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Literatur


04.3


Geschichten

Edgar Allen Poe

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 König Pest II

»Es ist ein Ding der Unmöglichkeit,« entgegnete Bein, dem das würdige Auftreten des Königs Pest I. offenbar Respekt einflößte und der sich erhoben hatte und aufgestützt am Tische stand, – »Majestät halten zu Gnaden, es ist ein Ding der Unmöglichkeit, in meinen Raum auch nur ein Viertel Maß jenes Likörs zu verstauen, den Eure Majestät soeben erwähnten. Nicht nur, dass ich am Vormittag an Bord tüchtig Ballast aufgenommen habe und heut Abend in verschiedenen Häfen eine Menge Bier und Schnaps einschiffen ließ – ich habe gegenwärtig eine volle Ladung Starkbier in mir, die ich im ›Lustigen Matrosen‹ gegen Barzahlung eingenommen habe. Eure Majestät wollen daher so gnädig sein, den Willen für die Tat zu nehmen – denn nichts kann mich dazu bringen, noch einen Tropfen zu schlucken – am allerwenigsten einen Tropfen jenes höllischen Schlagwassers, das auf den Namen ›Wacholderschnaps‹ hört.«

»Heh, stopp!« unterbrach ihn Tarpaulin, nicht weniger erstaunt über die Länge dieser Rede als über ihren abweisenden Inhalt – »heh, stopp! du Flegel! – Ich sage dir, Bein, kein solches Geschlabber mehr! Mein Laderaum ist noch leer, wenn schon ich zugebe, dass du selber ein wenig betrunken bist; und was deinen Teil an der Ladung anlangt, so würde ich ihn, um Streit zu vermeiden, mitsamt dem meinigen zu verstauen suchen, aber –«

»Ein solches Vorgehen«, fiel der Präsident hier ein, »widerspräche durchaus dem gesetzlichen Machtspruch, der unwiderruflich ist. Die von Uns auferlegte Strafe muss nach dem Buchstaben erfüllt werden – und zwar unverzüglich, andernfalls dekretieren wir, dass man euch Kopf und Füße zusammenbindet und euch als Aufrührer in jenem Oxhoft mit Oktoberbier ersäuft.«

»Ein Rechtsspruch! – Ein Rechtsspruch! – Ein guter und gerechter Rechtsspruch! – Ein glorreiches Wort! – Ein würdiges und aufrechtes Urteil!« – rief die Familie Pest wie aus einem Munde. Der König zog die Stirn in tausend Falten; der gichtige Alte schnaufte wie ein Blasebalg; die Dame mit dem Sargtuch schwenkte ihre Nase hin und her; der Herr in den baumwollenen Hosen spitzte seine langen Ohren; die mit dem Leichenhemd klappte mit ihrem Fischmaul, und der im Sarg hielt sich steif und rollte mit den Augen.

»Hu, hu, hu!« kicherte Tarpaulin, ohne die allgemeine Aufregung zu beachten, »hu, hu, hu! – hu, hu, hu, hu! – hu, hu, hu! – Ich meinte,« sagte er, »ich meinte, als Herr König Pest seine Marlpfrieme dazwischensteckte, ich meinte, was zwei oder drei Gallonen Wacholderschnaps anlange, so sei das eine Kleinigkeit für ein strammes und nicht überlastetes Seeboot wie mich – wenn aber auf das Wohl des Teufels getrunken werden soll und wenn ich bei lebendigem Leibe zu diesem bösen König hinunterfahren soll, von dem ich so gewiss weiß, wie  von mir, dass ich ein Sünder bin, dass er kein anderer ist als Tim Hurlygurly, der Schauspieler – ja, das ist denn doch 'ne ganz andere Sache und geht durchaus über mein Verständnis.«

Er konnte seine Rede nicht beenden. Bei Nennung des Namens Tim Hurlygurly sprang die ganze Versammlung von ihren Sitzen.

»Verrat!« brüllte Seine Majestät König Pest der Erste.

»Verrat!« sagte der kleine gichtige Alte.

»Verrat!« kreischte die Erzherzogin Ana-Pest.

»Verrat!« kreischte der Herr mit der aufgebundenen Kinnlade.

»Verrat!« grollte der mit dem Sarg.

»Verrat! Verrat!« rief die Majestät vom großen Maul und packte den unglücklichen Tarpaulin, der sich soeben seinen Trinkschädel neu gefüllt hatte, bei seinem Hosenboden, hob ihn hoch in die Luft und ließ ihn ohne alle Umschweife in die riesige Bütte seines geliebten Starkbieres fallen. Er tauchte auf und nieder wie ein Apfel im Grog und verschwand schließlich im Schaumstrudel, den seine Befreiungsversuche in der ohnedies schäumenden Flüssigkeit hervorgebracht hatten.

Bein aber, der lange Seemann, war nicht gewillt, die Leiden seines Kameraden ruhig mit anzusehen. Er stieß König Pest durch die offene Falltür im Fußboden und warf fluchend die Tür hinter ihm zu. Dann wandte er sich ins Zimmer. Er riss das über dem Tische schaukelnde Skelett herab und schlug damit so gewaltig um sich, dass er beim letzten Schein des verglimmenden Lichtes dem kleinen Mann mit der Gicht die Hirnschale zerschmetterte. Dann stürmte er zu dem verhängnisvollen Oxhoft voll Oktoberbier und Hugo Tarpaulin und stieß es mit aller Macht um. Ein Meer von Flüssigkeit stürzte heraus, so gewaltig – so flutend und brausend, – dass der Raum von einem Ende zum andern überschwemmt war – der voll beladene Tisch wurde umgeworfen – die Bahren fielen um, die Punschkübel ins Kaminfeuer und die Damen in Schreikrämpfe. Ganze Haufen von Bestattungsgeräten schwammen umher. Kannen und Krüge wogten durcheinander, und Korbflaschen kämpften verzweifelt mit Weiden- und Kürbisflaschen. Der Mann mit dem Katzenjammer ersoff auf der Stelle – der kleine steife Herr schwamm in seinem Sarg davon, und der siegreiche Bein ergriff die dicke Dame im Leichenhemd bei den Hüften, stürmte mit ihr auf die Straße und jagte auf kürzestem Wege zum Ankerplatz der »Frei und Licht«; hinter ihm drein segelte der furchtbare Hugo Tarpaulin, der, nachdem er zwei- bis dreimal kräftig geniest hatte, mit der Erzherzogin Ana-Pest auf den Armen daherkeuchte.


Edgar Allen Poe


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Textgrundlage: "König Pest", Edgar Allen Poes Werke,
Gesamtausgabe der Dichtungen
und Erzählungen, Band 5: Phantastische Fahrten.
Herausgegeben von theodor Etzel, Berlin,
Propyläen-Verlag, 1922, S. 97-113
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Logo 97: "Ophelia", Margaret McDonald, 1908.
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