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Literatur


04.3


Geschichten
Marceline Desbordes-Valmore

Das Lebensbild einer Dichterin

Vierter Teil: Briefe





Briefe 4


Lyon, den 23. November 1832
   
Und dann höre! Du sprichst mir von Andeutungen, die Dir weh getan hätten. Ich – Dir weh getan! Ich, die ich mein Blut für Dich hingegeben, die ich Dir bis ans Ende der Welt folgen würde – überallhin und um jeden Preis? Oh! Gut, nimm hier meinen getreuen Eid, daß nie ein Wort Dir wissentlich von der Vergangenheit reden soll, daß sie für mich abgetan ist, und daß ich auch Dich beschwöre, sie zu vergessen. Andererseits: wie kannst Du mich so falsch verstehen? Du bist zu streng gegen Dich selbst und willst nicht daran glauben, daß andere Dich lieben! Sei gut, sei furchtlos, ich hege gegen keine Seele Groll, und sollte es gegen Dich? Komm, geben wir uns einen Kuß, Prosper, willst Du?

 

 
1. Dezember 1832
 
Ich lese und lese immer wieder, was Du grausam genug bist mir über meine Zärtlichkeit zu sagen; ich weine, und in meiner Verblüffung darüber klage ich Dich an. Wie! diese qualvolle Ausdauer, Dir meinen Kummer verborgen zu haben, wird mir nicht besser belohnt, teurer undankbarer Freund! Ausbrüche, die Dich unglücklich gemacht hätten und die ich für Deine Ruhe fürchtete . . . und von denen ich meinte, daß sie mich noch mehr von Dir entfernen müßten, all dies hast Du für Kälte gehalten! Ach! das ist zu schmerzlich, und das wollte man ausnützen, Dich von mir zu reißen! Ich wäre beinahe daran gestorben und vor Schweigen erstickt. Du hast nichts begriffen, Verblendung eines Herzens, aus dem ich so lange ausgelöscht zu sein glaubte. Du wirst es bereuen, nicht wahr? Du wirst mit mir über das weinen, was mich in diesem Augenblick Tränen vergießen läßt! Du siehst nicht klar über Dich und mich. Ich selber war auch sehr argwöhnisch. Was, Du liebtest mich, Prosper, liebtest mich, sag es mir hundertmal: dies hoffen zu dürfen, tut mir so not! All dies hat mich niedergeschlagen.

 

 
2. Dezember 1832
 
Er kränkt mich heute, diese Gedichte, die Dein Herz bedrücken, geschrieben zu haben. Ich wiederhole Dir in Aufrichtigkeit, daß sie aus  unserer Verbindung entstanden sind: es ist Musik, wie sie Dalayrac machte; es sind Eindrücke, die ich bei anderen Frauen beobachtet habe, die vor meinen Augen litten. Ich sagte: ‚“Ich empfand dies oder jenes, in dieser Lage“ und machte daraus abseits für mich, Musik, Gott weiß es!

 

 
10. Dezember 1832
 
Ich bin aufgewacht und hielt noch den Kopf des Kindes (Hyppolyte) an mein Herz gedrückt. Ich hatte geträumt, daß er (aus dem Institut) davongelaufen war, um mich wiederzusehen, er weinte, und ich überschüttete ihn mit Liebkosungen.


 
 
An ihren Sohn
Rouen, den 23. April 1833
 
Dein Brief hat uns sehr gefreut, mein kleiner Freund! Warum kann ich Dir hier nicht in Wirklichkeit den Kuß geben, als Dank dafür, daß Du bist, was Du sein sollst, daß Du die Mühen Deines Lehrers belohnst, den ich immer wieder segne! Dein Fleiß und Deine Bravheit trösten mich über die schmerzliche Trennung. Wie lieb habe ich Dich, mein guter Sohn, daß Du Dein Versprechen hältst und versuchst, Dich für alles, was Du Herrn Froussard schuldest, dankbar zu erzeigen. Eines Tages wirst Du verstehen, wie ungeheuer Du ihm verpflichtet bist. Wo könntest Du besser lernen, ein tüchtiger, ehrenhafter Mann zu werden und Dir die Unschuld des Herzens zu bewahren? Und mit wie viel Annehmlichkeiten er Dir die Pflicht versüßt! Wenn Du wüßtest, mein kleiner Liebling, welche Rührung mich bei dem Gedanken erfaßt! Danke ihm in meinem Namen durch Deinen Gehorsam und Deine Liebe zu ihm. Da das Schicksal Dir kein anderes Gut als die Rechtschaffenheit mitgeben kann, so muß dieses eine wenigstens beständig und unerschöpflich sein. Dein Vater und Dein Großvater haben den Keim dazu in Dein Herz gepflanzt; wer könnte ihn zu edlerer Entfaltung bringen als der beste der Menschen, der Dich zu seinem Zögling und „Emile“ erwählt hat? Bevor Du einschläfst, wende Deine Gedanken zu Gott! Danke ihm, mein liebes Kind, für den Mentor, den er Dir gegeben hat. Verliere nie das Grauen vor der Lüge, der Lügner ist niemals ehrenhaft. Hüte Dich, jemals etwas zu versprechen, was Du nicht erfüllen kannst. Sei gern gefällig, hab gut acht auf das wenige, was Dein ist, und vor allem auf das Eigentum der andern; sei nicht zudringlich und rühre nicht daran. Leihe Dir nur, was Du bestimmt und pünktlich wiedergeben kannst, und möge die Reinlichkeit Dein ganzes Leben erhellen. Sie ist die harmlose Freude des Armen. Gott hat überall für Wasser gesorgt, mit dem man sich läutern kann. Ergib Dich niemals dem Spott. Die innigsten Freundschaften müssen darunter leiden. Man glaubt nicht mehr an die Zuneigung dessen, der sich über uns lustig gemacht hat. Es ist eine große Bitternis und ein kleiner Triumph!
 

 
 
An Valmore
Paris, 5. Juni 1833
 
Beharre doch nicht bei dem Glauben, es sei Dein Lebensstern, der den meinen vertrübe; damit würdest Du mir Reue einflößen, indem Du mich daran gemahnst, daß das Gegenteil der Fall ist. Haben wir nicht auch ohne solche Einbildungen genug wirklichen Kummer! . . .




16. Jänner 1834 (abends)

. . . Wie, Du hast an mein  Schuhwerk gedacht, mein guter Prosper! Ich versichere Dich, dieser Gedanke hat mich gerührt, um so mehr, als es sich mit unseren kleinen Arbeitsplänen für unsere so langen Abende begegnet hat. Line Line (Ondine), die Tochter, hat Dir Trikotärmel gemacht. Ich bin eigens ausgegangen, um dazu die Wolle zu kaufen. Wie wundervoll ist es für uns beide, uns um Dich zu kümmern.

 


 
An ihren Sohn
(Paris) 8. Dezember 1833
 
Mein lieber Hippolyte! Wieviel Küsse und Zärtlichkeit liegen in diesen drei Wörtern: mein lieber Hippolyte! Mein kleiner Freund, ist es nicht , als hätte ich Dir einen ganzen Brief geschrieben, indem ich Dir das schreibe? . . .
 
Ich habe keine Augenschmerzen mehr, aber ich bin recht matt. Die Arbeit übersteigt meine Kräfte. Vielleicht werden wir nicht mehr lange in Paris sein, trotz der Schritte, die wir für ein Bleiben unternehmen, im Interesse Deiner Zukunft und der Deiner Schwestern. Ein Hoffnungsfädchen ist uns noch geblieben, und auch Gott ist da. Du kennst mein Vertrauen in ihn und meine Unterwürfigkeit in seinen Willen, der weiser ist als unsere Wünsche.
 
Unser nächster Brief, mein guter Junge, wird Dir sagen, ob wir Mittel und Wege gefunden haben, uns in Paris festzusetzen. Der Vater möchte gern das Theater verlassen, und ich bitte Gott, daß er zustimmt. Bitte ihn auch, Lieber! Du hast uns o lieb, nicht wahr, daß Du es aus ganzem Herzen tun wirst?
 
Lausche auf die Schläge der Uhr, die wir Dir hier schicken, und denke an die Schläge meines Herzens für Dich, liebes Kind! Bestätige uns sogleich den Empfang des Kästchens.

 

 
An Valmore
Paris, 2. Februar 1834
 
. . . Wenn Du einen festen und letzten Entschluß über das Engagement in Lyon gefaßt hast, unabhängig davon, ob Du eines an das Théater-Français angeboten bekommst, werde ich mich sogleich um meine Abreise kümmern: denn ich bekenne Dir, Deine Aversion läßt mich vor dieser Hilfsquelle in Paris zurückscheuen, und ich sehe keinen Vorteil für unsere Zukunft darin, wenn Du ein Opfer bringst, das Dich unglücklich macht; Du weißt, ich habe seinerzeit ebensowohl Dein Grauen vor einer Rückkehr nach Lyon begriffen. Du kennst noch immer nicht genug meine Selbstverleugnung Deinem Willen gegenüber, lieber Prosper. Wie in aller Welt könnte ich zufrieden sein, wenn Deine Position Dir falsch erscheint oder Deinen Neigungen nicht entspricht? Du beunruhigst Dich zu sehr um mich: ein ruhiger Winkel, meine Kinder, Tinte und Papier – und ich fühle mich hier so wohl wie da, vorausgesetzt, daß man mich Atem holen läßt . . .

 

 
Paris, den 25. April 1839
 
Ich fühle Deine Ankunft dort. Ich erlebe in meiner tiefen Einsamkeit Dein Erwachen ohne mich. Ich weiß, wie traurig das ist, Du! Ich weiß alles. Du tust mir leid, ich weine, und ich liebe Dich über alles. Und so rufe ich Dir jetzt zu: Mut, Hoffnung! . . .
 
Lieber Gott! Wie die armen Kinder Dich bedauern und Sehnsucht nach Dir haben! Kannst Du ihnen nicht ins Herz sehen? Hast Du nicht zum mindesten den unendlichen Trost in dieser schweren Prüfungszeit, geliebt zu sein? Dieses Bewußtsein erhält bei Kräften. Ich habe nur eine Bitte an Dich: schone Dich für uns; sei glücklich, wenn Dir daran liegt, daß ich aufatmen und aushalten kann!

 

 
26. morgens
 
Ich küsse Dich im Namen Molières, von dem ich soeben geträumt habe. Er hat in einem  hübschen kleinen Haus, das Dein war, mit uns diniert. Du warst zufrieden, und ich -  das kannst Du Dir denken! Er bat mich um einen meiner Ringe und küßte mich auf die Stirne, ehe er sich an die Arbeit begab – ich ersuchte ihn, sich mit Dumas zusammenzutun und ein Theater zu gründen; ich wußte ja, wie gern Du ihn hast und daß Du Dich darüber freuen würdest. Er lächelte uns zu und hatte nur einzuwenden, daß er zu viel zu arbeiten habe.
 
Ich wollte Dir diesen friedvollen Traum berichten. Das Wetter bessert sich ein wenig. Ich werde einen Ausflug aufs Land wagen. Im übrigen ist mir alles Äußere gleichgültig. Nein, mein lieber Freund, kein Glück nimmt mir die bittere Last vom Herzen, die Deine Abwesenheit mir bringt.

 
 
 
29.  April 1839
 
. . . Seit Deiner Abreise habe ich meine große Verstimmung noch nicht überwinden können. Schlafengehen, Aufstehen, dies ist von einer Traurigkeit, die ich nicht unterdrücken kann. Ach! mein liebes Kind, könnte man, bevor man bestimmte Opfer bringt, die eigene Seele durchschauen, hätte man im Innersten sie zu unterschreiben kaum den Mut? Denkst Du nicht auch so, mein armer Freund? Ich beschwöre Dich, zumindest Deine Gedanken zu zerstreuen. Dein Glück ist mir weit mehr als das meine! Großer Gott, mit welchem Preise wollte ich es doch erkaufen, wenn ich etwas besäße.

 


Orléans, 8. Mai 1939
 
Niemals werde ich Dir die Schönheit der Kathedrale  wiedergeben können; man verläßt sie nur, um sie dann von außen zu bewundern. Wie bedaure ich es, daß Du nicht da bist, um mich zu begleiten! Wie schade, daß ich nicht zeichnen kann, um Dir eine Idee von diesem herrlichen Schiff zu geben, dessen Segel durchbrochene Flügel sind, wie ungefähr jene, die den Dom von Mailand in die Höhe erheben. Wie rasch die Zeit vergeht, und sie entflieht mir mit Dir.
 

 
 
Orléans, den 14. Mai 1839
 
Bei aller Freude über Dein mir so wohltuendes Lob – es wird der einzige Erfolg meines Buches sein – erweckst Du mir mit der Frage, ob ich es störend empfände, Deine Frau zu sein, tiefen Kummer. Höre, Valmore, ich bin außer mir, daß Du mich für ein so oberflächliches und niedriges Geschöpf hältst. Mir ehrgeizige Absichten, Habgier oder Verlangen nach weltlichen Genüssen zuzuschreiben -, es zerreißt mir das Herz, das nur von Dir erfüllt ist und dem Wunsche, Dich glücklich zu sehen. Ich würde Dir mit Freuden in die Tiefen des Gefängnisses oder in die Fremde folgen. Das weißt Du, und diese Gedanken befallen Dich zu meinem Schmerz immer nur nach der Lektüre des elenden Gestammels, dessen ich mich schäme, wenn ich es mit den schönen Werken vergleiche, die Dein Geschmack mich schätzen gelehrt hat. Nunmehr sage ich Dir aufrichtig und vor Gott, daß es auf Erden keinen Menschen gibt, dem ich durch die Bande verknüpft sein möchte, die uns einen. Der Charakter aller andern flößt mir nur Entsetzen ein. Habe ich es Dir nicht oft genug gesagt, um Dich zu überzeugen? Doch ach! es ist also wahr: man kann dem andern nicht ins Herz sehen.







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