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Literatur


04.3


Geschichten - Oskar Loerke

Der Seufzer Welt bist du dumm
1909

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Der Seufzer Welt bist du dumm


Wer als Gast der Stadt G. in die Petersilienstraße einbog, musste denken, dass man in dem Eckhause mit der ionischen Säulenhalle wohl dem Traum einer freien, frohen, kühlen Kultur nachstrebte; aber noch ehe er diesen Gedanken recht gewahr wurde, lächelte er schon, denn auf dem Giebel über dem Hause stand geschrieben: Katholisches Hospital. Und zwischen den beiden Eingangssäulen saßen zwei verschrumpfte Weiberlein, klein wie Kinder, stumm wie Puppen, vor Alter zitternd. Das war die Schikkirsche und die Schichoretzken, beide 82 Jahre alt. Die eine hielt einen sehr langen schwarzen Stab, an dessen Ende ein abgeschabtes Ledersäckchen nach Gaben aufgesperrt war: den Grund des Beutels zogen Uniformknöpfe straff, die geschehene Mildtätigkeit vorheucheln und zu neuer Barmherzigkeit anreizen sollten. Die beiden Frauen waren die ärmsten im Haus und sträubten sich nie, draußen auf Spenden zu lauern. Sie lauerten sacht, und die Sonne spiegelte sich schon viele viele Sommer hindurch im gelben, fleckigen Leder ihrer mageren Hände wie in Tompak. Manchmal sahen sie müde nach einem Auflauf hinüber, der sich um einen Trunkenen oder Tausendsassa gebildet hatte, wackelten mit ihren Kiefern und seufzten. Die Schichoretzken stieß den Seufzer Weltbistduscheel aus, die Schikirrsche den Seufzer Weltbistdudumm. Alle vier Wochen etwa wurde eine Münze in den Beutel gesteckt, und dies wirkte auf die Frauen wie auf einen Musikautomaten. Sie begannen nach dem langen Schweigen ihre Zunge zu rühren und erzählten: die Schichoretzken allerhand kleine Anekdoten, wie mißgünstig doch das Leben sei, die andere kaum je etwas anderes als ihre Liebesgeschichte. Wenn sie zu Ende waren, hielten beide ihren leeren Mund noch eine Weile andächtig offen, und heraus fuhr schließlich bei der Schikirrsche der Seufzer Weltbistdudumm, bei der Schichoretzken der Seufzer Weltbistduscheel. Winters blieben sie in der Stube, und solange hielten die Erinnerungen den Winterschlaft.
 
Einmal, als es lenzte und die beiden wieder aus dem Gehäus gekrochen waren, nahm die Schikirrsche wider aller Ordnung erregt das Wort. Der Kirchhof drüben war ein Hafen von Fliederblüten. Auf jedem Baume lag es wie ein lila Laken. Ein Leichenzug, mit allem Pomp der katholischen Kirche ausgeschmückt, war um die Ecke gebogen, den Kriegerverein im Gefolge. Aus seinen Reihen hatte sich ein schlanker, weißbärtiger Mann mit eisernem Kreuz auf der Brust gelöst und war an das Spital getreten, um eine Münze in den Lederbeutel zu werfen. Die Schikirrsche hatte ihn genau angesehen, gedankt, und als er kaum wieder in seine Reihe getreten war, rief sie:


„Schichoretzken, das war er, der Hund!“
„Aber Schikirrsche! – er trägt doch das Eiserne Kreuz!“

„Man soll auf das Kreuz Christi sehen.“ Sie seufzte: Weltbistdudumm! „Sehen Sie, solch ein Begräbnis wird der nicht kriegen. Ich werd es kriegen! Für mein Begräbnis mit Messe, Fahnen, Weihrauch und Kerzen hab‘ ich von Kind auf gesorgt; wer ehrlich strebt, erreicht auch was, und wenn er noch so sehr verachtet wird. Die Leute haben mich von klein an nicht leiden mögen. Sehen Sie, der Mausfleck.“ Ueber ihrem rechten Triefauge breitete sich ein hühnergroßes, behaartes, braunes Mal aus. „Sie sagten immer, das hab ich, weil ich so dumm bin, aber ich weiß es besser: als ich ganz klein war, ist mir der Rattenkönig begegnet, und davon hab ich’s. Ich dumm: - als noch keiner von meinen Bekannten daran dachte, hab ich überlegt, wie ich schön in den Himmel fahre.
 
Ich fing an zu überlegen, als meine Mutter starb und so notdürftig und häßlich begraben werden musste, in meinem 13. Lebensjahr. Glauben Sie mir, Schichoretzken, ich bin mit vielen Menschen zusammengekommen; sie haben alle nicht gewußt, was sie wollten. Erst die Bälge, mit denen ich spielte. Arm waren wir ja durchweg und mußten bei den reichen Bauern die Schweine hüten. Sehen Sie, da waren viele Abhänge und da blühte der Weißdorn. Die anderen Rangen haben gejohlt und getanzt, sie haben Weißbuschzweige gepflückt und sich Kronen und Kränze auf die Haare gesetzt wie die Pfingstochsen. Ich habe die Dornen in die Schürze gebrochen und rings bei den Bauern als Wurststückel angeboten. Das kam den Bäuerinnen bequem und sie gaben mir gern eine jede zwei Pfennige. Das langte zusammen schon für die Nägel zum Sarge. Zwar nahmen die Schweine, die ich zu hüten hatte, die Zägel in die Höh‘ und liefen quer über Stoppeln und Wicken, und ich wurde aus dem Dienst gejagt; - aber es langte schon für die Nägel.
 
Ich habe es zurückgelegt, und die anderen Mädchen hatten noch garnichts. Und was ist jetzt aus ihnen geworden? Sie wohnen ja noch in der Nähe und wir sehen sie vorbeikommen zum Wochenmarkt mit gerupften Hühnern und Kohl, - und womit noch? – Mit Mann und Kind! Nun sitzen sie auf dem Eigenen in nichts als Sorg‘ und Müh‘, und haben noch heute nicht übrig, was ich damals schon übrig hatte, ja.
 
Ich kam also in anderen Dienst und hab weitergespart und hatte bald  zum Brett und bald auch zum Kissen, und wär ich gestorben, hätte ich weich und fein und ohne Stuckern ausfahren können. Dies freute mich und spornte mich an. So gingen alle meine Gedanken recht gierig auf die goldgestickten Kirchenfahnen und die lieben glatten süßen Priester aus.
 
Na, aber da kam der mit dem Eisernen Kreuz. Er hatte es schon damals, anno 13 haben sie es ihm angemacht. Die Stecknadel ist ihm noch in die Haut gegangen, und er hat nicht mit dem kleinen Finger gewackelt. Er war zehn Jahre jünger als ich, aber wie er frisch aus dem Kriege ritt, hat er mich gleich geküßt und gefragt, ob ich ihn wollte. Ich mochte ihn gut leiden und sagte bloß, daß ich arm sei und wozu ich durchaus sparen müßte. Er stellte sich breitbeinig hin und gab Antwort: „Was, Alwine? Dein ganzes junges Leben und dein Blut und deine Kraft gibst du weg, daß sie dir nach dem Tode einen Spuck vormachen?“ Ich hatte vor dem gottlosen Menschen eine heiße Angst, aber meine Augen waren wie angeklebt an sein Gesicht, und ich mußte laut loslachen. Das Lachen weiß ich noch, als wäre es heute. Und er legte die Arme  über kreuz und  redete weiter: „Alwine,“ sagte er, „wenn du jetzt tot wärst und begraben würdest, dann holte ich meine Sporenstiefel aus dem Kasten, die im Krieg bis über den Absatz ins Blut getreten haben. Die stampfen schon was herunter, glaub mir das, Alwine. In denen ging‘ ich auf dein Begräbnis und sagte: Halt, ihr Herren, ihr habt mich um sie betrogen, ihr habt sie verlockt und ausgesogen.“ Die Lichter wollte er mir auspusten, die Fahnen zerreißen, den Weihrauchkessel den Pfaffen unter die Nase schlagen, das Priesterkleid ihnen hochheben, sie selber durchprügeln und wegjagen. Der Hund, so hat er geredet, und er hat mich mit dem Eisernen Kreuz verblendet und das wahre Kreuz eine Weile vergessen lassen. Der Hund! Dafür muß ich ins Fegefeuer.“ Sie seufzte: Weltbistdudumm!
 
„Ich mußte beinahe alle Nacht träumen, wie er mein Begräbnis störte, aber im Traum schändete er das heilige Amt nicht, sondern umarmte die süßrasierten Priester und küßte sie. Ich habe von der Bahre schief zugesehen und ihn beneidet. War ich wach, konnte ich nicht mehr daran denken, wie ich mein fürs Grab Erspartes in die Stadt wegbringen wollte, wühlte im Strumpfe, wo die Taler lagen, und weinte dazu. Ich wollte für uns Tisch und Bett und Spind kaufen, aber bloß, wenn er da war und zu mir davon sprach. Er lästerte ja nicht mehr, sondern legte seinen Arm um mich und erzählte. Das war, als nähme er mich mit in den Krieg und schützte mich vor Kugeln wie einer, der mit dem Seibeiuns im Bunde steht.
 
Ich wurde so, als gehst du bald nach Feierabend zu Bett und liegst mit dem Kopf ein Weilchen nach unten. Ich glaube, es war sehr schön sogar, - das hab ich schon vergessen. Wenn er dann den Pflug zurechtrückte und nach hinten aufs Feld ging, wurde mir noch wohler und auch noch mehr angst. Ich mochte, wenn ich die Kälber gefüttert hatte, nicht aus dem Stall hervor, weil ich dachte, nun kommt der jüngste Tag. Meinen Leichenzug konnte ich mir nicht mehr klar denken und habe damals auch keinen Taler zurückgelegt. Als ich wieder Lohn ausgezahlt bekam, ging ich hin zu ihm in häßlicher Lust und sagte: „Nimm, wir wollen uns auf dem Jahrmarkt treffen und lustig sein.“ Da haben wir viel Bier getrunken und Pfefferkuchen dazu gegessen, sind in Buden getreten, wo Riesenschlangen zu sehen waren und gestreifte Pferde, sind Karussel gefahren, und ich hab auf einem Esel gesessen und er hat auf einem Schwan geritten, und wie die Musik angegangen ist auf dem Karussel, hab ich wieder geweint, wurde sofort schwindlig und habe mich übergeben müssen. – Sonst im Dorf haben wir uns alle Tage beim Fleischer heimlich Wurst gekauft, ich hab ihm Pantoffeln, Hosenträger und Mütze geschenkt, er mir Schürzen und bunte Tücher. Schließlich hab ich aus dem heiligen Sparstrumpf zwei Taler genommen und verlüdert und war die ganze Woche, als wenn Wölfe hinter mir bellten und immer in den Rock beißen wollten. Sobald ich das Geld zum Begräbnis angebrochen hatte, - und daran ist er schuld, der Hund! – da sah ich mein Begräbnis mit einmal wieder, in noch größerer Pracht und klarer als so lange, schrie vor Angst und Verzweiflung und lag einen Tag krank.
 
Am nächsten Tage mußte ich trotz meines Unwohlseins aufstehen, weil auf dem Gute, wo ich diente, ein Fest gefeiert wurde. Es war in der Erntezeit und kein Mensch zu Hause außer mir. Ich hatte den Kasten mit dem Silberzeug in die Küche herausbekommen, sollte es für den Abend sauber abwischen und bereitlegen. Wie ich all das blanke Geschirr um mich liegen hatte und in den Reichtum hineinsah, wurde das Herz mir noch viel schwerer, Ich wußte nun keinen Schritt weiter. Der Kerl hatte schon wochenlang gesagt: „Ach, laß uns Schluß machen“ Ich wollte einen frohen Schatz und du wirst mir alle Tage weinerlicher. Ich will fortziehen und eine andere Knechtschaft suchen.“ Ich hatte dann immer nein gesagt. Ich nahm mir jetzt vor, das nächst Mal zu anworten: „Ja, wir wollen Schluß machen!“ Während ich so hin und her schwankte und den Hauch von den Messern wischte, kamen zwei braune Zigeunerweiber in die Küche. Sie erbettelten sich Eier, Speck und Butter und wollten mir zum Dank die Zukunft voraussagen. Die eine meinte, ich sehe traurig; alle Traurigkeit wende sich, auch die meine werde aufhören, es frage  sich bloß wann. Aber sie wollte mir sagen wann. Dazu müßte sie wissen, wie es klingt, wie es von weither aus dem Dunkeln schallt, so sagte sie. Unten in einem Küchenschrank stand ein blitzgelber Messingkessel, tief genug, daß mein Arm beim Reinigen den Strohwisch bloß gerade noch am Boden hinscheuern konnte. Ich war bange und schwach. Sie konnten alles mit mir machen, was sie wollten, sie sollten mich meinetwegen schlachten und mir das Herz ausweiden. Die eine Zigeunerin tat sehr gerührt und streichelte meine Backen. Dann holte sie den Kessel, stülpte ihn mir über den Kopf und fragte, ob es auch ganz dunkel sei. „Ja“ antwortete ich. Nun klopfte sie mit den Knöcheln rechts und links, vorn und hinten an den Kessel, sang, leierte, tröstete, warnte, drohte. Es war eine heidnische Litanei und eine schwere Versuchung Gottes. Ich fing an zu taumeln, dachte hinzustürzen und totzubleiben und fing an zu beten, was ich konnte: nun wollte ich wieder sparen und fromm sein. Endlich schlug die Zigeunerin grob oben auf den Kessel, daß ich fast einknickte und sagte, ich sollte still sein, bis die Uhr schlüge,  und achtgeben, was ich bis dahin hören würde. Es blieb still. Ich wollte fragen, aber da die Zigeunerin auch so beklommen schwieg, hielt ich an mich. Dann kam die Madame, lachte mich aus und schimpfte sehr. Die Zigeunerinnen waren weg und hatten das ganze Silberzeug gestohlen. Was kann ich dafür? Das Gesinde hat mich abends ausgelacht und ausgespottet, obwohl ich schon so mein Teil hatte. Am meisten lachte der Kerl mit dem Eisernen Kreuze. „Alwine, heut ist aber wirklich Schluß!“ brüllte er, du bist verrückt, du bist ganz verrückt!‘ Und er tat noch, als schämte er sich meiner. Schichoretzken, die haben von mir nicht soviel gewußt wie der Ketzer Luther von unserm Herrn. Seine Worte taten mir zuerst weh wie Zahnausziehen, aber dann war ich wieder so wie damals, als ich von ihm noch nicht die Nasenspitze gesehen hatte.
 
Ich habe ihn hassen gelernt und bin manches Jahr dabei geblieben. Einen Teil des Silberwertes muße ich ersetzen, nachher hab ich gespart und das Prunkbegräbnis zusammenbekommen. Jetzt liegt das Geld verwahrt in der Kirche und wartet auf mich. Mehr zu erwerben –  das Aufnahmegeld fürs Spital abgerechnet – ist mir ja nicht geglückt, weil ich viel krank gelegen habe. Immer hat es mich doch getröstet, daß jene Summe vollgeblieben ist, und nun kann ich in Frieden hier meine Tage zu Ende gehen lassen, und wenn es ganz schlimm kommt, seh ich von fern die hohen Lichter aufgehn und die goldenen Fahnen samt aller Herrlichkeit des Herrn.“ Sie seufzte den Seufzer Weltbistdudumm und schwieg mit der Schichoretzken.
 
Der Begräbniszug kam zurück und auch der hohe Mann mit dem Eisernen Kreuz ging vorbei. Er  sah nicht auf, schien vom schwülen Fliedergeruch müde und betrübt, daß er auch einmal aus dem Leben müsse.
 
Gemach erblühten die Sterne und der bleiche Himmel erblaute. Alwine, die sich so glücklich und ehrlich ins Armenhaus gespart, sah bewegt empor und hob noch einmal an zu reden: Da können Sie anfangen, Schichoretzken, die Sterne zu zählen und drei Jahre zählen. Der Priester sagt, kein Mensch kann sie zählen. Man fängt an und weiß bald nicht, wo man angefangen hat. Aber die Menschen zählen ja doch.“ Sie seufzte: Weltbistdudumm!
 
Dann standen die 82jährigen Zwerginnen auf, nahmen den Beutel am langen schwarzen Stiel, wo ein Nickel zwischen den Soldatenknöpfen lag, hüstelten den Mond an und verschwanden in der Doppeltür. –
 
Die ionischen Säulen schienen nachts zu noch stolzerer Höhe aufzuwachsen, frei, froh und kühn.


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