»Es ist ein Ding der
Unmöglichkeit,« entgegnete
Bein,
dem das würdige Auftreten des Königs Pest I. offenbar Respekt einflößte
und der
sich erhoben hatte und aufgestützt am Tische stand, – »Majestät halten
zu
Gnaden, es ist ein Ding der Unmöglichkeit, in meinen Raum auch nur ein
Viertel
Maß jenes Likörs zu verstauen, den Eure Majestät soeben erwähnten.
Nicht nur,
dass ich am Vormittag an Bord tüchtig Ballast aufgenommen habe und heut
Abend
in verschiedenen Häfen eine Menge Bier und Schnaps einschiffen ließ –
ich habe
gegenwärtig eine volle Ladung Starkbier in mir, die ich im ›Lustigen
Matrosen‹
gegen Barzahlung eingenommen habe. Eure Majestät wollen daher so gnädig
sein,
den Willen für die Tat zu nehmen – denn nichts kann mich dazu bringen,
noch
einen Tropfen zu schlucken – am allerwenigsten einen Tropfen jenes
höllischen
Schlagwassers, das auf den Namen ›Wacholderschnaps‹ hört.«
»Heh, stopp!« unterbrach ihn
Tarpaulin, nicht
weniger
erstaunt über die Länge dieser Rede als über ihren abweisenden Inhalt –
»heh,
stopp! du Flegel! – Ich sage dir, Bein, kein solches Geschlabber
mehr! Mein Laderaum ist noch leer, wenn schon ich
zugebe, dass du selber ein wenig betrunken bist; und was deinen Teil an
der
Ladung anlangt, so würde ich ihn, um Streit zu vermeiden, mitsamt dem
meinigen
zu verstauen suchen, aber –«
»Ein solches Vorgehen«, fiel der
Präsident hier
ein,
»widerspräche durchaus dem gesetzlichen Machtspruch, der unwiderruflich
ist. Die
von Uns auferlegte Strafe muss nach dem Buchstaben erfüllt werden – und
zwar
unverzüglich, andernfalls dekretieren wir, dass man euch Kopf und Füße
zusammenbindet und euch als Aufrührer in jenem Oxhoft mit Oktoberbier
ersäuft.«
»Ein Rechtsspruch! – Ein
Rechtsspruch! – Ein
guter und
gerechter Rechtsspruch! – Ein glorreiches Wort! – Ein würdiges und
aufrechtes
Urteil!« – rief die Familie Pest wie aus einem Munde. Der König zog die
Stirn
in tausend Falten; der gichtige Alte schnaufte wie ein Blasebalg; die
Dame mit
dem Sargtuch schwenkte ihre Nase hin und her; der Herr in den
baumwollenen
Hosen spitzte seine langen Ohren; die mit dem Leichenhemd klappte mit
ihrem
Fischmaul, und der im Sarg hielt sich steif und rollte mit den Augen.
»Hu, hu, hu!« kicherte Tarpaulin,
ohne die
allgemeine
Aufregung zu beachten, »hu, hu, hu! – hu, hu, hu, hu! – hu, hu, hu! –
Ich
meinte,« sagte er, »ich meinte, als Herr König Pest seine Marlpfrieme
dazwischensteckte, ich meinte, was zwei oder drei Gallonen
Wacholderschnaps
anlange, so sei das eine Kleinigkeit für ein strammes und nicht
überlastetes
Seeboot wie mich – wenn aber auf das Wohl des Teufels getrunken werden
soll und
wenn ich bei lebendigem Leibe zu diesem bösen König hinunterfahren
soll, von
dem ich so gewiss weiß, wie von
mir, dass ich ein Sünder bin, dass er kein anderer ist als Tim
Hurlygurly, der
Schauspieler – ja, das ist denn doch 'ne ganz andere Sache und geht
durchaus
über mein Verständnis.«
Er konnte seine Rede nicht
beenden. Bei Nennung
des
Namens Tim Hurlygurly sprang die ganze Versammlung von ihren Sitzen.
»Verrat!« brüllte Seine Majestät
König Pest der
Erste.
»Verrat!« sagte der kleine
gichtige Alte.
»Verrat!« kreischte die
Erzherzogin Ana-Pest.
»Verrat!« kreischte der Herr mit
der
aufgebundenen
Kinnlade.
»Verrat!« grollte der mit dem
Sarg.
»Verrat! Verrat!« rief die
Majestät vom großen
Maul
und packte den unglücklichen Tarpaulin, der sich soeben seinen
Trinkschädel neu
gefüllt hatte, bei seinem Hosenboden, hob ihn hoch in die Luft und ließ
ihn
ohne alle Umschweife in die riesige Bütte seines geliebten Starkbieres
fallen.
Er tauchte auf und nieder wie ein Apfel im Grog und verschwand
schließlich im
Schaumstrudel, den seine Befreiungsversuche in der ohnedies schäumenden
Flüssigkeit hervorgebracht hatten.
Bein
aber, der lange Seemann, war nicht gewillt, die
Leiden seines Kameraden ruhig mit anzusehen. Er stieß König Pest durch
die
offene Falltür im Fußboden und warf fluchend die Tür hinter ihm zu.
Dann wandte
er sich ins Zimmer. Er riss das über dem Tische schaukelnde Skelett
herab und
schlug damit so gewaltig um sich, dass er beim letzten Schein des
verglimmenden
Lichtes dem kleinen Mann mit der Gicht die Hirnschale zerschmetterte.
Dann
stürmte er zu dem verhängnisvollen Oxhoft
voll Oktoberbier und Hugo Tarpaulin und stieß es mit aller Macht um.
Ein Meer
von Flüssigkeit stürzte heraus, so gewaltig – so flutend und brausend,
– dass
der Raum von einem Ende zum andern überschwemmt war – der voll beladene
Tisch wurde umgeworfen – die Bahren
fielen um, die Punschkübel ins Kaminfeuer und die Damen in
Schreikrämpfe. Ganze
Haufen von Bestattungsgeräten schwammen umher. Kannen und Krüge wogten
durcheinander, und Korbflaschen kämpften verzweifelt mit Weiden- und
Kürbisflaschen. Der Mann mit dem Katzenjammer ersoff auf der Stelle –
der
kleine steife Herr schwamm in seinem Sarg davon, und der siegreiche
Bein
ergriff die dicke Dame im Leichenhemd bei den Hüften, stürmte mit ihr
auf die
Straße und jagte auf kürzestem Wege zum Ankerplatz der »Frei und
Licht«; hinter
ihm drein segelte der furchtbare Hugo Tarpaulin, der, nachdem er zwei-
bis
dreimal kräftig geniest hatte, mit der Erzherzogin Ana-Pest auf den
Armen
daherkeuchte.
Edgar
Allen Poe
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