Die
Frau
»Tant
qu'on peut donner on ne peut pas mourir.«
Sie
ist die wahre Frau, weil die Liebe der Sinn und
die Tat ihres ganzen Lebens ist. Ihre Leidenschaft nährt sich nicht an
der
Gegenliebe, der zufälligen und unbegrenzten, sondern vom
Liebesbedürfnis, dem
in ihr unendlichen und unvergänglichen. Nicht von außen wird das
Erlebnis, das
einmalige, in sie geschüttet, sondern von innen quillt es empor, aus
den
unergründlichen Schächten ihres Herzens. Es ist da kein Anfang und kein
Ende,
alles strömt ineinander, gepreßt von den Zuflüssen der Seele,
Kindesliebe, Leidenschaft,
Gattentreue, Mutterschaft, um schließlich im Grenzenlosen der
Gottesliebe zu
münden, der sie unbewußt vom Anbeginn zugestrebt: »Seigneur qui ne
cherchait
l'amour dans votre amour.« Von einem Ende ihres Lebens bis zum andern
flutet
dieser Strom mit unablässiger Welle. Ihr Gefühl wird nie müde, sie läßt
nicht
ab, sich hinzugeben an ihren Gatten, an die Kinder, an die Freunde, an
die Welt
und an Gott. Immer bleibt sie die unendlich Ergriffene, die Schenkende,
die
Duldende, und wenn ihre Liebe wandert vom ersten Mann zum zweiten, von
den
Kindern zur Kirche, so ist diese Wanderschaft nur höchste Treue an
ihrem innern
Lebenswillen, der sich entäußern muß. Nie ist es das Geschehen, der
Anlaß,
immer nur das Gefühl, das ihr Erleben zur Größe spannt. Jener Verführer
ist auf
den Brettern ihres Lebens nichts als der Bote, der das Stichwort bringt
und die
Tragödie des Herzens anklingen läßt, dann tritt er ab und verschattet
im
Dunkel; aber das große Spiel, das die Liebe mit ihr begonnen hat, endet
nicht
mit ihm, sondern mit ihrem eigenen Leben. Sie, die Erweckte, singt
Jubel und
Schmerz unablässig aus erregter Brust, die
Arie ihrer
Seele hat kein Ende bis zum letzten Tag.
Ich
weiß keine Dichterin, die so wenig
Schauspielerin ihres Gefühls war als Desbordes-Valmore, die Komödiantin
des
Berufs. Sie ist nicht die Heroine (wie George Sand, wie Charlotte
Corday,
Jeanne d'Arc und Theroine de Méricourt), sondern nur die Heroische des
Alltags,
sie ist nicht die große Liebhaberin, die grande amoureuse (wie die
Pompadour,
wie die Lespinasse, wie Ninon de Lenclos), sondern bloß die Liebende
und darum
die Entsagende. Ein ganzes Leben opfert sie im Tempel ihres Herzens dem
Gotte
des Gefühls. Sie gibt klaglos alles, was sie ihrem Leben abringen kann:
dem
Geliebten ihre Reinheit, dem Gatten ihre tägliche Mühe und Kraft, den
Kindern
ihre Sorge, dem Gefühle die Verse und dem Himmel ihr Gebet. Sich
versagen wäre
für sie Sterben: »Tant qu'on peut donner on ne peut pas mourir.« Nichts
behält
sie darum für sich, und was ihr etwa zufällt, der Ruhm der Bühne und
später
jener der Dichtung, diese Geschenke des Schicksals weist sie wie eine
Unwürdige
ab. Die Ungeschmückte will sie bleiben, die Dienerin, die Magd fremden
Lebens,
sie will schenken und nicht beschenkt sein, ihr Geben nicht durch
Gegengabe
geschmälert sehen. Aus allen ihren Stunden, den dunklen und trüben,
flicht sie
Kränze für andere Stirnen und streut die Blüten ihrer Dichtung
verschwenderisch
auf den geliebten Namen. Das Glück der Beschenkten war ihr versagt; so
sucht
sie, wahre Frau, die sie ist von jener verwölkten Kindheit an bis zur
Todesstunde, Kraft und Erhebung in einer beispiellosen Hingabe, in
einer
Hingabe ohne Frage, ohne Verpflichtung, ohne Bedingung, so wie sie
einst nur
aus Gebenslust sich dem fremden Manne hingab. Sie selbst hat das Glück
verlernt
und findet es nur in der Verwandlung, andere
beglückt
zu sehn. Immer tritt sie zurück, und wenn sie bittet, wenn sie zu Gott
aufschreit, so ist es für den Gatten und für die Kinder, selbst klaglos
bereit,
zu verschwinden, zu vergehen, und ihr süßester Wunsch:
»D'être
abeille et mourir dans les fleurs.«
Das
Schicksal hebt sie nicht auf in seine seligen
Arme, so bleibt sie zu seinen Füßen und demütigt sich, und allmählich
wird ihr
das Leiden nicht mehr der Feind, der sie überfällt, sondern der Freund,
der
getreue. Und will Freundliches ihr nahen, so fürchtet sie ein Fremdes,
ihr
nicht Zugeteiltes darin. Sie weicht scheu vor ihm zurück. Immer wenn es
naht,
wenn Valmore um sie wirbt, wenn ihren Versen ein freundliches Wort
gesagt wird,
so schauert sie zusammen, sein Nahen bringt ihr Angst:
»Je
tremble d'être heureuse.«
Ihr
Glück, das weiß sie bald, sind die Tränen, und
sie liebt sie wie ein Glück, dem entfremdet zu werden sie sich
fürchtet.
Allmählich mischt sich Süße in ihr Erleiden, und ohne Zwang, aus
innerster
Lebensnot, wird sie Meister ihres Schmerzes und selig im Leiden.
Ähnlich wie es
in Gottfried Kellers Versen heißt, darf sie von sich sagen:
»Ein
Meister bin ich worden
zu
tragen Schmerz und Leid,
und
meine Lust zu leiden
ward
meine Seligkeit.«
Dulden
ist ihre wahre Welt, und ihre Klage
verwandelt sie in Gebet: »Prier ce sont nos armes«, sagt sie von sich
und allen
Frauen, weil sie erkennt, daß die Frau nur durch Leiden und nicht durch
Lust in
die große Gemeinsamkeit eingefügt ist, daß Empfangen ihr Erleiden sein
muß und
in alle Süße des Körpers
und der Seele ihr Schmerz
unverweigerlich gemengt ist.
Kein
neues Unglück kann sie darum irremachen: ihre
Liebe ist nicht abzutöten, ihr Gefühl nicht zu zerstören. Bei der
ersten
Enttäuschung schrie das gequälte Herz noch auf, zu neu war ihr der
Schmerz.
Aber schon damals war es nur erschreckte Klage, nicht Zorn und nicht
Anklage,
schon damals suchte sie alle Schuld in Bestimmung, in Selbstschuld zu
verwandeln:
»II
me faisait mourir et je disais, j'ai tort.«
Schon
damals verzeiht sie ihm, sie verzeiht der
Freundin, die ihn verlockt hat, denn sie muß sichs bekennen: »Je ne
sais pas
haïr.« Immer ist sie das Opfer, die Ausgenützte, aber darum nicht die
Enttäuschte. Ihre Familie klebt parasitisch an ihrem Leben, aber nie
hat sie es
beklagt mit einem Wort. Latouche, der falsche Freund, sucht ihre
Tochter zu
verführen; und doch, wie dann Sainte-Beuve an seinem Todestage jenen
Brief an
sie richtet, schreibt sie in ihrem Briefe eine brennende Apologie.
Ihrem
Verführer findet sie das wundervollste Wort der Vergebung, das je eine
Frau
gesprochen:
»J'en
parle à Dieu sans son injure
Pour
que Dieu l'aime autant que moi.«
Für
jeden findet sie eine Entschuldigung, und alle
jene, die sie gequält und erniedrigt haben:
»Ceux
qui m'ont affligée en leur dédain
jaloux,
Ceux
qui m'ont fait descendre et marcher dans l'orage,
Ceux
qui m'ont pris ma part de soleil et d'ombrage,
Ceux
qui sous mes pieds ont jeté des cailloux.«
für
sie alle erhebt sie ihre Stimme zu Gott:
»Oh,
qui se peut venger? Oh par votre abandon
Seigneur!
par votre croix dont j'ai suivie la trace,
Par
ceux qui m'ont laissé la voix pour crier grâce,
Pardon
pour eux! pour moi! pour tous! pardon! pardon!«
Und
auch ihm selbst, Gott, verzeiht sie, daß er ihr
von fünf Kindern vier genommen, daß er seinen dunklen Engel gegen alle
entboten, die ihr teuer waren. Nicht Klage richtet sie an ihn um diesen
herbsten Verlust, sondern nur Bitte für andere Mütter, und es ist eine
heroische
Güte des Verzichtes in diesem Gebet:
»Oh
Sauveur! soyez tendre au moins aux autres
mères
Par
amour pour la vôtre et par pitié pour nous,
Baptisez
leurs enfants de nos larmes amères
Et
relevez les miens tombés à vos genoux.«
Er
hat seinen ganzen Zorn gegen sie gesandt; aber
sie, die Liebesreiche, vermag ihm nicht zu zürnen, und je mehr er sie
züchtigt,
desto glühender liebt sie ihn.
In
dieser scheinbaren Schwäche, dieser grenzenlosen
Selbstdemütigung ruht die Kraft, der wunderbare Heroismus der Marceline
Desbordes-Valmore. Ihr Leben ist das einer Heldin, einer Heiligen, und
Descaves
findet ihr den schönsten Namen »Notre Dame des Pleurs«. Glut ist ihr
Widerstand. So wie ihr magerer gebrechlicher Körper mehr als fünfzig
Jahre
sich, allen Krankheiten trotzend, weiterträgt, so überwindet ihr
Charakter
alles Unglück. Die Kraft anderer wird zu Taten und Worten, ihr Bestes
an Kraft
aber verzehrt sich im Schweigen, und alle Verse verraten zu wenig, was
für
Qualen sie litt in den täglichen Kämpfen und Tagwerken, in den
Entbehrungen und
Erniedrigungen, wie verzweifelt sie das Lächeln erkämpfte, das sie
abends dem
müden Manne entgegenbringt, und den Heroismus, viermal vom Totenbett
ihrer
Kinder noch einmal aufzustehen und nochmals in ein so
furchtbares Leben hinein. Diese in tausend Stunden gestählte Kraft,
gegen die
Verzweiflung zu ringen und unentwegt sich der Liebe zu wahren, ist das
Mirakel,
das sie glühend erhält bis zum letzten Tag, das sie Dichterin sein läßt
bis zum
letzten Vers. Andern Frauen erlischt meist das Gefühl mit der Liebe,
andern
Dichterinnen kühlt die Leidenschaft aus mit dem Erlebnis, sie aber
verwandelt
und steigert grenzenlos ihr Gefühl. Vom Geliebten zum Gatten, vom Manne
zu den
Kindern und von den Kindern zu Gott trägt sie ihre Hingebung, aber
niemals
lischt die heilige Flamme aus. Alles, was das Leben in ihre Glut wirft,
Ekel,
Qual, Bitterkeit, es nährt nur ihr Lodern, und die Sechzigjährige dient
ihr
noch hingebungsfroher als die Halbwüchsige. Die Flamme, die, einst nur
reichte
bis zu den Lippen des Geliebten, ihre Kinder wärmte und den Gatten
umschlang –
in den letzten Jahren schlägt sie empor bis zu Gott und wird eins mit
seiner
ewigen Glut.
Marceline
Desbordes-Valmores Leben führt über den
Kalvarienberg aller Leiden; und damit sie auch das Höchste an Lust und
Tiefste
an Qualen kenne, drückt das Leben auf ihr blutendes Haupt die dunkle
Dornenkrone der Mutterschaft.