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04.3
Arthur Schnitzler
Der
Mörder - Eine
Novelle
Dennoch
sandte er ohne Aufschub und in
wirklich schmerzlicher Erregung nach dem Arzt, der unverzüglich
erschien und
der Kranken durch eine Morphiumeinspritzung Linderung verschaffte. Dem
vermeintlichen Gatten aber, der die nun bedenklich gewordene Reise aus
gewichtigen Gründen nicht aufschieben zu können erklärte, gab er ein
Billett mit,
das die Leidende der besonderen Sorgfalt des Schiffsarztes empfahl.
Gleich
in den ersten Tagen
schien die Seeluft auf Elise den wohltätigen Einfluß auszuüben. Ihre
Blässe
verschwand, ihr Wesen war aufgeschlossener, ihr Gebaren freier, als
Alfred es
jemals an ihr wahrgenommen. Und während sie früher sich gegen jede,
selbst die
harmloseste Annäherung von fremder Seite gleichgültig, ja abwehrend
verhalten
hatte, wich sie diesmal gemeinsamen Unterhaltungen, wie sie das Leben
auf dem
Schiffe mit sich brachte, keineswegs aus und nahm die achtungsvollen
Huldigungen einiger mitreisender Herren mit Befriedigung entgegen.
Insbesondere
ein deutscher
Baron, der auf dem Meere Heilung eines langwierigen Lungenleidens
suchte, hielt
sich in Elisens Nähe so viel auf, als es eben noch ohne Zudringlichkeit
geschehen konnte, und Alfred hätte sich gern überredet, das
aufmunternde
Benehmen, das Elise diesem liebenswürdigsten ihrer Bewunderer gegenüber
zur
Schau trug, als die willkommenen Zeichen einer neukeimenden Neigung
anzusehen.
Doch
als er Elise einmal
scheinbar ärgerlich über ihre auffallende Freundlichkeit zur Rede zu
stellen
versuchte, erklärte sie ihm lächelnd, daß all dies entgegenkommende
Wesen
andern gegenüber nichts anderes bezweckt hätte, als des Geliebten
Eifersucht zu
erregen, und sie der gelungenen List sich unsäglich freute.
Diesmal
vermochte Alfred
seine Ungeduld, seine Enttäuschung nicht mehr zu verbergen. Er
erwiderte ihr
Geständnis, durch das sie ihn beruhigt und beglückt zu haben glaubte,
mit Worten
von einer ihr unbegreiflichen Härte; in dumpfer Ratlosigkeit hielt sie
ihnen
eine Weile stand, bis sie plötzlich auf dem Verdeck, wo die Unterredung
stattgefunden hatte, bewußtlos zusammenstürzte und in die Kajüte
hinuntergetragen
werden mußte.
Der
Schiffsarzt, durch das
Schreiben seines Kollegen genügend unterrichtet, hielt eine nähere
Untersuchung
nicht für nötig und brachte dem gequälten Herzen durch das schon einmal
bewährte Mittel vorübergehende Linderung. Doch konnte er nicht
verhindern, daß
sich die Anfälle am nächsten und am dritten Tage ohne jede äußere
Veranlassung
wiederholten, und wenn das Morphium auch nie seine Wirkung versagte, so
durfte
er doch seine Befürchtung nicht verhehlen, daß die Krankheit ein übles
Ende
nehmen könnte, und mahnte Alfred in angemessener, aber höchst
bestimmter Form,
seiner schönen Gattin in jeder Hinsicht Schonung angedeihen zu lassen.
Alfred,
in seinem dumpf
wühlenden Groll gegen Elise, wäre leicht geneigt gewesen, dem Arzte
besonders
in dem einen Punkte, der einem strengen Verbote gleichkam, Folge zu
leisten,
wenn nicht Elise, von Sehnsucht verzehrt, in einer einsamen Nachtstunde
den
Widerstrebenden, als gälte es, ihn durch Zärtlichkeit zu versöhnen,
endlich
wieder in ihr Herz zu ziehen verstanden hätte.
Doch
wie sie mit
halbgeschlossenen Augen vergehend in seinen Armen lag und er über ihrer
feuchten Stirne den bläulichen Wellenschein verschimmern sah, der durch
das
kleine Kajütenfenster hereinbrach, da fühlte er, wie ihm gleichsam aus
den
tiefsten Seelengründen auf die Lippen ein Lächeln stieg, das er selbst
erst
allmählich als eines des Hohns, ja des Triumphes erkannte.
Und
noch während er seiner
dunklen Hoffnung erschauernd sich bewußt ward, mußte er sich sagen, daß
ihre
Erfüllung nicht nur für ihn das Heil und die Rettung aus allem Wirrsal,
sondern
daß auch Elise, wenn sie das Ende als unausbleiblich erkannt hätte und
ihr eine
Wahl verstattet wäre, kein anderes wünschen würde, als unter seinen
Küssen zu
verscheiden.
Und
wie sie nun, wohl vertraut
mit der Gefahr, in immer leidenschaftlicherer Hingabe gleichsam bereit
schien,
aus Liebe und in Liebe dahinzugehen, so glaubte er sich stark genug,
ein Opfer
anzunehmen, durch das, so ungeheuer es auch war, im Ineinanderwirken
schicksalhafter Zusammenhänge das Los dreier Menschen zuletzt doch nur
günstig
gewendet würde.
Aber
während er Nacht für
Nacht das matte Verschimmern ihrer Augen, das selige Verhauchen ihres
Atems mit
erwartungsvollem Grauen beobachtete, erschien er sich wie ein
Betrogener, wenn
eine Minute später ihre erwachenden Blicke dankbar in die seinen
glänzten, der
warme Hauch ihrer Lippen mit frischer Lust den seinen eintrank und so
der ganze
Aufwand seiner tödlichen Tücke zu nichts anderem vertan war, als neues
schöneres Leben durch Elisens Pulse zu treiben.
Und
sie war seiner Liebe so
sicher, daß sie bei Tag, wenn er sie auf Stunden sich selbst oder der
Gesellschaft anderer überlassen hatte, um auf dem obersten Verdeck die
fiebernde Stirn dem kühlenden Meerwinde preiszugeben, ohne Mißtrauen
zurückblieb und das ratlos irre Lächeln des Wiederkehrenden leuchtenden
Auges
wie einen zärtlichen Gruß erwiderte.
In
Neapel, wo das Schiff zu
eintägiger Rast anlegen sollte, um dann ohne weiteren
Zwischenaufenthalt nach
Hamburg abzugehen, hoffte Alfred von Adelen einen Brief zu finden, um
den er
sie zuletzt aus Ceylon in glühenden Worten angefleht hatte.
Das
stürmische Wetter
enthob ihn der Mühe, einen Vorwand dafür zu suchen, daß er sich ohne
Elise in
Gesellschaft anderer gleichgültiger Reisender durch einen der
bereitliegenden
Kähne ans Land setzen ließ. Er fuhr zur Post, trat zum Schalter, nannte
seinen
Namen und mußte sich mit leeren Händen zurückziehen.
Wenn
er sich auch damit zu
beruhigen versuchte, daß Adelens Brief nicht rechtzeitig abgesandt oder
verloren gegangen war, so ließ ihn doch das Gefühl von Vernichtung, das
nach
dieser Enttäuschung über ihn kam, erkennen, daß ein künftiges Leben
ohne Adele
für ihn nicht mehr zu denken war.
Am
Ende seiner
Verstellungskräfte angelangt, dachte er zuerst daran, sofort nach
seiner
Rückkehr auf das Schiff Elisen schonungslos die Wahrheit mitzuteilen.
Gleich
aber kam die Überlegung, daß die Folgen eines solchen Geständnisses
nicht
abzusehen wären, daß es Elise nicht nur auf der Stelle tödlich treffen,
daß es
sie auch in Wahnsinn oder Selbstmord treiben, daß aber eine solche
Begebenheit
in ihren Ursachen kaum geheim bleiben und damit seinen Beziehungen zu
Adele
verhängnisvoll werden könnte. Das gleiche blieb zu befürchten, wenn er
das
Geständnis bis zum letzten Augenblick, bis zur Landung in Hamburg oder
gar bis
zur Ankunft in Wien aufschieben wollte.
In so
verzweifelten
Gedanken und ihrer Hinterhältigkeit sich kaum mehr bewußt, wandelte
Alfred zur
Mittagszeit im brennenden Sonnenschein am Meeresstrand umher, als er
sich
plötzlich schwindeln und einer Ohnmacht nahe fühlte.
Angsterfüllt
sank er auf
eine Bank und blieb sitzen, bis der Krampf sich löste und die Nebel vor
seinen
Augen schwanden. Dann aber atmete er wie erwachend auf. Er wußte mit
einemmal,
daß in dem unbegreiflichen Augenblick, da seine äußeren Sinne ihn zu
verlassen
gedroht hatten, ein Entschluß furchtbar und klar zu Ende gereift war,
der längst
in den Tiefen seiner Seele sich vorbereitet hatte. Seinen heißen,
grausamen
Wunsch, dessen Erfüllung er all die Tage her gleichsam aus feiger
Verborgenheit
zu fördern gesucht hatte, er mußte ihn nun ohne weiteren Aufschub mit
eigenem
Willen, mit eigenen Händen zur Tat machen. Und wie das Ergebnis langer
innerer
Überlegung stieg ein fertiger Plan aus seiner Brust hervor.
Er
erhob sich und begab sich vorerst in ein Hotel, um dort mit dem
trefflichsten
Appetit sein Mittagmahl einzunehmen. Dann suchte er nacheinander drei
Ärzte
auf, gab sich überall als einen von unerträglichen Schmerzen
gepeinigten
Kranken aus, der, seit Jahren an Morphium gewöhnt, mit seinem Vorrat zu
Ende
gekommen sei, nahm die erbetenen Rezepte in Empfang, ließ sie in
verschiedenen
Apotheken anfertigen und fand sich, als er bei sinkender Sonne wieder
an Bord
ging, im Besitze einer Dosis, die er für seine Zwecke mehr als genügend
halten
durfte.
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