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04.3
Geschichten
Marceline
Desbordes-Valmore
Das
Lebensbild einer Dichterin
Erster
Teil: Bildnis ihres
Schicksals

Valmore
Il
n'y a rien de si sincère que mon cœ ur,
Je ne
puis le donner qu'en donnant ma vie.«
Im
Theater ist damals als Partner heroischer und
leidenschaftlicher Konflikte ein junger Schauspieler engagiert,
Valmore, vom
weiblichen Publikum Brüssels bald der »schöne Valmore« genannt. Sproß
einer
adeligen Familie, Neffe eines kaiserlichen Generals, der in der
Schlacht an der
Moskwa sein Leben gelassen, hatte er sich dem Theater durchaus nur um
künstlerischer Neigung willen verschrieben. Zu spät gekommen in der
Weltgeschichte, um auf der Lebensbühne unter Napoleon zu kämpfen, will
er Held
und Konquistador zumindest im Spiele sein. Er ist sieben Jahre jünger
als sie,
darstellerisch zwar nur mäßig begabt, aber doch gewinnend durch seine
ritterliche Erscheinung und die fast herrische Aufrichtigkeit seines
Wesens. In
den Stücken geben sich die beiden oft das Stichwort der Liebe von Mund
zu Mund,
er hat die Werbung, sie den Widerstand, und aus dieser regen Gewohnheit
des
Tausches erborgter Gefühle wächst allmählich eine gewisse menschliche
Vertrautheit.
Und
dann – in der Biographie Marcelinens ist jede
Episode immer dramatisch motiviert –, diese beiden Komödianten, die
hier Zufall
oder Bestimmung auf den Brettern eines Provinztheaters zusammenführt,
diese
beiden fremden Existenzen, haben vor vielen Jahren einander gestreift.
Vor
sechzehn Jahren, als die Halbwüchsige nach Guadeloupe reiste und in
Bordeaux um
ein paar Franken auf der Schaubühne agierte, hat sie dort in
befreundeter
Familie einen kleinen Knaben auf den Knieen geschaukelt. Sie hat mit
ihm
geplaudert, sich an seiner klugen Anmut gefreut und schon damals mit
ihm
unschuldig schwesterlichen Kuß
getauscht. Ihre Lippen kennen einander: dieser Knabe aus Bordeaux,
dieser lang
vergessene Gespiele einer Stunde, war Valmore gewesen. Das Entsinnen
der
kindlichen Episode flicht rasche Freundschaft zwischen den Erwachsenen.
Valmore
aber erwidert ihr Gefühl der Freundschaft mit
lebhafterer Neigung, und allmählich erwächst ihm der Wunsch, sich der
verehrten
Frau dauernd zu verbinden. Noch wagt er nicht, sich zu erklären, er hat
Scheu
vor dem Wort. Ein schöner männlicher Stolz verbietet ihm stürmische
Werbung, um
sich die rasche Abweisung der Erschreckten zu ersparen. Kund ihres
Unglücks
weiß er vielleicht, daß man die tiefe Resignation ihres Herzens erst
Stufe um
Stufe mit sachter Hand, wie eine Kranke wieder emporführen müsse ins
Vertrauen.
So wählt er des Wortes behutsamere Form: den Brief. Obwohl ihr täglich
nah,
schreibt er ihr einen Brief, in dem er sich gewillt erklärt, die
Redlichkeit
seiner Gefühle durch eheliche Liebe zu erweisen.
Marceline
erhält den Brief, sie erschrickt und will
den werbenden Worten nicht glauben. Sie blickt in den Spiegel: das Salz
der
Tränen hat ihre Wangen aufgelaugt, der Schmerz mit spitzem Stichel den
Augen
Furchen eingegraben, sie fühlt sich verbraucht, unwertig und verblüht.
Einunddreißig ist sie den Jahren nach und innerlich viel älter, er
aber, der
Jugendfrische, vierundzwanzig, – wie darf sie da ihn binden, sie, die
selbst
gebunden ist an Erinnerung und, wie ihr dünkt, an untilgbares Leid?
Denn selbst
in dieser Sekunde des Glücks fühlt sie, daß ihr Herz nichts vergessen
kann, daß
Olivier, des Unbekannten Bild, ewig in ihrer Seele brennt. Sie ist
entschlossen
zur Treue, zur Abwehr. Aber doch, es lockt so seltsam, noch einmal das
Leben zu
beginnen, noch einmal aus diesem unendlichen Abgrund
von Trauer und Entbehrung emporzusteigen in das Licht.
Sie
antwortet Valmore in einem Brief, der ablehnt und
doch zögert zugleich. Er will Absage aussprechen und scheut sich doch,
unwiderruflich zu werden. Sie bittet ihn, sie zu schonen. »Versuchen
Sie nicht,
mein Herz mit Gefühl zu erfüllen, ich habe so viel gelitten, und
traurig wie
ich bin, tauge ich nicht mehr zur Liebe.« Sie warnt und warnt, sie
verneint die
Möglichkeit eines neuen Gefühls und bezeugt es ihm doch durch ihre
Furcht vor
neuer Prüfung und die Bitte, sie zu schonen. Sie bietet ihm an, Brüssel
zu
verlassen, wenn das Beisammensein mit ihr ihn quäle, sie warnt und
wehrt ab.
Aber doch, sie findet kein Wort, das ein hartes Nein sagt. Denn dies
ist zu
neu, zu selig schön für die Enterbte, dieser ungewohnte Schauer, zum
erstenmal
nicht nur zu lieben, sondern einmal auch wahrhaft geliebt zu sein.
Valmore
mißversteht sie. Er meint, ihr Zögern bedeute,
er sei zu gering für sie, die gefeierte Schauspielerin, die Erste des
Theaters.
Noch kennt er nicht die ganze Tiefe ihrer Glücklosigkeit. Er will sich
entfernen, aber schon ruft sie ihn zurück. Sie beeilt sich, ihm zu
antworten,
ihm zu versichern, wie sehr sie ihn achte, und in dieser Hochschätzung
klingt
schon ein erster Unterton von Neigung. Valmore wird sicherer, er wirbt
nun
dringender und heißer. Immer weicher wird der Ton in ihren Briefen,
immer
nachgiebiger. Sie will es noch nicht glauben, daß man sie wieder zum
Leben erlösen
will, und glaubt es doch schon. Sie schämt sich ihres eigenen
Wankelmuts, nach
so großem Gefühl so bald eines zweiten fähig zu sein, und ersehnt es
doch schon
mit allen Sinnen. So fremd ist ihr das Glück geworden, daß sie sich
davor
fürchtet und beinahe wieder ihr Leid zurückwünscht:
»Je
tremble d'être heureuse et je verse des
larmes;
Oui,
je sens que mes pleurs avaient pour moi des charmes
Et
que mes maux étaient mes biens.«
Sie
ist sich bewußt, daß sie nicht vergessen kann,
aber sie fühlt sich stark genug, auch mit einer Wunde im Herzen einem
andern
Manne sich zu vereinen. Sie hat ihn gewarnt, sie warnt ihn bis zum
letzten
Augenblick. In Aufrichtigkeit bietet sie ihm ihr ganzes Leben dar, aber
er
begehrt es stark und glühend, und mit einem gewissen Jubel stimmt sie
schließlich zu.
Es
ist rührend, in diesen ihren Briefen zu lesen, wie
fremd sie dem Glück geworden ist. Ein Wunder von Gott ist ihr diese
Wendung.
Sie kann es gar nicht begreifen, sie faßt es kaum, dieses vergessene
Wort,
dieses verlorene Gefühl. Gleichsam aus einem Kerker taumelt sie an das
Licht,
und ihre Augen sind blind, sie wagt nicht zu schauen. »Wie, das Leben
ist also
doch das Glück?« stammelt sie in einem Brief, einen Tag nach der
Vermählung:
»Ich bin glücklich! Wie doch meine ganze Seele sich auftut diesem
vergessenen
Wort, das für immer ausgelöscht schien.« »Sag mir, Geliebter, wo ich
bin, sag
mirs doch, ich weiß es nicht mehr. Laß mich noch einmal einen solchen
Brief
lesen, der mir das Herz verbrennt.« Sie stammelt, sie taumelt unter
diesen
ersten Tagen. Und was das Wundervollste ist, das Unwahrscheinlichste,
daß
dieses Glück über ein ganzes Leben hin dauert. Denn in ihrem ersten
Erlebnis
ist sie eine andere geworden. Sie ist nun fähiger, einen Mann zu
beglücken,
weil sie resignierter ist. Sie will nicht mehr alle Himmel umfassen,
sie will
nicht mehr glücklich sein, sondern als wahre Frau nur glücklich machen.
Nichts
begehrt sie für sich fortan, alles nur für ihn. Ein wunderbarer Kampf
beginnt
nun in diesen beiden für viele Jahre, ein Kampf der
Demut gegen Demut. Beide fühlen sie sich minderwertig, einer gegen den
andern.
Er empfindet ihre Überlegenheit als Schauspielerin, als Dichterin,
fühlt den
Adel ihrer Menschheit und beugt sich vor ihr. Sie wieder spürt nur das
eine,
das Wunderbare, in einer immer wieder erneuten Dankbarkeit, daß er
jünger ist
als sie, sieben Jahre, und er ihr freudig seine strahlende Jugend
geschenkt
hat, und sie beugt sich vor ihm. Er hat sie ins Leben gehoben und
Kinder aus
ihrem abgestorbenen Leib erweckt, dafür dankt sie ihm Tag für Tag. In
den
Briefen der alternden Frau brennt gleich heiß wie in denen am Tage der
Vermählung ihre Glut, und er wiederum faßt ungelenk, um einmal in ihrer
Sprache
zu sprechen, seine Gefühle in Versen zusammen. Keines ihrer
Liebesgedichte ist
vielleicht so rührend als dies Gedicht, das sie erweckt, dieser
ungeschickte
Versuch eines nüchtern-redlichen Menschen, Worte in Reime zu pressen,
um auch
ihr in ihrer Weise zu dienen. Die entsetzliche Angst, er, der Jüngere,
könnte
sie, die Alternde, betrügen und mißachten, sie möchte nochmals
verstoßen werden
von der Liebe, schwindet selig dahin. Tag für Tag erstaunt sie immer
wieder
aufs neue, noch immer geliebt zu sein, und bewundert seine Redlichkeit.
Immer
bleibt sie die Erstaunte, daß auch ihr Liebe gelte, immer die Dankbare.
Und nun
endlich darf sie sich hingeben, verschwenden, aufopfern, Tag für Tag,
und die
furchtbare Mühsal ihres äußeren Lebens macht dies Opfer zu einem
unaufhörlichen.
Manchmal
fällt noch ein leichter Schatten vergangener
Zeiten in ihr Glück. Valmore leidet im geheimen sehr, immer zu spüren,
wie
unvergessen jener andere ist. Er hatte gehofft, nun werde ihm, der sie
nochmals
die Liebe gelehrt, mit ihrem Leben auch ihre Dichtung
gelten. Das Bild jenes andern, der sie gequält und verachtet, werde
verschatten
im erneuten Glück. Aber Marceline Desbordes-Valmore ist unfähig zur
Lüge. Ihre
Dichtung, die aus dem traumgewordenen Erleben der Jugend aufsteigt,
scheint
geheime Gesetze zu haben, gegen die sie selbst nichts vermag. Inmitten
ihrer
Ehe schreibt und veröffentlicht sie jene schmerzvollen Elegieen an
Oliver, den
einst Geliebten, und Valmore, der all ihre lebendige Liebe hat, muß den
Druck
von Versen überwachen, die einem andern gelten. Seltsamere Qual ward
nie einem Gatten
ersonnen. Aber Dichtung ist stärker als ihr bewußter Wille. Nicht das
Glück
inspiriert diese Frau, sondern das Tragische, nur die Träne erlöst ihr
das
Wort, und darum gelten ihre Verse einzig dem, der ihr Gefühl zur Qual
der Liebe
aufrief, und fast nie jenem, der sie beglückte. In Valmore liebt sie
den Mann,
den Gatten, in Olivier die Liebe selbst, die Quelle des Leides, das ihr
tiefstes Glück aufwühlt. Sie bezeugt in ihrer unendlichen
Aufrichtigkeit, daß
im Leben einer Frau doppelter Raum für Liebe ist, für die der
Wirklichkeiten
und die des Ideals, und daß das Unvergessene, im Leibe längst
erstorben, in den
tiefsten Schluchten des weiblichen Gefühls unerreichbar verborgen
bleibt, daß
Erlebnisse nicht absterben mit dem Erlebten. Sie sieht Valmore leiden
an ihren
Geständnissen, aber sie vermag ihre Dichtung nicht zu beherrschen: ihre
Aufrichtigkeit ist stärker als ihr Wille. Sie ist machtlos gegen die
eigene
poetische Gewalt. Vergeblich müht sie sich, ihm seine Eifersucht auf
die Verse
auszureden:
»Ces
poésies qui pèsent sur ton cœur«;
sie
fügt ihrem Mädchennamen als Dichterin immer den
seinen bei, nennt sich Marceline Desbordes-Valmore, um öffentlich ihre
Verbindung zu bekunden. Alle kleinen Listen des Herzens
wendet sie an, sie beschuldigt sich der Übertreibung, und ist
zweifellos
aufrichtig in der Sekunde der Verzweiflung, da sie ihre Dichtung
verflucht,
weil sie Mißstimmung aussäe zwischen ihnen. Wie selig ist sie darum,
wenn sie
auch ihm etwas zu vergeben hat. Spät, mit siebenundvierzig Jahren,
gesteht er
ihr, der Vierundfünfzigjährigen, daß, er sie mehrmals betrogen habe.
Und
beinahe beglückt antwortet sie ihm in dem wundervollen Brief:
»Es
wäre ein Wunder, hättest Du den Versuchungen
Deines Alters und Deines Berufes entgehen können! Glaube mir, es ist
einzig
wichtig, daß sie nicht die Unzerreißbarkeit unseres Bundes vernichten
konnten.
Keiner Frau nehme ich es übel, Dich liebenswert gefunden zu haben, mein
teurer
Freund. Viel eher hätten sie es mir nicht vergeben dürfen, Deine Frau
zu sein
und – offen gesagt – ein solches Glück nicht zu verdienen.«
So,
mit Güte und Aufrichtigkeit knüpfen sie immer aufs
neue das Band, das sie aneinanderhält; selbst die Armut, die ewige und
unerträgliche ihrer Tage, kann die Reinheit ihrer Existenz nicht
vergiften.
Immer findet ihre Hingebung neue Formen des Aufschwungs und schließlich
auch
die edelste Wendung: sie verzichtet ganz die Geliebte zu sein, um des
neuen
Glückes willen, ihn neu und anders lieben zu dürfen.
Früh
blinkt ihr Schnee auf dem Scheitel, und nun
umgibt sie Valmore, den Gatten, mit einer wundervollen Mütterlichkeit.
Er wird
gleichsam ihr ältestes Kind, das Sorgenkind, dem sie sich müht, eine
Stellung
zu finden, den sie behütet, pflegt und berät. Sie muß ihn, den
schlechten
Provinzschauspieler, der nirgends ein Engagement findet, in Rouen
ausgepfiffen,
in Paris nirgends angenommen wird, immer wieder trösten über die
schmerzhaften
Niederlagen seiner Eitelkeit, sie muß den zweifelhaften Komödianten
und doch wackern Mann dreißig Jahre darüber hinwegtäuschen, daß sie es
ist, die
mit Arbeit und Qual die ganze Familie erhält. Erst wie der
künstlerische Wahn
ihm zerrinnt und er eine kleine Stellung an der Bibliothek findet und
nun
nichts mehr ist als Vater und Gatte, kommt eine Art Ruhe in den
zerrissenen
Haushalt.
In
den späteren Briefen mischen sich der Leidenschaft
des Gefühls immer mehr und mehr hausmütterliche Ratschläge bei, die Ehe
wandelt
sich in Mutterschaft und Geschwisterlichkeit. Und aus der Ferne ihrer
Jahre,
dem gefährlichen Unterschied des Alters, wird durch ihre Güte und
Resignation
immer neue Nähe und ein noch innigerer Verein.


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