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04.3
Geschichten
Marceline
Desbordes-Valmore
Das
Lebensbild einer Dichterin
Fünfter
Teil: Urteile der Mit-
und Nachwelt

Urteile
der Mit- und Nachwelt
Daß
die Besten einer Zeit immer die Besten
erkennen, bezeugen hier die Äußerungen Balzacs, Sainte-Beuves, Victor
Hugos und
Baudelaires, und sie haben heute wieder volle Geltung, da die Gestalt
der Marceline
Desbordes-Valmore nach einer Zeit langer ungerechter Gleichgültigkeit
wieder
lebendig wird.
Balzac
Ich habe die
zwei kleinen Briefe
bekommen – allzu kurz mit ihren zwei Seiten, doch ganz durchduftet von
Poesie
und durchweht von jener Heimatluft, aus der sie kamen. Es war, als
lauschte ich
den schönsten Takten einer Beethovenschen Symphonie, und die zwei Tage,
die ich
in Ihrer Gesellschaft verbrachte, erstanden in meinem Gedächtnis. Und,
was mir
selten begegnet, ich saß lange Zeit gedankenvoll, die Briefe in der
Hand, und
machte ein stilles Gedicht; ich sagte mir: sie hat also das Andenken an
ein
Herz bewahrt, in dem sie ein volles Echo gefunden hat, sie und ihre
Worte, sie
und all ihre Lieder, – denn wir sind aus dem gleichen Lande, Madame,
dem Land
der Tränen und der Qualen. Wir sind so gute Nachbarn, als Poesie und
Prosa es
in Frankreich sein können, und ich weiß mich Ihnen nahe durch die
Bewunderung,
die ich für Sie empfinde und die mich mehr als eine Stunde vor Ihrem
Porträt im
»Salon« festgehalten hat. Also, leben Sie wohl! Mein Brief kann meinen
Gedanken
nur unvollkommen Ausdruck geben, doch Sie werden auch zwischen den
Zeilen die
Freundschaft zu lesen verstehen, mit der ich ihn schreibe, und meinen
Wunsch,
Sie mit allen Schätzen der
Welt zu beschenken,
wenn Gott mir diese Macht verleihen würde. Ja, alle, die ich gern habe,
sollten
ganz nach eigenem Gefallen eine große, eine mittlere oder eine kleine
»Grenadière« besitzen und alle Freuden des Paradieses im vorhinein,
denn warum
so lange darauf warten? Also leben Sie wohl, geben Sie Ondine einen Kuß
auf die
Stirn, und bewahren Sie, ich bitte, die Überzeugung meiner aufrichtigen
Zuneigung
und meiner tiefen mitfühlenden Bewunderung.
De
Balzac
Aus
Aufsätzen Sainte-Beuves
In
„Portraits Contemporains“
Das
Leben
selbst, Leidenschaften und schwere Erfahrungen,
haben diese Frau, die keinen anderen Lehrmeister hatte als die innere
Stimme
und das Leid, dahin geführt, ihr Schluchzen zu modulieren. Es gibt zwei
Arten
von Dichtern: jene, die Erfindungsgabe haben, deutlicher gesagt, die
Kunst
haben, Phantasie, Schöpferkraft und nicht nur Empfänglichkeit, deren
Geist sich
jedem Stoff anzupassen vermag, eine Gabe, die man Talent nennt. Und es
gibt
andere, bei denen dieses Talent von den persönlichen Empfindungen nicht
zu
trennen ist und die infolge einer rührenden Schwäche nur Dichter sind,
weil sie
Liebende und solange sie es sind.
Madame
Desbordes-Valmore ist auch ein Dichter durch die
Liebe. Ihr Talent ist an ihr Fühlen gebunden, wie das Echo an die
brandende Woge,
wie die Woge an den stürmenden See. Wenn dieses Talent nie aufgehört
hat, sein
Klagelied zu singen und in die Höhe zu wachsen, so ist es, weil die
Seele
selbst, trotz so
viel vergossener Fluten, sich unerschöpflich erwiesen hat:
»Denn
ich bin nur ein schwaches Weib,
Ich
wußte nur zu lieben, Leid zu tragen,
Nur
meine Seele im Gesang zu klagen ...«
1839. Sie gehört nicht zu jenen
Seelen, für welche die
Poesie nur ein kurzes Alter hat und die, je weiter sie in die immer
ödere
Steppe vordringen, die man das Leben nennt, sich verschließen, sich
fortstehlen
und von nun ab schweigen. Sie ist als klingende Harfe geboren und
dennoch als
zerbrochene. Was konnte sie so vorzeitig zerbrechen? Für sie ist jedes
Leid ein
Lied: das heißt also, daß sie seit fünf Jahren, in allem Mißgeschick
ihres
herumirrenden Lebens, das Singen nie gelassen hat. Jede aufsteigende
Klage,
jedes flüchtige Lächeln, jede zärtliche Regung des Mutterherzens, jeder
wie
schnell zerstörte Versuch zu einer frohen Melodie, jeder herbe Blick in
eine
Vergangenheit, deren Flammen noch immer nicht alle erloschen sind –
alles das
nach und nach, meist in Hast hingeworfen, wieder aufgegriffen,
gesammelt und
flüchtig verknüpft bildet den Band, dem sie den Namen »Arme Blumen«
gegeben
hat. Es ist ein voller Erntekorb, hoch und eng geschichtet, dicht
geschüttelt,
mehr als voll von Farben und Düften, den die bescheidene Dichterin
nicht
eigentlich uns darbietet, sondern wie ermattet zu unsern Füßen
niederfallen
ließ.
In
einem Gedicht mit dem Titel »Vor Dir!« zeigt uns die
Dichterin in kindlicher Liebe das Sterben ihrer Mutter, das Vermächtnis
leidvoller Sensibilität, das diese ihr hinterlassen hat, und die zuerst
unerkannt, dann allzu geweckt und bewußt immer in ihrem Herzen gelebt
hat. Und
dieses Herz, das von Anbeginn als Opfer der Liebe bestimmt war, – es
»hatte
noch kein Lied, sein Leid zu offenbaren« – wie weiß sie es in
seiner Unschuld und stummen Bedrängnis zu malen:
»Sein
schwaches Schlagen, das der Zeiten Maß
Nur
zögernd wiedergab, verriet, wie wenig Leben
In
diesem Herzen war; und wie ein Kind, das eben
Halb
eingeschlummert über seinen Büchern saß,
Hielt
meine Hand mein Schicksalsbuch verschlossen;
Mein
schwarzer Gürtel, meine dunkle Trauer band
Mich
an der Mutter Grab – was hatte noch Bestand?
Die
Welt war groß und leer; es fehlte ihr die Stimme,
Die
einzige, die das wüste Lärmen und Gebraus
Zur
Heimat machte; nein! die Welt war nicht mein Haus!
Ich
scheute ihr Gesetz, ihr Urteil, ihre schlimme
Verlockung
und Bedrohung – und von Angst gehetzt,
Fand
ich das Wort, den Ruf, das laute Lied zuletzt!«
Wenn
man solche Verse liest, verzeiht man die Schwächen,
mit denen sie erkauft worden. Ja, die Qual der Seele ist oft lebendig
in die
Verse mit hinübergenommen. Die Tonfarbe spiegelt sie wider. Wenn die
Träne im
Auge von einem Sonnenstrahl getroffen wird, so hindert uns das am
Sehen, alles
bebt und schimmert. Der schluchzende Aufschrei kann nicht alles, was
hinter ihm
lebt, erkennen lassen.
Ein
ganzer Herzensroman durchwebt dieses Buch, hie und da
etwas gemindert, bald aber wird die Leidenschaft wieder übermächtig und
kann
nicht mehr an sich halten. Unerwartet, in einem Aufschwung, den nur sie
unter
den Dichterinnen von heute besitzt, ruft sie ihr Weh hinaus ... Sappho
muß
solchen Aufschrei gehabt haben; oder vielmehr, man fühlt, daß diese
Tochter
Douais und Flanderns dort etliche Funken spanischer Glut mitbekommen
hat, sie,
die mit stetem Glauben zur Madonna aufsieht, wie die portugiesische
Nonne . . .
1842. Als ich die
leidvollen Briefe
der Madame Valmore durchsah,
ist mir oft eine andere Dichterin in den Sinn gekommen, und ich habe
ihre
Briefe mit denen Mademoiselle Eugénie de Guérins verglichen, die einige
auserlesene Bücher veröffentlicht hat. Doch welch ein Unterschied, so
sagte ich
mir, zwischen den Schmerzen der einen und der andern. Die eine, edle
Schloßherrin von Cayla, unter dem schönen Himmel des Südens, in trauter
Umgebung, in ländlicher Einschränkung oder Armut, die doch noch immer
Fülle
ist, mit allem Geschmack eines jungfräulichen Interieurs. Die andere,
im Staub
und Schmutz der Großstadt, der Landstraße, stets auf der Suche nach
einer
Unterkunft, fünf Stockwerke erklimmend, überall anstoßend, – das Herz
zerrissen
ruft sie verzweifelt aus: »Wo sind die friedlichen Leiden des
Provinzlebens?«
Und wer Madame Valmore in den langen Jahren schwerer Prüfung gekannt,
wer sie
in ihren bescheidenen und engen Wohnungen besucht hat, wo sie so viel
Mühe
hatte, den Haushalt zusammenzuhalten, wer sie da gesehen,
liebenswürdig,
heiter, anziehend, gastfreundlich sogar, wie sie allem einen Anstrich
von
Sauberkeit und künstlerischem Geschmack zu geben wußte und ihre Tränen
hinter
einer natürlichen Anmut verbarg, sie, der Zartesten und Empfindsamsten
eine,
doch immer tapfer und wachsam, wer sie so gesehen und ihren Lebens- und
Leidensweg kennt, der wird sie noch weit mehr bewundern. Wenn man
ferner
bedenkt, welche endlosen Mühen und Sorgen um ihren Unterhalt diese so
ehrenwerte und bedeutende Familie, diese kleine Gruppe auserlesener
Menschen,
die mit vielen befreundet und von sehr vielen, scheint es, protegiert
war, die
von allen geachtet, geliebt und bewundert wurde, zu bestehen gehabt, so
fragt
man sich: wo bleibt
eigentlich unsere vielgerühmte Zivilisation? Man errötet für sie . . .
Barbey
d'Aurévilly
. . .
Es
ist die Liebe und
die Züchtigkeit, erbleichend oder errötend in ihren Kämpfen; es ist die
Leidenschaft mit ihren Flammen, ihren Tränen, fast hätte ich gesagt,
ihrer
Unschuld, so bitter ist ihr Kummer und ihre Reue! Die Leidenschaft mit
ihrem
Schrei vor allem. Madame Desbordes-Valmore, die Dichterin, ist die
Poesie des
Aufschreis. Nun, gibt es etwas Intimeres, etwas, das deutlicher das
frische
Blut der Wunden zeigt, das sprühender die Quelle der Seele verrät, als
der
Aufschrei? Die Herrlichkeiten mühseliger Dichtungen verblassen und
vergehen; wo
aber der Schrei einmal kraftvoll vibriert hat, vibriert er immer,
solange es
auf Erden eine Seele gibt, ihm Echo zu sein.
Victor Hugo
. . . Sie
sind unter den
zeitgenössischen großen Talenten wohl mehr als eine Seele; Sie sind ein
Herz.
Es gibt Seele und gibt Herz, gibt die Welt der Gedanken und die Welt
der
Gefühle. Ich weiß nicht wer und ob einer in unserem Jahrhundert die
erstere
besitzt, gewiß aber haben Sie die zweite. Sie sind Königin darin . . .
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