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04.3
Arthur
Schnitzler
Der
Mörder - Eine
Novelle
__________________________
An
der Abendtafel auf dem
Schiff erzählte er im Tone höchsten Entzückens von einer Wanderung
durch
Pompeji, zu der er den verflossenen Tag ausgenützt hätte, und mit einer
brennenden Lust am Lügen, als müßte er nun sein eigenes Wesen ins
Teuflische
steigern, verweilte er bei der Schilderung einer Viertelstunde, die er
im
Garten des Appius Claudius verbracht hatte, vor einer Statuette, die er
natürlich in Wirklichkeit nie gesehen und von der er zufällig im
Reisehandbuch
gelesen.
Elise
saß an seiner Seite,
ihr gegenüber der Baron, die Blicke der beiden begegneten sich, und
Alfred
vermochte die Vorstellung nicht abzuwehren, daß hier zwei Gespenster
aus leeren
Augenhöhlen einander anstarrten.
Später
aber, wie an so
manchem Abend vorher, wandelte er mit Elisen auf dem obersten Verdeck
im
Mondenschein umher, während fern die Lichter der Küste verglänzten. Da
er eine Sekunde lang sich schwach werden fühlte, jagte er seinen
Entschluß durch die Einbildung neu auf, daß es Adelens Arm wäre, den er
an den
seinen preßte; und an der Glutwelle, die ihm durch die Adern schoß,
erkannte
er, daß das Glück, das seiner wartete, auch durch die furchtbarste
Schuld nicht
zu teuer erkauft wäre. Zugleich aber regte
sich in ihm geheimnisvoll etwas wie Neid auf das junge Geschöpf an
seiner
Seite, dem es beschieden sein sollte, aus aller Lebenswirrnis so bald
ohne
Leiden und ahnungslos den erlösenden Ausgang zu finden.
Als
er Elise in der Kajüte
mit vollkommener, fast ins Unerträgliche gesteigerter Klarheit und doch
mit
verzweifelter Lust zum letztenmal in die Arme schloß, empfand er sich
wie den
Vollzieher eines Schicksals, an dem sein Wille keinen Anteil mehr
hatte. Nur eines Griffes von seinen Fingern hätte es bedurft, das Glas
umzustoßen, das bläulich vom Tischchen herüberschillerte, und die
Gifttropfen wären,
ein harmloses Naß, in die gleichgültigen Dielen versickert.
Aber
Alfred lag regungslos
und wartete. Er wartete, bis er endlich, mit stillstehendem Herzen,
einer ihm
wohlvertrauten Bewegung Elisens gewahr wurde, die mit halb
geschlossenen Augen
ihre Hand nach dem Glas ausstreckte, um, wie sie immer vor dem
Einschlafen tat,
ihren letzten Durst zu stillen.
Er
sah mit weit
aufgerissenen Lidern, ohne sich zu rühren, wie sie sich ein wenig
aufrichtete,
das Glas an die Lippen setzte und dessen Inhalt in einem Zuge
hinunterstürzte. Dann legte sie sich wieder hin mit einem leichten
Seufzer, den Kopf,
ihrer Gewohnheit nach, zum Schlummer an seine Brust bettend.
Alfred
hörte in seinen
Schläfen ein langsames, dumpfes Hämmern, hörte Elisens ruhiges Atmen
und hörte
die Wellen wie klagend an den Bug des Schiffes schlagen, das gleichsam
durch
eine stillestehende Zeit hinschwebte.
Mit
einem Male fühlte er,
wie ein heftiges Beben durch Elisens Körper ging. Ihre beiden Hände
griffen
nach seinem Nacken, ihre Finger schienen sich in seine Haut einbohren
zu
wollen, dann erst, mit einem langen Stöhnen öffnete sie die Augen.
Alfred
löste sich aus ihrer
Umklammerung, sprang aus dem Bett, sah, wie sie versuchte, sich zu
erheben, mit
den Armen ins Leere schlug, einen irren Blick in der Dämmerung hin und
her
flackern ließ, und plötzlich der Länge nach wieder zurücksank, um mit
kurzen
flachen Atemzügen, aber völlig bewegungslos liegenzubleiben.
Alfred
erkannte sofort, daß
sie ohne jedes Bewußtsein war, und fragte sich kalt, wie lange dieser
Zustand
wohl währen könnte, ehe er zum Ende führte. Es fiel ihm zugleich ein,
daß sie
in diesem Augenblick vielleicht noch zu retten wäre; und mit dem
dunklen
Gefühl, auf diese Art ein letztes Mal das Schicksal zu versuchen:
entweder
selbst die Früchte seines bisherigen Tuns zu vernichten oder durch ein
kühnes
Wagnis sich zu entsühnen, eilte er davon, den Arzt zu holen.
Erkannte
der, was hier
geschehen war, so sollte das Spiel endgültig verloren sein; im andern
Falle
aber sprach er sich selbst für alle Zukunft von Schuld und Reue los.
Als
Alfred mit dem Arzt in
die Kajüte trat, lag Elise bleich mit halb offenen verglasten Augen,
die Finger
in die Decke verkrampft und schimmernde Tropfen auf Stirn und Wangen.
Der Arzt
beugte sich nieder, legte sein Ohr an ihre Brust, horchte lang, nickte
bedenklich, schob Elisens Lider auseinander, hielt die eigene Hand vor
ihre
Lippen, horchte noch einmal; dann wandte er sich zu Alfred und
eröffnete ihm,
daß der Todeskampf zu Ende sei.
Mit
einem irren Blick, der
nicht geheuchelt war, schlug Alfred die Hände über dem Kopf zusammen,
sank vors
Bett hin und blieb, die Stirn auf Elisens Knie gepreßt, eine kurze
Weile so
liegen. Dann wandte er sich um und starrte wie verloren den Arzt an,
der mit
bedauerndem Blick ihm die Hand bot. Alfred nahm sie nicht, schüttelte
den Kopf,
und, im völligen Besitze seiner inneren Klarheit, wie in allzu spätem
Selbstvorwurf, flüsterte er vor sich hin: »Hätten wir Ihnen doch
gefolgt.«
Dann
verbarg er kummervoll
das Gesicht in den Händen. »Das hab ich mir denken können,« hörte er
den Arzt
tadelnd, aber mild erwidern: und in einem übermächtigen Gefühl des
Triumphes
spürte er hinter seinen zuckenden Lidern das Glühen und Leuchten seiner
Augen.
Schon
am Tage darauf, wie
es die Vorschrift verlangte, wurde Elisens Leichnam ins Meer gesenkt,
und
Alfred als Witwer fühlte sich von allgemeiner, doch stumm
zurückhaltender
Teilnahme umgeben. Niemand wagte ihn zu stören, wenn er stundenlang auf
dem
Verdeck hin und her ging und in eine Weite blickte, die für ihn, was
niemand
ahnen konnte, vom Dufte seligster Hoffnungen durchweht war.
Nur
der Baron schloß sich
zuweilen auf kurze Minuten dem hin und her Wandelnden an, wobei er es
mit deutlicher
Absicht unterließ, auch nur mit einem Worte des Trauerfalls zu
gedenken. Alfred
wußte wohl, daß den Baron nichts anderes zu diesen Begleitgängen
veranlaßte,
als die Sehnsucht, sich für kurze Minuten wieder im Dunstkreis der
geliebten
Verstorbenen zu fühlen.
Für
Alfred waren diese
Minuten die einzigen, in denen er sich von der Vergangenheit angerührt
fühlte;
sonst hatte er sich völlig über seine Tat, und was sie den Menschen
bedeuten
mochte, emporgehoben.
In
lebendiger Gegenwart
stand das Bild der Heißersehnten, in Schuld Errungenen vor ihm; und
wenn er vom
Bug des Schiffes aus hinab ins Wasser schaute, so war ihm, als sähe er
sie
friedevoll über begrabene Welten dahinrinnen, denen es in ihrer
Schlummertiefe
gleich war, ob sie gestern oder vor tausend Jahren versunken waren.
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