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Literatur



 






Geschichten

Aus dem Märchenbuch
der Wahrheit

Fritz Mauthner
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Sieben

Ein reicher Bauer hatte viele Hunderttausende von Schafen. Wenn er sie zählen wollte, mußte er sich dazu  einen Professor  kommen lassen, so viel waren ihrer. Der Professor war angestellt für Schafzählerei oder Mathematik.

Der  reiche  Bauer hatte auch zwei  Kinder.  Die waren  noch klein und  hatten für ihre sieben  Lieblingsschafe besondere Namen erfunden; für sie  gab es ein weißes Schaf, ein braunes,  ein schwarzes, ein  scheckiges, ein dickes, ein trauriges Schaf und endlich das Hanswurstel.

Einst besuchte den reichen Bauer ein armer Verwandter.
„Hoho!“  fragte er die Kinder, weil er dem Vater schmeicheln wollte. „Wieviel
Schafe habt ihr wohl?“
„Sieben!“ schrien beide Kinder wie aus einem Munde.
„Die dummen Fratzen!“ rief  lachend der Bauer, und  der Professor der Schafzählerei, der gerade zugegen war, fügte ernsthaft hinzu:„Was sie nicht benennen können, das wissen sie auch nicht, die Kinder.“


*        *
     *

Es  regnete und die Sonne  guckte zu.  Hunderttausend Sonnenstrahlen spielten mit hunderttausend Regentropfen,  die ihnen verlobt waren.  Jeder Sonnstrahl bemalte den lieben Regentropfen aus seinem Tuschkasten. Jeder Tuschkasten hatte hunderttausend verschiedene Farben. Und es gab keine zwei Tuschkästen,  in denen auch nur eine Farbe ganz gleich gewesen wäre.  Die Sonnenstrahlen  sahen  alle die  Myriaden von Farben und waren froh.

Ein  kleiner  Strahl wurde mit dem Bemalen  seines Tropfens nicht schnell genug fertig oder hatte ihn  zu  lieb; genug, er kam der Erde zu nahe. Da fing ihn  der Professor der Schafzählerei, sperrte ihn in eine dunkle Kammer und erzählte  seinen Schülern im Dunkeln ein langes und breites über  die Farben.  Schon glaubte  der Sonnenstrahl  sterben  zu  müssen,  denn der  Professor wollte ihn brechen.  Da kam  zum  Glücke  die  Professorenfrau mit  dem Kaffee,  und  er konnte durch die offene Tür entschlüpfen.

Schneller  wie ein  Blitz  fuhr der Sonnenstrahl  hinaus  und hinauf, setzte sich rittlings auf einen lustig bemalten Regentropfen, fiel vor Lachen wieder hinunter und setzte sich wieder und rief:

 „Kinder,  fallt nicht um! Wißt ihr, wieviel Farben  wir haben?  Sieben! Alle unsere Tuschkasten zusammen sieben Farben!“

Da gab es  unter den feinen Sonnenstrahlen und  den verliebten dicken Regentropfen vor Lachen und  Ausgelassenheit  ein solches  Schreien, Purzeln, Schießen,  Sterben,  Bersten und Tränen vergießen,  daß die Frau Sonne,  obwohl sie sich selbst vor Lachen schüttelte, ein Ende machen mußte. Sie rief alle Strahlen zu  sich  heran, barg sie wie eine Glucke  unter ihre goldenen unsichtbaren Flügel, hieß sie schlafen und sagte:

„Die wahre Dummheit des Schafzählers kennt ihr noch gar nicht, ihr  Schafsköpfe.  Er hat den sieben Farben – sieben! – weil er nur die kennt, Namen gegeben. Es  sind das  Worte.  Und auf solchen Worten  will er uns nahe kommen wie auf einer Leiter, uns, auf einer Leiter von sieben Sprossen.“

Die Sonne  lachte, daß ihre unsichtbaren  goldenen Flügel  schütterten und wieder  einige  Strahlen nach ihren  Bräuten  blinzeln  konnten,  wie  Küchlein ihre Köpfchen unter der  Glucke hervorstreckten. Und der Sonnenrand schimmerte in hunderttausend Farben.

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