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Literatur












Geschichten
Aus dem Märchenbuch
der Wahrheit

Fritz Mauthner
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Der Donner

Ein greiser Derwisch war sein Leben lang fromm gewesen; darum glaubte er mit Allah auf besonders gutem Fuße zu stehen. Und als er hundert Jahre alt geworden war, verlangte er sogar, mit Allah in näheren Verkehr treten zu dürfen.
„Sprich zu mir!“ rief er ganze Nächte lang.

Da flog einmal ein Dschin zu ihm heran und sagte: „Allah spricht nicht mit dir.“

„Wenn er meine Sprache nicht spricht, will ich ihm entgegenkommen, ich will seine Sprache lernen. Hebräisch, Griechisch, Lateinisch oder Arabisch? Welche Sprache ist die seine?“
„Allah spricht nicht. Allah ist stumm.“
„Unverschämter Dschin!“ rief der Greis. „Allah wird doch mehr können, als du und ich. Warum sollte Allah nicht sprechen können?“
„Allah ist stumm. Er braucht unsere arme Sprache nicht. Er ist kein Bettler.“

Sieben Jahre lang kämpfte der fromme Greis damit, daß Allah stumm sei. Dann verlangte es ihn wieder mit ihm zu verkehren.
„Höre mich wenigstens!“ rief er ganze Nächte lang. Da erschien der Dschin wieder und sagte lächelnd:

„Allah hört dich nicht.“
Was muß ich tun, damit er mich höre? Soll ich seine Feinde vernichten? Soll ich meinen kleinen Enkel schlachten?“
„Allah hört nicht. Allah ist taub.“
„Warum?“ schrie der Derwisch entsetzt.
„Allah ist taub. Er braucht unser armes Gestöhne nicht. Er ist kein Bettelvogt.“

Da verlor der fromme Greis seine Vertraulichkeit mit Allah. Er begann ihn zu fürchten Und wenn es donnerte, versteckte er sich und vermeinte, den drohenden Schrei eines Taubstummen zu hören.

* * * * *

Die beiden Kavaliere

Beide waren außerstande gewesen, ihre Schulden zu bezahlen, der Baron und der Graf. Beiden war die reiche Tochter des jüdischen Wucherers durch die Finger gewischt, denn beide hatten mit den Jahren schon anfangen müssen, ihren Bart zu färben. Beide waren zuerst aus der Armee ausgetreten und dann aus dem Klub herausgebeten worden. Dann wurden beiden die Möbel gepfändet und die Pferde, und endlich hatte der Baron seinen Kammerdiener entlassen und der Graf seinen Kutscher.

Der freiherrliche Kammerdiener trieb sich mit seinem Ersparten und Zusammengestohlenen in einem Modebade umher und spielte den großen Herrn. Er hatte sich ins Fremdenbuch als einen Grafen eingeschrieben und lebte diesem Stande gemäß. Er mietete eine schöne Wohnung, machte den Frauenzimmern Geschenke und fuhr viel spazieren.

Er hätte auch gern vornehmen Verkehr gehabt. Besonders auf einen stattlichen Mann mit blondem Schnurrbart hatte er es abgesehen, einen Baron, den besten Reiter des Bades. Bei einer exklusiven Reunion stellte er sich ihm vor und hatte schon am nächsten Tage das Glück, den Baron zu einem Dinner einladen zu dürfen. Zwei verwöhnte Damen nahmen teil.

Das Diner verlief allerliebst. Der Baron mußte zugestehen, daß nur ein Herr wie der Graf ein so erlesenes Menü zusammenstellen konnte. Auch hatte der Graf eine Art mit den Damen zu scherzen, die nur in unseren Kreisen erlernt wird. Der Baron seinerseits war fast noch feiner. Er sprach nur von Pferden und Rennen.

Der Baron war der entlassene Kutscher des Grafen.
Die beiden wirklichen Kavaliere waren aber glücklich nach Amerika gelangt. Dort glückte es dem Baron, daß er Kellner wurde, und der Graf fand eine Stelle als Trambahnkutscher. Wichtig dünkte das die Leute, die’s betraf, die Kavaliere und die Mitmenschen, in Amerika wie in Europa. Denn wichtig scheint das Leben, solange man lebt.


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