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Literatur


04.3


Geschichten
Marceline Desbordes-Valmore

Das Lebensbild einer Dichterin

Dritter Teil: Autobiographische Fragmente





Aus einer Autobiographie
 
Das gelbe Fieber, das bei Pointe-à-Pitre seine Verheerungen fortsetzte, fand nichts, was es mir noch nehmen könnte. Ich war allein und wollte mich auf einem Fahrzeug einschiffen, das, ehe es nach Frankreich segelte, zur Vervollständigung seiner Ladung in Basse-Terre vor Anker gehen sollte.
 
Es war Nacht, solch eine helle Nacht, die eine Gegend völlig verwandelte und aus einer Stadt eine ganz neue andere Stadt zu schaffen weißt. Der Anblick dieser hier war mir so unerträglich, daß ich, in dem Hause, welches mich nach dem Aufruhr und dem Tode meiner Mutter aufgenommen hatte, mich in einem dunklen kleinen Hinterzimmer verkroch. Ich wartete darauf, die alte Uhr an der Wand, die geräuschvoll die Sekunden tickte, die Stunde der Abreise schlagen zu hören. Da kam der Gouverneur und machte mir, zugleich im Namen seiner Frau, das Angebot, mich in seiner Familie aufzunehmen, damit ich zur Rückkehr nach Frankreich eine günstigere und ungefährlichere Gelegenheit abwarten könne.
 
Er benachrichtigte die Witwe, daß ich mich den Gefahren dieses Schiffes nicht aussetzen möge, das in der Tat recht gebrechlich und kaum mehr war, als ein großes, überdecktes Boot. Seine Ladung für Europa, bestand aus Stockfisch und Walfischtran, und an Proviant führte es nur einige Stücke Pökelfleich und Schiffszwieback mit sich, den man mit dem Hammer zerschlagen mußte. Das Feuer im Kompaßhäuschen und in den Schloten war das einzige, was diese so lange Reise für uns erhellen sollte.
 
„Sie wird sterben“, sagte der Gouverneur zu der jungen Witwe, die bereits Tränen vergoß, - „ich sage Ihnen, Madame, sie wird sterben!“
 
All ihre Worte klangen durch die Bretterwand zu mir herüber, keins aber änderte meinen Entschluß, abzureisen. Man kam und holte mich; ich sollte selber Antwort geben. Ich weinte, aber nichts erschien mir so grauenhaft, als hier zurückbleiben zu müssen; so lehnte ich das Anerbieten ab. Ich glaube, ehe ich mich dazu entschlossen, hätte ich lieber dasselbe getan, was ein kleiner Negerjunge vom Hause versuchte, der mir bei der Abfahrt nachschwamm: ich wäre ins Meer gesprungen, im Glauben, in meinen Armen Kraft genug zu besitzen, um bis nach Frankreich zu schwimmen.
 
Das Entsetzen vertrieb mich von dieser bewegten Insel. Vor wenigen Tagen hatte mich ein Erdbeben, während ich vor dem Spiegel stand und meine Zöpfe flocht, aufs Bett niedergeworfen. Ich hatte Angst vor Mauern, hatte Angst vor dem Rascheln des Laubes, dem Wehen der Luft. Die Vögel schienen mich zur Reise aufzurufen. Hier, inmitten eines ganzen Volkes, das nur den Tod oder die Trauer um Tote kannte, erschienen mir nur die Vögel lebendig, weil sie Schwingen besaßen. Der Gouverneur konnte keinen andern Dank von mir erlangen, als liebenswürdige Worte und einen Abschiedsgruß. Ich sehe noch immer sein bekümmertes Gesicht vor mir, als er ging, mich meinem Schicksal überlassend, das ihm verhängnisvoll zu sein schien. Es war das erstemal, daß ich selbst über mein Los entschied, und ich legte es allein in Gottes Hände, da ich keinen andern Herrn und Führer mehr besaß.
 
Um Mitternacht fuhr ich ab, und als die Trennungsstunde schlug, schickte die Witwe, die mich mit ihren Leuten begleitet hatte, die Dienerschaft nach Hause zurück und entschloß sich, mir auch für die Überfahrt von fünfunddreißig Meilen, die von der einen zur andern Insel zurückzulegen sind, das Geleit zu geben. Als die Matrosen mich ins Boot trugen, das uns zu dem auf der Reede liegenden Schiff hinführen sollte, hatte ich mir die Augen mit der Hand bedeckt, um die Tränen der herzlich guten Frau nicht sehen zu müssen. Zu meiner großen Überraschung fand ich sie dann neben mir im Boot, ruhig und zufrieden saß sie da, wie nach einem edlen, siegreich bestandenen Kampf.
 
Sie brachte mich bis nach Basse-Terre, wo sie Bekannte hatte; sie nährte noch immer die Hoffnung, mir eine angenehmere Überfahrt nach Europa beschaffen zu können. Wir mußen Tage lang warten, ehe wir in See gehen konnen, und während all der Zeit nahm sie mich innig in Schutz; wir betrachteten das Schauspiel, das uns auf allen Seiten umgab, und sprachen nichts mehr.
 
Auf der einen Seite bereitete das uferlose Wasser seine ungeheure Fläche, schwarz und glänzend unter einem Mond, der sich in jeder irrenden Woge vervielfältigte. Vor uns entfaltete der Hafen seine stille Belebtheit, die nur am Tanz der Lichter von Schiff zu Schiff erkennbar war, und rückwärtsschreitend verließ ich ihn, um ihn lange vor Augen zu behalten, und er erschien mir ganz anders, als an jenem stürmischen Tag meiner Ankunft hier.
 
Mitten aus diesen Dingen,deren Bild mir unauslöschlich eingegraben ist, sah ich – mein Gott, ich hatte es mir oft geträumt! – sah ich meine Mutter mit ausgebreiteten Armen zu mir ans Land eilen . . . Ich weiß keine Erinnerung, die trauriger wäre. Was bedeutet alles Folgende und wie ich heimgelangte, mein Los in Frankreich zu erfüllen, das mir alles , doch dem ich nichts war. Du Liebe zum Lande unserer Wiege, sei gesegnet, du süßes und trauriges Mysterium – gleich jeder anderen Liebe! . . .

 





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