Geschichten
Kurt
Tucholsky
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Bunte
Gläser
Bei
den französischen Antiquaren in der Rue den Saints-Pères sind so
schöne, alte
bunte Gläser zu sehen – mögen Sie die auch so gern? Altes böhmischen
Glas und
rauchiges Glas, eingeschliffene matte Hirsche und Jäger springen um den
dicken
glasigen Becher herum, man kann mit der Hand die tiefen Konturen
nachfühlen …
Und man kann sich an den Farben freuen. Die Antiquare sind im
allgemeinen recht
nette Leute – wenn sie erst heraushaben, dass man garantiert eine Queen
Änn
nicht von einem Provangsakrug unterscheiden kann, geht es ganz gut. Und
immer,
wenn wir uns darüber geeinigt haben, dass ein Stück „de
l’époque“ nicht unter Viertausend zu haben
ist, und ich dann sagen muss: „Ja, leider bin ich kein indischer
Schriftsteller mit einem Gewand; und dass ich in
Czernowitz geboren bin, ist auch nur so ein frommer Wunsch der
Deutschen
Tageszeitung“ – dann nehme ich anstandshalber, und obgleich das gar
nicht nötig
ist, ein buntes Glas mit. Da stehen sie. Man kann sie ans Licht halten
und
durchgucken.
Mattes
Gelb. Die ganze Straße ist gelb, die Wolken auch, die Hunde auch. Einer
steht
an einer Ecke und macht etwas. Gelb auf Gelb kann man nicht sehen – der
Eckstein bleibt leer, ein seltsames Naturspiel. Drüben, am Bretterzaun
vom
Neubau, ist ein Riesenplakat hingepinselt:„Chacun son tour“ von
Charles Humbert, dem Senator, den Poincaré vor das Kriegsgericht und in
den Graben von Vincennes haben wollte, wo man im Krieg die Spione
erschossen
hat. Humbert, der viel Geld und viel Kopf hatte, hielt durch. Vorn im
Buch ist
er unter seinen Granaten und Geschossen abgebildet, die er immer wieder
für
Frankreich gefordert hat; wie ein dicker, guter Papa sieht er auf seine
konischen Kinder herunter. Die flogen davon, in Menschenfleisch zum
Beispiel –
Papa blieb da. Der Umschlag auf dem Buchdeckelplakat am Zaun ist
mächtig, hässlichgelb,
schwefelgelb, gemeingelb – das ist so bei politischen
Büchern. „Chacun son tour“ – nur nicht drängeln, mal
kommt jeder ran. Nein, manche kommen nicht mehr dran. Manche können
sich nicht
mehr rühren, bleiben stumm, faulen verscharrt oder lebendig im
Gefängnis. Wie
traurig die Straße auf einmal aussieht – das ist kein schönes Glas. Ein
andres!
Rubinrot.
Ah, das ist eine wollüstige Sache. Der Himmel blutend rot, wie wenn der
liebe
Gott das Jüngste Gericht für kleine Leute herbestellt hätte: pompös,
donnernd,
so recht etwas fürs Volk. Sehr hübsch, seht nett, lieber Gott! Drüben
an der
Ecke steht eine fette, kleine Dame mit roten Strümpfen, tiefroten
Schuhen, vor ihr ein junger Mann, der ihr einen
unpassenden Witz erzählt, sie lacht so rot-zahnig. Wird sie rot? Rot
gegen Rot
hebt sich auf – sie wird nicht rot. Unten verkauft einer eine Zeitung,
die hat
eine rote Überschrift. Aber seltsam: auch dieses sozialdemokratische
Organ ist
nicht rot. Es gibt vielerlei Rots auf der Welt: venetianisches Rot,
böhmisches
Rot – und ein mild gefärbtes Rosa, das gern zum Abendrot und zur
Bildung
regierungsfreundlicher Oppositionsparteien verwendet wird. Vorwärts,
ein andres
Glas!
Blau.
Da ist zu sehen: ein unveränderter Himmel, bläuliche, leicht besoffene
Wolken,
ein blaues Pferd, ein ganz angeblauter Mann – es wird ein Deutscher
sein, der
Paris besucht, ganz berauscht, sicherlich ist es ein Herr Landsmann,
man kann
das daran erkennen, dass er so aussieht, als warte er immer auf etwas,
was noch
kommen soll hier in Paris … Es kommt aber nichts. „Blau ist die Liebe –
blau
sind die Polster im Puff“ singt schon der große Marcellus O. Schiffer.
Da kommt
so eine – der Deutsche ihr gleich nach. Eine französische Zeitung hat
neulich
so definiert: „La Française se
donne – l’Allemande s’y prête.“ (Was
etwa zu übersetzen wäre: „Die Französin gibt sich hin, die Deutsche
gibt sich
dazu her“ – Krach, Protest sämtlicher deutscher Frauenvereine,
Ausweisung des
Störenfrieds, Glocke des Präsidenten. Übrigens ist das Wort falsch.)
Und wer kommt
denn da? Blau gegen Blau hebt sich auf: das ist Joachim Ringelnatz –
ich sehe
gar nichts mehr.
So
kann man sich mit bunten Gläsern stundenlang vergnügen. Aber gestern
habe ich
eins gekauft, freilich nur ein gegossenes – das ist so kommun, ich mags
Ihnen
gar nicht zeigen. Aber es ist doch merkwürdig. Es ist schwarz. Es ist,
wie es
schon in den Wirtinnenversen heißt: es ist aus schwarzem Glase. Ich
gehe damit
im Zimmer umher und gucke in den Spiegel. Und da stehe ich und
warte auf die Honorare der deutschen
Zeitungen, die mich aus der „Weltbühne“ nachdrucken. Und da kann ich
schwarz
werden.
oben
* * * * *
Die
Kartoffeln
Erschienen
1913
Ich
las eines dieser patriotischen Bücher, die das deutsche Heer einer
genauern
Betrachtung unterziehen. Da stand auch eine historische Erinnerung, die
es wert
ist, dass wir sie uns aus der Nähe ansehn.
Bei
der Belagerung von Paris 1870, erzählt der Autor, haben sich die
feindlichen
Vorposten ganz gut gestanden. Man schoss durchaus nicht immer
aufeinander, o nein!
Es kam zum Beispiel vor, dass man sich mit Kartoffeln aushalf. Meistens
werden
es ja die Deutschen gewesen sein, die den Retter in der Not gemacht
haben. Aber
einmal näherte sich ein französischer Trupp von ein paar Mann, die
Deutschen
nahmen die Gewehre hoch, da sagte jemand auf Deutsch: „Nicht schießen!
Wir
schießen auch nicht!“ und man begann sich wegen auszutauschender
Getränke zu
verständigen.
Man
könnte da von „Landesverrat“ sprechen, und tatsächlich untersagte
nachher ein
Armeebefehl diese Annäherungen aufs schärfste. Aber was ging hier
Wichtigeres
vor sich?
Doch
offenbar eine Diskreditierung des Krieges. Denn es ist nicht
anzunehmen, dass
Pflichtvergessene beider Parteien hier böse Dinge inszenierten. Es
waren sicher
Familienväter, Arbeiter, Landleute, die man in einen farbigen Rock
gesteckt
hatte, mit der Weisung, auf andersfarbige zu schießen.
Warum
schossen sie nicht? Offenbar waren doch der Nationalhass, der Zorn, der
angeblich das ganze deutsche Volk auf die Beine rief, nicht mehr so
groß, wie
damals Unter den Linden, als es noch nicht galt, auf seine Mitmenschen
zu
schießen. Damals hatte mancher mitgebrüllt, weil alle brüllten, und das
verpflichtete zu nichts. Aber hier waren Leute, die einen Sommer und
einen
Winter lang an den eigenen Leibern erfahren hatten, was das heißt:
Töten, und
was das heißt: Hungern. Und da verschwand der „tief eingewurzelte
Hass“, und
man aß gemeinsam Kartoffeln … Dieselben Kartoffeln; dieselben
Kapitalisten.
Aber andere Röcke. Das ist der Krieg.
oben
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