Geschichten
Aus dem Märchenbuch
der Wahrheit
Fritz
Mauthner
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Die
Palme und die Menschensprache
Am
niederen Ufer des Kongo standen zwei Palmen, eine alte, hohe, mit
Früchten behangene, nicht weit ab eine junge, schlanke, nicht größer
als drei Menschenzwerge, und die blühte zum erstenmal. Die junge Palme
dachte gar nichts, denn sie blühte. Die alte sann seit Jahren nach und
wollte etwas sagen. Doch alles, was sie durch Biegen und Rauschen
zustande brachte, war doch immer nur: Es ist schwül, es regnet, und so
ähnlich. Da beneidete sie die Menschen, die so schön schwarz waren, und
um ihre geläufige Sprache.
Eines
Tages kamen Mwato und Nganya mit Spaten heran und begannen die junge
Palme mit allen Wurzeln aus der dunklen Erde zu graben. Die alte Palme
hatte die Empfindung, nun könnte es hier still werden. Und sie wunderte
sich, daß der Jüngling und das Mädchen nicht unaufhörlich plauderten,
da sie es doch konnten. Die aber gruben nur immer tiefer.
Als
die heiße Mittagsstunde nahte, legte Mwato zuerst den Spaten fort und
Nganya folgte ihm. Er holte Nüsse herbei, und sie brachte Wasser. Sie
hielten eine Mahlzeit und dann begannen sie zu sprechen.
Nganya:
Hat der weiße Mann dir das Geldstück schon gegeben, ich meine den Lohn,
weil wir die junge Palme ausgraben?
Mwato:
Er hat es mir versprochen. Versprechen ist dasselbe, wie geben.
Nganya:
Kannst du mir sagen, zu welchem Zauber die weißen Männer die Palme
brauchen?
Mwato:
Das kann ich dir ganz genau sagen. Sie sind Priester des Kaisers, der
kein Land hat und auf dem Wasser herrscht. Ich verstehe sehr gut ihre
Sprache. Es ist Englisch, was soviel heißt wie die Göttersprache. Der
Kaiser dieses Landes hat gar kein Land. Aber dort ist es das ganze Jahr
so kalt, daß das Meer so hart wird wie Stein. Darum kann er auf dem
Wasser herrschen. Auf dem harten Wasser wachsen aber nur Jamwurzeln und
Reis, nicht Bananen und Datteln. Der Kaiser aber wird böse, wenn er
nicht Bananen und Datteln hat, und findet er keine in der längsten und
kältesten Nacht des Jahres, so muß der Himmel einstürzen, und das harte
Wasser wird in Trümmer geschlagen, und ihr oberster Gott, der kein
Wasser vertragen kann, muß ins Meer stürzen.
Die
alte Palme aber, die hoch hinausragte über den Urwald und viel gesehen
hatte, wiegte sich leise und merkte, daß die weißen und schwarzen
Menschen einander nicht verstanden.
Nach
einer Weile flüsterte Nganya:
„Wie
gut du bist!“
Mwato
antwortete:
„Nein,
du bist gut!“
Die
alte Palme sah ihnen in die Augen und vernahm, daß sie beide sagen
wollten:
„Ich
bin glücklich.“
Mwato
und Nganya waren glücklich alle zwei beide. Aber die alte Palme wußte
jetzt, daß auch gleichfarbige Menschen einander nicht verstehen, selbst
dann nicht, wenn sie sich verstehen wollen, und sie beneidete die
Menschen nicht mehr um ihre arme Sprache.
Nganya:
Das ist Bitterwasser.
Mwato:
Bitterwasser kann er auch nicht vertragen. Nun kamen die weißen
Priester sorglich zu uns, um für ihren Kaiser Bananen und Datteln zu
holen. Jetzt aber holen sie sich schon junge Bäume und wollen sie ganz
und gar auf ihr gefrorenes Wasser pflanzen.
Nganya
warf sich auf den Rücken und strampelte vor Vergnügen mit ihren
schwarzen Beinen. Sie lachte unbändig. Dann sprang sie auf, umrankte
mit ihrem schlanken Leib die junge Palme und rief unaufhörlich:
„Ich
will dich wärmen, du sollst nicht frieren!“ – Und dann lachte sie
wieder und sagte zu Mwato: „Soll ich auch dich wärmen?“
Mwato:
Sie wird nicht frieren. Der oberste der weißen Priester hat mir alles
genau erzählt, und ich habe alles genau verstanden. In der Hauptstadt
des gefrorenen Wasserlandes steht ein großer Tempel, und seine Wände
sind hart wie Eisen und durchsichtig wie Luft.
Nganya:
Du lügst!
Mwato:
Ich nicht. Es ist der Tempel der Palmen. Dorthin schaffen sie Erde vom
Kongo und senken die Palmen mit Wurzeln ein. Dort auch – so sang mir
der erste Priester – schüren des Tempels dienende Brüder ein ewiges
Feuer im Palmendienst. Und die Sonne scheint durch die luftigen Wände
und vermählt sich drin mit dem ewigen Feuer und ruft die Palmen hinauf
in die Höh‘.
Nganya:
Weißt du noch mehr so Märchen? Was geschieht sonst in dem Tempel der
Palmen?
Mwato:
Des Morgens sieht man dort junge Mütter mit ihren Säuglingen und Lehrer
mit den Knaben. An den Palmen lernen die Knaben lesen.
Nganya:
Lesen? Was ist das?
Mwato
(dachdenklich): Ich weiß nicht gewiß. Ich glaube so ungefähr gefrorenes
Sprechen.
Nganya:
Und dann?
Mwato:
Dann kommt in der Dämmerstunde wohl ein Lehrer und eine junge Mutter
allein unter die Palmen und empfangen die Weihen für das Geheimnis der
Liebe.
Nganya:
Liebe?
Mwato:
Na ja, das ist wieder gefrorene Freude bei ihnen; wie zum Beispiel,
wenn wir beide erfroren wären und uns doch umarmen wollten.
Nganya
warf sich lachend auf Mwato und schrie: „Ich bin nicht erfroren, ich
liebe dich nicht:“ Dann hielt sie plötzlich inne und sagte:
„Nein,
es muß doch schön sein, sich vorher dazu weihen zu lassen. Womit werden
sie geweiht?“
Mwato:
Mit Kleidern.
Nganya:
Kleider? Was ist das schon wieder?
Mwato:
Bunte Matten. Wer dort keine solchen Kleider auf dem Kopfe trägt, der
heißt ein Heide und wird verbrannt.
Nganya:
(weinend) Ich will nicht hin! Ich will mich vom Kleiderpriester nicht
weihen lassen! Mir wird kalt!
Und
sie warf sich schluchzend mit den Augen auf Mwatos Kniee.
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