Geschichten
Aus dem
Märchenbuch
der
Wahrheit
Fritz Mauthner
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Ein
reicher Bauer hatte viele Hunderttausende von Schafen. Wenn er sie
zählen wollte, mußte er sich dazu einen Professor
kommen
lassen, so
viel waren ihrer.
Der Professor war angestellt für Schafzählerei oder
Mathematik.
Der
reiche Bauer hatte auch zwei Kinder. Die waren
noch klein und hatten für ihre
sieben Lieblingsschafe besondere Namen erfunden; für
sie gab
es ein weißes Schaf,
ein braunes, ein schwarzes, ein
scheckiges, ein
dickes, ein trauriges Schaf und
endlich das Hanswurstel.
Einst
besuchte den reichen Bauer ein armer Verwandter.
„Hoho!“
fragte er die Kinder, weil er dem Vater schmeicheln wollte. „Wieviel
Schafe habt ihr
wohl?“
„Sieben!“
schrien beide Kinder wie aus einem Munde.
„Die
dummen Fratzen!“ rief lachend der Bauer, und der Professor
der
Schafzählerei, der
gerade zugegen war, fügte ernsthaft hinzu:„Was
sie nicht benennen können, das
wissen sie auch nicht, die Kinder.“
Es
regnete und die Sonne guckte zu. Hunderttausend
Sonnenstrahlen spielten
mit hunderttausend
Regentropfen, die ihnen verlobt waren. Jeder
Sonnstrahl bemalte den lieben Regentropfen aus seinem
Tuschkasten. Jeder Tuschkasten hatte hunderttausend verschiedene
Farben. Und
es gab
keine zwei Tuschkästen, in denen auch nur eine Farbe ganz gleich
gewesen wäre. Die Sonnenstrahlen
sahen alle die Myriaden von Farben und waren froh.
Ein
kleiner Strahl wurde mit dem Bemalen seines Tropfens nicht
schnell
genug fertig oder hatte
ihn zu lieb; genug, er kam der Erde zu nahe. Da
fing ihn der
Professor der
Schafzählerei, sperrte ihn in eine dunkle
Kammer und erzählte
seinen Schülern
im Dunkeln ein langes und breites
über die Farben. Schon glaubte
der
Sonnenstrahl sterben zu müssen, denn
der Professor wollte ihn
brechen. Da
kam zum Glücke die Professorenfrau
mit dem Kaffee, und er konnte
durch die offene
Tür entschlüpfen.
Schneller
wie ein Blitz fuhr der Sonnenstrahl hinaus und
hinauf, setzte sich rittlings
auf einen
lustig bemalten Regentropfen, fiel vor Lachen
wieder hinunter
und setzte sich
wieder und rief:
„Kinder,
fallt nicht
um! Wißt ihr, wieviel Farben wir haben? Sieben! Alle unsere
Tuschkasten
zusammen sieben Farben!“
Da
gab es unter den feinen Sonnenstrahlen und den verliebten
dicken
Regentropfen vor Lachen und
Ausgelassenheit ein solches Schreien,
Purzeln, Schießen,
Sterben,
Bersten und Tränen vergießen, daß die Frau
Sonne, obwohl sie sich
selbst vor Lachen
schüttelte, ein Ende machen
mußte. Sie rief alle Strahlen zu
sich
heran, barg sie wie eine Glucke
unter ihre goldenen unsichtbaren Flügel,
hieß sie schlafen
und sagte:
„Die
wahre Dummheit des Schafzählers kennt ihr noch gar nicht, ihr
Schafsköpfe.
Er hat den
sieben Farben – sieben! – weil er nur die
kennt, Namen gegeben. Es
sind das
Worte. Und auf solchen Worten will er
uns nahe kommen wie auf einer
Leiter, uns, auf
einer Leiter von sieben
Sprossen.“
Die
Sonne lachte, daß ihre unsichtbaren goldenen Flügel
schütterten und
wieder
einige Strahlen nach ihren
Bräuten blinzeln konnten, wie
Küchlein ihre Köpfchen
unter der Glucke hervorstreckten. Und der
Sonnenrand schimmerte in
hunderttausend Farben.
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