrichtigte die
Witwe, daß ich mich den Gefahren dieses Schiffes nicht aussetzen möge,
das in
der Tat recht gebrechlich und kaum mehr war, als ein großes,
überdecktes Boot.
Seine Ladung für Europa, bestand aus Stockfisch und Walfischtran, und
an
Proviant führte es nur einige Stücke Pökelfleich und Schiffszwieback
mit sich,
den man mit dem Hammer zerschlagen mußte. Das Feuer im Kompaßhäuschen
und in
den Schloten war das einzige, was diese so lange Reise für uns erhellen
sollte.
„Sie
wird sterben“, sagte
der Gouverneur zu der jungen Witwe, die bereits Tränen vergoß, - „ich
sage
Ihnen, Madame, sie wird sterben!“
All
ihre Worte klangen
durch die Bretterwand zu mir herüber, keins aber änderte meinen
Entschluß,
abzureisen. Man kam und holte mich; ich sollte selber Antwort geben.
Ich
weinte, aber nichts erschien mir so grauenhaft, als hier zurückbleiben
zu
müssen; so lehnte ich das Anerbieten ab. Ich glaube, ehe ich mich dazu
entschlossen, hätte ich lieber dasselbe getan, was ein kleiner
Negerjunge vom
Hause versuchte, der mir bei der Abfahrt nachschwamm: ich wäre ins Meer
gesprungen, im Glauben, in meinen Armen Kraft genug zu besitzen, um bis
nach
Frankreich zu schwimmen.
Das
Entsetzen vertrieb mich
von dieser bewegten Insel. Vor wenigen Tagen hatte mich ein Erdbeben,
während
ich vor dem Spiegel stand und meine Zöpfe flocht, aufs Bett
niedergeworfen. Ich
hatte Angst vor Mauern, hatte Angst vor dem Rascheln des Laubes, dem
Wehen der
Luft. Die Vögel schienen mich zur Reise aufzurufen. Hier, inmitten
eines ganzen
Volkes, das nur den Tod oder die Trauer um Tote kannte, erschienen mir
nur die
Vögel lebendig, weil sie Schwingen besaßen. Der Gouverneur konnte
keinen andern
Dank von mir erlangen, als liebenswürdige Worte und einen
Abschiedsgruß. Ich
sehe noch immer sein bekümmertes Gesicht vor mir, als er ging, mich
meinem
Schicksal überlassend, das ihm verhängnisvoll zu sein schien. Es war
das
erstemal, daß ich selbst über mein Los entschied, und ich legte es
allein in
Gottes Hände, da ich keinen andern Herrn und Führer mehr besaß.
Um
Mitternacht fuhr ich ab,
und als die Trennungsstunde schlug, schickte die Witwe, die mich mit
ihren
Leuten begleitet hatte, die Dienerschaft nach Hause zurück und
entschloß sich,
mir auch für die Überfahrt von fünfunddreißig Meilen, die von der einen
zur
andern Insel zurückzulegen sind, das Geleit zu geben. Als die Matrosen
mich ins
Boot trugen, das uns zu dem auf der Reede liegenden Schiff hinführen
sollte,
hatte ich mir die Augen mit der Hand bedeckt, um die Tränen der
herzlich guten
Frau nicht sehen zu müssen. Zu meiner großen Überraschung fand ich sie
dann
neben mir im Boot, ruhig und zufrieden saß sie da, wie nach einem
edlen,
siegreich bestandenen Kampf.
Sie
brachte mich bis nach
Basse-Terre, wo sie Bekannte hatte; sie nährte noch immer die Hoffnung,
mir
eine angenehmere Überfahrt nach Europa beschaffen zu können. Wir mußen
Tage
lang warten, ehe wir in See gehen konnen, und während all der Zeit nahm
sie
mich innig in Schutz; wir betrachteten das Schauspiel, das uns auf
allen Seiten
umgab, und sprachen nichts mehr.
Auf
der einen Seite
bereitete das uferlose Wasser seine ungeheure Fläche, schwarz und
glänzend
unter einem Mond, der sich in jeder irrenden Woge vervielfältigte. Vor
uns
entfaltete der Hafen seine stille Belebtheit, die nur am Tanz der
Lichter von
Schiff zu Schiff erkennbar war, und rückwärtsschreitend verließ ich
ihn, um ihn
lange vor Augen zu behalten, und er erschien mir ganz anders, als an
jenem
stürmischen Tag meiner Ankunft hier.
Mitten
aus diesen
Dingen,deren Bild mir unauslöschlich eingegraben ist, sah ich – mein
Gott, ich
hatte es mir oft geträumt! – sah ich meine Mutter mit ausgebreiteten
Armen zu
mir ans Land eilen . . . Ich weiß keine Erinnerung, die trauriger wäre.
Was
bedeutet alles Folgende und wie ich heimgelangte, mein Los in
Frankreich zu
erfüllen, das mir alles , doch dem ich nichts war. Du Liebe zum Lande
unserer
Wiege, sei gesegnet, du süßes und trauriges Mysterium – gleich jeder
anderen
Liebe! . . .