Geschichten
Aus dem Märchenbuch
der Wahrheit
Fritz
Mauthner
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Mahadöh
Mahadöh,
der Herr der Erde, kam herab zum siebentenmal. Er hatte vom sechstenmal
her die Erinnerung an einen großen Moralischen. Diesmal wünschte er,
Menschen göttlich zu sehen, Genuß ohne Bitternis zu erfahren, einen
Rausch ohne Moralischen.
Als
er nun hereingekommen, wo die letzten Häuser sind, ging er mitleidig,
aber schnell vorüber. Er achtete kaum auf die gefälligen schönen
Kinder und eilte nach der Mitte der Stadt, wo die vornehmsten Häuser
stehen und die ersten Familien wohnen.
In
den Menschen trieb es ihn, ehrlich und opferbereit. Den Tod wollte er
auf sich nehmen, wenn er die Ärmsten dadurch loskaufen könnte von Not
und Gewissensqual. Aber stärker noch als in den Tod trieb es ihn in die
Arme eines liebenden Mitgeschöpfes. Sterben für die Elenden! Ja! Aber
auch Leben wecken auf der Höhe der Menschheit.
Und
Mahadöh suchte Rausch und Leben auf den Höhen der Menschheit.
Ihn
fand ein erstaunliches Weib, die gelehrteste und geistreichste
Frau der Zeit. Im Scherz und im Ernst wurde sie nicht anders genannt
als die große Philosophin. Dabei war sie auch noch jung und erfreulich
anzusehen.
Mahadöh
ertrank in Liebe zu ihr, und vor Seligkeit glühte er in ihren Armen,
und hätte lieber auf seine Sonne und die Sterne verzichtet, als auf den
Anblick ihrer großen klaren Augen, die geheimnisvoll zu ihm sprachen
wie seine Sterne mit ihm sprachen zur Nachtzeit.
Auch
die große Philosophin schauerte wonnevoll in seinen Armen. Doch ewig
offen hielt sie ihre großen Augen, auch im Genuß klar auf ihn
gerichtet, als suchte sie etwas. Sie gestand es ihm ein. Sie konnte
sich nicht ganz vergessen. Sie beobachtete sich im Taumel der
Leidenschaft und beobachtete ihn. Noch nie hatte ihr ein Gott zum
Studium vorgelegen.
Als
sie ihn genugsam studiert hatte, lächelte sie traurig und überlegen.
Sie nahm den goldenen Sonnenschein an sich, der bis dahin wie ein
Diadem seine Locken umleuchtet hatte, und sagte:
„Ich
habe mich doch in Ihnen geirrt, mein Freund. Es gibt eben keine Götter.
Auch Sie sind kein Gott.“
Sie
verschloß die Aureole, seinen goldenen Götterschein, in ihrer
Raritätensammlung, klebte eine Nummer darauf und wurde ihm treulos.
Ohne
seinen Götterschein trieb sich Mahadöh in den ersten Straßen der Stadt
umher. Die gefälligen Weiblein lockten ihn, er aber wollte mit seiner
Liebessehnsucht oben bleiben, auf den Höhen der Menschheit. Eines Tages
begegnete ihm die Fürstin und winkte ihm. Da ertrank er in Liebe zu ihr
und verging in ihren Armen. Ihr Schlafgemach war von Alabaster, der
Boden mit Samt überzogen, die Wände mit Spitzen bedeckt, die Decke von
Spiegelglas. Ihr Lager war weicher als der Flaum von Rosenblättern, und
ihr Atem duftiger als der Atem der Rosen. Sie war nicht mehr so jung
wie Mahadöh, aber auch sie schauerte in seinen Armen. Ihre Lippen
lechzten nach ihm.
In
später Stunde sagte er einmal zu ihr, und die Weihrauchglut aus der
Ampel beschien dabei sein edles Antlitz:
„Eigentlich
bin ich ein Gott, Geliebte. Man hat mir nur den Schein genommen.“
Da
jauchzte die Fürstin und schrie:
„Einen
Gott habe ich noch nicht getötet.“
Und
langsam saugte sie ihm das Blut aus unter der Weihrauchglut der Ampel.
Als
Mahadöh seinen letzten Blutstropfen verloren hatte, ließ sie den
Hofmaler kommen und den toten Gott für ihre Galerie malen. Dann befahl
sie, den Körper auf die Straße zu werfen, und wurde ihm treulos.
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Leichenblaß
und ohne seinen Götterschein setzte sich der blutlose Mahadöh auf eine
Bank der öffentlichen Anlagen nieder. Ihn bekümmerte wieder die Not der
Menschen; er half den Bettlern ihre Lasten tragen und fing die Schläge
auf, die den Bettelkindern galten. Aber noch verzweifelte er nicht,
sein Glück zu finden auf den Höhen der Menschheit.
Da
kam das schönste Weib der Welt vorüber geritten und sah die durstigen
Götteraugen aus seinem leichenblassen Gesicht auf sich gerichtet. Sie
hieß die rote Schöne.
Sie
war so schön, daß Greise sich töteten, weil sie nicht mehr jung waren.
Zweijährige Knaben weinten, wenn die rote Schöne vorüberritt und ihnen
nicht lächelte.
Mahadöh
ertrank in Liebe zu ihr und konnte nicht satt werden, ihre Schönheit zu
schlürfen und zu sammeln mit seinen Götteraugen. Auch sie schauerte in
seinen Armen vor Wonne, aber niemals vergaß sie ihre Schönheit zu hüten
auch in seinen Armen.
„Küsse
nicht so unvorsichtig! Das macht mir den Mund weit!“ …
„Was
machst du mit meiner Schönheit?“ fragte sie einmal um die Mittagszeit,
als sie in seinen Armen ruhte und die Sonne zugleich in ihrem
Nackenhaar gekräuselt spielen ließ. „Was machst du mit meiner
Schönheit, wenn du dich mit ihr gefüllt hast?“
„Ich
könnte dich besingen, wie noch nie ein Weib besungen wurde.“
„So
tu’s, ich warte drauf.“
„Ich
kann nicht singen, solange meine Augen deine Schönheit trinken.“
„So
schließ die Augen!“
„Ich
kann die Augen nicht schließen, solange ich dich sehe. Und ich sehe
dich immer.“
Da
stach sie ihm die beiden Augen aus, und er sang zur Ehre ihrer
Schönheit das schönste Lied, das je erklungen war.
Sie
schrieb es auf und fügte es ihrem Liederbuche bei. Dann steckte sie
seine beiden Augen auf ihren neuen Frühlingshut und wurde ihm treulos.
Leichenblaß,
ohne seinen Götterschein und ohne Augen lag Mahadöh in seinem Garten.
Da sah ihn die berühmteste Künstlerin des Landes und erkannte an seiner
Tracht, daß er ein Gott sein müsse oder so etwas. Sie ließ ihn zu sich
führen.
Es
hatte nie eine vollkommenere Künstlerin gegeben.
Wenn
sie sang, so lauschten selbst die Hunde; und wenn sie tanzte, blieben
die Sterne stehen.
Er
ertrank in Liebe zu ihr; und sie nahm Stück für Stück von seiner
Göttertracht, was sie gerade für ihren Flitterstaat brauchen konnte,
und sie tanzte, gekleidet in seine himmlischen Stoffe. Als er nichts
mehr zu geben hatte, schnitt sie ihm die goldbraunen Locken ab, seine
goldenen Augenbrauen und die goldenen Wimpern. Sie tat alles bedächtig
in ihren Perückenkasten und wurde ihm treulos.
Leichenblaß,
ohne Götterschein und ohne Augen, rattenkahl und rattenbloß fuhr
Mahadöh zum Himmel zurück. Da nahm er wieder Göttergestalt an, aber er
blickte menschlich und armselig drein.
„Na?“
fragte Wolfgang Goethe und tätschelte dabei die gute Christiane, die
als seliger Engel neben ihm stand, frisch und jung. Nur an der rechten
Hüfte hatte sie ein Brandmal. Da hatte sie Goethe gefaßt, als er sie
mit feurigen Armen zum Himmel emporhob. „Na, wie war’s auf den Höhen
der Menschheit?“
„Du
hast doch wohl recht gehabt,“ sagte Mahadö. Und wenn ich wieder
herabkomme auf meine Erde, will ich die Liebe hier lassen und nur das
Mitleid mitnehmen.“
„Ei,“
sagte die gute Christiane in ihrer Dummheit, „ist Liebe denn nicht
Mitleid?“
„Und
die Klügsten sind sie auch noch, und überdies,“ rief Goethe.
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