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Literatur


04.3



Geschichten - Oskar Loerke

Der amouröse Schuster, 1909
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D
er amouröse Schuster

 
„Rechts von ihm liegt ein Stück Stadt und links auch, vorn ein Stück und hinten ein Stück,“ demonstrierte der Pastor Quappek. „So ist nichts natürlicher, als daß wir die Kappelenruine auf dem Schloßberg, der in der Mitte liegt, zu unserer neuen Kirche ausbauen.“ Niemand in der Versammlung konnte sich der Beweiskraft dieser Worte entziehen. Und bald klingelten vorn und hinten, rechts und links vom Schloßberg die Klingelbüchsen der Invaliden, und fromme Finger sowie fromme Blicke wiesen auffordernd zu Stiftungen fürs gute Werk, nach der Ruine empor.
 
Vorläufig aber gingen in dieser Ruine über den Häuptern aller Ehrwürdigen recht unheilige und lustige Dinge vor sich. In das Gemäuer war eine Restauration eingebaut. Zwei saubere, hübsche Frauenzimmer saßen davor, stickten Schwalben und Kränzchen in weiße Tücher, und die eine schenkte um einen Nickel Bier und um ein Goldstück ihr Geleit durch die Anlagen des Schloßbergs, - wer weiß, wohin? Sogar schon bei hellichtem Tage. Sie war sehr geschickt, so daß beim Publikum, das schwatzend, schlafend, Baby wiegend, rauchend auf den Bänken in der Sonne saß, kein Aufsehen noch Aergernis entstand.
 
In diesem Publikum der Seßhafteste war der Schuster Eichblatt. Er hatte große blonde Stoppeln und ganz winzige wasserblaue Augen im verkommenen Gesicht. Er war ein amouröser Strolch. Deshalb und weil er vielfach faul herumstrich, war er in der Stadt eine bekannte Karikaturengestalt, und in der Umgegend auch, zumal er sich nicht schämte, strichweise zu fechten. Auf dem Schloßberg fand er sich täglich zum Sonnenuntergang ein, setzte sich immer auf die gleiche Bank und rauchte verbissenen Gesichtes seine Pfeife. Der Schloßberg war sein Gewissen: in die abendsonnige Landschaft starrend, empfand er eine wohlige Trauer über seine unentwegte Trägheit, sein heißes, wirres Herz, seinen schwerfälligen und oft betrunkenen Kopf. Die Leute rückten wegen seines üblen Tabaks und seiner schmierigen, schäbigen Kleider gelinde von ihm ab, aber ihn übermannte bisweilen das friedfertige Bedürfnis, einen Nachbarn mit dem Pfeifenmundstück anzutippen und auf das Abendrot aufmerksam zu machen. Er besaß für seine Naturschwärmerei eine feste und poetische Formel. „Scheen, scheen ist das alles, wie mit Blut beschmiert,“ sagte er langsam und voll Ausdruck. Und dann tat er ein paar Züge.
 
Er besaß nämlich eine wahre Rosine von Seele und stellte nicht nur aus faunischer Sinnlichkeit, wie es den Anschein hatte, den Weibern nach. Er schwang sich auf seinen breiten Stiefeln leis und chevaleresk hinter den einkaufenden Dienstmädchen her in die Hausflure und – richtete meist rein gar nichts aus: ein Beweis seiner Sanftmut. Er mußte sich ja auch vor seiner Frau vorsehen, obwohl diese sich eigentlich nicht beklagen konnte, denn er war erst neununddreißig, sie aber zwölf Jahre älter. Er mochte sie auch darum nicht leiden, weil sie frömmelnden Wesens war und immer irgendeinen Pfarrer, Missionar oder Traktathändler aus der Katentür ließ, und überhaupt hatte er sie nur geheiratet, weil sie ein Kind von ihm gehabt hatte und ihn in ihrem frommen Rechtlichkeitsbedürfnis nicht wieder losließ. Er tröstete sich elend, indem er draußen mit ältlichen Viehmägden ins Heu ging. Aber er betrieb sein Verführergeschäft nur finster und aus Verzweiflung, und sein Herz stand nach besseren Dingen: er hätte gern nur ein einziges Mal eine recht hübsche, junge Frau besessen.
 
Trotz dieser Sehnsucht, die bisweilen in ihm blühte wie ein Rosenbeet, konnte er, wenn eine schöne Dame an seinem Schloßbergsitz vorbeispazierte, diese Dame begierdelos bewundern wie etwas, das ihm einfach nicht zukam und einmal empfand er dabei eine so reine Freude, daß er auf dem Rückwege zwei Flaschen Johannisbeerwein kaufte, strahlend nach Hause kam und zu seiner Frau sagte: „Na, Mutter, einmal muß der Mensch feiern in seinem Leben.“
„Eichblatt, Eichblatt, wir sind doch arm!“ jammerte die Alte.
 
„Was de nich sagst! Heute mag ich dich gar nicht leiden, du olle Kruke. Da!“ Und er reichte ihr gutmütig die eine Flasche, während er die andere neben seinen Schusterschemel stellte, drauflosarbeitete, dazwischen trank und aus einem zerlesenen Kommersbuch derbe Minnelieder anstimmte. Ja, er besaß eine Rosine von Seele. Er streichelte unterwegs die einsamen Hündchen, ließ schmutzige Straßenkinder ihre Nase in sein großes rotes Schnupftuch entleeren, pflückte in kleinen öffentlichen Anlagen etwas ab und grüßte unbekannterweise den Herrn Bürgermeister sehr höflich. Er schlug zwar seine drei Kinder häufig und grundlos, doch erkaufte ihnen auch die allerteuersten Schultafeln und tauschte sie geduldig in Person um, wenn sie nicht die richtige Liniatur hatten. Wer ihn um den Weg fragte, den begleitete er bis ans Ziel und beschrieb dabei auf das sorgfältigste die drei oder vier anderen Straßenzüge, die man ebenfalls hätte wählen können.
 
So lebte er in blöder Melancholie und bei mäßigem Galgenhumor, bis er heraus hatte, daß die Kellnerin auf dem Schloßberg feil war. Sie war die jüngste und schönste auch ihm erreichbare Frau, die er bisher in seinem Leben gefunden hatte. Er mußte sie haben - -.
 
Er begann hastig zu arbeiten, um den Kaufpreis ihrer Gunst aufzubringen, seufzte, schwitzte und kratzte seine blonden Stoppeln. Endlich konnte er ein Dreimarkstück beiseite schaffen.
 
Er legte es droben auf den Schenktisch - - Großes Gelächter.
 
Er brachte nach Monaten ein Fünfmarkstück und mußte es wiederum zurücknehmen.
 
„Gold,“ sagte sie unter noch größerem Spottlachen.
 
„Schön,“ sagte er.
 
Er spaltete auf dem Lande Holz, schusterte bei Nacht, daß ihm vor Müdigkeit die vielen weißen Leisten im Winkel zu zucken schienen wie knöcherne Füße, und hatte endlich soviel kleine Münzen beisammen, daß er Morgens ein Goldstück dagegen einwechseln konnte. Das steckte er in herausforderndem Mutwillen und lustig wie ein junger Hund in den Strohsack seines noch nicht aufgemachten Bettes, den seine Frau in einer halben Stunde schütteln würde, ging aus und aß in einer Wirtschaft Spickaal, sein Leibgericht.
 
Als er wiederkehrte, hielt seine Frau ihm richtig sein Goldstück entgegen, fast weinend vor Glück. Ihre Rührung verwirrte ihn vollständig und nahm alle Ueberlegenheit.
 
„Sieh, Eichblatt, was ich gefunden habe. Im Strohsack.“
 
„Was, Strohsack!“ schrie er.
 
„Ja.“
 
Er getraute sich nichts zu entgegnen. Hätte er nur wieder das Geld!
 
„Eine Spielmünze!“ schrie er nach einer Pause.
 
„Aber, Eichblatt, echt!“
 
Der Schuster dachte: Ich bin ein Esel mit meinem Leichtsinn! Wie kriege ich mein Geld wieder! Da brach denn seine Frau schon in Tränen aus und bat:
 
„Mann, es ist Glücksgeld. Wollen wir es doch zum Kirchenbau stiften! Sei so gut!“
 
Nun sprang er zu, riß ihr das Geld aus der Hand und brüllte:
„Bist du übergeschnappt? – Du? Ein Jahr, dreihundertfünfundsechzig Tage, rackern wir, eh‘ wir das übergespart haben. Und du schleppst es womöglich aus dem Haus! Mein ist’s! Ich bestimme!“ Damit schlug er die Tür zu und ging in die Werkstatt. –
 
Der Nachmittag rückte vor.
Eichblatt brach auf. Ihm war, als sei heute Feiertag. Er fühlte sich jugendlich, erhaben über alle Philister und sehr, sehr vornehm, obwohl er einen zerknautschten, pechblanken Rock und ausgefranste Hosen anhatte und schließlich auch sein verwittert schlaffes Gesicht nicht ablegen konnte. Die Knaben schossen aus Holunderröhren nach ihm. Er sah es nicht. „Man geht wie ein Vogel,“ dachte er. Unter den julidichten Wipfeln der Schloßbergbäume lag die Schwüle in heißen Schwaden. Schon gingen unten in der Stadt viele Lichter auf. Sie sahen aus wie die Punkte in einem dunkleren Damenschleier.
 
Echblatt bestellte sich Bier auf die umgitterte Plattform, die auf dem Dachgemäuer der Ruine dadurch entstanden war, daß man alle Unebenheiten mit Zement ausgegossen hatte.
 
Als ihm die schöne Kellnerin sein Bier brachte, holte er mit Gebärde sein Portemonnaie heraus, behielt es noch geschlossen in der Hand und sagte, den Arm der Kellnerin betupfend und auf die Stadt zeigend: „Scheen, scheen, alles wie mit Blut beschmiert,“ obwohl dies eigentlich jetzt eben nicht paßte.
 
Ein Streifen Wald hing ganz hinten am Himmel wie grünbraune Fransen an einem blauseidenen Vorhang.
 
Die Kellnerin lächelte, aber Eichblatt fuhr fort: „Na, - gutes Kind, wie wär’s denn mit uns beiden?“ zeigte sein Gold und machte ihr in aller Form einen Antrag.
 
Sie lachte ihn wieder aus, sagte naserümpfend und voll Abscheu „ääks!!“ und ging eilig fort. Von unten her lachte sie mit ihrer Kollegin noch viel mehr.
 
Eichblatt kamen die dicken Tränen, er legte den Kopf auf das Geländer hier zuhöchst  der Stadt und schluchzte eine ganze Weile. Plötzlich rannte er wütend nach Hause. Er war enttäuscht wie noch nie in seinem Leben.
 
Zum Abendbrot aß er mürrisch seine Pellkartoffeln und suchte Anlaß zum Zank. Er schimpfte:
„Die Hälfte Kartoffeln haben Würmer! Da! Ganz schwarz. Bitter und weich wie Jauche!“ Er knurrte. O weh, o weh, war ihm übel!
 
„Aber Eichblatt, ich kann doch nichts dafür,“ sagte seine Frau.
 
Nun brach er tobend los: „ Ja, ja, verkommen ist man, total verkommen. Ein alter Knaster. Die Leute ekeln sich vor einem. Wieder einer! Denkst du, ich werde Würmer fressen?!“ Und er warf in höchster Wut eine Kartoffel an die Tür.
Nachher schleuderte er seine Schuhleisten durch die Stube,verprügelte Frau und Kinder und ging schlafen. Aber die Scham über seine Ungerechtigkeit, Verkommenheit und Niederlage trieb ihn wieder aus dem Bett. Er machte Licht über der Schusterkugel und fing an zu klopfen. Wie er so den Hammer schwang, fuhr ihm der alte Trotz in den Arm und von da aus in den ganzen Körper. Überdies wurde er müde. Er blies unwillig die Lampe aus und ging wie mit einem ungeheuren Katzenjammer wieder zu Bette.
 
Zu rechtem Schlafe kam er nicht. Als er sich spät am Vormittag anzog, stand soviel fest:  „ Man ist nichts als ein alter Bummelante,“ brummelte er wiederholt beim Kämmen. Ob er das an sich oder an seine Frau richtete, wusste er wahrscheinlich selber nicht.
 
Mit den Stunden kam die Dämonie der Verzweiflung über ihn. Er wollte etwas Unerhörtes begehen, etwas Schändliches, und nicht das geringste Grauen dabei spüren.
 
Nachmittags wollte er es schon ganz bestimmt. Und er trottete durch die Stadt davon, mit der Miene eines Wüterichs. Er hatte nur noch immer keinen richtigen Einfall.
 
Gegen Abend zog es ihn doch wieder nach dem abgeschworenen Schloßberg. Er setzte sich auf seine gewohnte Bank, und es regte sich auch schon seine gewohnte Betrachtung:
 
„Scheen, scheen, als wie mit Blut beschm -“, aber er bemerkte den verflixten lauherzigen Gedanken noch rechtzeitig, rief laut aus: "Pascholl!" Und verscheuchte ihn damit. Durch diesen Ausruf wurde ein Primaner  aufmerksam, der in ein griechisches Buch vertieft nicht weit davon saß. Er hatte ein munteres, gesundes Kindergesicht, trug aber die Klassenmütze schon schief und bucklig wie einer, der ins Leben hinaus will.
 
Eichblatt sah ihn an und wusste plötzlich, dass er das Opfer seiner Rache gefunden hatte. Er glitschte  unauffällig an den Primaner und fing mit milder Stimme ein Gespräch an. Auf die bunte Mütze zeigend, sagte er:
 
„Junger Herr, – das ist doch die heechste Klasse schon,  nicht?“
 
„Ja.“
 
„Und da kommen die Herren studieren hier in der frischen Luft.“
 
„Ja, gewiß.“
 
„Na, wer man glaubt, daß es das Studieren allein ist?“
 
Er blinzelte.
 
„Was denn sonst?“
 
„Warum ist denn die da in der Ruine?“
 
„Na warum denn?“
 
„Sind Sie noch niemals bei ihr gewesen, da im Hinterstübchen?“
 
Der Primaner errötete, zuckte die Achseln und fragte: „Was ist denn da im Hinterstübchen?“ Der Schuster paffte und sagte hochmütig: „Ich verführe die Jugend nicht." - "Und billig!" setzte er hinzu. Der Junge ging. Er rief ihm nach: „Das heißt, natürlich nicht wie eine Gewöhnliche! . . ."
 
 Als er dies vollbracht hatte, war er geschwollen von Kühnheit und Befriedigung. Er hatte die Empfindung: dieses Gespräch war etwas verbrecherisches, wofür ich eingesperrt würde, wenn es die Behörde wüßte. Er lief dem Polizisten, der langsam in den Anlagen auf und ab spazierte, mehrere Male patzig über den Weg, ging frech und herausfordernd dicht vor ihm her und dachte: „Mach mir was!“ Dann kam ihm wieder ein: „Eklig, zu eklig,  die kahle Abfuhr  bei dem Weibsbild! Man hat von seiner Jugendblüte gar nichts mehr. Ob ich den Engel verdorben habe?“ Trübselig schlich er nach Hause.
 
Am nächsten Tag um dieselbe Stunde fand er den Primaner wieder auf seiner Bank.  Der Primaner der ging ihm auch nicht aus dem Wege, was ein Zeichen war, daß  ihn die Sache interessiert hatte. Da suchte er denn in seiner Verzweiflung ihn weiter lüstern zu machen durch eine so phantastische Beschreibung der Wollust, wie er sie nur irgend geben konnte. Aber er war im Grunde wirklich doch kein so schlechter Mensch und mußte sich hüten, nicht zum erotischen Dichter zu werden. All seine amourösen Abenteuer fielen ihm ein, manches Schmutzige und viel mehr Schönes. Die Erinnerungen überwältigten ihn, und er saß schließlich gerührt und ganz still neben dem Primaner Es war dunkel geworden, und das Dunkel duftete.
 
Erst als sich der Primaner mit einem verhohlenen Seufzer erhob, merkte Eichblatt, was er entzündet hatte.
 
Aber in ihm selber blühten seine Erinnerungen fort und befreiten ihn von dem Druck der Gegenwart. Er wurde williger und freudiger und ging sogar drei Tage lang nicht lungern. Nur daß die Kellnerin – äh,  pfui Teufel auch!
 
Am vierten Tage traf er den Primaner auf einem Gange des Schloßbergs wieder.
 
„Na, sind sie da gewesen?“ fragte er heimlich flüsternd.
 
„Nein,“ erwiderte der junge Mann, aber Eichblatt spürte an seiner Stimme und sah an seinem Gesicht, daß er log.
 
Da war der Schuster mit einem Male ganz glücklich. Ihm war, als hätte nicht ein anderer, sondern er nun schließlich doch bei der Kellnerin erreicht, was er wünschte. Er triumphierte und dünkte sich zugleich ein Märtyrer.
 
„Ich gönn's  ihnen von Herzen", sagte er innig zu dem jungen Kerl, ging, und seine eigene erste Liebesnacht mit all ihren Stimmungen durchlebte er in verklärter Seele. Er wurde jung dabei.“ Arbeeten, - arbeeten," murmelte er andächtig vor sich her, sah seinen Schmutzkittel an und beschloss, zunächst sich und seiner ganzen Familie anständige Kleider zu erschustern.
 
Jenes gewisse Goldstück aber durfte nicht den Anfang seiner Ersparnisse bilden. Nein, damit war das so eine Sache.
 
Eichblatt rauchte sich zu Hause eine Pfeife an und sagte:
 
„Na, Mutter, denn wollen wir den Fuchs man schon zum Kirchbau stiften. – Eijentlich über unsere Verhältnisse.“


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