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Literatur


04.3


Geschichten
Marceline Desbordes-Valmore

Das Lebensbild einer Dichterin

Vierter Teil: Briefe





Briefe 7


Nach dem Tode ihres Kindes
Paris, den 20. Februar 1847
 
Mein Freund! Da von allen auf der Erde Du allein, nur Du allein mich trösten kannst, so bitte ich Dich darum bei allen Kümmernissen der Vergangenheit, bei meinem entschlossenen und unerschütterlichen Willen, aus Liebe zu Dir allem standzuhalten; ich verlange tausendmal mehr als mein Leben, ich fordere, daß Du mich liebst! Du hast nur eine Möglichkeit, mir das zu beweisen, mein lieber Freund, nämlich die, diese kurze Wartezeit beherzt mit mir gemeinsam durchzuhalten und nun für mich zu tun, was ich für Dich getan habe, weil Du für mich alles: Freund, Geliebter, Gatte, Bruder, Vater und Kind bist. Dies gesagt, dies aus tiefstem Innern uns zugeschworen, erbitte ich von Dir die einzige Sicherung, an die ich glaube, die mir genügen und mich wieder aufleben lassen wird, aber gib sie mir! Dein Wort, mir zu gehören, wie ich Dir gehöre, für uns beide und die geliebten Wesen, die Dich lieben und anbeten, weiterzuleben und ihnen statt einer grausigen eine ungetrübte Zukunft zu bereiten. Bei dem Andenken an unser heiliges totes Kind – mußt Du nicht weinen über den Sturm, der mich schüttelt? Wirst Du mich nicht ans Herz schließen und mich glücklich machen durch dieses Ehrenwort, das ich von Dir erbitte und das die wahre Ehre Dich verpflichtet mir zu geben? Zögere nicht! Ich glaube an Gott im Himmel und an Dich auf Erden!
 
Beim Durchlesen Deines Briefes, mein Guter, sehe ich, daß Du an meinem festen Willen zu zweifeln scheinst, uns gemeinsam einzuschränken, diese Abzahlungen zu erreichen. Du selbst kannst nicht eifriger wünschen, die Schulden zu tilgen, wie ich, und ich arbeite alle Tage daran. Merk nur auf und schenk mir das gleiche Vertrauen, das Du zu Vater und Mutter haben würdest. Ich werde Dir alles aufrichtig mitteilen, und dann werden wir beide einmütig das tun, was Du zu unserer Herzensruhe für das beste hältst. O wären unsere Herzen doch eins! Verlaß mich nicht ! Vergib mir, wenn ich irgendeine Zärtlichkeit unterlassen, wenn ich Dir nicht genug gesagt habe, daß ich überall hingehen würde, aber mit Dir! Wie! Noch fühle ich lebendig Deine letzten Küsse, und Du schreibst mir das? Du so gut, so edelmütig, so herzergeben? Großer Gott! Was würdest Du sagen, wenn ich oder Dein Sohn Dir so etwas schriebe! Du würdest es nicht glauben. Du hast also nicht bedacht, daß ich Dir überallhin folgen würde! . . . Und was tat ich sonst, als nur Dich lieben, was ließ Dich glauben, ich würde zurückbleiben . . . Ach! es ist das erstemal, daß Du mir das Herz zerreißt. Und schließlich, beachte das wohl: ich ertrage alles mit Dir, aber nichts ohne Dich! – Also, lieber Geliebter, komm zurück zu mir, beginn nicht wieder den Brüsseler Leidensweg, oder laß mich neues Leben finden, indem ich Dich dorthin begleite. Ich beschwöre Dich um das eine oder andere! Dein Wille entscheide sich für mein Glück.
 
Sag! Bedeutet es Dir nichts, mir das Leben zu retten? Es ist in Deiner Hand, und ich glaubte, Du habest gefühlt, welche Anstrengungen es mich nach dem furchtbaren Schlag kostete, mich für Dich zu erhalten. Du, der ehrenhafteste Mann, den ich kenne, Du bedenkst also nicht, daß Du durch eine falsche Art zu sehen aufhören würdest, ein Ehrenmann zu sein, denn eine grauenhafte Tat von uns beiden würde nichts gutmachen und würde unsere Kinder ins tiefste Elend stürzen, von ihrer Verzweiflung ganz zu schweigen. In welch sonderbarer grausamen Stimmung hast Du mir geschrieben? Du, der Du sonst schon zitterst, wenn ich nur in eine Diligence stieg, Du willst mich nun durch diese Preisgabe zerschmettern . . . Ach, ich bin Dein Weib, Dein armes Weib, und Du schuldest mir meinen Gatten, den ich auf den Knieen von Dir erbitte!
 
Ich sende Dir diesen Brief, ohne den Sonntag abzuwarten; ich möchte mit ihm forteilen, ich bin an Leib und Seele in solcher Verwirrung, daß ich mich nicht mehr zurechtfinde. Mein einziges Leben! Du, der Du um meinetwillen alles entbehrst, Du bist besorgt, mir zu wenig zu schicken! Du darfst in dieser Hinsicht beruhigt sein, ich habe alles, was wir brauchen, selbst für den Fall eines Umzugs. – Schreibe mir also hierher; was mich nicht mehr erreicht, wird nachgesandt. Frankiere nicht, ich kann das bezahlen.
 
Mit wie viel Sehnsucht erwarte ich Deine Antwort! Möge der Himmel und die Liebe Dir beistehen, Deiner Frau und innigen Gefährtin nicht das Leben zu nehmen.
 
Marceline Valmore
 
Ich habe manches zu sagen vergessen: hoffnungsvolle Schritte, Zukunfstaussichten. Ich sende Dir nur meine Seele! Stoße sie nicht zurück, Du tätest ein Verbrechen!


 
 
Paris, 25 Februar 1847
 
Deinen letzten Brief trage ich auf meinem Herzen, wie Balsam für meine Wunden . . . Ein Wort und das Deine wiegt alle falschen Schwüre auf, die uns betrogen haben. Ah, es fällt mir leicht, allen zu verzeihen, wenn mein Leben auf Deine Zuverlässigkeit sich stützen kann.
 
 

 
13. September 1851
 
Die Gewohnheit, zu Dir zu sprechen, wenn ich allein bin, macht, daß ich glaube, Du hättest mich gehört . . . so verlasse ich mich oft Dir gegenüber auf ein Wort und halte tausend zurück, die sich alsbald in Seufzer und Tränen verwandeln. Ja, oft weine ich das, was ich Dir nicht sage. Es ist nicht immer aus Trauer, mein Geliebter; die Liebe ist ja so reich an Gemütsbewegungen! Nimm alles von der Quelle, die Dein eigen ist; und wenn Du mir in Deiner Wahrhaftigkeit, an die ich glaube wie an Gott, sagst, daß Du Dein Leben von neuem mit mir wieder beginnen wolltest, so antworte ich Dir vor Gott, daß dies auch mein innigster Gedanke ist.


 





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