Geschichten
Aus dem Märchenbuch
der Wahrheit
Fritz
Mauthner
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Der
Löwe
Da
der Löwe noch jung war, gefiel ihm die Tigerkatze und er nahm sie zu
sich in die Höhle. Dort sorgte er für sie wie ein großer Herr. Sie
hatten aber keine Kinder, und so war die Tigerkatze niemals recht
zufrieden zu stellen. Sie war eine unverstandene Tigerkatze.
„Du
bis nicht schön genug,“ sagte sie einmal als sie eines Nachmittags von
der Sonne bestrahlt, auf einer Felsenstufe von rotem Granit aufwachte.
Und als der Löwe vergnüglich dazu aufbrüllte, fügte sie hinzu:
„Sag,
was du willst gestreift bist du doch nicht. Ich denke mir mein
Löwenideal gestreift.“
Ein
andermal, als der Löwe gegen Mitternacht heimkehrte, schweißbedeckt und
blutbefleckt – er hatte das Schaf zwischen Wachtfeuern über
Plankenzäune und unter den Flinten der Jäger herausgeholt, seufzte die
Tigerkatze gelangweilt auf und sagte:
»Ich
danke für Schaf. Ich esse heute nicht. Du bist nicht recht tapfer. Du
traust dich ja nicht durch das ganze königliche Heer hindurch in den
Schloßturm zu dringen und mir die kleine Prinzessin zum Nachtmahl zu
schaffen. Nicht einmal auf dem Magnetberg bist du gewesen, um mir den
goldenen Paradiesvogel heimzubringen. Der soll gut schmecken, mit
Prinzessinnenhirn farciert. Schaf mag ich nicht. Und das will ein Mann
sein!«
Der
Löwe zuckte von den Schultern bis zu den Flanken, leckte sich das Blut
ab und fraß das Schaf allein auf. Für Kinder hatte er ja nicht zu
sorgen.
Ein
drittes Mal war er die ganze Nacht fortgeblieben, die Jagd war beinahe
verfehlt. Endlich des Morgens kam er schweren Ganges heran, einen
mächtigen schwarzen Büffel schleppte er heim. Die Tigerkatze lobte den
Braten und aß des Büffels Augen und die beiden Lungenbraten. Dann
putzte sie sich das Fell und sagte nicht unfreundlich:
»Wie
bist du zu dem Stück gekommen?«
»Nu,
eben so. Aufgespürt, aufgejagt. Wies die Hörner, mußte ihn tüchtig ins
Genick beißen. Na, und da ist er.«
Die
Tigerkatze streckte die glänzenden Glieder und sprach:
»Du
bist doch nicht so stark, wie ich mir den Löwen vorgestellt habe. Du
solltest mit einem Schlag deiner Tatze die Pyramide umwerfen können, du
solltest mit deinen Zähnen die Kette durchbeißen, die den Mondwolf an
die Erde bindet. Du solltest ...«
»Ach
was! Du solltest, du solltest!« brummte der Löwe verdrießlich. »Ich
will! Sollen ist für die Tigerkatze!«
Da
zog sich die Tigerkatze schmollend in den Winkel der Höhle zurück. Und
sagte nur noch leise:
»Mag
alles sein. Aber dir fehlt die Güte.«
Da
vermochte der Löwe nicht einzuschlafen. Langsam fraß er weiter am
Büffel, die schlechteren Teile, und dachte darüber nach, warum ihm die
Güte fehle. Um des Weibes willen hätte es ihn gefreut, auch die Güte zu
haben.
Da
fing die Tigerkatze Streit an. Die Höhle war ihr bald zu hell, bald zu
dunkel. Der Büffel hatte nicht das richtige Alter und war nicht in der
richtigen Saison erlegt. Die Gegend war zu einsam.
Der
Löwe erwiderte nichts; solche gereizte Worte hatten bisher immer mit
Koketterie geendet, auch wenn es bis zu tätlichen Neckereien gekommen
war. Heute aber war die Tigerkatze wie außer sich. Sie beschimpfte ihn.
Er sei ihr verächtlich durch seine Schwäche. Und sie bleckte ihn an,
biß ihn heftig in die Ohren und zerkratzte ihm das Gesicht. Langsam
stieg in ihm der Zorn auf. Und als sie ihm plötzlich und unversehens
mit der kralligen Tatze über das linke Auge fuhr, daß er um ein Haar
des Auges Licht verloren hätte, da brüllte er kurz auf und schlug ihr
mit der furchtbaren Kraft seiner Pranke das Rückgrat ein, daß sie tot
war. Die Nacht über sann der Löwe mühselig nach. Bei Sonnenaufgang
schmiß er den Leichnam den Berg hinunter und begann zu trauern, solange
als es um ein Löwenliebchen üblich ist.
Später
heiratete er eine gesunde Löwin und hatte mit ihr zwei allerliebste
Kinder. Jetzt mußte er noch fleißiger auf Nahrung ausgehen und mehr
Vorrat schaffen, obwohl die Herden seltener geworden waren und noch
besser bewacht wurden. Oft, wenn er erst beim hellen Sonnenscheine mit
der Beute heimkehrte, todmüde oder gar wund, lehnte er es ab, sofort zu
ruhen und sich pflegen zu lassen. Stundenlang durfte die Löwin ihm
erzählen und die Löwenkinder ihn zausen. Dann kam das Gespräch wohl
auch auf seine Vergangenheit und auf seinen Charakter.
»Nein,«
meinte dann die Löwin oft recht wohlwollend, »das muß dir der Neid
lassen; schön bist du und tapfer und auch ziemlich stark für einen
Löwen, von meinem Standpunkt. Ich bin eine einfache Frau. Natürlich,
was man als Mädchen geträumt hat... aber wirklich, ich bin nicht
unzufrieden. Gott, die Güte, die fehlt dir freilich.«
Der
Löwe, dessen Flanken noch vor Anstrengung flogen, und an dessen Mähne
die Kinder zerrten, daß es schmerzte, sann wieder nach. Und weil ihm
das schwer wurde und er also dazu die Augen schloß, bemerkte er gar
nicht, wie listig und dankbar zugleich ihn die Löwin anblinzelte.
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