Geschichten Auguste
Groner
Der
Brief aus dem Jenseits
Der
seltsame Schatten
Der
seltsame Schatten
- Seite 3 -
Herr
Schmid sprach nicht
weiter. Er lauschte und war plötzlich sehr betreten, er schaute sogar
einen
Augenblick lang mit verlangenden, ja schier verzweifelten Blicken nach
dem
Fenster, vor dem er noch die Leitern wußte – dann sagte er halblaut,
wie zu
sich, wie zu seinem innersten Innern: „ Es ist zu spät.“
Frau
Therese schaute ihn
betroffen an – und dann wendete sie sich blitzschnell zur Tür, durch
die der
Strahl einer Laterne fiel, einer jener Laternen, wie sie die
nächtlichen
Einbrecher und – ihre Feinde – die Polizisten tragen. „Herr Gott!“
schrie
Therese auf und taumelte zurück – zurück vor dem Mann, der zugleich vom
friedlichen Mondlicht und vom schreckenerzeugenden Strahl der Laterne
getroffen
wurde und der mit seltsamen Lächeln und mit unnatürlicher Ruhe den
ansah, der
jetzt rasch auf ihn zutrat und mit lauter, klarer Stimme sagte: „Josef
Holzer,
im Namen des Gesetzes verhafte ich Sie.“
Es
war der Polizeikommissar
von Lautern, der so sprach – und neben ihm stand Peter Klaus mit
triumphierender Miene, und hinter ihnen zeigten sich zwei
wohlbewaffnete
Polizisten.
Frau
Therese hatte sich
schon ein wenig gefaßt. Ihr gutes Herz drängte sie, dem Bedrohten zu
helfen.
„Er
ist ja Geheimpolizist“,
sagte sie erklärend.
Herr
von Lautern wendete
sich zu dem, der sich bis jetzt Herr Schmid genannt hatte.
„Sind
Sie das?“ fragte er
ihn.
„Nein!“
„Wie
kam die Frau auf die
Idee, daß Sie es seien?“
„Ich
habe mich dafür
ausgegeben.“
„Daraufhin
läßt man doch
einen Fremden nicht in sein Haus.“
„Ich
habe mich als solcher
legitimiert.Mit einem von mir gefälschten Brief des Gefängnisdirektors
von M.“
„M.
ist das Zuchthaus,
darin Sie gesessen?“
„Ja,
und die mir bekannte,
sehr charakteristische Schrift des Direktors hat mich hier eingeführt.
Der
Neffe des Ermordeten kannte ja die Schrift von seines Onkels Freund.“
„Für
Sie ist doch keine Tür
verschlossen“, sagte unmutig Herr von Lautern, und der falsche Detektiv
lächelte eigentümlich.
„Keine“,
sagte er mit unverkennbarem
Stolz.
„Warum
verhaften Sie mich?“
fragte alsdann ruhig der, welcher nun Josef Holzer hieß.
Da
flammte ehrlicher Zorn
aus den Augen des Kommissars.
„Warum?
Weil wir Sie, den
entlassenen Sträfling, den Mann, der bei seiner Verurteilung dem nun
Ermordeten
mit Rache gedroht hat, hier in dem Hause Ihres Opfers finden – in
diesem Hause,
das Sie seit dem Tage der Tat umschlichen haben. Und weil . . . Doch
genug!
Folgen Sie mir!“
Herr
Schmid – oder Josef
Holzer – ließ das Haupt sinken. Ein unentwirrbarer Zug von Angst und
Leid – von
Sicherheit und Bitternis zeigte sich in seinem Gesicht, und über all
diese
Wirrnis breitete sich ein unbegreifliches Lächeln. Er griff nach seinem
Kopf –
ein Ruck, und die Perücke, die er getragen, lag auf dem Boden: eine
rasche
Bewegung, und der wattierte Überrock, der ihm das falsche Fett gegeben,
folgte
dem falschen Haar.
Und
der jetzt dastand, war
ein noch junger, schlanker Mann, dessen hageres, fahles Antlitz sich
nun
langsam dem Kommissar zuwendete.
„Gehen
wir?“ fragte er ihn
ruhig, sanft lächelnd. Herr von Lautern nicht. Sie gingen.
Therese
folgte ihnen mit
zitternden Knien. Sie vermochte kaum die Pforte hinter ihnen zu
schließen. Als
sie es endlich doch zustande gebracht, eilte sie, von Entsetzen gejagt,
in das
Haus zurück. Auf der ersten Stufe sank sie ohnmächtig nieder. So fand
sie Palm,
der – aus irgendwelchen Gründen wach – den scharfen Laternenschein der
Polizisten wahrgenommen und der deshalb sein Bett, sein Zimmer
verlassen hatte.
Er
brachte die Erschöpfte
in ihre Stube und wachte den Rest der Nacht hindurch wie ein treuer
Hund auf
der Schwelle des unheimlichen Hauses.
„Ich
hab’s ja gewußt, daß
dieser Halunke noch einmal mein Kostgänger werden wird“, sagte auf dem
Wege zum
Polizeigebäude Peter Klaus zu dem vor ihm gehenden Polizisten.
Josef
Holzer mußte seine
bissigen Worte gehört haben. Er wendete sich nach Klaus zurück, er
wollte ihm
etwas darauf erwidern, aber er gewann es über sich zu schweigen.
Er
seufzte nur ungeduldig,
dann sah er nicht mehr nach rechts noch links. Die funkelnden
Gewehrläufe neben
ihm mochten ihm eine zu häßliche Aussicht sein.
Eine
Viertelstunde später
stand er in einem kahlen Zimmer, vor dessen Tür sich die Polizisten
postierten
und dessen Fenster vergittert waren. Eine halbmannshohe Holzbarriere
teilte es
in zwei Hälften. Hinter der Barriere saß ein alter Herr.
Sein
Haar war eisengrau,
seine Züge waren streng, und der Vollbart drängte sich ihm schier bis
unter die
Augen hinauf. Der alte Herr war ein Oberpolizeikommissar, der seit
dreißig
Jahren in O. saß und jedes Vergehen, jedes Verbrechen, das dort seit
seinem
Dienstantritt entdeckt oder begangen worden war – treulich in sein
Gedächtnis
eingetragen hatte. Er kannte auch Hosef Holzer und seine Geschichte, er
wußte
auch von seinem Verhalten im Zuchthaus von M.
Herr
von Lautern war auf
ihn zugetreten und hatte seine dienstliche Meldung rasch erstattet.
„So
hat der alte Klaus doch
recht behalten“, sagte nachdenklich der alte Herr, erhob sich und trat
an die
Barriere heran, um den Eingebrachten zu mustern.
Josef
Holzers Augen
begegneten ruhig den seinen.
„Warst
so brav im
Gefängnis“, redete der Oberpolizeikommissar ihn an, „hast dich dort so
gut
aufgeführt, daß es uns wohl überraschen kann, wie schnell du
wieder gesunken bist.“
„Bin
ich’s? Herr! Haben Sie
Beweise?“ fuhr der ehemalige Sträfling auf.
„Die,
welche wir noch
brauchen, die werden sich finden. Einstweilen genügt es uns, daß du das
Haus
Werners seit der Tat umschlichen hast – daß du heute verkleidet dort
festgenommen
wurdest.“
„Sonst
können Sie nichts
anführen, Herr Oberpolizeikommissar“, sagte ruhig der Gefangene.
Man
fing an, ihn für frech
zu halten.
Peter
Klaus wenigstens tat
es, der an der Tür lehnte. Er warf dem Mann, an dessen Hiersein er den
größten
Anteil hatte, stechende Blicke zu.
„Halunke!“
murmelte er ein
um das andere Mal.
Es
war das Verächtlichste,
das er zu sagen wußte.
„Noch
kann ich nichts
anderes anführen“, entgegnete der alte Herr auf die letzte Bemerkung
Josef
Holzers, „aber ich fürchte für dich, daß sich Glied zu Glied finden
wird und
daß du diesmal schlecht, recht schlecht davonkommst, wenn sich das
Wahrscheinliche herausstellt, das weißt du, und darum erinnere ich dich
in
deinem Interesse daran, daß du besser tust, uns keine Schwierigkeiten
zu
machen. Leugnen erbittert!“
„Ich
will ja nur die
Wahrheit sagen“, bemerkte Holzer lächelnd.
Lächelnd,
ja – so war es.
Man sah ihn kopfschüttelnd an.
Der
Oberpolizeikommissar,
ein Mann aus der alten Schule, und, was mehr ist, ein Mann von starker
Individualität, behandelte die Sträflinge vor allem als Menschen – als
verirrte
Menschen, aber doch als seinesgleichen – denn er dachte noch immer,
trotz
seiner grauen Haare oder vielleicht ebendeshalb, weil er alt und weise
geworden
war, daß einer, der gestern noch „seinesgleichen“ gewesen, heute nicht
deshalb
etwas anderes geworden sei, weil die Versuchung über ihn zufällig Herr
geworden, während sie an ihn – mit seiner Bildung, seinem sicheren
Einkommen,
seiner exponierten Stellung – nicht einmal herangetreten war.
Man
nannte den alten Herrn
mit dem strengen Gesicht und der freidenkenden Seele einen Idealisten –
aber er
war nichts als ein kluger, guter Mann.
„Wir
brauchen einen
Schreiber“, sagte er zu Klaus. Doch ehe dieser noch einen Schritt
getan, um den
Kanzlisten zu holen, welcher im Nebenzimmer dienstbereit saß,
vermutlich aber
schlief, bot sich Herr von Lautern an, das Protokoll zu führen.
Der
Oberpolizeikommissar
nahm sein Anerbieten an, er sah ja, daß sich Lautern für den Fall
interessierte.
Die
Personalien des
Verhafteten waren aufgenommen, seine verschiedenen Strafen waren
notiert, was
der Oberpolizeirat aus den Akten zitierte, die er sich, seit man den
entlassenen Sträfling beobachtete, aus dem Zuchthause von M. hatte
schicken
lassen.
Aus
diesen Akten ersah man,
daß Josef Holzer sich während der zehn Jahre seiner Strafzeit tadellos
aufgeführt hatte und daß er mit einer erarbeiteten Summe von 240 Gulden
vor
vier Monaten dort entlassen worden war.
Natürlich
befand er sich
unter Polizeiaufsicht.
Die
Polizei wußte aber seit
dem 10. Oktober nicht mehr, was er getrieben, wo er sich aufgehalten
habe.
Und
in der Nacht vom 9. auf
den 10. Oktober war Werner ermordet worden.
„Am
vierten August wurdest
du entlassen, am siebzehnten August tratest du beim Schlossermeister
Hertig in
L. ein, am zweiten September entließ der dich Warum“?
„Seine
Frau hatte
herausgebracht, daß ich ein Zuchthäusler war, und wollte mich nicht
mehr im
Hause dulden. Ich mußte innerhalb einer Stunde zum Aufbruch bereit
sein.“
Der
alte Herr strich
langsam mit der blassen Hand über seinen struppigen Bart; er schaute
ein paar
Minuten hindurch gedankenvoll vor sich hin, dann las er im
Polizeibericht
weiter.
„Am
fünften September
tratest du abermals bei einem Schlosser ein, diesmal beim Meister
Gottfried
Artner in R., der behielt dich nur zwei Tage. Warum?“
„Es
reute ihn, daß er einen
Menschen, welcher unter polizeilicher Aufsicht stand, hatte bei sich
eintreten
lassen. Er zahlte mir, wie der andere, Lohn und Verköstigung für
vierzehn Tage
aus und hieß mich gehen.“
Josel
Holzer lächelte
bitter, und in den Gesichtern der beiden Herren spiegelte sich dieses
Lächeln;
nur Peter Klaus lächelte nicht mit, der sah nur noch verbissener aus,
seit er
bemerkte, daß man mit dem Meuchelmörder so viele Geschichten machte,
daß man
fast freundlich gegen ihn sei.
„Und
so fandest und
verlorst du während der vier Monate deiner Freiheit sieben Plätze“,
sagte der
alte Herr.
„Sieben
Plätze“,
wiederholte Josef Holzer traurig.
„Und
dann warst du verschollen.
Verschollen seit dem neunten Oktober sieben Uhr abends.“
„Ja –
damals warf mich der
Schmiedemeister Hormayer in G., der letzte Herr, bei dem ich in Dienst
gestanden, unter dem Gejohle sämtlicher Hausleute zum Laden hinaus. Es
war ihm
ein Silberlöffel abhanden gekommen.“
„Und
du hattest ihn nicht?“
Josef
Holzer wollte
auffahren. Er besann sich indessen noch zu rechter Zeit.
„Ich
habe diesen Löffel
niemals gesehen; ich kam niemals in die Wohnung meines Meisters – er
war ja so
argwöhnisch.“ Der Oberpolizeikommissar lächelte.
„Du
müßtest nicht der
Holzer sein, wenn du nicht doch hineingekommen wärest, sobald du
wolltest – das
ist also der Grund nicht, dessenthalben jener Silberlöffel dir
ferngeblieben
ist.“
Josel
Holzer mußte bei
diesn Worten, die so viel zugaben, fast stolz lächeln. Ei ja – vor ihm
war so
leicht ein Raum nicht zu verschließen! Er antwortete aber auf diese
Anspielung
nichts, er sagte nur mit frohem Aufatmen: „Sie glauben wir also, daß
ich nicht
der Dieb war?“
„Ich
glaube dir’s. Für so
wenig konntest du die Strafe, die dich dafür treffen mußte, nicht
riskieren.“
„Ich
hatte noch einen
anderen Grund, ehrlich zu bleiben.“
„Welchen?“
„Ich
wollte eben ehrlich
bleiben.“
„Und
dann kam die Nacht vom
neunten auf den zehnten Oktober“, sagte rasch und den Eingelieferten
ernst
anblickend der alte Herr.
Was
er vielleicht auf
diesen unvorbereiteten Angriff hin erwartete, geschah nicht. Josef
Holzer
zuckte nicht zusammen, er schlug die Augen nicht nieder. Nein, er sah
ihm ruhig
und mit einem kaum unterdrückten Lächeln in die forschenden Augen und
antwortete ebenso rasch: „Ja, dann kam diese Nacht, diese stürmische
und doch
mondklare Nacht, die ich, wie manche andere, davongejagt von meinen
ehrlichen
Mitmenschen, unter freiem Himmel verlebte. Ich wanderte damals hierher.
Es
schlug zehn Uhr, als ich mich im Mühlgraben vor der Stadt zur Ruhe
legte.“
„Irrst
du dich nicht? Um
zehn Uhr lebte wohl der arme Werner noch.“
„Ja,
da lebte er noch. Er
wurde genau um halb elf Uhr ermordet.“
„Von
einem, der ihm genau
vor zehneinviertel Jahren grausame Rache schwor. Ja, das glauben wir zu
wissen“, sagte der alte Herr und setzte gemütlich hinzu: „So hast du
also im
Mühlgraben höchstens eine Viertelstunde lang geruht – denn von dort bis
zum
Wernerschen Hause braucht man etwa fünf Minuten, und zur Tat – wie
lange
braucht man zu solch einer Tat?“
„Hab’s
noch nicht probiert,
Herr Oberpolizeikommissar, da müssen Sie den andern fragen.“
„Immer
ist’s ein anderer!
Aber – lieber Holzer – du hast uns doch versprochen, daß du uns keine
Schwierigkeiten machen würdest.“
„Ganz
im Gegenteil – ich
will nur sagen, wie der >andere< ins Haus und wieder herauskam.“
„Also
sprich.“
Und
Josef Holzer lehnte
seine Arme zutraulich auf die Barriere und erzählte langsam und
ebenfalls
gemütlich, während Herr von Lauterns Feder in stenografischen Zeichen
Wort für
Wort das Gehörte in das Protokoll eintrug.
„Ich
schlief, bis mich die
Morgenkälte weckte“, fing der ehemalige Sträfling an und beachtete das
dreifache „So!“ nicht, das als ein seltsames Echo seiner Einleitung
nachtönte,
dann fuhr er ebenso unbefangen fort: „Dennoch weiß ich seit heute genau
– so
genau, als ob ich dabeigewesen wäre, wann und wie der Mörder in das
Haus
eindrang.
Er
schleicht sich, vom
Mondschein nicht wenig belästigt, vorsichtig in den Garten, vermutlich
kam er
von der alten Promenade her, von den wüsten Gründen, welche links
zwischen dem
Wernerschen Hause und den Feldern liegen. Er holt die ihm bekannten
Leitern
sacht aus dem Garten und dem Schuppen, er stellt die höhere neben die
kürzere
unter dem Fenster des Arbeitszimmers auf und horcht dann, ob sich außer
ihm
nichts rege. Das matt herübertönende Geigenspiel des Neffen, das laute
Schnarchen Palms – sie genieren ihn nicht. Der Musiknarr, der Taube –
sie
werden ihn nicht stören.
Ami
und Therese liegen
ebenfalls am anderen Ende des Hauses in tiefem Schlaf: sie sind ihm
nicht
gefährlich. Er ersteigt die höhere Leiter, er nimmt einen starken
Draht, so wie
dieser einer ist . . .“, Holzer zieht bei diesen Worten ein Stück Eisen
aus dem
Beinkleid, mit einer Schlinge versehen, fest und elastisch, „und fährt
durch
eine der Öffnungen des Windrades, das am Fenster angebracht ist. Nach
kurzen
Versuchen – der Mann hat sich ja eingeübt – gelingt es ihm, die Riegel
emporzuschieben“,
fährt Holzer in seiner Rede fort. „Das Fenster ist offen. Das innere
und der
Holzladen sind es immer – der alte Herr, der im Zimmer nebenan liegt,
will ja
ein wenig Luft und Licht. So glangt der Mörder in das Zimmer. Sein
Opfer ist in
seiner Gewalt.“
„Ja –
der Elende kann
seinen Racheschwur erfüllen“, tönt es grimmig aus der Ecke, in welcher
Peter
Klaus lehnt. Josef Holzer schüttelt den Kopf.
„Es
handelt sich da nicht
um Rache . . .“
„Sondern?“
Beide
Herren fragen auf
einmal.
„Jenes
Verbrechen war ein
Raubmord“, sagt Josef Holzer. Er sagt es so wie einer, der seiner Sache
völlig
sicher ist.
„Es
fehlt ja nichts“,
entgegnete unwillkürlich Herr von Lautern.
„Es
war ein Raubmord“,
beharrt der Sträfling auf seiner Aussage, „und hätte nicht die
Wirtschafterin
den Räuber durch ihr Kommen vertrieben, so hätte er sich mit dem
wenigen, das
er genommen, vermutlich nicht begnügt. So sah er sich gezwungen, den
Rückzug
rascher als geplant anzutreten – er ging, wie er gekommen -, das
Fenster war ebenso
leicht wieder zu schließen, als es leicht zu öffnen gewesen, die
Leitern wurden
beseitigt, die etwaigen Spuren verwischt und . . .“
„Und
heute steht Josef
Holzer vor Gericht und erzählt das alles so klar und genau, als ob er
dabeigewesen wäre“, setzt der alte Herr die begonnene Rede fort.
„Ich
habe noch mehr zu
erzählen.“
„Nur
zu.“
Dieses
Verhör war jetzt
kein Verhör mehr. Wohl flog Herrn von Lauterns Feder noch immer über
die
Protokollseiten, wohl standen draußen, vor der geschlossenen Tür, noch
immer
die Wachleute mit aufgepflanzten Gewehren, aber der verhörende Beamte
hatte die
kalte, strenge Miene nun gänzlich abgelegt und stand jetzt dicht an der
Barriere, gegen welche sich auf der anderen Seite der Sträfling lehnte,
und ihr
Atem und ihre Hände berührten sich. So nahe stand der Vertreter des
Gesetzes
vor dem Verdächtigen, der mit ruhiger Stimme, unaufgehalten, denn
Fragen und
Einwürfe waren verstummt, weiterredete – so klar und lebendig
schildernd, wie
man eben nur Selbsterlebtes zu schildern versteht. Er erzählte gut und
erzählte
Fesselndes – Starrmachendes konnte man fast sagen -, wenigstens wirkte
es so
auf Peter Klaus, der jetzt mitten im Zimmer – weiter vorzugehen hatte
er sich
doch nicht gewagt – unbeweglich wie Loths Weib nach jenem verderben
bringenden
Blick zurück dastand.
Und
als es von der nahen
Domkirche zwölf Uhr schlug, war Josef Holzer mit seinem Bericht zu
Ende, nahm
den Hut, welcher auf der Barriere vor ihm lag, verbeugte sich und
sagte: „So,
Herr Oberpolizeikommissar, ich habe nichts mehr zu sagen. Lassen Sie
mich
abführen.“ Herr von Lautern erhob sich.
Er dehnte und streckte die Finger, die fast einen Schreibkranpf hatten,
aber er achtete des Schmerzes nicht, er sah – nun seine Augen nicht
mehr an das
Protokoll gefesselt waren – mit unverhohlener Verwunderung in das
hagere, fahle
Gesicht des Eingelieferten.
Der
Oberpolizeikommissar
nickte diesem freundlich-ernst zu, dann winkte er Klaus, der, wie aus
einem
Traum erwachend, zusammenfuhrt.
„Führen
Sie den Gefangenen
ab“, sagte er ruhig.
Josef
Holzer wurde
abgeführt.
Kopfschüttelnd
sah ihm der
alte Herr nach.
Auch
Herr von Lautern
schüttelte den Kopf.
Josef
Holzer ging, mit
einem seltsamen Lächeln auf den schmalen Lippen, zwischen den Soldaten.
Klaus
war vorangegangen. Er
hatte, als der Gefangene ankam, die Tür der Zelle, dahinein die
Untersuchungshäftlinge gebracht wurden, schon aufgesperrt.
Josef
Holzer, der schon
wiederholt abgestrafte Verbrecher, zögerte über die Schwelle zu treten;
es
mochten unangenehme Erinnerungen in ihm aufsteigen.
Da –
während seines Zögerns
geschah etwas Seltsames, etwas Groteskes. Peter Klaus, der
Menschenverächter,
der Tyrann des Gefangenenhauses, trat mit liebenswürdiger Miene und
einer
einladenden Gebärde vor – es war gerade, als ob er irgendeine hohe
Persönlichkeit zum Eintritt einladen würde -, und als Holzer, ihn kaum
beachtend, in den kahlen Raum getreten war, verbeugte sich Peter Klaus
und zog
sich mit einem Kratzfuß zurück.
Dann
kreischte der
Schlüssel im Schloß.
Der
Mörder Werners war der
Gerechtigkeit übergeben. So sagten die strengen Mienen der Polizisten,
ihre
Augen aber, die sagten etwas anderes, die fragten, ob Peter Klaus, der
harte,
grobe Peter Klaus, welcher da vor einem Sträfling wie vor einer Hofdame
geknixt
hatte, verrückt geworden sei.
Bald
herrschte wieder die
gewohnte, tiefe Ruhe in den langen Gängen des Polizeigebäudes.
In
einem der Amtszimmer
aber klapperte der Telegraf, und im Hof unten wurde ein Wagen
gerichtet. Er
sollte Herrn von Lautern zum Bahnhof bringen. Man konnte doch nicht nur
Telegramme nach der Residenz senden.
Der
nächste Zug nach Wien
ging erst in etwa zwei Stunden ab. Herr von Lautern war es, der mitten
in der
Nacht aus O. abfuhr.
oben
weiter
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