Briefe
7
Nach
dem Tode ihres Kindes
Paris,
den 20. Februar 1847
Mein
Freund!
Da von allen
auf der Erde Du allein, nur Du allein mich trösten kannst, so bitte ich
Dich
darum bei allen Kümmernissen der Vergangenheit, bei meinem
entschlossenen und
unerschütterlichen Willen, aus Liebe zu Dir allem standzuhalten; ich
verlange
tausendmal mehr als mein Leben, ich fordere, daß Du mich liebst! Du
hast nur
eine Möglichkeit, mir das zu beweisen, mein lieber Freund, nämlich die,
diese
kurze Wartezeit beherzt mit mir gemeinsam durchzuhalten und nun für
mich zu
tun, was ich für Dich getan habe, weil Du für mich alles: Freund,
Geliebter,
Gatte, Bruder, Vater und Kind bist. Dies gesagt, dies aus tiefstem
Innern uns
zugeschworen, erbitte ich von Dir die einzige Sicherung, an die ich
glaube, die
mir genügen und mich wieder aufleben lassen wird, aber gib sie mir!
Dein Wort,
mir zu gehören, wie ich Dir gehöre, für uns beide und die geliebten
Wesen, die
Dich lieben und anbeten, weiterzuleben und ihnen statt einer grausigen
eine
ungetrübte Zukunft zu bereiten. Bei dem Andenken an unser heiliges
totes Kind –
mußt Du nicht weinen über den Sturm, der mich schüttelt? Wirst Du mich
nicht
ans Herz schließen und mich glücklich machen durch dieses Ehrenwort,
das ich
von Dir erbitte und das die wahre Ehre Dich verpflichtet mir zu geben?
Zögere
nicht! Ich glaube an Gott im Himmel und an Dich auf Erden!
Beim
Durchlesen Deines
Briefes, mein Guter, sehe ich, daß Du an meinem festen Willen zu
zweifeln
scheinst, uns gemeinsam einzuschränken, diese Abzahlungen zu erreichen.
Du
selbst kannst nicht eifriger wünschen, die Schulden zu tilgen, wie ich,
und ich
arbeite alle Tage daran. Merk nur auf und schenk mir das gleiche
Vertrauen, das
Du zu Vater und Mutter haben würdest. Ich werde Dir alles aufrichtig
mitteilen,
und dann werden wir beide einmütig das tun, was Du zu unserer
Herzensruhe für
das beste hältst. O wären unsere Herzen doch eins! Verlaß mich nicht !
Vergib
mir, wenn ich irgendeine Zärtlichkeit unterlassen, wenn ich Dir nicht
genug
gesagt habe, daß ich überall hingehen würde, aber mit Dir! Wie! Noch
fühle ich
lebendig Deine letzten Küsse, und Du schreibst mir das? Du so gut, so
edelmütig, so herzergeben? Großer Gott! Was würdest Du sagen, wenn ich
oder
Dein Sohn Dir so etwas schriebe! Du würdest es nicht glauben. Du hast
also
nicht bedacht, daß ich Dir überallhin folgen würde! . . . Und was tat
ich
sonst, als nur Dich lieben, was ließ Dich glauben, ich würde
zurückbleiben . .
. Ach! es ist das erstemal, daß Du mir das Herz zerreißt. Und
schließlich,
beachte das wohl: ich ertrage alles mit Dir, aber nichts ohne Dich! –
Also,
lieber Geliebter, komm zurück zu mir, beginn nicht wieder den Brüsseler
Leidensweg, oder laß mich neues Leben finden, indem ich Dich dorthin
begleite.
Ich beschwöre Dich um das eine oder andere! Dein Wille entscheide sich
für mein
Glück.
Sag!
Bedeutet es Dir
nichts, mir das Leben zu retten? Es ist in Deiner Hand, und ich
glaubte, Du
habest gefühlt, welche Anstrengungen es mich nach dem furchtbaren
Schlag
kostete, mich für Dich zu erhalten. Du, der ehrenhafteste Mann, den ich
kenne,
Du bedenkst also nicht, daß Du durch eine falsche Art zu sehen aufhören
würdest,
ein Ehrenmann zu sein, denn eine grauenhafte Tat von uns beiden würde
nichts
gutmachen und würde unsere Kinder ins tiefste Elend stürzen, von ihrer
Verzweiflung ganz zu schweigen. In welch sonderbarer grausamen Stimmung
hast Du
mir geschrieben? Du, der Du sonst schon zitterst, wenn ich nur in eine
Diligence
stieg, Du willst mich nun durch diese Preisgabe zerschmettern . . .
Ach, ich
bin Dein Weib, Dein armes Weib, und Du schuldest mir meinen Gatten, den
ich auf
den Knieen von Dir erbitte!
Ich
sende Dir diesen Brief,
ohne den Sonntag abzuwarten; ich möchte mit ihm forteilen, ich bin an
Leib und
Seele in solcher Verwirrung, daß ich mich nicht mehr zurechtfinde. Mein
einziges
Leben! Du, der Du um meinetwillen alles entbehrst, Du bist besorgt, mir
zu
wenig zu schicken! Du darfst in dieser Hinsicht beruhigt sein, ich habe
alles,
was wir brauchen, selbst für den Fall eines Umzugs. – Schreibe mir also
hierher; was mich nicht mehr erreicht, wird nachgesandt. Frankiere
nicht, ich
kann das bezahlen.
Mit
wie viel Sehnsucht
erwarte ich Deine Antwort! Möge der Himmel und die Liebe Dir beistehen,
Deiner
Frau und innigen Gefährtin nicht das Leben zu nehmen.
Marceline
Valmore
Ich
habe manches zu sagen
vergessen: hoffnungsvolle Schritte, Zukunfstaussichten. Ich sende Dir
nur meine
Seele! Stoße sie nicht zurück, Du tätest ein Verbrechen!
Paris, 25 Februar 1847
Deinen
letzten Brief trage
ich auf meinem Herzen, wie Balsam für meine Wunden . . . Ein Wort und
das Deine
wiegt alle falschen Schwüre auf, die uns betrogen haben. Ah, es fällt
mir
leicht, allen zu verzeihen, wenn mein Leben auf Deine Zuverlässigkeit
sich
stützen kann.
13.
September 1851
Die
Gewohnheit, zu Dir zu
sprechen, wenn ich allein bin, macht, daß ich glaube, Du hättest mich
gehört . .
. so verlasse ich mich oft Dir gegenüber auf ein Wort und halte tausend
zurück,
die sich alsbald in Seufzer und Tränen verwandeln. Ja, oft weine ich
das, was
ich Dir nicht sage. Es ist nicht immer aus Trauer, mein Geliebter; die
Liebe
ist ja so reich an Gemütsbewegungen! Nimm alles von der Quelle, die
Dein eigen
ist; und wenn Du mir in Deiner Wahrhaftigkeit, an die ich glaube wie an
Gott,
sagst, daß Du Dein Leben von neuem mit mir wieder beginnen wolltest, so
antworte
ich Dir vor Gott, daß dies auch mein innigster Gedanke ist.