Geschichten
Kurt
Tucholsky
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Wo kommen
die Löcher im
Käse her–?
„Das Werk zwingt schon
durch die Gelehrsamkeit, die in ihm verkocht erscheint, Bewunderung ab,
besonders einem Leser wie mir, dessen Bildung an Emmenthaler-Käse
erinnert,
indem sie wie dieser größtenteils aus Lücken besteht.“ – Alfred
Polgar
Wenn abends wirklich
einmal Gesellschaft ist, bekommen die Kinder vorher zu essen. Kinder
brauchen
nicht alles zu hören, was Erwachsene sprechen, und es schickt sich auch
nicht,
und billiger ist es auch. Es gibt belegte Brote; Mama nascht ein
bißchen mit,
Papa ist noch nicht da.
„Mama, Sonja hat gesagt,
sie kann schon rauchen – sie kann doch noch gar nicht rauchen!“ – „Du
sollst
bei Tisch nicht reden.“ – „Mama, guck mal die Löcher in dem Käse!“ -
Zwei
Kinderstimmen, gleichzeitig: „Tobby ist aber dumm! Im Käse sind doch
immer
Löcher!“ Eine weinerliche Jungenstimme: „Na ja – aber warum?
Mama! Wo kommen die Löcher im Käse her?“ – "Du sollst
bei Tisch nicht reden!“ „Ich möcht aber doch wissen, wo die Löcher im
Käse
herkommen!“ – Pause. Mama: „Die Löcher... also ein Käse hat immer
Löcher, da
haben die Mädchen ganz recht! ...ein Käse hat eben immer Löcher.“ –
„Mama! Aber
dieser Käse hat doch keine Löcher! Warum hat der keine Löcher? Warum
hat der
Löcher?“ – „Jetzt schweig und iß. Ich hab dir schon hundertmal gesagt,
du
sollst bei Tisch nicht reden! Iß!“ – „Bwww –! Ich möcht aber wissen, wo
die
Löcher im Käse...aua, schubs doch nicht immer... !“ Geschrei.
Eintritt
Papa.
„Was ist denn hier los?
Gun Ahmt!“ – „Ach, der Junge ist wieder ungezogen!“ – „Ich bin gahnich
ungezogen! Ich will nur wissen, wo die Löcher im Käse herkommen. Der
Käse da hat
Löcher, und der hat keine –!“ Papa: „Na, deswegen brauchst du doch
nicht so zu
brüllen! Mama wird dir das erklären!“ – Mama: „Jetzt gib du dem Jungen
noch
recht! Bei Tisch hat er zu essen und nicht zu reden!“ – Papa: „Wenn ein
Kind
was fragt, kann man ihm das schließlich erklären! Finde ich.“ – Mama:
„Toujours
en présence des enfants! Wenn es für richtig
finde, ihm das zu erklären, werde ich ihm das schon erklären. Nu iß!“ –
„Papa,
wo doch aber die Löcher im Käse herkommen, möcht ich doch aber wissen!“
– Papa:
„Also, die Löcher im Käse, das ist bei der Fabrikation; Käse macht man
aus
Butter und aus Milch, da wird er gegoren, und da wird er feucht; in der
Schweiz
machen sie das sehr schön – wenn du groß bist, darfst du auch mal mit
in die
Schweiz, da sind so hohe Berge, da liegt ewiger Schnee darauf – das ist
schön,
was?“ – „Ja. Aber Papa, wo kommen denn die Löcher im Käse her?“ – „Ich
hab‘s
dir doch eben erklärt; die kommen, wenn man ihn herstellt, wenn man ihn
macht.“
– „Ja, aber ... wie kommen denn die da rein, die Löcher?“ – „Junge,
jetzt
löcher mich nicht mit deinen Löchern und geh zu Bett! Marsch! Es ist
spät!“ –
„Nein! Papa! Noch nicht! Erklär mit doch erst, wie die Löcher im
Käse...“ Bumm.
Katzenkopf. Ungeheuerliches Gebrüll. Klingel.
Onkel Adolf. „Guten Abend!
Guten Abend, Margot - ’n Ahmt – na, wie geht‘s? Was machen die Kinder?
Tobby,
was schreist du denn so?“ – „Ich will wissen ...“ – „Sei still ...!“
„Er will
wissen ...“ – „Also jetzt bring den Jungen ins Bett und lasst mich mit
den
Dummheiten in Ruhe! Komm, Adolf, wir gehen so lange ins Herrenzimmer;
hier wird
gedeckt!“ – Onkel Adolf: „Gute Nacht! Gute Nacht! Alter Schreihals! Nu
hör doch
bloß mal ...! Was hat er denn?“ - „Margot wird mit ihm nicht fertig –
er will wissen, wo die Löcher im Käse herkommen, und sie hat‘s
ihm nicht erklärt.“ - „Hast dus ihm denn erklärt?“ – „Natürlich hab
ich‘s ihm
erklärt.“ – „Danke, ich rauch jetzt nicht – sage mal,
weißt du denn, wo
die Löcher herkommen?“ – „Na, das ist aber eine komische Frage!
Natürlich weiß
ich, wo die Löcher im Käse herkommen! Die entstehen bei der Fabrikation
durch
die Feuchtigkeit ... das ist doch ganz einfach!“ – „Na, mein Lieber ...
da hast
du dem Jungen aber ein schönes Zeugs erklärt! Das ist doch überhaupt
keine
Erklärung!“ – „Na, nimm mir‘s nicht übel – du bist aber komisch!
Kannst du mir denn
erklären, wo die Löcher im Käse herkommen?“ – „Gott sei Dank kann ich
das.“ –
„Also bitte.“
„Also,
die Löcher im Käse
entstehen durch das sogenannte Kaseïn, was in dem Käse drin ist.“ –
„Das ist
doch Quatsch.“ – „Das ist kein Quatsch.“ – „ Das ist wohl Quatsch; denn
mit dem
Kaseïn hat das überhaupt nichts zu ... gun Ahmt, Martha, gun Ahmt,
Oskar ...
bitte, nehmt Platz. Wie geht‘s? ... überhaupt nichts zu tun!“
„Was streitet ihr euch
denn da rum?“ – Papa: „Nu bitt‘ ich dich um alles in der Welt; Oskar!
du hast
doch studiert und bist Rechtsanwalt: Haben die Löcher im Käse irgend
etwas mit
Kaseïn zu tun?“ – Oskar: „Nein. Die Käse im Löcher ... ich wollte
sagen: Die
Löcher im Käse rühren daher ... also die kommen daher, dass sich der
Käse durch
die Wärme bei der Gärung zu schnell ausdehnt!“ Hohngelächter der
plötzlich
verbündeten reisigen Helden Papa und Onkel Adolf. „Haha! Hahaha! Na,
das ist
eine ulkige Erklärung! Der Käse dehnt sich aus! Hast du das gehört?
Haha ...!“
Eintritt Onkel Sigismund,
Tante Jenny, Dr. Guggenheimer
und Direktor Flackeland. Großes „Guten Abend! Guten Abend! – ...
geht‘s? ...
unterhalten uns gerade ... sogar
riesig komisch ... ausgerechnet Löcher im Käse! ... es wird gleich
gegessen ...
also bitte, dann erkläre du –!“
Onkel Sigismund: „Also –
die Löcher im Käse kommen daher, dass sich der Käse bei der Gärung vor
Kälte
zusammenzieht!“ Anschwellendes Rhabarber, Rumor, dann großer Ausbruch
mit voll
besetztem Orchester: „Haha! Vor Kälte! Hast du schon mal kalten Käse
gegessen?
Gut, dass sie keinen Käse machen, Herr Apolant! Vor Kälte! Hähä!“ –
Onkel
Sigismund beleidigt ab in die Ecke.
Dr. Guggenheimer:
„Bevor man diese Frage entscheiden kann, müssen Sie mir erstmal sagen,
um
welchen Käse es sich überhaupt handelt. Das kommt nämlich auf den Käse
an!“
Mama: „Um Emmenthaler! Wir haben ihn gestern gekauft ... Martha, ich
kauf jetzt
immer bei Danzel, mit Mischewski bin ich nicht mehr so zufrieden, er
hat und
neulich Rosinen nach oben geschickt, die waren ganz
...“ Dr. Guggenheimer: „Also, wenn es Emmenthaler war, dann
ist
die Sache ganz einfach. Emmenthaler hat Löcher, weil er ein Hartkäse
ist. AlIe
Hartkäse haben Löcher.“
Direktor Flackeland:
„Meine Herren, da muss wohl wieder mal ein Mann des praktischen Lebens
kommen
... die Herren sind ja größtenteils Akademiker ...“ (Niemand
widerspricht.)
„Also, die Löcher im Käse sind Zerfallsprodukte beim Gärungsprozess.
Ja. Der
... der Käse zerfällt, eben ... weil der Käse ...“ Alle Daumen sind
nach unten
gerichtet, das Volk steht auf, der Sturm bricht los. „Pö! Das weiß ich
auch!
Mit chemischen Formeln ist die Sache nicht gemacht!“ Eine hohe Stimme:
„Habt
ihr denn kein Lexikon –?“
Sturm auf die Bibliothek.
Heyse, Schiller, Goethe, Boelsche, Thomas Mann, ein altes Poesiealbum –
wo ist
denn ... richtig!
GROBKALK BIS KERBTIERE
Kanzel, Kapital,
Kapitalertragssteuer,
Karbatsche, Kartätsche, Karwoche, Käse –! „Lass mich mal! Geh
mal weg! Pardon! Also:
„Die
blasige
Beschaffenheit mancher Käsesorten rührt her von einer
Kohlensäureentwicklung
aus dem Zucker der eingeschlossenen Molke.“ Alle,unisono: „Hast es. Was
hab ich gesagt?“ ... „eingeschlossenen
Molke und ist ... wo geht denn das weiter? Margot, hast du hier eine
Seite aus
dem Lexikon rausgeschnitten? Na, das ist doch unerhört – wer war hier
am
Bücherschrank? Sind die Kinder ...? Warum schließt du denn den
Bücherschrank
nicht ab?“ – „Warum schließt du den Bücherschrank nicht ab ist gut –
hundertmal
hab ich dir gesagt, schließ du ihn ab –“ „Nu lasst doch mal: also wie
war das?
Ihre Erklärung war falsch. Meine Erklärung war richtig.“ – „Sie haben
gesagt,
der Käse kühlt sich ab!“ – „Sie haben
gesagt, der Käse kühlt sich ab – ich hab gesagt, dass sich der Käse
erhitzt!“ –
„Na also, dann haben Sie doch nichts von der kohlensauren Zuckermolke
gesagt,
wie da drin steht!“ - „Was du gesagt hast, war überhaupt Blödsinn!“ –
„Was
verstehst du von Käse? Du kannst ja nicht mal Bolles Ziegenkäse von
einem alten
Holländer unterscheiden!“ – „Ich hab vielleicht mehr alten Holländer in
meinem
Leben gegessen wie du!“ – „Spuck nicht, wenn du mit mir sprichst!“ Nun
reden
alle mit einem Mal.
Man hört:
„Betrag dich gefälligst
anständig, wenn du bei mit zu Gast bist ...!“ „saurige Beschaffenheit
der
Muckerzolke ...“ „mir überhaupt keine Vorschriften zu machen!“ ... „Bei
Schweizer Käse – ja! Bei Emmenthaler Käse - nein! ...“ „Du bist hier
nicht bei
dir zu Hause! hier sind anständige Leute ... Wo denn -? Das nimmst du
zurück!
Das nimmst du sofort zurück! Ich lasse nicht in meinem Hause meine
Gäste beleidigen – ich lasse in meinem Hause
meine Gäste nicht beleidigen! Du gehst mir sofort aus dem Haus!“ – „Ich
bin
froh, wenn ich raus bin – Deinen Fraß brauche ich nicht!“ – „Du
betrittst mir
nicht mehr meine Schwelle!“ – „Meine Herren, aber das ist doch ...!“ –
„Sie
halten überhaupt den Mund – Sie gehören nicht zur Familie!...“ „Na,
das hab ich
noch nicht gefrühstückt!“ – „Ich als Kaufmann ...!“ – „Nu hören Sie
doch mal
zu: Wir hatten im Kriege einen Käse -“ „Das war keine Versöhnung! Es
ist mir
ganz egal, und wenn du platzt: Ihr habt uns betrogen, und wenn ich mal
sterbe,
betrittst du nicht mein Haus!“ – „Erbschleicher!“ – „Hast du das
– !“ „Und
ich sag es ganz laut, damit es alle hören: Erbschleicher! So! Und nu
geh hin
und verklag mich!“ – „Lümmel! Ein ganz fauler Lümmel, kein Wunder bei
dem
Vater!“ – „Und deine? Wer ist denn deine? Wo hast du denn deine Frau
her?“ –
„Raus! Lümmel!“ – „Wo ist mein Hut? In so einem Hause muss man ja auf
seine
Sachen aufpassen!“ – „Das wird noch ein juristisches Nachspiel haben!
Lümmel!
...“ „Sie mir auch -!“
In der Türöffnung
erscheint Emma, aus Gumdinnen, und spricht: „Jnädjie Frau, es is
anjerichtet
–!“
*
4
Privatbeleidigungsklagen. 2 umgestoßene Testamente. 1 aufgelöster
Soziusvertrag. 3 gekündigte Hypotheken. 3 Klagen um bewegliche
Vermögensobjekte: ein gemeinsames Theaterabonnement, einen
Schaukelstuhl, ein
elektrisch heizbares Bidet. 1 Räumungsklage des Wirts.
*
Auf dem Schauplatz bleiben
zurück ein trauriger Emmenthaler und ein kleiner Junge, der die dicken
Arme zum Himmel hebt und, den Kosmos anklagend, weit hinhallend
ruft:
„Mama!
Wo kommen die
Löcher im Käse her –?“
oben
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