Da der
Frühling im Anzug war,
suchte Alfred mit Elisen zuerst die milden Ufer des Genfersees auf.
Später
stiegen sie zu kühleren Gebirgshöhen empor, verbrachten den Spätsommer
in einem
englischen Seebad, besuchten im Herbst holländische und deutsche
Städte, um
endlich dem einbrechenden trüberen Wetter unter den Trost südlicher
Sonne zu
entfliehen.
Bis dahin
war nicht nur Elise, die über die nahe Umgebung Wiens früher
nicht hinausgekommen war, wie eine köstlich Träumende an der Hand ihres
geliebten Führers durch dieses Jahr der Wunder geschwebt; auch Alfred,
so klar
er sich immerfort der Zukunft mit ihren nur aufgeschobenen
Schwierigkeiten
bewußt war, hatte, von dem Glück Elisens wie mitgefangen, sich der
anmutigen
Gegenwart unbedenklich hingegeben.
Und
während er zu Beginn der Reise Begegnungen mit Bekannten vorsichtig
auszuweichen gesucht, es möglichst vermieden hatte, mit Elisen sich auf
belebteren Promenaden und in
den Speisesälen großer Hotels zu zeigen, forderte er später mit einer
gewissen
Absichtlichkeit das Schicksal heraus und war gerne gefaßt, durch eine
Depesche
seiner Braut des Treubruchs bezichtigt und damit zwar eines noch immer
heiß
ersehnten Besitzes, zugleich aber alles Zwiespalts, aller Unruhe und
aller
Verantwortung ledig zu werden.
Doch
keine Depesche, noch sonst eine Nachricht aus der Heimat drang zu
ihm, denn Adele hielt sich gegen Alfreds eitle Erwartung so
streng wie er
selbst nach der vom Vater geforderten Übereinkunft.
Doch es
kam die Stunde, in der, für Alfred wenigstens dies Wunderjahr ein
jähes Ende nahm und mit einem Male zauberlos, ja öder als irgendein
anderes,
das er erlebt, in der Zeit stillezustehen schien. Dies ereignete sich
im
Botanischen Garten zu Palermo an einem hellen Herbsttag, da Elise, die
bis
dahin sich frisch, lebhaft und blühend gezeigt hatte, plötzlich mit
beiden
Händen an ihr Herz griff, den Geliebten angstvoll anblickte und sofort
wieder
lächelte, als sei sie sich's wie einer Pflicht bewußt, ihm keinerlei
Ungelegenheiten zu verursachen.
Dies
aber, statt ihn zu rühren, füllte ihn mit Erbitterung, die er freilich
vorerst
unter der Miene des Besorgten zu verbergen wußte. Er warf ihr vor, ohne
selbst
daran zu glauben, daß sie ihm dergleichen Zufälle gewiß schon etliche
Male
geheimgehalten, gab seiner Kränkung Ausdruck, daß sie ihn offenbar für
herzlos
hielte, beschwor sie, heute noch, sofort, mit ihm einen Arzt
aufzusuchen, und
war recht froh, als sie diesen Vorschlag mit Rücksicht auf ihr geringes
Vertrauen zu den Heilkünstlern des Landes ablehnte.
Doch als sie plötzlich, wie überströmend von Dankbarkeit und Liebe,
hier, unter
freiem Himmel, auf der Bank, an der Leute vorübergingen, seine Hand an
ihre
Lippen drückte, fühlte er, gleich einer fliegenden Welle, Haß durch
seine Pulse
jagen, dessen Vorhandensein ihn zwar selbst in Erstaunen setzte, den er
aber
bald vor sich mit der Erinnerung vieler Stunden der Langweile und Leere
entschuldigte, an denen die Reise, wie er mit einmal zu wissen glaubte,
allzu
reich gewesen war.
Zugleich
flammte ein so
glühendes Verlangen nach Adelen in ihm auf, daß er, allen Abmachungen
zu Trotz,
noch am gleichen Tag eine Depesche an sie sandte, in der er sie um ein
Wort
nach Genua anflehte und die er unterschrieb: Ewig der Deine.
Wenige
Tage später fand er in Genua ihre Erwiderung, die lautete: Und
ich die
Deine für ebensolang. Mit dem zerknitterten Blatt auf dem Herzen, das
ihm nun
trotz des fragwürdig scherzhaften Tones den Inbegriff aller Hoffnungen
bedeutete, trat er in Elisens Begleitung die Fahrt nach Ceylon an, die
als
voraussichtlich schönster Teil der Reise an deren Ende gesetzt
war. Elise
hätte von verschlagenerer Gemütsart sein müssen, als sie war, wenn sie
auf
dieser Fahrt zu ahnen vermocht hätte, daß nur das kühne Spiel von
Alfreds
Einbildungskraft ihr reichere Wonnen des Geliebtseins schenkte als je
zuvor;
wenn sie gewußt hätte, daß nicht sie selbst es mehr war, die nun in den
schweigenden dunklen Meeresnächten an seinem Halse lag, sondern die
ferne,
durch seine Sehnsucht in aller Lebensfülle herbeigezauberte Braut.
Doch
auf der endlich
erreichten glühenden Insel, in der dumpfen Gleichförmigkeit des letzten
Aufenthaltes, da er erkannte, daß die allzu stürmisch aufgeforderte
Phantasie
ihm den Dienst versagen wollte, begann er sich von Elisen fernzuhalten
und war
tückisch genug, eine neue leichte Mahnung des Herzleidens, das sie beim
ersten
Betreten des festen Bodens angewandelt, als die Ursache seiner
Zurückhaltung
anzugeben. Sie nahm es hin wie alles, was von ihm kam, als Zeichen
einer Liebe,
die ihr nun allen Sinn und alle Seligkeit des Daseins
bedeutete. Und wenn
sie, unter dem wilden Glanz eines blaugoldenen Himmels, fest an ihn
geschmiegt
und geborgen, durch die rauschenden Schatten der Wälder fuhr, wußte sie
nicht,
daß ihr Begleiter nur die einsame Stunde herbeiwünschte, in der ihm,
ungestört
von Elisen, Gelegenheit geboten war, mit fliegender Feder beschwörende,
sengende Worte an eine andere auf das Papier zu werfen, von deren
Dasein in der
Welt Elise bis zu diesem Augenblick nichts ahnte und niemals etwas
ahnen
sollte.
In
solchen Stunden des Alleinseins stieg sein Verlangen nach der
Entfernten so mächtig an, daß er die Eine, die Nahe, die ihm Gehörende,
die,
mit der er nun bald ein Jahr lang die Welt durchquerte, bis auf die
Züge des
Antlitzes, ja bis auf die Stimme zu vergessen vermochte.
Und
als er in der Nacht vor dem Antritt der Heimreise, aus dem
Schreibzimmer
kommend, Elise in einem neuen schweren Anfall halb bewußtlos auf das
Bett
hingestreckt fand, erkannte er, was er sonst eher wie eine leise Angst
in sich
zu fühlen geglaubt hatte, mit leichtem, beinahe süßem Grauen als die
nie erloschene,
finster glimmende Hoffnung seiner Seele.