Die Verdorrten
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Am nächsten
Abend, Esther zu Edgar: „Was ich von dir will? Ein nacktes Geschäft.
Ich bin
zwei Jahre verheiratet, mein Mann ist jung, ist stark, jünger, stärker
als du.
Aber ich bin nicht mehr fruchtbar.
Meine Brust
hat zu fließen nicht mehr aufgehört, in mir ist es Mutter, wie kann ich
weiterleben? Steh jetzt nicht auf, rühre dich nicht, du wirst deine
Kräfte noch
brauchen, heute Nacht, das ist mein Geschäft.
Du bist in
Geldsorgen, so kann dir nur durch Geld geholfen werden. Dieses Geld
erhältst
du, wenn du mir meinen Willen tust und dann verschwindest, das wird
auch deine
Absicht sein, denn zu sagen haben wir uns sonst heute nichts. Nimm
mich, aber
nimm mich nicht als die Esther, die du gehabt hast. Jetzt will ich nur
eins:
fruchtbar sein. Ich bin ohne Kleider vor dir gelegen, nackt bin ich
jetzt vor
ihm, nachts wälze ich mich über ihn, meinen Mann, aber er ist eine
unfruchtbare
Quelle, wer konnte das vorher wissen? Aber jetzt genug Worte, ist es
dir heute
recht? Kann ich angezogen bleiben, soll ich nackt sein, mir ist es
gleich. Wie
alles, nur das eine nicht, ‚es‘.“
Er tat es
aus Not. Ohne Worte, wie sie es verlangte, umwand er die verwandelte
Geliebte
in eine kalte Umarmung.
„Liebe ich
dich noch?“ sagte sie, „zürne ich dir, du hast mich zum Menschen
gemacht, du
hast mich zum Tier gemacht. Und du, und du,“ sie strich mit steinernem
Finger
eine tiefe Linie von der Halsgrube über das Brustbein den Leib hinab
den
schmerzlich aufatmenden Geliebten, „jetzt, wo du leidest, bist du Mann.
Deine
Lunge wund? Daß deine Wunde nicht außen liegt, Esther würde dich
heilen.“ Sie
überbreitete sich ihm, Feuchtigkeit, lauwarme, streifte, wie einer
Weide
regengetränkte Zweige, seine hingestreckte Gestalt, ihre langen
Augenwimpern,
tränenumflossen, liebkosten sein vereistes Herz mit Liebkosungen,
ungeahnt.
Er fühlte:
Hätte ich doch einen Stachel, eisern, rostig, mit Widerhaken, damit ich
ihn in
sie bohren könnte!
Er sagte:
Mein Geld, wann?
„Morgen,
erwarte mich etwas früher.“
Am nächsten
Tage war sie schon um fünf Uhr da, sie verdunkelte das Zimmer,
entkleidete
sich, erwartete ihn. War er roh, sie freute sich. Geld brachte sie
nicht.
Am dritten
Tage: „Es ist genug, ich will nicht mehr.“
„Was habe
ich dir getan? Edgar?“
„Was noch?
Du weißt alles. Mein Vermögen . . .“
„Mein Kind
. . .“
„Meine
Stellung, meine Zukunft, die Erfindung . . .“
„Mein Kind
. . .“
Er riß
Furchen in sein verstörtes Gesicht, er grub mit seinen von der
Färberarbeit
farbig gebeizten Fingern Gruben zwischen Stirn und Mund: „Meine
Gesundheit,
mein Leben, mein Mund voll Blut?“ Sie schwieg. „Bist das alles nicht
du?“
„Es ist
heute zum letztenmal, der Abschiedstag. Wobei soll ich schwören?“ Auch
am
nächsten Tage brachte sie nur Zärtlichkeiten, Geld aber nicht. Er
ergriff die
im Zimmer lüstern Umhertaumelnde an den Fußknöcheln, stürzte sie von
untenher
krachend auf den Erdboden.
„Hast
du kein Erbarmen, was bin ich dir?“
„Liebling“
flötete Esther.
„Noch bin
ich nicht wehrlos. Für mich habe ich nichts mehr zu hoffen, endlich
sehe ich
das Muß, aber du sollst nicht reine Freude haben.“ Er fuhr mit beiden
Händen
unter ihr Beinkleid, mit den Händen es ausweitend, zerfetzte er es
zischend,
mit den Nägeln riß er Stücke heraus und ballte sie in einen Knäuel in
seiner
Faust. Sie hielt ihm ihr weißes Gesicht entgegen, voll Hohn: „Wie
willst du mir
drohen?“
„Ein Wort
an deinen Mann . . .“
„Und wenn
er es weiß? Wenn er mich herschickt zu dir? Aber gleich. Es ist genug.
Ich bin
zu versöhnen. Ich bin es nicht, es ist meine Natur. Meine Natur will
Befriedigung, ein Kind, lebendigen Samen. Was ist Esther als Geliebte?
Du hast
mich gehaßt, in dem, was aus mir kommen sollte. Was bin ich als
Gattin?“ Sie
breitete die zerrissenen Stücke Spitze auf ihren Fingern aus und blies
mit
lauem Atem hindurch. „Als Mutter werde ich leben.“
Nach einer
Woche kam sie, aber sie verdunkelte das Zimmer nicht, warf sich ihm
nicht hin.
„Es wächst
in mir.“
„Und
. . .“
„Hast du es
nur des Geldes wegen getan? Ist das noch Edgar? Einerlei, morgen bringe
ich dir
das Geld. Um vier Uhr erwarte mich.“
Edgar
verbrachte die Nacht schlaflos aus Haß.
Um vier Uhr
übergab sie ihm einen Scheck, um viertel fünf erschien Anschütz, von
Edgar
durch ein anonymes Telegramm bestellt. „Bin ich zugrunde gegangen,“
sagte er zu
Esther, während der Mann an der Tür pochte, „dann wenigstens nicht
allein.“
„Warte ab“,
sagte Esther, sie trat Anschütz mit Unbefangenheit entgegen. „Mein
Jugendfreund“, sagte sie, wie sie vor Jahren zu dem dienenden Weib
gesagt
hatte. „Mein Bruder.“
Anschütz ging scheinbar beruhigt mit Esther
fort,
Edgar
wurde seiner Infamie nicht froh, das Geld wurde ihm nicht ausgezahlt,
Esther
hatte es gesperrt.
Edgar
konnte ohne Geld die verhaßte Stadt nicht verlassen. Er bekam nach
langem
Suchen eine Stelle als Hilfschemiker in einer Anstalt, wo man Kot,
Urin,
Auswurf chemisch untersuchte, aber auch zu dieser Arbeit ließ man ihn
nur
widerwillig zu, da ältere Kräfte wie er als schwer behandelbar galten.
Und
dann, was konnte ein Mensch leisten, der es in Edgars Alter zu keiner
Position
gebracht hatte und sich in den Zeitungen anbot?
In der
Mitte des Sommers traf Edgar Esther. „Du bist immer noch hier? Konntest
nicht
fort. Ich bin unschuldig. Anschütz hatte Verdacht, es durfte kein
größerer
Betrag auf geheimnisvolle Art ausgegeben werden, du verstehst.“
„Aber du
hast doch den Scheck schon vorher gesperrt.“
„War es
nicht gut für mich? Ich kannte dich.“
„Willst du
mich jetzt gehen lassen?“
„Hast du
keine Zeit für mich? Ich könnte dir manches erzählen, komm mit mir ins
Freie,
in den Wald, wo wir damals waren, erinnerst du dich?“
Während der
Fahrt: „Wie lebst du? Du siehst nicht gut aus, bist du denn wirklich
krank?
Deine Erfindung? Dein tägliches Brot?“
„Ich
untersuche, was die Menschen auswerfen, sie bringen Kot in kleinen
Töpfen von
Liebigs Fleischextrakt, eitrigen Speichel in Wassergläsern, die mit
einem
Taschentuch oben zugebunden sind, und anderes —, aber genug, auch so
kann man
leben.“
Sie stiegen
an der gleichen Station aus, wie an dem späten Abend im April, nach dem
Gewitter, sie suchten die Gegend des stürmenden Laufes, die Waldblöße,
den
Winkel, wo sie sich endlich, einer hinstürzend über den andern in
verzweifelter
Umarmung berauscht hatten, aber sie fanden die Gegend nicht mehr.
„Wie
sollten wir den Eingang zur Hölle finden, da wir doch mitten in ihr
leben? Ich habe
‚es‘ noch nicht, bin noch nicht gerettet, Anschütz hat Verdacht, er
berührt
mich seit dem Abend bei dir nicht mehr, er lauert mir auf, spioniert
mir nach,
sieh her“, sie streifte den Ärmel ihrer spitzenumflossenen Bluse von
der
Schulter, eine leicht verharschte Wunde wies sich. „Verstehst du das?
Diese
Wunde gibt alle vier Wochen Blut. Dieses Blut soll Anschütz täuschen,
mein Kind
vor ihm schützen, inzwischen,“ sie rauschte auf der Erde zusammen und
schwere
Wolken starken Parfüms erhoben sich zu Edgar, „inzwischen locke ich ihn
Nacht
für Nacht, mit was man Menschen seiner Art lockt, bis es gelingt. ‚Es‘
wird
leben, ich lebe in zweifacher Welt, wachend hier, schlafend dort, ich
fühle,
wie es in mir aufgeht, ich habe etwas, das du nie gekannt hast, auch in
meiner
ersten Nacht nie, ich höre immer, wie es lebt in mir.
Sie standen
zwischen harzstrotzenden jungen Bäumen, in wehenden Wänden ohne Dach,
in hoch
flirrendem Mittag.
Alles an
ihr starrte wie heißes Erz ihm entgegen, ihre gewaltige Brust mit
blauschwarzem
Hof in der Mitte, glühte. „Bist das nicht du, Edgar, jetzt erst du?“
Adern in
verknäuelten Strängen zogen von allen Seiten dieser Brust zu, vor
seinen Augen
sah Edgar diese Brust sich wie Wolken senken, die Brustwarzen sich
abwärts,
herzwärts neigen, einem Kinde entgegen, das geahnt war in diesem
Augenblick
aufzusteigen aus dem geschwellten Leibe zu der glühenden Quelle dieser
mütterlichen Brust.
„Ich werde
dich nicht vergessen, bald muß es sich entscheiden, wird das Kind
gerettet, ich
schwöre es dir, dann bist du es auch!“ So kehrten sie in die Stadt
zurück.
VIII.
Nach vier
Wochen war abends Esther vor der Schwelle von Edgars Tür, dort hatte
sie den
ganzen Nachmittag gewartet. Auf das Fensterbrett des nächsten
Stockwerks
gehockt, da sie in ihrem Zustand nicht lange stehen konnte. Statt der
Worte
zeigte Esther, die sonst so knabenschlanke ihre wie Säulen
angeschwollenen
Beine. Stumm spielte sie mit dem Geliebten von einst, griff ihm in die
Hosentasche, holte loses Geld heraus, ließ es klingeln, „ist das
alles?“ machte
einen Zug in seine Brusttasche, entfaltete die gefundenen Banknoten wie
Spielkarten zu einem Fächer in ihrer Hand, legte schließlich ihre
Ohrgehänge
hinzu, Ringe, eine kleine Uhr. „Das ist unser Geld, ich kehre zu meinem
Mann
nicht mehr zurück. Für ihn spiele ich umsonst Komödie. Für mich, sagt
er, die Wunde
an der Schulter, wer könnte derartiges glauben, wenn dein Bauch den
Leuten zum
Gelächter dient, wenn deine Elefantenbeine jeden Strumpf zerreißen. Ich
habe
Liebe nie verlangt, sagt er, bloß Aufrichtigkeit, du warst nicht schön,
bist
mittellos, Edgars abgelegte Geliebte, ich liebte dich trotzdem, sagt
er, aber
das da, und er faßt an meinen Leib, wessen Frucht? Mein Kind ist das
nicht. Du
bist um zwanzig Jahre jünger als ich, dein Kind ist um dreißig Jahre
jünger als
du, ihr werdet mich beerben. Würdet, sagt er. Mord könnte ich
verstehen,
Diebstahl nicht, dein Kind bestiehlt mich und meine Nachkommen, an
denen du
nicht hättest verzweifeln müssen. Dienstboten traten ein. Schweige
jetzt, sagte
ich. Nein, sagt er, es mögen alle davon wissen, nur so entgeht man dem
Gespött,
ich lege keinen Wert mehr darauf, dich als Hausfrau hier zu sehen. Ich
ging. Zu
wem zurückkehren?
Nun sind
wir eins, nicht mehr zwei, ich habe mich zugrunde gerichtet mit dir und
mein
Kind. Hätte ich dir deinen Sündenlohn gegeben, dann hätten alle drei
Brot. Ist
es vorbei? Was bist du, was hast du? Und vor allem eins: läßt du „es“
am
Leben?“
Edgar ließ
„es“ leben. Er selbst kündigte, weil Esther es so riet, die Stellung am
Untersuchungslaboratorium, sein früherer Assistent hatte die Erfindung
jener
Farbe nicht vollendet, es bestand noch die Möglichkeit für ihn, die
Sache zum
Gelingen zu bringen. Esther verkaufte alles, was sie an Schmuck hatte,
man
schaffte dafür eine chemische Wage, einen Arbeitstisch, Platintiegel
an, eine
große Anzahl von Flaschen kam, da schon die Ausdünstung von ganz
unschuldigen
Lösungen Edgars kranke Kehle reizte, in den Raum zwischen den Fenstern.
Esther
diente ihm wie eine Magd, so retteten sie durch die Sommermonate ein
erbärmliches Dasein, die Arbeit ging ohne Glück vor sich.
Eines
Nachts erwachte Edgar, Blut auf die von Esther frisch gewaschenen
Kissen
speiend. Esther, hochschwanger, flackernd im Kerzenlicht, riß ihm den
Kopf aus
dem Bereich der Kissen, tauchte ein Handtuch in Wasser, hielt es ihm
unter den
Mund.
„Blut!“
stammelte er.
„Nun, Blut!
Mußt du die Kissen beschmutzen, wir müssen darauf liegen, wer wird sie
waschen?“ Schluchzend: „Nun erst ist ‚es‘ verloren, wo es gebären, für
wen
zuerst sorgen, wohin es legen? wenn er schon da liegt!“ Sie faßte das
Handtuch
und preßte es aus, blutige Flüssigkeit tröpfelte zur Erde, mit ihren
Tränen
vereint; so verbrachte sie stöhnend die Nacht und ließ die Hand nicht
von
Edgars Stirn.
Am nächsten
Morgen ging sie zu dem Weib, das sie in funkelnder Wachsschürze,
glänzend wie
ein Insekt, empfing, als wäre sie gestern eben von dort fortgegangen.
Der Arzt,
höflich, gemein, alltäglich zugewandt dem unerhörtesten Mord der Mutter
an
ihrer Mütterlichkeit, tat, was man von ihm erwartete, wofür sie ihn mit
dem
letzten Gelde bezahlte. Das Kind wurde vertilgt. Sie kehrte zu Edgar
zurück,
pflegte ihn, bis er sich wieder erheben konnte, um in das
Untersuchungslaboratorium zurückzukehren, wo man ihn aus Mitleid wieder
einstellte. Auch Esther verdiente ihr tägliches Brot.
Edgar und
Esther lebten miteinander viele Jahre, nachdem sie einander geliebt
hatten. Sie
wehrten sich nicht gegen Kindersegen, als sich ihre Einkünfte gehoben
hatten,
aber es kam nichts mehr.
Sie wohnten
am äußersten Ende der Stadt, liebten sich nicht und haßten sich nicht,
der
Spiegel in dem Glase Wasser zwischen ihnen bei den grauen Mahlzeiten
trübte
sich nicht; rührt sich nie, sie lebten ihre alternde Zeit, als wäre es
Unsterblichkeit, sie erwarteten weder Gutes noch Böses. Er, der Irrsinn
und
menschenleere Einsamkeit gefürchtet hatte, war verflucht zu endlosem
Alter, nie
von Esther verlassen, sie, die Mutter ohne Samen, verdorrt, ein Strauch
am
Gestein.
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