Der
amouröse
Schuster
„Rechts
von
ihm liegt ein Stück Stadt und links auch, vorn ein Stück und hinten ein
Stück,“
demonstrierte der Pastor Quappek. „So ist nichts natürlicher, als daß
wir die
Kappelenruine auf dem Schloßberg, der in der Mitte liegt, zu unserer
neuen
Kirche ausbauen.“ Niemand in der Versammlung konnte sich der
Beweiskraft dieser
Worte entziehen. Und bald klingelten vorn und hinten, rechts und links
vom
Schloßberg die Klingelbüchsen der Invaliden, und fromme Finger sowie
fromme
Blicke wiesen auffordernd zu Stiftungen fürs gute Werk, nach der Ruine
empor.
Vorläufig
aber
gingen in dieser Ruine über den Häuptern aller Ehrwürdigen recht
unheilige und
lustige Dinge vor sich. In das Gemäuer war eine Restauration eingebaut.
Zwei
saubere, hübsche Frauenzimmer saßen davor, stickten Schwalben und
Kränzchen in
weiße Tücher, und die eine schenkte um einen Nickel Bier und um ein
Goldstück
ihr Geleit durch die Anlagen des Schloßbergs, - wer weiß, wohin? Sogar
schon
bei hellichtem Tage. Sie war sehr geschickt, so daß beim Publikum, das
schwatzend,
schlafend, Baby wiegend, rauchend auf den Bänken in der Sonne saß, kein
Aufsehen noch Aergernis entstand.
In
diesem
Publikum der Seßhafteste war der Schuster Eichblatt. Er hatte große
blonde
Stoppeln und ganz winzige wasserblaue Augen im verkommenen Gesicht. Er
war ein
amouröser Strolch. Deshalb und weil er vielfach faul herumstrich, war
er in der
Stadt eine bekannte Karikaturengestalt, und in der Umgegend auch, zumal
er sich
nicht schämte, strichweise zu fechten. Auf dem Schloßberg fand er sich
täglich
zum Sonnenuntergang ein, setzte sich immer auf die gleiche Bank und
rauchte
verbissenen Gesichtes seine Pfeife. Der Schloßberg war sein Gewissen:
in die
abendsonnige Landschaft starrend, empfand er eine wohlige Trauer über
seine
unentwegte Trägheit, sein heißes, wirres Herz, seinen schwerfälligen
und oft
betrunkenen Kopf. Die Leute rückten wegen seines üblen Tabaks und
seiner
schmierigen, schäbigen Kleider gelinde von ihm ab, aber ihn übermannte
bisweilen das friedfertige Bedürfnis, einen Nachbarn mit dem
Pfeifenmundstück
anzutippen und auf das Abendrot aufmerksam zu machen. Er besaß für
seine
Naturschwärmerei eine feste und poetische Formel. „Scheen, scheen ist
das
alles, wie mit Blut beschmiert,“ sagte er langsam und voll Ausdruck.
Und dann
tat er ein paar Züge.
Er
besaß
nämlich eine wahre Rosine von Seele und stellte nicht nur aus
faunischer
Sinnlichkeit, wie es den Anschein hatte, den Weibern nach. Er schwang
sich auf
seinen breiten Stiefeln leis und chevaleresk hinter den einkaufenden
Dienstmädchen her in die Hausflure und – richtete meist rein gar nichts
aus:
ein Beweis seiner Sanftmut. Er mußte sich ja auch vor seiner Frau
vorsehen,
obwohl diese sich eigentlich nicht beklagen konnte, denn er war erst
neununddreißig, sie aber zwölf Jahre älter. Er mochte sie auch darum
nicht
leiden, weil sie frömmelnden Wesens war und immer irgendeinen Pfarrer,
Missionar oder Traktathändler aus der Katentür ließ, und überhaupt
hatte er sie
nur geheiratet, weil sie ein Kind von ihm gehabt hatte und ihn in ihrem
frommen
Rechtlichkeitsbedürfnis nicht wieder losließ. Er tröstete sich elend,
indem er
draußen mit ältlichen Viehmägden ins Heu ging. Aber er betrieb sein
Verführergeschäft nur finster und aus Verzweiflung, und sein Herz stand
nach
besseren Dingen: er hätte gern nur ein einziges Mal eine recht hübsche,
junge
Frau besessen.
Trotz
dieser
Sehnsucht, die bisweilen in ihm blühte wie ein Rosenbeet, konnte er,
wenn eine
schöne Dame an seinem Schloßbergsitz vorbeispazierte, diese Dame
begierdelos
bewundern wie etwas, das ihm einfach nicht zukam und einmal empfand er
dabei
eine so reine Freude, daß er auf dem Rückwege zwei Flaschen
Johannisbeerwein
kaufte, strahlend nach Hause kam und zu seiner Frau sagte: „Na, Mutter,
einmal
muß der Mensch feiern in seinem Leben.“
„Eichblatt,
Eichblatt, wir sind doch arm!“ jammerte die Alte.
„Was
de nich
sagst! Heute mag ich dich gar nicht leiden, du olle Kruke. Da!“ Und er
reichte
ihr gutmütig die eine Flasche, während er die andere neben seinen
Schusterschemel stellte, drauflosarbeitete, dazwischen trank und aus
einem
zerlesenen Kommersbuch derbe Minnelieder anstimmte. Ja, er besaß eine
Rosine
von Seele. Er streichelte unterwegs die einsamen Hündchen, ließ
schmutzige
Straßenkinder ihre Nase in sein großes rotes Schnupftuch entleeren,
pflückte in
kleinen öffentlichen Anlagen etwas ab und grüßte unbekannterweise den
Herrn
Bürgermeister sehr höflich. Er schlug zwar seine drei Kinder häufig und
grundlos, doch erkaufte ihnen auch die allerteuersten Schultafeln und
tauschte
sie geduldig in Person um, wenn sie nicht die richtige Liniatur hatten.
Wer ihn
um den Weg fragte, den begleitete er bis ans Ziel und beschrieb dabei
auf das
sorgfältigste die drei oder vier anderen Straßenzüge, die man ebenfalls
hätte
wählen können.
So
lebte er in
blöder Melancholie und bei mäßigem Galgenhumor, bis er heraus hatte,
daß die
Kellnerin auf dem Schloßberg feil war. Sie war die jüngste und schönste
auch
ihm erreichbare Frau, die er bisher in seinem Leben gefunden hatte. Er
mußte
sie haben - -.
Er
begann
hastig zu arbeiten, um den Kaufpreis ihrer Gunst aufzubringen, seufzte,
schwitzte und kratzte seine blonden Stoppeln. Endlich konnte er ein
Dreimarkstück beiseite schaffen.
Er
legte es
droben auf den Schenktisch - - Großes Gelächter.
Er
brachte
nach Monaten ein Fünfmarkstück und mußte es wiederum zurücknehmen.
„Gold,“
sagte
sie unter noch größerem Spottlachen.
„Schön,“
sagte
er.
Er
spaltete
auf dem Lande Holz, schusterte bei Nacht, daß ihm vor Müdigkeit die
vielen
weißen Leisten im Winkel zu zucken schienen wie knöcherne Füße, und
hatte
endlich soviel kleine Münzen beisammen, daß er Morgens ein Goldstück
dagegen
einwechseln konnte. Das steckte er in herausforderndem Mutwillen und
lustig wie
ein junger Hund in den Strohsack seines noch nicht aufgemachten Bettes,
den
seine Frau in einer halben Stunde schütteln würde, ging aus und aß in
einer
Wirtschaft Spickaal, sein Leibgericht.
Als
er
wiederkehrte, hielt seine Frau ihm richtig sein Goldstück entgegen,
fast
weinend vor Glück. Ihre Rührung verwirrte ihn vollständig und nahm alle
Ueberlegenheit.
„Sieh,
Eichblatt, was ich gefunden habe. Im Strohsack.“
„Was,
Strohsack!“ schrie er.
„Ja.“
Er
getraute
sich nichts zu entgegnen. Hätte er nur wieder das Geld!
„Eine
Spielmünze!“ schrie er nach einer Pause.
„Aber,
Eichblatt, echt!“
Der
Schuster
dachte: Ich bin ein Esel mit meinem Leichtsinn! Wie kriege ich mein
Geld
wieder! Da brach denn seine Frau schon in Tränen aus und bat:
„Mann,
es ist
Glücksgeld. Wollen wir es doch zum Kirchenbau stiften! Sei so gut!“
Nun
sprang er
zu, riß ihr das Geld aus der Hand und brüllte:
„Bist
du übergeschnappt?
– Du? Ein Jahr, dreihundertfünfundsechzig Tage, rackern wir, eh‘ wir
das
übergespart haben. Und du schleppst es womöglich aus dem Haus! Mein
ist’s! Ich
bestimme!“ Damit schlug er die Tür zu und ging in die Werkstatt. –
Der
Nachmittag
rückte vor.
Eichblatt
brach auf. Ihm war, als sei heute Feiertag. Er fühlte sich jugendlich,
erhaben
über alle Philister und sehr, sehr vornehm, obwohl er einen
zerknautschten,
pechblanken Rock und ausgefranste Hosen anhatte und schließlich auch
sein
verwittert schlaffes Gesicht nicht ablegen konnte. Die Knaben schossen
aus
Holunderröhren nach ihm. Er sah es nicht. „Man geht wie ein Vogel,“
dachte er.
Unter den julidichten Wipfeln der Schloßbergbäume lag die Schwüle in
heißen
Schwaden. Schon gingen unten in der Stadt viele Lichter auf. Sie sahen
aus wie
die Punkte in einem dunkleren Damenschleier.
Echblatt
bestellte sich Bier auf die umgitterte Plattform, die auf dem
Dachgemäuer der
Ruine dadurch entstanden war, daß man alle Unebenheiten mit Zement
ausgegossen
hatte.
Als
ihm die
schöne Kellnerin sein Bier brachte, holte er mit Gebärde sein
Portemonnaie
heraus, behielt es noch geschlossen in der Hand und sagte, den Arm der
Kellnerin betupfend und auf die Stadt zeigend: „Scheen, scheen, alles
wie mit
Blut beschmiert,“ obwohl dies eigentlich jetzt eben nicht paßte.
Ein
Streifen
Wald hing ganz hinten am Himmel wie grünbraune Fransen an einem
blauseidenen
Vorhang.
Die
Kellnerin
lächelte, aber Eichblatt fuhr fort: „Na, - gutes Kind, wie wär’s denn
mit uns
beiden?“ zeigte sein Gold und machte ihr in aller Form einen Antrag.
Sie
lachte ihn
wieder aus, sagte naserümpfend und voll Abscheu „ääks!!“ und ging eilig
fort.
Von unten her lachte sie mit ihrer Kollegin noch viel mehr.
Eichblatt
kamen die dicken Tränen, er legte den Kopf auf das Geländer hier
zuhöchst der Stadt und schluchzte eine ganze Weile.
Plötzlich rannte er wütend nach Hause. Er war enttäuscht wie noch nie
in seinem
Leben.
Zum
Abendbrot
aß er mürrisch seine Pellkartoffeln und suchte Anlaß zum Zank. Er
schimpfte:
„Die
Hälfte
Kartoffeln haben Würmer! Da! Ganz schwarz. Bitter und weich wie
Jauche!“ Er
knurrte. O weh, o weh, war ihm übel!
„Aber
Eichblatt, ich kann doch nichts dafür,“ sagte seine Frau.
Nun
brach er
tobend los: „ Ja, ja, verkommen ist man, total verkommen. Ein alter
Knaster.
Die Leute ekeln sich vor einem. Wieder einer! Denkst du, ich werde
Würmer
fressen?!“ Und er warf in höchster Wut eine Kartoffel an die Tür.
Nachher
schleuderte er seine Schuhleisten durch die Stube,verprügelte Frau und
Kinder
und ging schlafen. Aber die Scham über seine Ungerechtigkeit,
Verkommenheit und
Niederlage trieb ihn wieder aus dem Bett. Er machte Licht über der
Schusterkugel und fing an zu klopfen. Wie er so den Hammer schwang,
fuhr ihm
der alte Trotz in den Arm und von da aus in den ganzen Körper. Überdies
wurde
er müde. Er blies unwillig die Lampe aus und ging wie mit einem
ungeheuren
Katzenjammer wieder zu Bette.
Zu
rechtem
Schlafe kam er nicht. Als er sich spät am Vormittag anzog, stand soviel
fest: „ Man ist nichts als ein alter
Bummelante,“ brummelte er wiederholt beim Kämmen. Ob er das an sich
oder an
seine Frau richtete, wusste er wahrscheinlich selber nicht.
Mit
den
Stunden kam die Dämonie der Verzweiflung über ihn. Er wollte etwas
Unerhörtes
begehen, etwas Schändliches, und nicht das geringste Grauen dabei
spüren.
Nachmittags
wollte er es schon ganz bestimmt. Und er trottete durch die Stadt
davon, mit
der Miene eines Wüterichs. Er hatte nur noch immer keinen richtigen
Einfall.
Gegen
Abend
zog es ihn doch wieder nach dem abgeschworenen Schloßberg. Er setzte
sich auf
seine gewohnte Bank, und es regte sich auch schon seine gewohnte
Betrachtung:
„Scheen,
scheen, als wie mit Blut
beschm -“, aber er bemerkte den verflixten lauherzigen Gedanken noch
rechtzeitig, rief laut aus: "Pascholl!" Und verscheuchte ihn damit.
Durch diesen Ausruf wurde ein Primaner
aufmerksam, der in ein griechisches Buch vertieft nicht weit davon saß.
Er hatte ein munteres, gesundes Kindergesicht, trug aber die
Klassenmütze schon
schief und bucklig wie einer, der ins Leben hinaus will.
Eichblatt
sah ihn an und wusste
plötzlich, dass er das Opfer seiner Rache gefunden hatte. Er glitschte
unauffällig an den Primaner und fing mit
milder Stimme ein Gespräch an. Auf die bunte Mütze zeigend, sagte er:
„Junger
Herr, – das ist doch die
heechste Klasse schon, nicht?“
„Ja.“
„Und
da kommen die Herren
studieren hier in der frischen Luft.“
„Ja,
gewiß.“
„Na,
wer man glaubt, daß es das
Studieren allein ist?“
Er
blinzelte.
„Was
denn sonst?“
„Warum
ist denn die da in der
Ruine?“
„Na
warum denn?“
„Sind
Sie noch niemals bei ihr
gewesen, da im Hinterstübchen?“
Der
Primaner errötete, zuckte die
Achseln und fragte: „Was ist denn da im Hinterstübchen?“ Der Schuster
paffte
und sagte hochmütig: „Ich verführe die Jugend nicht." - "Und
billig!" setzte er hinzu. Der Junge ging. Er rief ihm nach: „Das heißt,
natürlich nicht wie eine Gewöhnliche! . . ."
Als
er dies vollbracht hatte, war er
geschwollen von Kühnheit und Befriedigung. Er hatte die Empfindung:
dieses
Gespräch war etwas verbrecherisches, wofür ich eingesperrt würde, wenn
es die
Behörde wüßte. Er lief dem Polizisten, der langsam in den Anlagen auf
und ab
spazierte, mehrere Male patzig über den Weg, ging frech und
herausfordernd
dicht vor ihm her und dachte: „Mach mir was!“ Dann kam ihm wieder ein:
„Eklig,
zu eklig, die kahle Abfuhr bei dem Weibsbild! Man hat von
seiner Jugendblüte
gar nichts mehr. Ob ich den Engel verdorben habe?“ Trübselig schlich er
nach
Hause.
Am
nächsten Tag um dieselbe
Stunde fand er den Primaner wieder auf seiner Bank. Der Primaner
der ging ihm auch nicht aus dem
Wege, was ein Zeichen war, daß ihn die
Sache interessiert hatte. Da suchte er denn in seiner Verzweiflung ihn
weiter
lüstern zu machen durch eine so phantastische Beschreibung der Wollust,
wie er
sie nur irgend geben konnte. Aber er war im Grunde wirklich doch kein
so
schlechter Mensch und mußte sich hüten, nicht zum erotischen Dichter zu
werden.
All seine amourösen Abenteuer fielen ihm ein, manches Schmutzige und
viel mehr
Schönes. Die Erinnerungen überwältigten ihn, und er saß schließlich
gerührt und
ganz still neben dem Primaner Es war dunkel geworden, und das Dunkel
duftete.
Erst
als sich der Primaner mit
einem verhohlenen Seufzer erhob, merkte Eichblatt, was er entzündet
hatte.
Aber
in ihm selber blühten seine
Erinnerungen fort und befreiten ihn von dem Druck der Gegenwart. Er
wurde
williger und freudiger und ging sogar drei Tage lang nicht lungern. Nur
daß die
Kellnerin – äh, pfui Teufel auch!
Am
vierten Tage traf er den
Primaner auf einem Gange des Schloßbergs wieder.
„Na,
sind sie da gewesen?“ fragte
er heimlich flüsternd.
„Nein,“
erwiderte der junge Mann,
aber Eichblatt spürte an seiner Stimme und sah an seinem Gesicht, daß
er log.
Da
war der Schuster mit einem
Male ganz glücklich. Ihm war, als hätte nicht ein anderer, sondern er
nun
schließlich doch bei der Kellnerin erreicht, was er wünschte. Er
triumphierte
und dünkte sich zugleich ein Märtyrer.
„Ich
gönn's ihnen von Herzen", sagte er innig zu dem
jungen Kerl, ging, und seine eigene erste Liebesnacht mit all ihren
Stimmungen
durchlebte er in verklärter Seele. Er wurde jung dabei.“ Arbeeten, -
arbeeten," murmelte er andächtig vor sich her, sah seinen Schmutzkittel
an
und beschloss, zunächst sich und seiner ganzen Familie anständige
Kleider zu
erschustern.
Jenes
gewisse Goldstück aber
durfte nicht den Anfang seiner Ersparnisse bilden. Nein, damit war das
so eine
Sache.
Eichblatt
rauchte sich zu Hause
eine Pfeife an und sagte:
„Na,
Mutter, denn wollen wir den
Fuchs man schon zum Kirchbau stiften. – Eijentlich über unsere
Verhältnisse.“
oben
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