Briefe
5
Paris,
den 23. Juni 1839
Wenn
Du in dem bißchen
Talent, dessen Ausübung ich verabscheue, nun nach Beweisen suchst, die
Deine
Vernunft irreführen, wohin kann ich mein Herz dann flüchten? Es ist
ausschließlich Dein. Die Dichtkunst ist ein schreckliches Ungeheuer,
wenn sie
meine einzige Glückseligkeit, unsere Vereinigung zerstört. Ich habe Dir
hundertmal gesagt, und ich wiederhole es hier, daß ich viele Elegieen
und
Romanzen auf Bestellung geschrieben habe, deren Thema gegeben war und
von denen
manche nicht bestimmt waren, ans Licht gezogen zu werden. Unsere elende
Lage
erforderte es anders. Wie viele Tränen und Klagen Paulinens haben sich
in diese
Verse gewandelt, die Du liebst, und deren Urheber eigentlich sie ist.
Unser
Leben aber war so einsam, so auf sich selbst gestellt und hastend, daß
ich, wie
ich Dir gestehe, der Zusammenstellung dieser Bücher, die unser Geschick
uns zu
verkaufen zwingt, keine allzu große Aufmerksamkeit gewidmet habe. All
Deine
Nachsicht für eine Begabung – die ich völlig geringschätzen würde, ohne
den
Wert, den Dein Gefallen ihr beimißt, kann mich nicht über eine
heimliche und peinliche
Erkenntnis trösten, die dadurch in mir entstanden ist. Molière hatte
recht,
Rousseau sprach die Wahrheit, und Mademoiselle Lenormand war also
wirklich
hellsehend, als sie mir in orakelhaftem Ton sagte: „Schreiben Sie nie!“
Du
siehst nun wohl, daß ich recht habe, mein guter Freund, wenn ich auch
nicht den
Schatten von Befriedigung verspüre, soviel Papier bekritzelt zu haben,
anstatt
unsere Hemden zu nähen; obschon ich mich bemüht habe, auch diese in
Ordnung zu
halten; Du weißt das, Du teurer Gefährte eines Lebens, das niemandem
zur Last
gefallen ist.
Paris,
10. Juli 1839
Wie liebe ich
Dich, bei der
Vorstellung, wie Du Dir Deine Kappe nähst! Welch merkwürdige Biographie
würde
man von uns machen, wenn man uns in all unserer beherzten Armut
erblickte!
28. Juli 1839
Sag
niemandem, wann ich
ankommen werde, damit wir allein bleiben, einen Tag wenigstens! Sag
mir, mein
guter Engel, hast Du ein Kanapee, um Dich während des Tages ausstrecken
zu
können? Ich denke fortwährend daran, du mein armer Freund! Herrgott,
was
erinnere ich nicht alles, Dir zu schenken!
. . .
Paris, 2. August 1839
Ach, nein! Du
nörgelst ja
nicht, und ich verstehe, daß Deine Bemerkungen alle und immer aus einer
anbetungswürdigen Quelle von Zartgefühl stammen, wie sie sich selten
findet . .
.
Ich
liebe Dich! und
überdies achte ich Dich leidenschaftlich.
2.
August 1839
Du
siehst,
ich fordere
niemals als Erste unsere Kinder auf, Dir zu schreiben, in dieser
Hinsicht habe
ich denselben Herzensstolz. Ich warte. Nein, nein, ich setze nichts auf
Erden
neben unser Gefühl füreinander. Ich mache mir keine Illusionen mehr,
dennoch
glaube ich zutiefst an das Herz Hippolytes; es ist für immer an das
unsere
angewurzelt.
Paris,
den 13. August 1839
Alle
(Menschen), die ich
jetzt kenne, flößen mir nur noch mehr Zärtlichkeit für Dich ein!
Bedurfte es
unserer Trennung, damit wir uns noch mehr lieben? Gute Nacht, lieber
Prosper!
Ich gehe zur Ruhe, das Herz erfüllt von Dir, schlafe wohl. Liebe mich,
die ich
Dich einzig liebe.
Paris,
8. November 1839
Oh!
Mein
lieber Freund,
warum willst Du nicht mehr lachen. Überlaß diesen Ernst den Bösen. Das
Leben
hat Anmut und Sonne, solange es Liebe hat. Wer hat dies nur gesagt:
„Nichts
bleibt vom Leben, wenn nicht dies: geliebt zu haben.“ Wird in dem Sinne
nicht
Deine Hand den Druck der meinen erwidern können?
Paris,
25. November 1839
Wir
vermuten
bei unseren
Kindern tiefere Wurzeln, als sie jeweils an bestimmten Orten besitzen:
Überall
ist in diesem Alter das Glück. Inès ist augenblicklich ganz Musik,
Schneiderein
und Englischstudium und auf diese Weise also geordneter Beschäftigung
hingegeben . . . Die Hauptsache ist, daß sie Dich und mich sehr lieb
haben, was
wir in diesem stürmischen Alter zu sehr vergessen.
Paris,
den 25. November 1839
. . .
Eines
bedenke wohl -,
es soll Dir beistehen im Kampfe gegen Dich selbst, wenn Du Dich in
Deinen Gram
vergräbst -, bedenke, daß meine Gesundheit in Deinen Händen liegt. Wenn
die
Deinige wankend wird, bekomme ich Fieber, und wenn Deine Seele
herabgestimmt ist,
so sinkt die meine gleich noch tiefer. Wir haben einer beim andern so
viel
durchgemacht, daß wir wie Zwillinge geworden sind.
Paris,
3. Dezember 1839
Ich
habe
einige schlechte
Tage und, wie Du, recht traurige Nächte verbracht. Diese Jahreszeit
gibt einem
keinerlei Möglichkeit, Mut zu bewahren. Die Kraft, die mir von außen
kommt,
ist, wie Du weißt, die Sonne. Sehe ich sie nicht mehr, fühle ich sie
nicht über
Dir, glaube ich mich vom Schicksal, das Dich mißhandelt, noch ärger
verlassen,
denn ich weiß, wie empfindlich Du gegen die Grausamkeit des Winters
bist, mein
armer Freund! . . .
(Paris,) den 12,. Januar
1840
Ich
muß
wieder bei Dir
sein; weißt Du das? Begreifst Du das? Ich bin mir selber unerträglich
geworden,
und meine Seele ist nirgends mehr dabei, wohin ich meinen Körper
hinzugehen
zwinge, um der Fülle von Verpflichtungen zu genügen, deren Hohlheit und
Anstrengung Du kennst. Es war ein zu aufreibender Monat. Manchmal
bleibe ich
auf der Straße oder auf einer Treppe stehen und weine, weil ich Dich so
fern
weiß und so gebunden, wie auch ich es bin. Dieser Kampf muß aufhören .
. .
„Geduld, steig wieder auf zum Himmel!“ Wenn ich weiß, daß ich Dich
wiederfinde
bei der Heimkehr – wie trotze ich dann allen Plagen, aller Müdigkeit,
den
Widerwärtigkeiten aller Art, denen ich jetzt ohne jeden Trost
ausgeliefert bin!
Diese tyrannischen Kindereien quälen mich abscheulich, lieber Junge;
ich finde,
daß sie wie zum Hohn unser Elend begleiten. Ich bin so sehr der Sklave
dieser
gleichgültigen Leute, daß ich noch dahin kommen werde, sie zu hassen,
weil sie
in ihrer Belanglosigkeit mit ihren Visitenkarten und ihren Briefen sich
zwischen uns drängen, so daß ich mir vorkomme wie ein „bekannter“
Schriftsteller. Die übrige Zeit stehe ich mit gekreuzten Armen vor der
Nichtigkeit
meiner erlahmten Gedanken. Ich kann keine vernünftige Arbeit beginnen
noch
fortführen. Da hast Du meinen Seelenzustand: Nähen, Schreiben,
Umherlaufen, von
Herzen weinen, mir mit Entsetzen vorhalten, daß ich nicht die Hälfte
der
Anforderungen erfülle, die von allen Seiten an mich herantreten – so
verbringe
ich meine Tage! Ich werde Dir später erzählen, welche Heuschreckenplage
auf
meine Wege niedergegangen ist, falls ich mich später noch an alles das
erinnern
kann. Inzwischen beklage mich, die ich weder morgens noch abends Deine
Hände,
Deine Augen finde, und mich aufrecht zu halten und mich zu grüßen! Es
war eine
heroische Tat, daß wir uns trennten, ich erfahre es an meiner allzu
schmerzlichen Niedergeschlagenheit!
Paris, 5. März 1840
Es
ist
wirklich wahr! es
ist wirklich wahr! Wenn Du es in den Zeitungen liest, noch ehe meine
Freude
hier es Dir kündet, so glaube daran und laß uns gemeinsam für diese
Gnade
danken, die die Vorsehung über uns ausschüttet. Ich erhalte soeben,
Donnerstag
mittag, das Dekret des Ministers, Herrn Villemains, der mir, ehe er aus
dem
Ministerium scheidet, eine unerwartete Wohltat erweist. Er hat meine
vorübergehende Pension von dreihundert Franken auf zwölfhundert Franken
lebenslänglich erhöht. Ich fühle mich von einer Freude erschüttert, die
zu rein
ist, als daß sie nicht von jener unsichtbaren Macht herkäme, die mich
in allen
meinen Kümmernissen aufrecht hält. O mein Freund, glaube mit mir! Teile
die
Gabe und den Glauben mit der Gefährtin Deines geliebten Lebens und
sorge Dich
nicht um die Zukunft, die sich so angenehm ankündigt . . . Oh! wie gern
möchte
ich Dich küssen! Und Dich zufrieden sehen, mein lieber Prosper! Ich
schreibe in
Eile.
Paris,
den 27. August 1840, 2 Uhr
Wie
weh hat
mir Dein
letzter Brief getan, Prosper! Warum bist Du dermaßen traurig über die
Vergangenheit? Warum Dich über Dinge quälen, die nicht mehr sind, und
einem
Dich beschämenden Kummer hingeben, dessen Kenntnis Du mir bisher
erspart
hattest? Wäre es nicht ein Wunder zu nennen, wenn Du den Versuchungen
entgangen
wärest, die glühende Jugend und die reichliche Gelegenheit unseres
Berufes Dir
boten. Du bist unbedingt der ehrenhafteste Mensch von der Welt, und ich
möchte,
daß Du ein für allemal diese Zufälligkeiten, die Du nicht gesucht hast
und die
der Unverletzlichkeit unseres Bündnisses keinerlei Schaden getan haben,
nach
ihrem wahren Wert beurteilst. Laß also jene Tage des Leichtsinns ruhen;
sie
sind durch die Anschauungen, die unsere Zeit uns eingeimpft, wohl
unvermeidlich. Laß uns nicht strenger urteilen als Gott selber und
seine guten
Priester, die ihre reuigen Kinder aufrichten und umarmen. Ich verdenke
es
niemandem, Dich liebenswert gefunden zu haben, mein teurer Gemahl.
Mußte man
nicht mir verzeihen, Deine Frau zu sein und – offen gesagt – ein
solches Glück
war nicht zu verdienen? Doch diese Verbindung war im Himmel
beschlossen, von
Deinem Vater und unseren Freunden gerne gesehen; und wie bin ich
dankbar, daß
sie mich wählten, denn wie liebte ich Dich! Und findest Du, daß ich
Dich nicht
mehr mit allen Fähigkeiten meiner Seele liebe? Sei meiner gewiß, lieber
Freund,
im Leben wie im Tode, und nimm meinen tätigen Dank für die Innigkeit
hin, mit
der Du die meinige erwiderst. Nichts in der Welt kann meine Gefühle
ändern, und
ich folge Dir mit Freuden überallhin, wo Gott uns gütig gewährt, ein
gemeinsames Dasein zu führen. Ich beschwöre Dich, hierin den vollen
Ausgleich
einer Vergangenheit zu sehen, deren trübe Träume für mich nicht mehr
bestehen.
Ich bitte Dich, sie Deinerseits mit Nachsicht zu behandeln und nichts
von dem
zu hassen, was Dir einst Liebe gegeben hat . . .
An ihr Tochter Ondine
Paris,
30. August 1840
Komm,
mein
Kind, damit ich
Dir Liebe spenden, Dich in die Arme schließen kann! Wie recht hast Du
getan,
Dich in dieser Verwirrung, über die ich mich ebenso wundere wie Du, an
mich zu
wenden! Du hast Dein Herz erleichtert, und ich eile Dir zu Hilfe . . .
Die
Zukunft allein – und vor allem eine Trennung – kann Dir deutlich
zeigen, wie es
um Dich steht. In Deinem Alter durchkreist ein unendliches Bedürfnis
nach Liebe
unser Blut und unser Herz. Es ist oft unvermeidlich, daß man sich in
seiner
Wahl irrt, die man stets dem „unabänderlichen“ Schicksal zuschreibt.
Mein
liebes Herz, in Deinem Alter vor allem ist es wichtig, Dir den Irrtum
zu nehmen
und Dich aufmerksam zu machen, gegen vorübergehende Gemütsbewegungen
auf der
Hut zu sein, die so viele reine und ehrbare Herzen täuschen. Man sagt:
„Diese
neue und seltsame Verwirrung beweist mir, daß er es ist, auf den meine
Liebe
gewartet hat!“ . . . Mein liebes Kind, vertraue meinem innigen Rat, Du
würdest
Dich täuschen und in aller Unschuld andere täuschen. Gehe den
Gelegenheiten,
die solche Versuchungen herbeiführen könnten, aus dem Wege. Im übrigen
wirst Du
sehen, daß ein junger Mann, sei er noch so schüchtern, zurückhaltend,
noch so
rein, sobald er seinem Instinkt gehorcht, dennoch recht kühn ist. Daher
die
vielen unüberlegten Bündnisse, die so oft zwei übereilt aneinander
gekettete
Existenzen unglücklich machen. Solche Träume muß man teuer bezahlen!
Und das
Leben ist lang für den, der erwacht ist. Glaube mir, die Freude zu
gefallen
begleitet stets solche Erschütterungen, selbst wenn eine Enttäuschung
alle
Hoffnungen eines jungen Kindes vernichtet hat.
Die
Frauen tun am klügsten,
einem derartigen bei den Männer sehr beliebten Ansturm nicht zu viel
Wert
beizumessen und sich schamhaft davor zu schützen, ohne Schrecken oder
Kummer zu
empfinden und ohne sich übertriebene Selbstvorwürfe zu machen. Du
darfst keinen
ermuntern. Bleibe klug und unbefangen. Laß Dich nicht von einem
trügerischen
Mitleid für jene befallen, die Du anscheinend unglücklich gemacht hast.
Ist ein
junger Mann von wahrer Liebe ergriffen, von einer Liebe, die Bestand
hat, so
sei überzeugt, daß er sich an die Eltern wendet, wenn nicht, so ist es
ein
wenig ehrenvolles Spiel, das er mit unserer Schwachheit treibt, und
Gott weiß,
was daraus entsteht.
Flüchte
Dich zu mir, nur zu
mir! Mein Herz gehört Dir: es ist voller Nachsicht mit Dir – mehr als
Du selbst
-, aber es ist auch voll Klarheit, und Du hast nichts zu fürchten,
solange Du
Dich an mich hältst, selbst in der Ferne nicht.
An
Valmore
Paris,
20. September 1840, morgens
Dies ist
einmal ein dicker
Brief! Sag mir, ob er Dich viel gekostet hat. Bist Du nicht durch so
viel Porti
ruiniert? Vergiß nicht morgens Schokolade zu nehmen. Oh, wie gerne
möchte ich
sie Dir zubereiten.
Paris, 25. September 1840
. . .
Ich
kehre von der
Hochzeitsmesse heim, während der ich nur Dich sah. Welch süße und
schreckliche
Gemütsbewegungen harren doch unser im Leben, in der Trennung! Was für
Wünsche
und was für Erinnerungen habe ich doch Gott in meinem Gebet für diesen
guten Charpentier
dargebracht; ich habe recht geweint. Und Dich geliebt! Ach Du! Ich bin
ganz
Dein.
Paris, 4. Oktober 1840
Sonntag
ist
es und traurig,
mein lieber Freund! Dieser Tag hat für Dich und mich dieses Vorrecht.
Die
Heilige Schrift sagt: „und die da weinen am Tage des Herrn, werden
getröstet
sein.“ Die Heilige Schrift sei bedankt, sie verheißt uns viel Glück.
Paris,
4. Oktober 1840
Ach,
ich
vergaß einen
Augenblick lang, Dich zu trösten, verzeih mir! ich bin ganz
niedergeschlagen in
der Erinnerung an das, was Du schreibst. Es gibt nichts Ärgeres als
unwürdige
Richter. Geist vermag ein wenig dafür zu entschädigen, gehaßt oder
verfolgt zu
werden. Da gibt man sich zumindest über das Ausmaß der zugefügten
Kränkung
Rechenschaft, aber ein literarisches Hornvieh schreibt mit unserem
eigenen Blut
und glaubt, es sei Tinte . . .